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Seine Mission ist für Leif-Nissen Lundbaek glasklar: eine private Suchmaschine ohne Werbung, die Daten und Nutzer schützt. Mit seinem Berliner Start-up Xayn will er genau das erreichen. Als „europäisches Google“ will Lundbaek das Unternehmen jedoch nicht bezeichnen – denn der Gründer will mit Xayn nicht reich werden, sondern die Welt verbessern.
Leif-Nissen Lundbaek hat sich im Büro einen ruhigen Platz gesucht. Draußen wird es schon langsam dunkel, er knipst das Licht an. Sein Feierabend ist ihm heilig – ab 19 Uhr legt er das Handy weg und hört sich meistens Jazz an. Doch Lundbaek nimmt sich für das Interview mit Forbes dennoch viel Zeit. Man spürt, dass ihm seine Themen wichtig sind. Er spricht über Datenschutz und den mündigen Internetnutzer – denn genau diesen will Lundbaek mit seinem Unternehmen Xayn ansprechen. Das Berliner Start-up hat den gleichnamigen „Web Discovery Service“ gestartet, eine Art Suchmaschine. Beobachter sehen in Xayn ein „europäisches Google“. Doch Lundbaek selbst will mit dem Tech-Riesen nicht viel gemeinsam haben: „Ich will gar nicht mit Google verglichen werden, wir sind auch keine klassische Suchmaschine“, sagt er. Seine Meinung zum Geschäftsgebaren von großen IT-Unternehmen wie Google oder Facebook ist radikal, wie er selbst sagt: „Ich finde, es ist ganz richtig, Unternehmen wie Facebook oder Google als Big Brother zu bezeichnen. Sie gehören zerschlagen.“
Trotz oder gerade wegen seiner radikalen Ansicht ist Lundbaek durchaus erfolgreich. 2017 gründete er gemeinsam mit Felix Hahmann Xayn in Berlin. Die Stadt war eigentlich nur die zweite Wahl, doch der Brexit machte London als Unter- nehmenssitz unattraktiv. Nur drei Monate später gewann Xayn den Porsche Innovation Contest zum Thema Blockchain. 2018 und 2019 folgten Finanzierungsrunden, die insgesamt 19,5 Mil- lionen € in die Kassen spülten. Unter den Investoren war unter anderem der deutsche Risikokapitalfonds Earlybird. Zudem wurde die Xayn-App bis dato rund 350.000 Mal herunter- geladen. Aktuell hat das Unternehmen knapp 40 Mitarbeiter und schreibt einen Jahresumsatz von 800.000 €.
Xayn stößt in einen Markt vor, der zu mehr als 90 % von einem der größten Unternehmen der Welt dominiert wird: Google bzw. dessen Mutterkonzern Alphabet. „Internetnutzer müssen sich bei vielen Diensten zwischen Datenschutz und Nutzerfreundlichkeit entscheiden“, so Lundbaek – Xayn vereine beides. Künstliche Intelligenz (KI) lernt, welche Suchergebnisse für den Nutzer interessant sind, doch diese Daten liegen immer auf dem mobilen Endgerät des Nutzers und gehen nicht gesammelt auf einen Server, wie es etwa bei Google oder Facebook der Fall ist. „Wir als Unternehmen wissen nichts über den Nutzer, sondern nur der Assistent auf dem Gerät. Dort liegt die KI“, so Lundbaek. Alle Daten werden also immer gelöscht; sie gehen somit ins Modell, das sich dann anpasst. Und: Die KI-Technologie lässt sich mit einem Klick auf ein kleines Gehirn-Icon in der rechten oberen Ecke des Browsers auch gänzlich ausschalten.
Lundbaek geht aber noch weiter. Xayn soll auch einem Bias entgegenwirken, der dafür sorgt, dass Nutzer immer die gleichen Inhalte sehen. „Suchmaschinen kann man in gewisser Weise auf eine Persona reduzieren – und diese Persona ist 30 Jahre alt, weiß, männlich und Amerikaner. Das ist ein großes Problem“, sagt Lundbaek. Ist ein Nutzer erst einmal in einer Schublade, kommt er dort nicht mehr raus. „Solche Systeme wollen für eine große Nutzergruppe natürlich so viel Wert wie möglich bringen – so schnell wie möglich“, so Lundbaek. Das könne man am besten erzielen, indem man eine Art „Cross User Pattern Matching“ durchführe, erklärt er.
