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Vom 17. Wiener Gemeindebezirk aus finden die Original Wiener Schneekugeln ausgewählte Plätzchen auf den Regalen dieser Welt – besonders in Japan schätzt man den wienerischen Nippes mit Tradition. Sabine Perzy II. führt den Familienbetrieb in vierter Generation.
Aus der schmalen Eingangstür des Hauses mit der Nummer 87 in der Schumanngasse im 17. Wiener Bezirk kommt eine in einen dicken Anorak eingepackte britische Touristin und wartet auf ihr Uber. Ihr Begleiter steht noch drinnen, im Schneekugelmuseum, und hält sich eines der „Erklärtelefone“ ans Ohr, aus dem von der Geschichte bis hin zur Produktion der Original Wiener Schneekugel allerhand Wissenswertes zu den kleinen Preziosen zu erfahren ist.
Der Raum ist mit 50 Quadratmetern eher schmal bemessen – und mit Schneekugeln unterschiedlicher Größen und Gestaltung gefühlt bis unter die Decke zugestellt. Vor den Regalen stehen, wie so oft in Wien, Einheimische neben internationalen Besuchern und schauen die Reihen mit den vielen Motiven durch. Vom Riesenrad im Prater über den Stephansdom bis hin zum Schneemann oder Fantasy-Figuren aus Film und Fernsehen – das Spektrum der einzelnen Darstellungen reicht hier von Tradition bis Kitsch. An diesem Ort ist für jeden Geschmack etwas zu finden.
Die Qual der Wahl haben all jene, die ihre Liebsten mit einem echten Wiener Erinnerungsstück beschenken wollen, unter 350 Standardmotiven, die laufend aktualisiert werden; dazu gebe es eine Vielzahl an Sonderanfertigungen, sagt Sabine Perzy II., die das Familienunternehmen, die Original Wiener Schneekugelmanufaktur, nun in vierter Generation führt.
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Vor über 100 Jahren war Perzys Vorfahre Erwin Perzy I., seines Zeichens Chirurgieinstrumentenmechaniker und Erfinder, auf der Suche nach dem Kaltlicht (dieses hat einen stark reduzierten Infrarotanteil und kommt bei optischen Geräten wie Operationsmikroskopen oder Endoskopen zur Anwendung). Perzy experimentierte mit der Schusterkugel, einem mit Wasser gefüllten Glasballon mit rohrförmigem Ende, der dahinter gestellte Lichtquellen (wie eine Kerze und später die Kohlefadenlampe) verstärkt und wie eine Lupe funktioniert. Der Erfinder fügte dem Wasser in der Glaskugel verschiedene Stoffe hinzu, die das Licht weiter reflektieren sollten – unter anderem auch Grieß, der in der Flüssigkeit herunterschwebte wie Schnee, der vom Himmel fiel. So viel zur Entstehungsgeschichte eines der beliebtesten Souvenirs der Welt.
Das erste jemals in eine Schneekugel eingebrachte Motiv war die Basilika von Mariazell, die wichtigste Wallfahrtskirche des Landes. Man erkennt daran bereits einen gewissen Geschäftssinn, zumal besonders Wallfahrer den zu Hause Gebliebenen fast ausnahmslos Präsente mitbrachten bzw. nach wie vor mitbringen.
Erwin Perzy I. nannte seine Erfindung „Glaskugel mit Schneeeffekt“ – 1900 gründete er die Wiener Schneekugelmanufaktur am heutigen Standort. Und auch der „Wiener Silvestergruß“ ist Perzys Erfindergeist zu verdanken: Die Sets zum Bleigießen mit einer speziellen, leicht schmelzenden Legierung (heute wird kein Blei mehr verwendet) seien bis heute ein Kassenschlager zum Jahreswechsel, so Sabine Perzy II.
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Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm Erwin Perzy II. von seinem Vater und begann mit ersten Exporten nach Amerika, Kanada und Australien. Erwin Perzy III., Sabine Perzys Vater, brachte die Schneekugel nach Japan; nach 30 Jahren nach wie vor ein wichtiger Absatzmarkt, so die jetzige Chefin, die im Familienbetrieb groß geworden ist – wie ihre Eltern, erzählt sie. „Meine Mutter hat sich als junge Frau im Betrieb beworben und hat damals mit meinem Großvater im Hof unten neben der Werkstatt gesprochen. Mein Vater hat sie dort von der Stiege aus gesehen – und war schockverliebt“, lacht Perzy.
