WETTLAUF MIT DER ZEIT

Unternehmen, forschende Institutionen und Regierungen befinden sich in einem nie da gewesenen Rennen um Impfstoffe und Medikamente – denn um die Pandemie in den Griff zu bekommen, wird eine effektive Behandlung für Covid-19 benötigt. Einige vielversprechende Ansätze gibt es bereits – doch selbst wenn es weltweit zugelassene Gegenmittel gäbe: Welches Potenzial bergen sie wirklich? Und inwiefern kann eine flächendeckende Versorgung überhaupt sichergestellt werden?

Als einer von wenigen Passagieren befand sich Josef Penninger an Bord des Flugzeugs der Air Canada, das am 12. Mai die Reise von Frankfurt nach Vancouver antrat. Die Pandemie hatte bereits Wochen zuvor die westliche Welt erreicht, der Lockdown hielt die Menschen in ihren Häusern – nicht aber Penninger: Der vielfach prämierte österreichische Genetiker ist seit 2018 als Direktor des Life Sciences Institute an der ­University of British Columbia in Vancouver tätig und forscht an den grundlegenden biologischen Prinzipien, die der Entstehung von Krankheiten zugrunde liegen. Für den Forscher ist das ­aktuell grassierende Coronavirus mehr oder ­weniger ein alter Bekannter – wenn auch in neuem Gewand. Als Ende 2002 in ­Asien die ersten Fälle einer schweren Lungen­erkrankung ­auftauchten, die ­später als SARS (Severe Acute ­Respiratory ­Syndrome) bezeichnet wurde, konnte ein Coronavirus als ­Erreger identifiziert werden. Bis Ende 2002 ­waren mehr als 8.000 Menschen daran erkrankt und rund 750 gestorben. Zum Vergleich: Seit die chinesischen Behörden Covid-19 Anfang Januar identifiziert haben, waren weltweit bereits über 34 Millionen ­Fälle bekannt, davon sind mehr als eine Million Menschen gestorben (WHO, Stand: 3. Oktober).

Penninger und sein Forschungsteam wiesen 2005 schließlich als ­Erste an einem Mausmodell nach, dass das Virus an einen bestimmten Rezeptor an der Zelloberfläche andockt, um in die Zelle einzudringen und sie zu infizieren: ACE2. Auf diesen Erkenntnissen ­basierend entwickelte das Forschungsteam ein Medikament gegen Lungenversagen (unter anderem die Folge einer SARS-Infektion) – doch das wirtschaftliche Interesse war zu diesem Zeitpunkt schon weg: „Als SARS eingedämmt ­wurde, war ­unsere Arbeit nicht mehr relevant“, erinnert sich Penninger im Interview mit Forbes.

Nun sind genau diese Erkennt­nisse aber wieder von zentraler Bedeutung: Denn auch Covid-19 gehört dem Stamm der Coronaviren an und nutzt mit ACE2 sogar denselben Rezeptor wie SARS, um in Zellen einzudringen. Deshalb forscht Apeiron Biologics, ein von Penninger gegründetes Wiener Unternehmen, aktuell daran, mit dem synthetischen Enzym APN01 eine ­mögliche Therapie­form zu entwickeln. Denn APN01 ahmt ACE2 nach, das Virus dockt daran an und kann die Zelle nicht mehr infizieren. „Wir bauen dem Virus ­viele Türen, die ins Nichts führen“, erklärt Penninger den Mechanismus. ­Damit ­sollen die Verbreitung des Virus im ­Körper drastisch vermindert und zeitgleich schädliche ­Entzündungsreaktionen reduziert werden. Derzeit befindet sich die klinische Studie in ­Phase II. Ende September wurden zudem in der renommierten medizinischen Fachzeitschrift The Lancet vielversprechende Daten veröffentlicht: Die erste APN01-Behandlung einer Covid-19 Patientin mit schwerem Verlauf zeigte eine signifikante klinische Verbesserung.

Der österreichische Genetiker Josef Penninger erzielte einen Durchbruch mit dem Wirkstoff APN01.

