„WENN DU ES HIER SCHAFFST, DANN ÜBERALL“

Er sprach kein Wort Deutsch, kannte niemanden und hatte umgerechnet lediglich 5.000 € in der Tasche – mit denen er eigentlich einen Traktor kaufen sollte. Heute erwirtschaftet Etsan-Gründer Hüseyin Ünal mit seinen diversen Handelsunternehmen insgesamt rund 130 Millionen € Umsatz pro Jahr und hat 300 Mitarbeiter. Doch Ünal ist noch nicht am Ziel angekommen – er will nämlich auch den deutschen Markt erobern.

Sie sind in Zentralanatolien geboren und aufgewachsen und haben Ihrem Vater in der Landwirtschaft ausgeholfen. Wie kommt man von dort nach Wien und baut sich ein Unternehmen mit 130 Millionen € Jahresumsatz auf?

Mein Vater war Bauer und gleichzeitig ein Geschäftsmann – ein sehr harter, fordernder Mann, der einem viel Druck gemacht hat. Mich hat er damals beauftragt, von meinem Bruder in Holland 11.000 niederländische Gulden zu holen, damit er sich einen zweiten Traktor kaufen kann. Mit dem Geld in der Tasche machte ich auf dem Rückweg in Wien einen Zwischenstopp. Ich bin am Bahnhof einfach ausgestiegen, weil ich mir gedacht habe, dass ich jetzt etwas Geld habe – und Ruhe vor meinem Vater. Und dann bin ich einfach geblieben. Damit sich Ihre Leser keine Sorgen machen müssen: Ich habe meinem Vater das Geld später selbst­verständlich zurückgezahlt.

1986 gründete Hüseyin Ünal Etsan als Greißlerei und Fleischerei.

Welche Konsequenzen hatte das? Wie kamen Sie in Wien ohne Grundlage zurecht?

Na ja, er konnte nichts machen und hat es akzeptiert. (lacht) Ich hatte in Wien nichts: Ich hatte keine Wohnung, kannte die Sprache nicht, hatte keine Aufenthaltsbewilligung, keine Arbeitsgenehmigung. Deshalb brauchte ich Geld. Ein 20-jähriger Mensch in einer solchen Situation sucht das, womit er am besten zurechtkommt – das war damals für mich die türkische Community. Daraufhin habe ich auf der Baustelle und als Lkw-Fahrer gearbeitet, mir mit mehreren Menschen Toilette, Dusche, Küche und Zimmer geteilt. Die Freizeit verbrachten wir in nahe gelegenen türkischen „Sportklubs“, die eher so was wie Cafés waren, wo man einfach zusammenkam. Die ­hatten immer eine kleine Greißlerei und eine Fleischtheke.

Wie kam dann Ihr Sprung zum Unternehmertum?

Geduld, junger Mann! Die Miete des Cafélokals zahlte die Community mit den Erlösen des Halal-Fleischs, das man selbst schlachtete und in der Greißlerei verkaufte. Doch eines ­Tages meldete das kleine Lokal Konkurs an – wegen der schlechten Führung der Inhaber. Das war mein Moment, denn ich wollte es kaufen. Aber ein Zweiter wollte es auch kaufen. Also haben wir eine Münze geworfen, wer darf – und mein Konkurrent hat gewonnen. Wie es der Zufall so wollte, kam der Käufer aber an einem Freitag auf mich zu und sagte, dass er das Lokal nicht mehr kaufen will und ich es haben darf.

5.000 Artikel umfasst das Sortiment.

Sie haben in jungen Jahren ein verschuldetes Unternehmen gekauft und hatten keinerlei Führungs­erfahrung. Wie konnte das gut gehen?

Das war so, als würde mich jemand mit einem eiskalten Kübel Wasser aufwecken. Wegen Geld hatte ich keine Probleme – ich hatte ­mittlerweile Freunde, die mir etwas borgten. Ich habe aber dann bemerkt, dass ich doch einen guten Gewinn mache. Alles hat mit meiner Community begonnen. Die erste Diskussion dort war, dass es kein Halal-Fleisch gab – dieses Problem war für mich wie gemacht.

Lohnte sich das wirtschaftlich überhaupt?

Damals lebten etwa 200.000 Muslime in Österreich, damit gab es einen Markt. Es gab in der Nähe ­meines Lokals zudem eine Fleischerei. Wie es Gott wollte, kam in diese ­Fleischerei ein Veterinärmediziner, der mich ­fragte, ob ich Lämmer aus der Slowakei haben wollte, weil in Österreich so gut wie kaum welche gezüchtet werden. Damals gab es auch keine Europäische Union, eine Lizenz zum Import von Fleisch bekam ich mit meiner kleinen Bude ebenfalls nicht. Doch die Lizenz, die lebenden Tiere zu importieren, habe ich bekommen. In Wiener Neustadt schächteten wir die Lämmer und verkauften daraufhin das Fleisch. Nach drei oder vier Monaten wurde der Obmann eines Verbands, dessen Namen ich nicht nennen will, auf uns aufmerksam. Er organisierte Bauern, um gegen den Import von Schafen zu demons­trieren, weil wir angeblich die österreichische Landwirtschaft kaputt machen. Ich habe ihm gesagt: „Hör zu, wenn du mir jede Woche 300 Lämmer besorgen kannst, dann kaufe ich sie in Österreich. Das wäre für mich sowieso einfacher. Und wenn du sie nicht besorgen kannst, dann nimm deine Bauern, ­verschwinde mit ihnen und halte deinen Mund!“ Das war etwas vorlaut, aber ich war erst ­Anfang 20. Doch er konnte meine Nachfrage nicht bedienen.