Sabine Perzy II. war von frühen Kindheitstagen an immer im Betrieb, erzählt sie. Sie habe der Großmutter beim Bemalen der Figuren zugesehen, habe viel mit ihr gebastelt, erinnert sie sich. Nach der Mittel- und Handelsschule habe sie die Lehre zur Werkzeugbautechnikerin im Familienbetrieb begonnen, als 20-Jährige abgeschlossen – und war da schon längst mittendrin im Geschehen. „Ich fand das nicht schlecht, dass ich die Lehre im Betrieb machen konnte“, sagt sie im Nachhinein. „Ich wollte jede Station durchlaufen, um zu verstehen, was ich den Leuten abverlange.“
Mit den zwölf Mitarbeitern, die zurzeit in der Schneekugelmanufaktur arbeiten, produziert Perzy rund 300.000 Schneekugeln im Jahr und erwirtschaftet alles in allem rund eine Mio. €, sagt sie. Die halbe Produktion ist für den Export bestimmt. „Ich habe ein wirklich tolles Team“, so die Chefin. „Viele meiner Mitarbeiter kennen mich schon, seit ich ein kleines Mädchen war. Ich mag Langzeitbeziehungen“, so Perzy vergnügt, „da bin ich wie ein Pinguin.“ Seit zehn Jahren ist sie verheiratet; ihr Mann arbeitet ebenfalls im Betrieb.
Allerdings: „Anders als mein Vater bin ich kein Workaholic und schätze mein Privatleben. Im Betrieb bin ich ja auch die Chefin meines Mannes; das muss ich zu Hause wirklich nicht sein“, grinst sie. „Ich mache die Werkstatttür hinter mir zu und habe den Kopf dann auch frei für andere wichtige Dinge.“
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Beim Rundgang durch die Produktion werden die Investitionen der letzten Jahre sichtbar – vor allem fallen die modernen Spritzgussmaschinen für die Schneekugel-Einzelteile sowie ein ziemlich großer 3D-Drucker zur Erstellung unterschiedlichster Motive ins Auge.
Von Letzterem gebe es mehrere, sagt Sabine Perzy, sie alle sind in einem umliegenden Gebäude untergebracht – nicht nur aus Platz-, sondern auch aus Sicherheitsgründen: 2023 habe etwas in einer Lackierbox Feuer gefangen, der Brand habe sich über die Luftabzugsröhren in die oberen Stockwerke verbreitet. „Innerhalb von 30 Sekunden waren wir alle aus dem Gebäude draußen“, erinnert sich Perzy, und auch die Feuerwehr sei nach nur fünf Minuten zur Stelle gewesen. „Wir hatten großes Glück“, sagt sie – dennoch fielen allzu viele Modelle und alte Figuren den Flammen und vor allem auch dem Ruß zum Opfer und gingen damit unwiederbringlich verloren.
Erwin Perzy III., Sabine Perzys Vater, steht in der Werkstatt zwischen all den Maschinen. Er arbeitet heute fast ausschließlich an der Gestaltung der Figuren und Motive sowie an der Instandhaltung und Verbesserung von Spritzgussformen – und scheint damit mehr als nur zufrieden zu sein. Zwischen Vater und Tochter herrscht Einvernehmen und gute Stimmung; sie legt den Arm auf seine Schulter. Er sei sehr stolz auf seine Tochter, sagt Erwin Perzy III.: „Seit meine Tochter den Betrieb übernommen hat, geht’s uns gut!“, sagt er. So soll es bleiben.
Sabine Perzy II. (35) ist gelernte Werkzeugbautechnikerin und im Familienbetrieb aufgewachsen. Sie führt die Original Wiener Schneekugelmanufaktur im 17. Wiener Gemeindebezirk in vierter Generation.
Fotos: Christian Huber Fotografie