Im Allgemeinen werden zwei zentrale Ansätze zur Bekämpfung von Covid-19 verfolgt: die Entwicklung von Medikamenten und die Herstellung eines Impfstoffs. Apeiron Biologics ist dabei nur eines von vielen Unternehmen, die sich im Rennen um eine Behandlungsmethode für Covid-19 befinden: Atriva Therapeutics in Tübingen etwa forscht mit dem Arzneimittelkandidaten ATR-002, der die Bildung neuer Viruspartikel blockieren soll und das Potenzial hat, eine überschießende Entzündungsreaktion in der Lunge zu mildern. Und mit der 2009 vom US-amerikanischen Pharma­konzern Gilead Sciences begonnenen Forschung zum Medikament Remdesivir, das 2014 im Zuge des Ebola-­Ausbruchs weiterentwickelt wurde – jedoch keine Zulassung erhalten hatte –, konnte nun eine bedingt vorläufige Wirksamkeit gegen Covid-19 nachgewiesen werden. Remdesivir wurde durch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) am 3. Juli bedingt in Europa zugelassen (unterliegt Auflagen und einer strengen Kontrolle). Es wird dazu verwendet, die Ausbreitung des Virus im Körper zu stoppen: Weil Coronaviren RNA-Viren sind (ihr Erbmaterial besteht aus Ribonuklein­säure, also RNA) und der Wirkstoff von Remdesivir jenen RNA-Bausteinen ­ähnelt, die Corona­viren benötigen, um ihr Erbgut zu vervielfältigen, behindert Remdesivir die Replikation des Virus. Das Ziel: Verkürzung der Krankheitsdauer und Abwendung von schweren Verläufen. Alle genannten Forschungsansätze zielen auf antivirale Medikamente, die bereits existieren und für Covid-19 erprobt werden. Andere Unternehmen ­verfolgen Ansätze hinsichtlich der Reaktion der körpereigenen Immunabwehr. ­Roche forscht mit Tocilizumab daran, dass die Immunantwort des Körpers nicht zu exzessiv ausfällt, da ansonsten mehr Schaden als Nutzen verursacht wird. Tocili­zumab konnte jedoch den „­primären Endpunkt“ – wie Roche in ­einer Presse­mitteilung ­veröffentlichte –, „eine Ver­besserung des klinischen Zustands der Patientinnen und Patienten nach 28 ­Tagen“, nicht erreichen. Patienten, die mit dem Mittel behandelt wurden, konnten aber früher aus dem Kranken­haus entlassen werden. Seit August arbeitet Roche zusammen mit dem US-Konzern Regeneron an der Entwicklung und Kombination zweier Antikörper (REGN-Cov2). Auch wird an neuen ­Medikamenten ­geforscht: an Antikörpern zur Passivimmunisierung (Patienten erhalten Blutserum von Personen oder Tieren, die die Krankheit bereits überstanden haben), an antiviralen Medikamenten und anderen Wirkstoffen.

Pfizer-CEO Albert Bourla ist im Rennen um einen Impfstoff vorne mit dabei.

Nicht weniger intensiv sind die Bemühungen um einen Impfstoff: Die London School of Hygiene and ­Tropical Medicine listet in ihrer „Covid-19 ­Vaccine Development Pipeline“ 247 ­Kandidaten für Impfstoffe (Stand: 29. September) gegen das Virus auf. In Phase III und somit am weitesten sind dort derzeit die Studien der US-amerikanischen Unternehmen Novavax sowie Moderna – in das auch ein Österreicher, nämlich der ehemalige Nestlé-Chef Peter Brabeck-Letmathe, investiert hat –, das zusammen mit dem National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) arbeitet. Zudem befinden sich das belgische Unternehmen Janssen Pharmaceuticals mit dem Beth Israel Deaconess Medical Center, das russische Gamaleya Research ­Institute und der Konzern Cansino Biologics mit dem Beijing Institute of Biotechnology in Phase III. Auch das chinesische Unternehmen ­Sinovac, das mit dem brasilianischen Forschungszentrum Instituto Butantan kooperiert, sowie der chinesische Konzern Sinopharm in Zusammenarbeit mit dem Wuhan Institute of Biological Products und dem Beijing Institute of Biological Products sowie eine Kollaboration der Oxford University mit dem britisch-schwedischen Pharmakonzern Astra Zeneca sind derzeit mit ihren Studien vorne mit dabei. Letzere mussten Anfang September ihre Tests kurzzeitig unterbrechen, da bei einer Probandin mögliche Nebenwirkungen auftraten. Der Verdacht wurde nun ausgeräumt, die Studie soll wieder aufgenommen werden.

