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Eric Baker flog bei Stubhub, dem von ihm mitgegründeten Ticketing-Giganten, raus. Um vier Milliarden US-$ kaufte er das Unternehmen Jahre später zurück – wenige Wochen danach bedroht nun die Coronavirus-Pandemie das gesamte Geschäft. Rache ist offenbar nicht immer süß.
Thanksgiving 2019, Eric Baker ist am Feiern. „Noch nie gab es eine bessere Zeit für Events als jetzt“, sagt er verschmitzt – denn Baker verdient an jeder Veranstaltung mit. Zwei Tage davor hatte er den größten Deal seines Lebens bekannt gegeben: Sein Marktplatz für Onlinetickets, Viagogo, hatte den größeren Konkurrenten Stubhub um vier Milliarden US-$ von Ebay gekauft. Für Baker ein Märchen – und eine Mischung aus Rache und Triumph. Denn Baker, damals noch Student an der Stanford Business School, war einer der Mitgründer von Stubhub – bis ihn seine Gründerkollegen rauswarfen. Das wiederum spornte Baker dazu an, in Europa Viagogo zu gründen. Er klingt zufrieden, als er im November 2019 sagt, es sei „ein persönliches Glück, meine beiden Babys zu vereinen.“
Drei Monate später, am 13. Februar dieses Jahres, war der Deal schließlich in trockenen Tüchern. Der 47-jährige Baker hatte mit einer Kombination aus zwei Milliarden US-$ an Krediten und zwei Milliarden US-$ in Cash einen globalen Giganten erschaffen, der im vergangenen Jahr Millionen von Tickets für Events aller Art verkaufte und dem Unternehmen zu einem Jahresumsatz von 1,5 Milliarden US-$ verhalf. Bakers Anteil am neuen Unternehmen (23 %) machte ihn beinahe zum Milliardär – bis die Pandemie kam.
Eric Bakers
... Biografie liest sich wie eine Anleitung zum Reichwerden: Harvard, Stanford, McKinsey, Bain. Er selbst wollte immer unternehmerisch tätig sein, die Richtung war aber lange Zeit offen. Dass Baker mit Stubhub wohl vier Milliarden US-$ versenken wird, wird in die Annalen der schlechtesten Deals aller Zeiten eingehen.
Als das Coronavirus in immer größeren Wellen den asiatischen Kontinent überrollte und über Europa schließlich in die USA kam, schlossen jegliche Stadien; Künstler sagten ihre Tourneen ab, Broadwayshows wurden pausiert. Mindestens 90 % der Einnahmen für Baker und seine Partner waren zunichtegemacht, so die Annahme von Analysten. Stubhub beurlaubte Ende März zwei Drittel seiner Mitarbeiter in den USA, etwa um dieselbe Zeit setzte Moody’s die Unternehmensbewertung von „stabil“ auf „negativ“ herab. „Es ist in der Tat unglücklich, nur vier Wochen vor dem Shutdown des gesamten Sektors vier Milliarden US-$ in ein Unternehmen zu investieren“, so Eric Fuller, Berater und Kenner des Ticketingmarktes. Er geht davon aus, dass Stubhub bald Insolvenz anmelden wird müssen, wenn man sich nicht rasch um Rettungspakete bemüht. (Stubhub war zu keinem Kommentar bereit; ein Unternehmenssprecher gab jedoch im April bekannt, dass das Unternehmen nicht bankrott sei.)
Es kommt aber noch schlimmer: Die Regierung Großbritanniens setzte eine kartellrechtliche Untersuchung an, die Viagogo und Stubhub zwingt, zumindest bis Juni getrennt voneinander zu agieren. Nicht nur verzögert das die Zusammenlegung von Prozessen, es verlangsamt auch die Nutzung von Synergien. Baker darf aktuell beim Management von Stubhub um Unterstützung ansuchen, um durch die Krise zu kommen – obwohl ihm das Unternehmen gehört.
So gesehen ist Erfolg immer eine Sache von Glück und Timing. Und in diesem Fall hatte Baker – er hat sämtliche Interviewanfragen abgelehnt – keines von beidem. Es kommt wahrlich selten vor, dass man ein Geschäft so rasch nach seinem Abschluss schon bewerten kann; das Urteil hier ist aber schnell gefällt: Bakers Erwerb von Stubhub wird definitiv in die Geschichte der schlechtesten Deals aller Zeiten eingehen.
Bakers Lebenslauf – Harvard, Stanford, McKinsey, Bain – liest sich wie eine Anleitung zum Reichwerden. Sein Großvater mütterlicherseits war Immobilienunternehmer, sein Großvater väterlicherseits leitete Baker Industries, eine Sicherheitsfirma, die gepanzerte Autos verkaufte. Bakers Vater Malcolm übernahm das Familienunternehmen, das schließlich im Jahr 1977 um 118 Millionen US-$ (heute ein Wert von rund 500 Millionen US-$) verkauft wurde.
