WOHIN DIE REISE GEHT

Als „Biobauernhof mit integriertem Luxushotel“ zählt der Stanglwirt zu den erfolgreichsten Hotels in Europa. Nun übernimmt schrittweise die nächste Generation der Familie Hauser das Ruder im Unternehmen.

Von einem Tag auf den anderen war Balthasar Hauser plötzlich Wirt, Chef, Unternehmer. Denn Hauser war erst 19 Jahre alt, als er nach dem plötzlichen Tod seiner Mutter 1966 den elterlichen Betrieb übernehmen und zum 17. Stanglwirt in der Geschichte des Hauses werden sollte. Eigentlich wollte Hauser Bauer werden, doch die Herausforderung nicht anzunehmen war in Wahrheit keine Option. Seit 1609 besteht der Gasthof in Going in Tirol, seit 300 Jahren befindet sich der Stangl­wirt in den Händen der Familie Hauser. ­Balthasar Hauser hatte eine Geschichte weiterzuschreiben.

Vom Landgasthof zum Luxushotel

Und das tat er: In den letzten 50 Jahren baute Hauser den Stangl­wirt von einem einfachen Landgasthof zu einem Fünf-Sterne-­Luxushotel aus, das weit über die österreichischen Landesgrenzen ­hinaus bekannt ist. Nicht nur während des Hahnenkammrennens darf das Hotel zahlreiche Prominente, etwa Arnold Schwarzenegger, Jean-­Claude Juncker oder den Schauspieler Matthias Schweighöfer begrüßen. Den familiären Charakter hat sich das Haus trotz der fünf Sterne an der Eingangstür weitgehend ­behalten. „Wir sehen uns als Bio­bauernhof mit integriertem Luxushotel – und nicht umgekehrt“, wie die Hausers nicht müde werden zu betonen.

Als wir die Terrasse des Stangl­wirts betreten, um über die Strategie, Positionierung und das Image des Hauses zu sprechen, sind aber weder Balthasar Hauser noch seine Frau Magdalena zugegen. Vielmehr sitzen dort Maria, Elisabeth und ­Johannes – drei der vier Kinder der Hausers und die zukünftige Führungsgeneration des Stangl­wirts. Das Trio wirkt bereits heute in ­verschiedenen Funktionen an der Leitung des Familienunternehmens mit und soll in Zukunft noch mehr Verantwortung übernehmen.

Den Ursprüngen sowie dem hauseigenen Slogan „Daheim beim Stanglwirt“ will aber auch die junge Generation treu bleiben und gerecht werden. Doch Heimatgefühl lässt sich nicht beliebig hoch­skalieren, wie auch die Vergangenheit eindrucksvoll zeigte: Ende der 90er-Jahre baute Balthasar Hauser – damals noch gemeinsam mit dem erstgeborenen Sohn Richard, der inzwischen seinen Kitzbühel Country Club eröffnet hat – ordentlich aus. Die Kubatur des Hauses wurde damals auf die heutige Größe von 170 Zimmern verdoppelt. Elisabeth Hauser-Benz erzählt von den damit verbundenen Schwierigkeiten: „Es gab damals einen Umbruch durch die Verdoppelung der Hotelkubatur; ­einige Gäste dachten, dass das Flair des heimeligen Traditions­hauses verloren gegangen sei. Wir waren plötzlich ein internationales Haus mit weitläufigem Angebot.“

Stanglwirt 2

Ihre ältere Schwester ­Maria Hauser betont jedoch sofort, dass der „Cut“ nicht von Dauer war: ­„Einige unserer Stammgäste ­hatten tatsächlich Bedenken, ob wir das ­familiäre Element beibehalten können. Manche sind dann auch woanders hingefahren, aber letztendlich sind so gut wie alle wieder zurück­gekommen.“

Biobauernhof und Luxushotel – geht das?

Einen großen Hebel, um den Charakter des Hauses beizubehalten, sieht Elisabeth Hauser-Benz, die unter anderem für die Bereiche Personal und Verwaltung zuständig ist, bei den Mitarbeitern. Rund 300 Angestellte zählt das Unternehmen heute, und sie alle sollen Mitgastgeber sein. „Wir arbeiten eng mit unseren Mitarbeitern zusammen, damit auch sie unseren Gästen dieses Gefühl vermitteln“, so Elisabeth Hauser-Benz.

Mit der Sonne und dem eindrucksvollen Panorama des Wilden Kaisers im Rücken scheint also alles eitel Wonne an diesem Tag im Stangl­wirt. Doch die Herausforderung, die Maria, Elisabeth und Johannes in Zukunft vor sich haben, ist groß.