Vielversprechend ist auch ein Projekt mit deutscher Beteiligung: Das 2008 vom Ehepaar Uğur Şahin und Özlem Türeci sowie Christoph Huber ­gegründete Mainzer Unternehmen Biontech arbeitet mit dem US-Konzern Pfizer und Fosun ­Pharma daran, noch 2020 einen Impfstoff auf den Markt zu bringen. CEO Şahin hat bereits im ­Januar die ­Gefahr von Covid-19 erkannt, als er in The ­Lancet einen Artikel darüber gelesen hatte. „Er sagte schon damals, dass das ein großes Desaster wird, dass Schulen geschlossen und es eine Pandemie geben würde“, erzählt der deutsche ­Milliardär und Biontech-Investor ­Thomas Strüngmann (Nettovermögen 9,6 Milliarden US-$ und somit auf der Forbes-Billionaires-Liste auf Platz 141, Stand Redaktionsschluss) im Forbes-Interview. Daraufhin wechselte Şahin den Kurs des Unternehmens, das sich normalerweise auf die Entwicklung von Krebsmedikamenten fokussiert, und forscht seitdem an einem Covid-Impfstoff. Seit dem 28. Juli ­befindet sich auch diese Studie in Phase II/III, in der die ­Sicherheit und Wirksamkeit eines Wirkstoffs in ­der Masse getestet werden.

Han Steutel ist Präsident der Vereinigung der führenden forschen- den Pharmaunternehmen (VfA).

Wir bauen dem Virus ­viele Türen, die ins Nichts führen.


(Josef Penninger, Direktor des Life Sciences Institute an der ­University of British Columbia)

Bis ein Wirkstoff die ­Zulassung als Medikament oder Impfstoff schafft, durchläuft er mehrere Phasen. In ­Phase I einer klinischen Medikamentenstudie wird er in der Regel an einer kleinen Gruppe von gesunden Freiwilligen (bis zu zehn Personen) getestet. Dabei wird untersucht, wie der Stoff im Körper wirkt; in einigen Fällen – etwa, wenn es sich um tödliche Krankheiten handelt – auch an Kranken. Wichtig dabei: Bevor die Substanzen an Menschen getestet werden, werden sie in Zell­kulturen und an Versuchstieren auf ihre (Neben-)Wirkungen ­untersucht (präklinische Phase). In Phase II wird dann die Substanz wenigen Patienten (100 bis 500) verabreicht, um Wirksamkeit, Dosierung und Verträglichkeit zu untersuchen (im Unterschied zur Impfstoffentwicklung: die Substanzen werden nur gesunden Menschen verabreicht). Für Ersteres wird einigen Testpersonen das echte Mittel und anderen ein Placebo verabreicht – weder Forscher noch Teilnehmer haben einen Hinweis darauf, wer welche Behandlung erhält (Doppel­blindstudie), um mögliche Verzerrungen bei der Berichterstattung nach erfolgter Behandlung zu reduzieren. In Phase III wird dann eine deutlich größere Studie angesetzt (bestehend aus mehreren Hundert bis Tausenden freiwilligen Testpersonen), um die Sicherheit und Wirksamkeit an einer repräsentativen Stichprobe zu ermitteln – ­weniger häufige Nebenwirkungen werden hier ersichtlich. Wichtig: Für jede Phase muss eine Zulassung durch die Zulassungsbehörde erteilt werden, und schließlich auch für die Markteinführung. Nachdem das Medikament oder der Impfstoff auf dem Markt ist, erfolgt Phase IV, um umfassendere Informationen über die Sicherheit und Wirksamkeit sowie langfristige Auswirkungen zu erheben. Bis allerdings ein Wirkstoff auf dem Markt ist, dauert es im Schnitt 13,5 Jahre. „Die Medikamenten­entwicklung ist ein steiniger Weg“, so Han Steutel, Präsident der Vereinigung der führenden forschenden Pharmaunternehmen (VfA) und ehemaliger General Manager von Bristol Meyers Squibb in Deutschland. Er sagt jedoch zugleich: „Und dieser Weg ist nicht übertragbar auf die derzeitige Impfstoffentwicklung. Denn es gab im Vorfeld schon ein gutes Verständnis über Coronaviren und Impfstoffe. Daran konnten viele Unternehmen und Institutionen anknüpfen. Deshalb können schon jetzt die ersten Impfstoffkandidaten in die letzte Phase der klinischen Prüfung mit Freiwilligen gehen.“

Nicole Hank leitet das Perseverance Research Center in Arizona.

