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Während Europas VC-Fonds vor allem in frühphasige Start-ups investieren, fehlt für größere Investments schlicht das Geld. Wie kann das sein? Und warum sind Netzwerke bei Start-ups sexy?
Das Interview läuft seit geraumer Zeit, doch wirklich viele Fragen konnten wir noch nicht stellen. Denn sobald Niklas Hagen Schwake, der als Director beim Berliner VC-Fonds Earlybird tätig ist, seine Antwort beendet, reagiert Isabel Russ (Speedinvest, Wien) darauf. Die beiden greifen vom jeweils anderen aufgeworfene Punkte auf, erklären Investmenthypothesen und diskutieren, was in Gründerteams nicht fehlen darf. So erzählt Isabel Russ, dass sich Speedinvest X (ein Subfonds von Speedinvest, Anm.) vor allem auf Unternehmen fokussiert, die auf Netzwerkeffekte setzen. „Das gibt es in der Form in Europa noch nicht.“ Zur Erklärung: Was früher einmal ein klassischer Marktplatz war – wo also physische Güter gekauft und verkauft wurden –, hat sich in der digitalen Welt massiv gewandelt. Denn heute sind Netzwerkeffekte in der einen oder anderen Form bei zahlreichen großen Unternehmen zu finden – etwa Tripadvisor, Facebook oder Tinder. Und in gewisser Weise beschreibt Niklas Hagen Schwake im Gespräch, dass auch Earlybird derart geprägte Geschäftsmodelle – also das stetige Profitieren von einer wachsenden Anzahl an „Verbindungen“ – gefallen. Als wir letztendlich auch die Chance bekommen, die eine oder andere Frage an den Mann und die Frau zu bringen, nutzen wir sie sofort. Los geht’s!
Nach Unternehmen welcher Art suchen Sie bei Ihren Investments?
Isabel Russ: Wir investieren in Unternehmen in der Seed-Stage. Die Investments liegen zwischen 500.000 und einer Million €. Mit Speedinvest X investieren wir insbesondere in Start-ups mit Netzwerkeffekten. Das gibt es in der Form in Europa nicht – oder nur selten.
Niklas Hagen Schwake: Wir gehen mit Earlybird ein bisschen später rein und versuchen meist, Lead-Investor zu sein. Das kann in der Seedphase sein, wir machen aber auch Series-A-Runden. Wir sind als Investor eigentlich nicht operativ tätig, weil wir Unternehmer auswählen wollen, die ihre Projekte selbst umsetzen können. Sonst sind das unserer Meinung nach nicht die richtigen Unternehmer.
IR: Man darf natürlich nicht in Gründer investieren, an die man nicht glaubt. In der Seed-Stage sehen wir aber oft, dass es Start-ups vielleicht in einem ganz konkreten Bereich an Erfahrung mangelt, beispielsweise haben sie nicht die richtigen Kontakte. Gründer entwickeln – das tun wir auch nicht.
Speedinvest X sucht, wie gesagt, nach Start-ups mit Netzwerkeffekten. Wie sieht die Investmenthypothese von Earlybird aus?
NHS: Unser Dealflow ist branchenübergreifend. Wir suchen jedenfalls nach Geschäftsmodellen mit einer starken Tech-Komponente, die ein disruptives Modell verfolgen; beispielsweise investieren wir nicht in Hersteller von Smoothies, die man lediglich mit Marketing erfolgreich machen kann. Vielmehr sollte das Modell nicht einfach zu kopieren sein. Was wir zudem suchen, ist ein Lock-in – und zwar vorwärts- und rückwärtsgerichtet. Beispiel Facebook: Ich melde mich an, weil alle meine Freunde dort angemeldet sind. Und bin ich dann einmal drin, will ich nicht mehr raus.
IR: Was du da beschreibst, sind Netzwerkeffekte. (lacht)
Worauf achten Sie bei Ihren Investments?
NHS: Wir suchen nach guten Teams, das ist das Wichtigste. Zwei Drittel der Investmententscheidung entfallen auf das Team.
Das sagt so ziemlich jeder VC. Was heißt das denn?