Denn sie müssen einerseits den Charakter eines Biobauernhofs beibehalten, gleichzeitig jedoch die Ansprüche eines Luxushotels bedienen können. Dabei auch ein überdurchschnittliches Wachstum zu erzielen und den familiären Haussegen beizubehalten, wird für die 18. Stangl­wirt-Generation keine einfache Aufgabe sein.

Wanderjahre der Geschwister Hauser

Groß wurde das Trio im ­Hotel. Johannes Hauser: „Wir sind hier aufgewachsen, haben im Hotel unsere Kindheit verbracht.“ Die ersten Erfahrungen in der Hotel­lerie sammelten dann aber alle drei im Ausland. Auf eigenen Wunsch hin ging Maria als Älteste der drei für ihr Studium nach Australien.

­Anschließend verschlug es sie in die USA – in San Diego war sie für ein Luxushotel im Bereich des Eventmanagements tätig. 2006 kehrte sie als Direktionsassistentin zum Stanglwirt zurück. Heute sagt sie, sie habe damals vor allem „fürs ­Leben“ gelernt: „Ich bin als schüchterner Mensch weggegangen und als selbstsicherer Mensch zurück­gekommen.“ ­Maria Hauser ist heute neben Marketing und PR sowie Qualitätssicherung auch für den Bereich Wellness & Spa sowie die Hotelshops und zudem eines der Aushängeschilder des Hauses verantwortlich: die Events. Die legendäre Weißwurstparty anlässlich des Hahnenkammrennens in Kitz­bühel zieht jedes Jahr zahlreiche Promi­nente an, das Sängertreffen im ­Stanglwirt verwurzelt die volks­tümliche Musik im Haus.

Ihre Schwester Elisabeth ­kümmert sich um Human Resources und um eine andere Attraktion: die ­Lipizzanerzucht beim Stanglwirt. Elisabeth verdiente sich ihre Sporen in der Schweiz, war sowohl im ­Marriott als auch im Park ­Hyatt ­Zürich tätig, bevor sie 2012 Assistentin der Geschäftsführung im Stanglwirt wurde.

Bruder Johannes ­wählte ­hingegen das wärmere Klima: Er war 14 Monate lang im Luxus­hotel Halekulani auf Hawaii ­tätig. Er kümmert sich heute neben der Landwirtschaft auch um den Bereich Food & Beverage sowie die ­Fischerei des Stanglwirts. „Mich ­haben im Ausland ­neben meiner fachlichen Ausbildung im Bereich Food & Beverage vor allem ganz grundlegende Fragen interessiert: Welche logis­tischen Anforderungen hat ein ­Hotel dieser Größe? Welche Hardware benötigt man überhaupt?“ Auch im Urlaub versucht Johannes Hauser – wie auch beide Schwestern –, sich ständig von anderen Hotels etwas abzuschauen: „Wie gehen andere Betriebe gewisse Dinge an?“ Obwohl Maria Hauser gleich darauf betont: „Wir wollen aber nie kopieren, sondern immer unser eigenes Ding machen. Frei nach Goethe: ,Was imponieren soll, muss Charakter haben.‘“

Seit 1609
... besteht der Stanglwirt in Going in Tirol, seit 300 Jahren ist er in der Hand der Familie Hauser. Seit 50 Jahren leitet Balthasar Hauser das Haus mit seiner Frau Magdalena. Drei der vier Kinder – Maria, Elisabeth und Johannes – sind heute im familiären Betrieb tätig.

Das Privatleben vom Beruf zu trennen ist in einem Familienunternehmen nicht immer ganz einfach. Auch heute essen die drei Kinder mittags noch mit ihren Eltern, alle drei wohnen in Gehweite zum Hotel – wenn auch nicht mehr auf dem Areal selbst, wie Balthasar und Magdalena Hauser es nach wie vor tun.

Die Kuriositäten des Stanglwirts

Ist es denn schwierig für die Familie, die beiden Welten zu trennen? Maria Hauser: „Natürlich verschwimmen die Grenzen, aber das hat auch schöne Seiten.“ Johannes Hauser sieht das jedoch als Normalität für den Beruf: „Als Unternehmer schaltet man nie ganz ab.“

Viele Attraktionen des Stangl­wirts wurden weniger aus strategischer Planung als aus dem Zufall geboren. So brachte dem Haus etwa ein vermeintlich banales Detail in den letzten Jahren viel internationale Aufmerksamkeit: das Kuhstallfenster. Während eines Umbaus in den 1950er-Jahren ergab es sich zufällig, dass der Speiseraum des Gasthofs direkten Sichtkontakt zu den Kühen im Stall hatte. Der damals engagierte Architekt wollte das Fenster sofort wieder zumauern. Alois Hauser, der das Haus zu dieser Zeit mit Gattin Anna leitete, erkannte aber das Potenzial eines solchen Objekts – und setzte sich durch. Bis heute erfreut sich das Guckloch zu den Wiederkäuern hoher Beliebtheit.

