Zwischen Think-Tank und Do-Tank

Seit 2020 ist Nina Smidt CEO und Sprecherin des Vorstands der 2008 gegründeten und mit 390 Mio. € dotierten Siemens Stiftung mit Hauptsitz in München und Projekten weltweit. Die Möglichkeiten, die ihre Stiftung bietet, auch gesellschaftlich mal etwas Neues auszuprobieren, sieht sie als grosses Geschenk.

Nina Smidts Eltern, so erzählt sie, waren viele Jahre für die GTZ (Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, heute GIZ, Gesellschaft für Internationale Zusammen­arbeit) tätig. Mitarbeiter dieser Organisation, die international für die Entwicklungszusammenarbeit der deutschen Bundesregierung aktiv sind, sind in der Regel viel und weltweit unterwegs, so auch Smidts Familie: «Ich bin überwiegend im Ausland aufgewachsen», sagt sie – die Grundschule hat sie in Padang auf Sumatra, Indonesien, absolviert, die Highschool im australischen Sydney, studiert habe sie in Australien und den USA, sowie für eine kurze Zeit in Israel. Dazwischen sei die Familie immer wieder in Deutschland gewesen, so Smidt, die heute in einem, wie sie sagt, deutsch-amerikanischen Haushalt lebt. Ihre Tochter ist in den Staaten geboren, erzählt sie; aktuell lebe die Familie in Hamburg.

Der Hang zu diversen Perspektiven und die Begeisterung für unterschiedliche Kulturen und Sprachen wurden Nina Smidt also nicht nur in die Wiege gelegt, sie hat diese auch – mit Blick auf ihren Lebenslauf – weiter ausgebaut. Impulse, die bei ihr schon früh ausgeprägt ­waren, waren vornehmlich Bildungsthemen, die gesellschaftliche Verantwortung und Transformation, die Unterstützung von Menschen und die eigene ­Weiterentwicklung, sagt sie. All das spiegelt sich klar in Smidts Kar­riere wider: Sie war in Bildungs­institutionen, Wissenschafts­einrichtungen, Thinktanks und Stiftungen tätig. Bevor sie 2020 CEO der Siemens Stiftung wurde, leitete sie zehn Jahre lang das US-Büro der Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius in New York, das sie dort auf­gebaut hatte.

Die Siemens Stiftung, der Smidt heute vorsteht, wurde 2008 gegründet und verfügt über einen Kapitalstock von 390 Mio. €, der, anders als bei Verbrauchsstiftungen, nicht angegriffen bzw. langfristig auf­gebraucht werden dürfe. «Wir sind für die Ewigkeit angelegt», drückt es Smidt aus. Das Kapital müsse so ­angelegt werden, dass sowohl die Stiftungsaktivitäten als auch der Stiftungsbetrieb aufrechterhalten werden könnten, sagt sie. In den Büros in Deutschland, einer Nieder­lassung in Santiago de Chile und ­einer weiteren in Kenia arbeiten im Kern an die 60 Personen – mit den Kollegen, die an den unterschiedlichen Projekten arbeiten, zähle man mehr; in Kenia arbeiten etwa 70 Personen in eigenen Sozialunternehmen, erklärt Smidt. Und obwohl es sich bei der Siemens Stiftung um eine unternehmensnahe Stiftung handle, so Smidt ­weiter, entwickle man das ­Portfolio eigenständig und unabhängig von der Stifterin.

«Wir brauchen als Stiftungen kulturelle Vielfalt, Perspektivenvielfalt. Wie wollen wir denn sonst die globalen Herausforderungen verstehen, wenn wir in den Stiftungen nur in bestimmten Bubbles unterwegs sind?», so Nina Smidt.

Drei grosse Themen (oder wie Smidt sagt: «Megatrends») habe man dabei auf dem Schirm: zum ­einen den Zugang zur Grund­versorgung; darunter fällt sauberes Trink­wasser ebenso wie die Themen Frauen­gesundheit und -hygiene, aber auch sogenannte Energy Solutions wie Mobilitätslösungen. Den ­zweiten grossen Bereich fasst Smidt mit «Vernetzte ­Gesellschaften / Digitalität» zusammen – darunter fallen Bildungs­themen, sagt sie, und Fragen wie «Wie gehen wir mit technolo­gischem Wandel, mit Digitalität oder künstlicher Intelligenz um? Was bedeutet das für schulisches und ausser­schulisches Lernen?» Auch, welche Bedeutung dies alles für unsere Gesellschaft habe, gehöre hier hinein, so die CEO weiter. Der dritte grosse Bereich sei dem Klima und der Nachhaltigkeit gewidmet – hier arbeite man intensiv mit den Ländern des Globalen Südens in Afrika und ­Lateinamerika zusammen, um gemeinsam mit ­lokal angesiedelten Sozialunternehmen, die einfache technologische Lösungen entwickeln und anbieten, dem Klimawandel zu begegnen bzw. Klima­wandelanpassungen in den Regionen zu ermöglichen, so Smidt.