Auch Nicole Hank, CEO des Perseverance Research Centers in Arizona, führt mit ihrem Team klinische Studien durch – unter anderem mit Teilnehmern, die positiv auf Covid-19 getestet wurden und leichte Symptome aufweisen –, um ein Mittel zu entwickeln, das ansetzt, bevor Verläufe schwerwiegend werden. Sie betrachtet die zugelassenen Abkürzungen im Forschungs­prozess mit Sorge. „So sehr wir uns eine möglichst baldige Behandlung wünschen, sollten Studien aus Gründen der Sicherheit und Wirksamkeit niemals überstürzt durchgeführt werden. Wir wissen nichts über die Langzeitwirkungen eines Medikaments oder Impfstoffs ohne ordnungsgemäße Tests.“ Hanks Studie befindet sich derzeit in Phase II, Patienten konnten nur langsam rekrutiert werden – und das, obwohl Arizona zu den Corona-­Hotspots zählt. Dabei gehört Hanks Einrichtung noch zu den engagierten, weiß Susanne Mitschke, Mitgründerin und CEO des in Kalifornien ansässigen Start-ups Citruslabs (ehemals Mind­mate) und Forbes-Under-30-List­maker. 2015 gegründet, hilft das Un­ternehmen Forschungseinrichtungen dabei, ­Patienten für ihre Studien zu rekrutieren. Denn, so gibt das Unternehmen Auskunft, bis zu 80 % der Studien können gar nicht erst umgesetzt werden, da Patienten fehlen; ein Fakt, der sich auch bezüglich Covid-19 bemerkbar macht: So musste etwa Novartis eigenen Angaben zufolge seine Studie mit Hydroxychloroquin wegen eines Mangels an Studienteilnehmern abbrechen. „Generell besteht das Problem darin“, so Patrick Renner (auch ein „Under 30“), Mitgründer und COO bei Citruslabs, „dass viele Menschen gar nicht genau über klinische Studien Bescheid wissen. Das wollen wir lösen – Teilnehmer sind ja keine Versuchskaninchen.“ Mitschke ergänzt: „Viele denken auch, dass sie nicht in der Lage sind, die Entscheidung zu treffen, an einer Studie teilzunehmen, sondern dass ihr Arzt ihnen das empfehlen muss. Und sie glauben teilweise auch, dass man davon sterben kann oder die Haare ausfallen – das stimmt jedoch nicht. Die Wirkstoffe sind bereits vorher so weit getestet worden, dass es eigentlich keine großen Nebenwirkungen mehr gibt.“ Doch nicht nur die Skepsis und die Unwissenheit der Teilnehmer sind ein Problem – ­Studien werden oftmals von Einrichtungen vorgenommen und von den Pharmakonzernen lediglich ­finanziert. Und genau hier sieht Mitschke weitere Unzulänglichkeiten: „Marketing ist nicht ihr Steckenpferd.“ Deshalb hat Citruslabs nun auch das Produkt „Citrus“ gelauncht, eine Plattform für Patientenrekrutierung und -bindung.