Auch die Schafe des Hauses grasen nur auf den ersten Blick auf einer ganz normalen Wiese. Denn eigentlich befinden sich unter den Tieren die Tennishallen, deren Dächer Balthasar Hauser begrünen ließ, damit sich die Hallen besser in das Gesamtbild fügen. Andere Dinge passierten hingegen geplanter: Die Rolle als Biohotel mit Bio-Lebensmitteln und einer engen Verbindung zur Natur ist für den Stanglwirt essenzieller Teil der Positionierung. Und auch das Erscheinungsbild des Hauses, das von Holz, Tonziegeln und Kalkmörtel geprägt ist, ist für die Hausers ein Teil des Charakters des Hotels.

Zufällig und locker wird das Unternehmen seine Strategie künftig nicht mehr gestalten können. Denn trotz des betont ­familiären Umfelds ist der Stanglwirt ein Fünf-Sterne-Hotel, das bei seinen Gästen ebensolche Erwartungen weckt. Johannes Hauser: „Wir müssen uns selbst treu bleiben. Gleichzeitig vergleichen uns die Gäste aber mit anderen internationalen Luxushäusern, etwa in Dubai oder den USA. Das ist natürlich ein Kompliment für uns.“ Auch, dass der Stangl­wirt dreimal in Folge auf der „Gold List“ des Condé Nast Traveller landete, ist ein Kompliment – lässt aber auch die Erwartungen steigen.

Stanglwirt 3

Diversifikation soll in Zukunft Mehreinnahmen bringen

Der globale Markt für Luxus­hotels betrug 2019 laut dem US-Datenanbieter Verified Market Research rund 90 Milliarden US-$ – bei steigender Tendenz. Doch mit rund 4 % jährlichem Wachstum (Compund Annual Growth Rate, CAGR) sind die Sprünge, die Unternehmen in diesem Segment in den nächsten Jahren machen können, begrenzt. Der Stanglwirt wuchs die längste Zeit (deutlich) über dem Markt. 2018 betrug der Umsatz der hinter dem Hotel stehenden Stangl­wirt GmbH 36,7 Millionen €, was ein Wachstum von rund 11 % zum Vorjahr bedeutet. Seit 2013, als das Familienunternehmen 25 Millionen € umsetzte, bedeutet das eine jährliche Wachstumsrate von fast 8 %. Das aufrechtzuerhalten wird nicht einfach, denn der Stanglwirt hat eine Auslastung von rund 90 %, 80 % sind Stammgäste. Das hält Maria Hauser nicht davon ab, neue Märkte anzugehen: „Solche Schritte sollten aus einer Position der Stärke passieren.“ Aber ohne zusätz­liche Kapazitäten ist der Umsatz, den der Stanglwirt im klassischen Hotel­geschäft verdient, gedeckelt. „Es ist aktuell nicht geplant, zusätzliche Zimmer zu bauen“, so Maria Hauser – vermutlich auch, um den Claim „Daheim beim Stanglwirt“ nicht ­(erneut) zu gefährden.

Und so könnte Diversifikation das große Thema werden. Zu konkreten Ideen wollen sich die drei ­Juniorchefs nicht äußern, doch bereits heute stammen zwischen 25 und 30 % des Umsatzes aus Kanälen abseits des klassischen Hotelgeschäfts. Dazu gehören etwa der Hotelshop, die Gastronomie oder Einnahmen aus Angeboten wie Golf- und Reitstunden. Externe Angebote, die ­Marke anderweitig zu nutzen, gab es bereits, die Familie lehnte das aber ab.

Und auch die Möglichkeit, einen zweiten Standort aufzubauen, gab es mehrfach, aber auch hier besteht kein Interesse. „Das Originalhaus mit seinem Konzept wird immer einzigartig bleiben, das kann man auch nicht an einen anderen Ort ­kopieren“, so Maria Hauser.

Der neue Stanglwirt soll also in gewisser Weise der alte Stanglwirt bleiben. Wer letztendlich 18. Stangl­wirt bzw. -wirtin wird, ist übrigens noch nicht geklärt. „Die Frage wird uns immer wieder gestellt“, lacht Elisabeth Hauser-Benz. „Aber das ist erst spannend, wenn es spruchreif wird.“ Maria Hauser ergänzt: „Wir haben noch einige Projekte und Ideen in Angriff zu nehmen. Es wird spannend, zu sehen, wohin die Reise geht.“

Text: Klaus Fiala
Fotos: Dirk Bruniecki

Der Artikel ist in unserer September-Ausgabe 2019 „Women“ erschienen.

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