Weiß ein KI-Assistent also erst einmal, dass man eine schwarze Frau oder ein weißer Mann ist, werden nur gewisse Inhalte angezeigt, sowohl bei Social-Media-Apps wie Tiktok als auch bei Suchmaschinen. Das zu lösen sei ein „Herzensthema“ von ihm, sagt Lundbaek. Er selbst liest gerade das Buch „The Invisible Woman“ über Formen von Bias in einer Datenwelt, die von Männern und für Männer entwickelt wurde. „Wir bei Xayn betrachten immer nur die Person“, sagt er. Das Unternehmen versucht, den jeweiligen Menschen so schnell und so gut wie möglich kennenzulernen, ohne dazu andere Personen zu betrachten. Lundbaek: „Damit eliminieren wir den Bias.“
Doch manche Experten sind skeptisch. So zweifelt etwa Geoffrey Parker daran, dass der Ansatz massentauglich ist. Parker ist Professor für Ingenieurwissenschaften am Dartmouth College und Faculty Fellow am MIT Center for Digital Business. Er ist Co-Autor des Buchs „Platform Revolution“ – und Parker sieht durchaus einen Markt für Xayn, allerdings nur einen kleinen; „eine Nische“ von datenschutzbewussten Menschen. Lundbaek selbst sagt, man wolle nur für die Nische relevant sein, die Datenschutz wichtig findet. Doch aufgrund der geringeren Nutzerzahl, so Parker, bekommt das Unternehmen weniger Daten, um den eigenen KI-Assistenten zu trainieren. Lundbaek sieht das nicht als Problem: Die Assistenten stecken Nutzer ohnehin nicht in „Schubladen“, sie lernen lediglich vom Verhalten des einzelnen Nutzers, ohne diese zu vergleichen.
Internetnutzer müssen sich bei vielen Diensten zwischen Datenschutz und Nutzerfreundlichkeit entscheiden.
Leif-Nissen Lundbaek
Immer wieder machen Google und Co darauf aufmerksam, dass sie ihr Geld mit Werbung verdienen, nicht mit dem Verkauf von Daten. Doch das Klicken auf eine Anzeige führt oft dazu, dass eine Website personenbezogene Daten erfährt und sammelt. Mit anderen Worten: Das Unternehmen, das bei Google für die Anzeige gezahlt hat, bekommt am Ende doch die Daten. Und wenn eine Anzeige auf eine bestimmte demografische Gruppe abzielt, können Werbetreibende auch persönliche Informationen über Besucher ableiten, die von dieser Anzeige kommen, sagte Bennett Cyphers, ein Techniker bei der Electronic Frontier Foundation, gegenüber dem Fachmedium The Markup. So wissen Unternehmen am Ende, hinter welcher IP-Adresse sich etwa eine werdende Mutter versteckt.
In der Theorie nennt sich das „zweiseitiger Markt“. Google muss Nutzer und werbende Unternehmen bedienen, hat somit also zwei „Kundengruppen“. Das Unternehmen wird aber nur von einer der beiden bezahlt, den werbenden Unternehmen. Das birgt natürlich einen Interessenkonflikt. „Google muss die Interessen zwischen beiden Seiten ausbalancieren. Das bedeutet, dass am Ende weniger Wert auf Datenschutz gelegt wird“, so Parker. Unter anderem dieser Verzicht hat die IT-Riesen zu dem gemacht, was sie sind – Google-Mutter Alphabet hat eine Marktkapitalisierung von knapp zwei Billionen US-$; 2021 erzielte der Konzern rund 147 Milliarden US-$ Umsatz.
Dabei ist die Google-Suche die lukrativste Einheit von Google. 2020 erwirtschaftete das Unternehmen 104 Milliarden US-$ Einnahmen aus Suchvorgängen, was 71 % der Werbeeinnahmen von Google und 57 % des Gesamtumsatzes von Alphabet ausmacht. Werbetreibende, die Google-Produkte verwenden, können auf Such-Keywords bieten – bestimmte Wörter und Wortgruppen, die dazu führen, dass ihre Anzeigen für relevante Nutzer in den Suchergebnissen geschaltet werden.