Szenarien, mit denen Pfizer und Biontech weniger zu kämpfen haben – die beiden Unternehmen sind auf voller Fahrt Richtung Impfstoffzulassung. Unter der Annahme eines klinischen Erfolgs rechnen Pfizer und Biontech damit, dass sie bereits im Oktober die behördliche Überprüfung beantragen – und im Falle der Genehmigung bereits bis Ende 2020 bis zu 100 Millionen Dosen, bis Ende 2021 etwa 1,3 Milliarden Dosen liefern können. Insgesamt hätte das Unternehmen damit seit der Genehmigung zur Durchführung der Studie durch die deutsche Zulassungs­behörde Paul-Ehrlich-Institut (PEI) am 22. April – übrigens die erste in Deutschland genehmigte Covid-19-Impfstoffstudie – nur etwa ein halbes Jahr bis zur Zulassung eines Impfstoffs gebraucht. Zum Vergleich: Der laut Welt bisher ­schnellste entwickelte Impfstoff brauchte zur Zulassung vier Jahre – die Impfung gegen Mumps in den 1950er-Jahren. Um „Erster“ zu sein, setzte Pfizer-CEO Albert Bourla von Anfang an auf Geschwindigkeit: Als ihm Mitte März die Leiter seiner Impfstoff-Forschungs- und -Produktionsgruppen mitteilten, sie wären wohl in der Lage, 2021 einen Impfstoff zu liefern, antwortete Bourla, das sei „nicht gut genug“. Anfang Mai dosierte Pfizer dann in Baltimore die erste Charge gesunder amerikanischer Freiwilliger mit einem ­experimentellen Covid-19-Impfstoff. Doch nun hat Russland den ambitionierten Plänen des Unternehmens einen Strich durch die Rechnung gemacht – zumindest einen kleinen: Denn am 11. August hat das Land den weltweit ersten Impfstoff gegen Covid-19 am Markt zugelassen: das vom Moskauer ­Forschungszentrum für Epidemiologie und ­Mikrobiologie entwickelte „Sputnik V“. Das viel kritisierte Manko: Phase III war zum Zeitpunkt der Verkündung noch nicht abgeschlossen, die Wirksamkeit und Sicherheit daher noch nicht abschließend zu beurteilen. Viele Länder sehen von dem russischen Impfstoff daher ab – doch nicht alle. Laut Angaben russischer Beamter seien etwa Indien, Brasilien und Saudi-Arabien daran interessiert, berichtet CNN. Eine Bestätigung gab es auf Nachfrage jedoch von keinem der genannten Länder.

Eine Milliarde US-$ zwingen uns nicht in die Knie.

(Albert Bourla, Pfizer-CEO)

Der russische Impfstoff zählt zu den sogenannten ­Vektorimpfstoffen, welche aus modifizierten und somit harmlosen Viren bestehen, die als ­Träger für Coronavirusgene fungieren, sodass der Körper mittels der eingeschleusten Erbinformationen des nicht replizierfähigen Virus Antikörper herstellen kann. Andere Arten von Impfstoffen sind Totimpfstoffe, bei denen abgetötete Viren verabreicht werden (etwa die Grippe- oder Hepatitis-B-Impfung) und Lebendimpfstoffe mit abgeschwächten Viren, die zwar den Körper infizieren, jedoch keine Krankheit hervorrufen können (etwa Masern). Zudem gibt es den Ansatz, spezifische Coronavirus-Proteine zu injiziieren, die dann im Körper als Antigene eine Immunantwort auslösen (etwa HPV). Ein weiterer Ansatz zielt auf Nukleinsäuren (in Form von DNA oder RNA) ab. Hierbei stellt die Nukleinsäure die Bauanleitung für Coronavirus-spezifische Proteine dar, welche daraufhin im Körper synthetisiert werden können und anschließend als Antigene zur Antikörperbildung fungieren. Bisher wurde noch kein Impfstoff dieser Art zugelassen – und auf ebendiesen Ansatz (mRNA-Impfstoff) setzen Pfizer und Biontech.

Die Zusammenarbeit mit Pfizer begann für das Mainzer Unternehmen bereits im Februar – zu dem Zeitpunkt war man bereits miteinander vertraut, hatten die beiden Unternehmen doch vor zwei Jahren bereits einen 425 Millio­nen US-$ schweren Deal zur Entwicklung eines mRNA-Grippeimpfstoffs abgeschlossen. Nun, in der Forschung zu Covid-19, bringt Pfizer große Produktions-, Zulassungs- und Forschungs­kapazitäten mit ein, Bion­tech die Grundlagenforschung. Zudem hat Pfizer-CEO Bourla die Entscheidung getroffen, eine Milliarde US-$ zu investieren, und wird Biontech – sofern alles nach Plan verläuft – weitere 563 Millionen US-$ zukommen lassen. „Eine Milliarde US-$ zwingen uns nicht in die Knie. Ich habe nicht vor, sie in den Sand zu setzen, sondern dafür zu sorgen, dass wir dieses Produkt verwenden“, so Bourla. Und damit das Unternehmen möglichst große Erfolgschancen hat, setzte Bourla von Anfang an auf die parallele Entwicklung mehrerer Impfstoffkandidaten.