„Ich habe immer schon gewusst, dass ich etwas Eigenes aufbauen wollte. Ich wusste nur nicht, wie“, sagte Baker einst. So begann er zunächst, in Harvard Politik zu studieren, um danach bei McKinsey anzuheuern, um Geld zu verdienen. Es dauerte nicht lang, bis ihm das langweilig wurde. „Das war nichts für mich“, sagte er 2012. „Man ist von extrem intelligenten Leuten umgeben, die alle nicht wirklich wirtschaftlich handeln.“ Nach zwei Jahren in diesem Job wechselte Baker 1997 zur Private-Equity-Firma Bain Capital, die zum damaligen Zeitpunkt vom späteren Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney geleitet wurde. „Dort lernte ich in zwei Jahren mehr als in allen anderen Unternehmen, für die ich tätig war“, erzählt Baker.
Die Beratung war nichts für mich. Man ist von Menschen mit extrem hohem IQ umgeben, die nicht wirklich wirtschaftlich handeln.
Ebendort soll er schon erste Ideen für einen Ticketmarktplatz gesponnen haben. Weil seine Freundin keine Tickets mehr für das Musical „König der Löwen“ am Broadway bekam, hielt sie ihn an, am Secondhandmarkt zu schauen. „Wie mache ich das?“, soll Baker damals gefragt haben. „Muss ich dafür an eine Straßenecke gehen und einem Ticketverkäufer auch noch eine Provision geben?“, erinnert er sich. Bis zum darauffolgenden Herbst, als er an die Stanford Business School ging, behielt er die Idee im Hinterkopf – und traf dann Jeff Fluhr. Gemeinsam traten sie mit Bakers Idee bei einem Businessplan-Wettbewerb an und kamen unter Dutzenden von Teilnehmern in die Gruppe der sechs Finalisten. Dem Finaltag blieben die beiden fern. „Wir wollten unter dem Radar unserer Mitbewerber fliegen“, so Fluhr, Mitgründer von Craft Ventures, das unter anderem in Houzz und Twilio investiert ist.
Fluhr verließ die Business School und arbeitete mit einem kleinen Team (darunter Jeff Lawson, Gründer von Twilio und heute Milliardär) an der Plattform. Baker blieb in Stanford, sollte von dort Input liefern und behielt sich einen Firmenanteil. „Er wollte sich anfangs nicht zu Stubhub committen“, sagt ein ehemaliger Mitarbeiter. Als die Plattform im Jahr 2000 gelauncht wurde, geschah dies ohne Baker, er stieg aber im Juni 2001 ein. Bereits 2004 war klar, dass die Chemie zwischen Baker und Fluhr nicht stimmte – obwohl das Geschäft florierte. Fluhr wollte Stubhub als unabhängiges Unternehmen führen, während Baker an Partnerschaften mit großen Sportklubs dachte. Fluhr und der Vorstand wollten Baker nicht mehr im Unternehmen haben und warfen ihn kurzerhand raus. Da Baker keine Wettbewerbsklausel unterschrieben hatte, wollte er einer Stubhub-Expansion nach Europa zuvorkommen und verkündete 2006 via Pressekonferenz die Gründung von Viagogo – flankiert von den britischen Fußball-Topklubs Manchester United und Chelsea FC. „Stubhub wusste bis zu diesem Zeitpunkt nichts davon“, so Baker zu Forbes. „Ich denke, sie waren geschockt.“ Lange konnte Baker nicht im Triumph baden: Im nächsten Jahr kaufte Ebay Stubhub um 310 Millionen US-$. Bakers Ärger darüber – er dachte, die ehemaligen Kollegen hätten zu früh verkauft – verflog bald; er steckte das Geld für seine Anteile ein und widmete sich wieder Viagogo. Die Plattform war extrem erfolgreich: 2011 wurden mehrere Hundert Millionen US-$ an Transaktionen pro Jahr umgesetzt, 2019 waren es bereits Milliarden – und zwar höchst profitabel erwirtschaftet. Erste negative Presseberichte machten aber ebenso die Runde: Künstler sprachen von aufgeblasenen Ticketpreisen, Kunden ärgerten sich über versteckte Gebühren. Und 2018 sprach Margot James, Großbritanniens Ministerin für Digitales und die Kreativindustrie, aus, was viele dachten: „Gehen Sie nicht auf Viagogo. Das sind die Schlimmsten.“
Umsatz in der globalen Eventticket-Branche
(in US-$; Quelle: Statista)
Bakers selbstbewusstes Handeln wirkt heute geradezu dreist – denn die Veranstaltungsabsagen kamen wie ein Tsunami über ihn: Madonna, March Madness, Nascar, South by Southwest, Broadway, Wimbledon und das Oktoberfest. Kunden verlangten ihr Geld zurück. Man begann, Gutscheine auszustellen – ohne über entsprechende Reserven zu verfügen. „Viele dieser Unternehmen arbeiten mit einem Zeithorizont von drei Monaten“, sagt Fred Rosen, der von 1982 bis 1997 Ticketmaster leitete, „aber sobald es wieder Liveacts gibt, kommen sie aus der Versenkung.“
Um die Branche nachhaltig zurück zu vergangenen Höhen zu führen, wird es aber eine Impfung gegen Covid-19 brauchen. Wann es so weit sein könnte, ist jedoch offen – und damit sieht die Zukunft für Bakers Unternehmen mehr als düster aus.
Text: Noah Kirsch, Forbes US
Fotos: Shutterstock, Getty Images (2), AP, Bloomberg
Der Artikel ist in unserer Mai-Ausgabe 2020 „Geld“ erschienen.