Xayn verdient sein Geld hingegen nicht mit Werbung. Stattdessen will das Unternehmen in Zukunft ein Bezahlmodell einführen. Eine kostenlose Version der Anwendung ist dann limitiert auf eine bestimmte Menge an Suchergebnissen; wer mehr will, kann etwa 2 € pro Monat zahlen. Doch auch die Kooperation mit Anbietern von Inhalten, etwa News-Seiten, sei eine Option, so Lundbaek – denn paradoxerweise hat er keine Eile, viel Geld zu verdienen. „Ehrlich gesagt bin ich ganz, ganz wenig angetrieben von finanziellen Motiven“, sagt der Gründer. Seine Anteile hat er in eine Stiftung gelegt, er selbst halte gar nicht mehr viel. Lundbaek: „Für mich geht es eigentlich wirklich darum, etwas zu bewegen.“
Dieser Ansatz zieht sich auch durch seine akademische Laufbahn. Lundbaek ist kein klassischer Unternehmer, sondern Akademiker, Mathematiker und Informatiker mit einem Doktortitel in Philosophie. Er hat an den besten Universitäten der Welt studiert, unter anderem in Oxford – doch er sagt, dass er schon damals gesehen habe, wie die schlausten Köpfe der Welt für „die Tonne gearbeitet“ hätten: Es habe tolle Forschungsarbeit gegeben, aber ohne jeglichen Praxisbezug. Er hingegen wollte sein Wissen in die Industrie einbringen und arbeitete für Daimler als Ingenieur im Bereich KI. Dort traf er einen seiner zwei späteren Mitgründer, Felix Hahmann, der heute Aufsichtsratsvorsitzender von Xayn ist. Ein Vorgesetzter beim Autobauer riet ihnen, sich selbstständig zu machen.
Leif-Nissen Lundbæk
...ist Mitgründer und CEO der Suchmaschiene Xayn. 2017 entstand Xayn aus einem Forschungsprojekt der University of Oxford und dem Imperial College London heraus. Mit Xayn will Leif Nissen Lundbæk eine private Suchmaschine ohne Werbung schaffen, die Daten und Nutzer schützt.
Selbstständig war Lundbaek auch schon als Kind: Er sei als etwa Achtjähriger oft alleine von Spanien, wo seine Großeltern lebten, nach Deutschland zu seinem Vater geflogen – übrigens ebenfalls ein Mathematiker. Doch statt in die Forschung verschlug es Lundbaek ins Unternehmertum.
Er will etwas verändern. Mit Xayn sei man aber nur ein Teil einer größeren Bewegung im Datenschutz, so der Gründer: „Ich denke, dass Privacy oder Ethik wirklich nur Anwendung finden, wenn man sie mit Nutzerfreundlichkeit kombiniert.“ Ein Vorbild sei der Messengerdienst Signal: Die Anwendung sei sicher – und trotzdem gut zu nutzen.
Der Weg ist also das Ziel, denn eine perfekte Lösung gibt es noch nicht. Privacy Tech sei niemals vollkommen, doch Xayn arbeitet und testet unermüdlich – auch an Verdienstmöglichkeiten. Lundbaek: „Wir werden zu einem späteren Zeitpunkt Partnercontent einbringen. Das wäre dann exklusiver Content von zum Beispiel Bloomberg in einer Premiumversion, die dann ein bisschen teurer ist.“ Man sei bereits in Gesprächen mit verschiedenen Partnern, aber das Thema sei aktuell noch nicht so relevant. Eines ist jedoch fix: Ein Verkauf an Google kommt nicht infrage. „Ich möchte unverkaufbar werden“, so Lundbaek. Das gelingt ihm, indem er Xayn zu einem komplett transparenten Open-Source-Unternehmen macht. Alles an Code ist frei verfügbar – auch so will Xayn eine Alternative zu den Großen bleiben.
Text: Sophie Schimansky
Fotos: Jörg Klaus
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 10–21 zum Thema „Under 30“.