Mit Citruslabs helfen sie Einrichtungen bei der Patientenrekrutierung: COO Patrick Renner (oben) und CEO Susanne Mitschke (unten)

Auch das Tübinger Pharma­unternehmen Curevac (seit Kurzem an der US-Techbörse Nasdaq gelistet) setzt auf einen Impfstoff. Doch dessen Studie, die zwei Monate nach Biontech gestartet ist, befindet sich erst in Phase II. ­Curevac wurde 2000 von Dr. Ingmar Hoerr gegründet, der als Doktorand entdeckte, dass das Biomolekül mRNA als Impf- und Wirkstoff genutzt werden kann, wenn es direkt ins Gewebe verabreicht und zuvor optimiert wurde. Seitdem baut das Unternehmen auf die Forschung an mRNA, um neue Therapiemöglichkeiten für ­Patienten zu finden – so auch im Fall von Covid-19. Hauptanteilseigner von Curevac ist SAP-Mitgründer und Milliardär Dietmar Hopp. Seit 2015 ist zudem die Bill and Melinda Gates Foundation Investor, und im Juni 2020 investierte die deutsche Bundesregierung 300 Millionen € in das Unternehmen, gefolgt von der Europäischen Investitionsbank (EIB) und der Europäischen Kommission mit 75 Millionen € sowie weiteren Geldgebern (126 Millionen US-$). Außerdem tätigte das britische Pharmaunternehmen Glaxo­SmithKline (GSK) im Zuge einer strategischen Technologiepartnerschaft eine Eigenkapitalinvestition in Curevac von 150 Millionen € und eine Einmalzahlung in der Höhe von 120 Millionen €. Mehrere Großinvestoren sind also bereits an Bord – und das Geld ist auch bitter ­nötig: Denn laut ARD generierte Curevac 2019 zwar einen Umsatz in Höhe von 17,4 Millionen €, verzeichnete jedoch einen Verlust von 99,9 Millionen €. Forschung kostet – und ist kein einfaches Unterfangen. Das weiß auch Steutel: „Forschung ist anspruchsvoll. Als Pessi­mist hält man das nicht durch. In der Pharmabranche ist man dazu verdammt, Optimist zu sein. Und ja: Auch ich bin Optimist.“ Generell kosten solche Entwicklungen nicht nur sehr viel, sie sind auch zeitintensiv. So dauert es unter normalen Bedingungen im Schnitt 13,5 Jahre, bis von bis zu 10.000 untersuchten Substanzen letzten Endes ein als Medikament auf den Markt kommt. Oftmals werden während des Prozesses Projekte eingestellt, weil ein Präparat nicht genügend Wirksamkeit zeigt, die Nebenwirkungen zu groß sind oder Konkurrenzunternehmen ähnliche Medikamente schneller auf den Markt bringen. Für Covid-19 dürfte Letzteres jedoch kein allzu großes Problem sein. „Ich gehe davon aus, dass wir weiter neue Wirkstoffe für eine wirksame Covid-19-Therapie in klinischen Prüfungen untersuchen, darunter für andere Indikationen zugelassenene Arzneimittel, damit wir die Covid-19-Patienten in Zukunft effektiver behandeln können”, so Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) in Deutschland. Auch Penninger ist sich sicher, dass die Kombination verschiedener Wirkstoffe ein notwendiger Ansatz sein wird: „Am Ende wird es Kombinationstherapien geben müssen – besonders bei Viren ist dies wichtig, da sie sich modifizieren und ein Wirkstoff alleine somit nicht mehr wirksam sein könnte. Es gilt, Medikamente zu kombinieren und an möglichst vielen Schwachstellen des Virus anzusetzen.“