NHS: In der VC-Branche gibt es unterschiedliche Player. In späteren Phasen bestehen die Unternehmen ja schon seit zehn oder mehr Jahren und besitzen historische Daten. Wenn man da ein Unternehmen kaufen will, sieht man sich die Daten an und kann eine grundlegende Bewertung berechnen. Da spielt das Team natürlich noch eine Rolle, das könnte man aber rein theoretisch mit einem Leveraged Buy-out (LBO) sogar austauschen.
Im frühphasigen Bereich ist das schon schwieriger. Da erhält man einen Businessplan sowie eine Prognose über den Geschäftsverlauf über die nächsten fünf Jahre. Die Prognose stimmt in der Regel aber nicht, was auch die Berechnung über beispielsweise Multiples erschwert. Denn irgendwann in den ersten zwei Jahren steht meist sowieso noch ein Pivot (Änderung der Strategie oder des Geschäftsmodells, Anm.) an. Deshalb ist das Team umso wichtiger; ein engagiertes Team, das eine Vision hat und gut zusammenpasst.
IR: Ich würde sagen, das Team macht rund die Hälfte der Entscheidungsgrundlage aus. Die andere Hälfte entfällt auf den Markt. Wir sehen oft Teams, die in Märkten arbeiten, die nicht funktionieren, weil sie nicht groß genug sind. Doch das ist ein wichtiger Punkt: Das Geschäftsmodell wird sich ziemlich sicher noch mal ändern. Selbst wenn heute die Zahlen stimmen, heißt das nicht unbedingt etwas für die Zukunft.
Wie oft darf man sich als VC denn irren?
NHS: Das ist dieses Hitgame, von dem man oft spricht: Wir müssen von zehn Investments zumindest zwei Treffer landen. 80 Prozent unserer Investments sind Break-even oder scheitern. Also benötigt man unter diesen zehn dann zwei Unternehmen, die zumindest das Potenzial haben, eine Bewertung von 500 Millionen € oder mehr zu bekommen.
Was braucht Europas VC-Branche, um gegen die globale Konkurrenz zu bestehen?
IR: In den Phasen Preseed und Seed, auch Series A, sind wir gut aufgestellt. Doch in späten Phasen gibt es in Europa keine Investoren. Wir bringen alle unsere Unternehmen in späten Phasen in die USA.
Wie kann es sein, dass kein europäischer Investor Finanzierungen von jenseits der 50 Millionen € machen kann?
NHS: Das hängt in gewisser Weise an den LPs, also an jenen Investoren, die selbst in VC-Fonds investieren. Dort ist die Wahrnehmung weiterhin, dass dieses Geschäft sehr risikobehaftet ist. In den USA gibt es Pensionskassen oder private Investoren, die in VC-Fonds investieren. Das ist in Europa nicht der Fall, höchstens vereinzelt. Sprich: Uns fehlt selbst das Geld, spätphasige Investments zu machen.
IR: Wir hatten viele Gespräche mit Family Offices. Die haben viel Geld, aber oft Angst vor dem Risiko.
Hat der Start-up-Hype der Qualität an Ideen gutgetan?
NHS: Es gibt immer gute Ideen. Doch es wird schwieriger, gute Deals zu bekommen, weil der Markt kompetitiver wird. Es ist für Start-ups nicht schwer, an Geld zu kommen. Vielmehr muss man als VC um gute Deals kämpfen. Aber Wettbewerb regt ja bekanntlich das Geschäft an. Die Start-ups allgemein müssen erwachsen werden. Lange wollte sich niemand an die Regeln halten oder Verantwortung tragen. Und das ist nicht das, was wir unter dem Begriff „Unternehmertum“ im Sinne haben.
IR: Grundsätzlich ist diese Entwicklung schon positiv zu sehen. Doch es braucht ein Umdenken. In Europa scheitern noch immer viel weniger Unternehmen als in den USA. Wenn wir da noch etwas mehr Risikobereitschaft zeigen, schadet das sicher niemandem ...
Dieser Artikel ist in unserer Juni-Ausgabe 2018 „30 Unter 30“ erschienen.