Die gewählten Themen seien, der Herkunft geschuldet, technische – «die wurden uns in die Wiege gelegt», sagt Smidt. Und ebenfalls von Beginn an war klar, dass man global arbeiten wolle. Der Blick auf die Themen ist holistisch: «Die Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind – seien es Chancengleichheit im Bildungsbereich bis hin zum Klimawandel –, sind globale Herausforderungen. Viele dieser Probleme lassen sich nicht isoliert, lokal betrachten», so Smidt weiter. «Und in dem Umfang, in dem wir in internationalen Netzwerken auch global an diesen Themen arbeiten, ist es auch so, dass wir in Europa davon profitieren», so die CEO zur Langfristperspektive.

Wobei stets gilt: Nichts ist in Stein gemeisselt. Heisst: Die jeweiligen Portfolios der Siemens Stiftung werden immer für drei Jahre budgetiert, was die Überprüfung der entsprechenden Impact-Ziele in den jeweiligen Programmen gut überprüfbar mache, so Smidt. Das perfekte Portfolio gebe es nämlich nicht: «Mit unseren Partnern stehen wir in einem kontinuierlichen Prozess des Überprüfens, Reflektierens und Anpassens, wo man auch mal den Mut haben muss, Projekte, die nicht so gut laufen, zu beenden», sagt Smidt. Als Siemens Stiftung setze man gerne Impulse bei notwendigen Transformationsprozessen, ohne sich gleich mehrere Jahrzehnte einzelnen Projekten zu verschreiben, wie dies bei anderen Stiftungen mit Universitäten oder Krankenhäusern etwa der Fall sei, so Smidt weiter.

Gerade das aber mache ihre Arbeit so spannend, sagt Smidt: Man könne – auch auf die Gefahr hin, Fehler zu machen – «einfach mal tun», so die Stiftungs-CEO. Bei den globalen Herausforderungen – wie Klimakatastrophen, den Kriegen, die nun auch für Zentral­europäer näher kommen, oder vielen Bildungsthemen – abzuwarten, bis jemand anderer zu einer Lösung komme, sei sowieso nicht ihres: «Dieses Unterstützen und Fördern sehen wir als unseren Beitrag. Wir sind aber auch fest davon überzeugt, dass wir keine Lösungen entwickeln wollen, sondern nur gemeinsam und in Zusammenarbeit mit lokalen Partnern Impulse setzen möchten. Ich nenne das gerne Co-Konstruktion», erläutert Smidt.

Im Netzwerk müssten sich Ideen wie beim Schneeballeffekt ­immer weiterentwickeln und andere Partner mitnehmen. Sie müssten ­Eigenleben entwickeln. Eines der erfolgreichsten Projekte im Feld der MINT-Bildung in Lateinamerika habe sich so zum grössten Netzwerk zu diesem Thema entwickelt: In der Region sind mehr als 200 Partner, Ministerien, andere Stiftungen, Schulen und Verbände involviert, erzählt Smidt. «Wir sind hier lediglich Moderatoren, kontrollieren dieses Netzwerk nicht.»

Ohne diese unterschiedlichsten Stakeholder habe man, so Smidt, gar keine Chance, die globalen Herausforderungen zu tackeln; man wäre zu sehr in der eigenen Blase gefangen. «Es braucht Zusammenarbeit, es braucht Synergien», sagt sie, und es gelte, eine gute «eigene Balance zwischen Do-Tank und Think-Tank» zu halten. Mit Stillstand sei nichts zu gewinnen, so Smidt: «Ich fühle mich hier im Moment am richtigen Ort, wo ich das, was ich an Erfahrungen aus meinen Lebens- und Arbeits­stationen gelernt habe, sehr gut einbringen kann.»

Fotos: Katharina Gossow

Heidi Aichinger,
Herausgeberin

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