Generell schließen sich Steutel, Cichutek und Penninger der aktuellen Prognose der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass es 2021 einen breit verfüg­baren Impfstoff geben wird, an. Doch inmitten des „Hurra-Spirits“, wie Penninger es ausdrückt, gibt es einige Fragezeichen. Denn selbst wenn ein Impfstoff, der eine Immunreaktion hervorruft, für die breite Verwendung in den Markt geführt wird: Ob der dadurch hervorgerufene Schutz nachhaltig und sicher sein wird – niemand kennt die Langzeit­folgen –, ist fraglich. „Ob der Schutz durch den Impfstoff dann lebenslang hält, muss man noch herausfinden – doch das ist momentan nicht im Fokus. Das Wichtigste ist, dass wir mit wirksamen Impfstoffen die Zulassung erreichen, die zumindest einige Zeit lang wirken. Das wäre der nächste Meilenstein auf dem Weg, ­Corona zu besiegen“, so Steutel. Penninger ist skeptisch und optimistisch zugleich: „Sogar wenn es einen Impfstoff gibt, der nur teilweise schützt, ist das ein wichtiger Schritt vorwärts.“

Forschung ist anspruchsvoll. Als Pessi­mist hält man das nicht durch.

(Han Steutel, VfA-Präsident)

Staaten, Unternehmen, Investoren – sie alle haben ein Interesse, in genau dem Unternehmen investiert zu sein, das den Durchbruch im Rennen um ein Mittel gegen Covid-19 schafft. Auch Penningers Apeiron kann ein Lied vom gestiegenen Interesse singen: Im Juni investierte die Vienna Insurance Group (VIG) sieben Millionen € und ist somit der ­größte Investor der Finanzierungsrunde; der Versicherungskonzern ist nun mit etwas mehr als 3 % an Apeiron beteiligt. Auch an Remdesivir herrscht reges Interesse: So hat die Europäische Kommission bereits einen Vertrag (Volumen: 63 Millionen €) abgeschlossen, um rund 30.000 Patienten damit behandeln zu können. Noch Anfang Juni hieß es, dass die USA die gesamte ­Produktionsmenge aufgekauft hätten – Dosen für 500.000 Patienten. Auch die Impfstoffe sind in den Fokus gerückt: Ende Juni gab Biontech bekannt, etwa 223 Millionen € von Singapurs Staatsfonds Temasek zu erhalten, Mitte Juli ­sicherte sich Großbritannien 30 Millionen potenzielle Impfstoffdosen, Ende Juli folgte eine Liefervereinbarung mit den USA über 600 Millionen Dosen. Curevac befindet sich gerade in Gesprächen mit der Europäischen Kommission zur Bereitstellung von 405 Millionen Impfstoffdosen, Astra Zeneca hat bereits eine Vereinbarung über 400 Millionen Dosen mit der Europäischen Kommission abgeschlossen – die Dosen werden vom Unternehmen zum Selbstkostenpreis angeboten. Anders sieht das Curevac: Weil in nicht unerheblichem Ausmaß Investitionsgelder geflossen sind, sollen Investoren eine Rendite erhalten, so Curevac-Finanzchef Pierre Kemula zur ­Financial Times. „Es wurden in nicht unerheblichem Umfang öffentliche Gelder eingesetzt – hier erwartet man bei der Vermarktung der entsprechenden Unternehmen, dass sie fair agieren, verantwortungsvoll handeln und einen angemessenen Preis setzen“, so Cichutek. Die angesetzten Kosten pro ­Dosis werden also variieren – die USA zahlen etwa für die ersten 100 Millionen Dosen 1,95 Milliarden US-$ an Biontech, das entspricht einem Preis von 19,50 US-$ pro Dosis. Zum Vergleich: Für 100 Millionen Dosen von Moderna zahlt die US-Regierung 1,525 Milliarden US-$, das entspricht 15,25 US-$ pro Dosis.Penninger sieht die derzeitigen Entwicklungen kritisch. „Obwohl viele sagen, dass wir durch Covid-19 enger zusammenarbeiten – man sieht anhand der Impfstoffentwicklung, wie fragmentiert die Welt ist. Jeder will schneller sein. Meiner Meinung nach sind die nationalen Barrieren dadurch wieder hochgegangen.“ Steutel lobt hingegen die Zusammenarbeit von Pharmaunter­nehmen, Institutionen und Zulassungsbehörden: „Sie ziehen an einem Strang. Das wird zwar nicht für immer so bleiben, aber wir werden uns durch die ­gemeinsame ­Corona-Erfahrung dauerhaft auf einem ­höheren Level in der Zusammenarbeit ­bewegen.“

Im Zuge der Entwicklungen spielt auch die Produktionskapazität eine wesentliche Rolle. Denn bei einer Weltbevölkerung von knapp acht Milliarden Menschen wird eine komplette Impfung für die Menschheit von heute auf morgen nicht möglich sein. Bei diesem Aspekt ist etwa vorstellbar, dass „Risikopersonen zuerst geimpft werden – etwa Pflegepersonal, Ärztinnen und Ärzte in medizinischen Einrichtungen, die mit Covid-19-Erkrankten zu tun haben. Das könnten aber auch ältere Personen sein, von denen wir wissen, dass bei ihnen die Erkrankung besonders schwer verläuft – oder andere systemrelevante Gruppen“, so Cichutek.

Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) in Deutschland.

Doch selbst wenn mehrere Impfstoffe zugelassen werden und die breite Versorgung sichergestellt ist, ist es laut Penninger gut möglich, dass ­Covid-19 nicht gänzlich aus unserem Leben verschwindet. „Das Virus ist sehr infektiös, das wird nicht so schnell weggehen.“ Impfstoffe als Heilsbringer und Wundermittel zu vermarkten, mag Hoffnung schüren, aber eben auch falsche Vorstellungen. Und selbst ohne ein breit zugelassenes Behandlungsmittel stieg die Sorglosigkeit und auch die Ablehnung der Bevölkerung gegenüber den Coronamaßnahmen in den vergangenen Wochen an. Erst Ende August fanden sich etwa 38.000 Demonstranten in Berlin ein, um gegen die Coronapolitik zu demons­trieren. Dazu wurde ein Antieg der Fallzahlen verzeichnet: In Österreich war das Tief der Erkrankten Mitte Juni erreicht (etwas mehr als 300), Anfang Oktober betrug die Anzahl über 8.500. Auch in Deutschland sieht es nicht viel besser aus: Belief sich die Zahl der Neuerkrankten innerhalb einer ­Woche ­Anfang August bereits auf 4.127, waren es Anfang Oktober schon 12.393. Allerdings werden mittlerweile mehr Menschen als zu Beginn der Pandemie getestet – doch wie groß der Effekt ist, lässt sich nur schwer bestimmen.

Führt diese Entwicklung zu einem zweiten Lockdown? Nicht zwangsläufig. Der deutsche Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier meinte etwa vor Kurzem, dass ein zweiter Lockdown abgewendet werden kann, wenn lokale Maßnahmen zur Eindämmung ergriffen werden. „Ärzte, Politiker und ­Unternehmen können nun besser mit dem Virus umgehen. Wenn wir die ­neuen Ausbrüche lokal eindämmen können, funktioniert es“, meint auch Penninger. Doch in einigen Ländern wurde bereits wieder Nägel mit Köpfen gemacht: So kündigte Israels Premierminister Benjamin Netanyahu für Ende September einen Lockdown bis zum 10. Oktober an. Ebenso riegelte Spanien den Coronahotspot Madrid ab. Und auch in Österreich wurden aufgrund der steigenden Fallzahlen mittlerweile die Maßnahmen verschärft: So gilt seit Mitte September etwa eine Registrierungspflicht für Lokalgäste, ebenso wieder Maskenpflicht im Handel, in Behörden und Schulen und seit Anfang Oktober muss ein Mund-und-Nasenschutz in den gesamten Stationen der Wiener Linien getragen werden. Bundeskanzler Sebastian Kurz geht nicht davon aus, dass sich die Situation in den kommenden Monaten verbessern wird. Das Ziel: einen zweiten Lockdown zu verhindern – dafür müsse aber auf die Hygiene geachtet, Abstand gehalten und die gesetzten Maßnahmen eingehalten werden. Inwieweit die Maßnahmen weiter verschärft werden, hängt also maßgeblich von den zukünftigen Entwicklungen ab. Eines steht jedoch bereits jetzt fest: Das Ende der Pandemie ist noch länger nicht erreicht.

Text: Andrea Gläsemann
Fotos: LSI / Paul Joseph, Paul Ehrlich Insitut / T. Jansen, vfa / B. Brundert, Forbes US / Jamel Toppin, Citruslabs, Nicole Hank

Andrea Gläsemann,
Leitende Redakteurin

Up to Date

Mit dem FORBES-NEWSLETTER bekommen sie regelmässig die spannendsten Artikel sowie Eventankündigungen direkt in Ihr E-mail-Postfach geliefert.