Alles hat mit meiner Community begonnen, denn es gab kein Halal­-Fleisch.

Was ist dann passiert?

Meine Importe wurden immer größer, neben meiner Greißlerei wurde ich zu einem größeren Fleischhändler. Ich habe dann zur Spitzenzeit 1.000 Schafe mit drei Lkws importiert. Und der Obmann hat das mitbekommen und an der ­Grenze ernsthaft Demonstrationen organisiert und mir einen Lkw aufgemacht, wo dann 300 Schafe ins Nirgendwo entlaufen sind. Ich weiß bis heute nicht, wo diese Schafe sind. Die Behörden haben uns dann passieren lassen, weil sie nicht zulassen wollten, ­dass die restlichen zwei Lkws voller ­Schafe auch noch ­geöffnet werden. (lacht)

Sie haben also einiges an Widerstand ­erlebt …

Ich hatte unzählige Probleme, weil ich neu am Markt war, die Konkurrenz mich nicht wachsen sehen wollte und mir überall Steine in den Weg gelegt hat.

Hüseyin Ünal
... kam im Alter von 17 Jahren aus der Türkei nach Österreich. 1986 grün­dete er die Supermarktkette Etsan, die heute 32 Filialen in Wien, Niederösterreich und Graz betreibt. Das Unter­nehmen erwirtschaftet mit 300 Mitarbeitern einen Jahres­umsatz von 130 Millionen €.

300 Mitarbeiter sind für Etsan tätig.

Nachdem Sie nun ein Fleisch­großhändler waren, schufen Sie den ­Supermarkt Etsan, für den Sie heute bekannt sind.

Der Hauptgrund dafür war, dass die Käufer von großen Fleischmengen, die allesamt selbst Händler waren, ihre Bestellungen veränderten. Wenn sie beispielsweise 100 Kühe bestellten, behaupteten sie bei der Lieferung, dass sie nur 50 benötigen. Sie wollten den Preis drücken. Also habe ich begonnen, zum Großhandelspreis in meinem eigenen Geschäft zu verkaufen. Daraufhin eröffnete ich immer mehr Filialen, da das ganz gut lief. Parallel dazu bot ich den Lokalen aber auch andere Lebensmittel an, vor allem Importe aus dem Ausland wie frisches Obst und Gemüse oder ­mediterrane Ethno-Artikel.

Was sind Ihre Vorteile gegenüber der Konkurrenz? In einen Preiswett­bewerb können Sie ja nicht treten.

Im Vergleich zu den Großen haben wir wöchentlich zwei bis drei Lieferungen und können so die Frische unserer Produkte gewährleisten. Zudem haben wir sehr flexible Abnahmeverträge und können daher auch viel stärker auf die Qualität der Produkte achten. Hinzu kommt, dass wir andere Produkte im Sortiment haben. 5.000 Artikel befinden sich in unserem Sortiment, davon 40 % aus der Türkei, 50 % aus der EU, 10 % sind international. Wir haben einen Groß- und einen Einzelhandel. Mit Ersterem beliefern wir Gastronomen oder andere Supermärkte sowie die eigenen Märkte. Die Logistik wird dann bei uns abgewickelt, weil wir einen eigenen Fuhrpark haben. Wir sind in Wirklichkeit einerseits ein großes Logistikunternehmen, andererseits aber auch ein großer Greißler, weil wir Verfügbarkeit bieten.

Was sind Ihre nächsten unternehmerischen Schritte? In Österreich ­haben Sie sich in den städtischen Gebieten bereits etabliert.

Wien war zu Beginn im Fokus, daraufhin folgte Graz. Nachdem das passiert war, stellten wir uns die ­Frage, ob wir nach Salzburg oder Vorarlberg expandieren. Da sich das von den Distanzen her nicht lohnte, wollen wir jetzt nach Deutschland, im Speziellen nach Nordrhein-Westfalen und ­Bayern. Das Potenzial ist dort einfach viel, viel größer als im Westen Österreichs. Im nächsten Schritt würden wir dann nach Berlin gehen. Sie müssen sich vorstellen: Zwischen Wien und Vorarlberg liegt in etwa dieselbe Distanz wie zwischen Wien und der Ukraine. Da ist es für uns logistisch nach Deutschland viel leichter, das ist zugleich der ­größte Markt in Europa. 2021 ist außerdem geplant, einen Onlineshop zu starten. Wir suchen Partner und Investoren für unsere Expansion. Die Logistik wird am herausforderndsten – über alles andere verfügen wir bereits.

„Ich machte einen Zwischenstopp – und dann bin ich einfach geblieben.“

Wie viele Mitarbeiter haben Sie? Wie viel Umsatz machen Sie?

Gegenwärtig haben wir mit unseren Franchisepartnern über 300 Mitarbeiter und haben im Jahr 2020 fast 130 Millionen € umgesetzt, eine deutliche Steigerung von knapp 30 % zum Vorjahr.

Wie gehen Sie mit dem Vorwurf um, Sie würden ausschließlich die ­migrantische Klientel bedienen?

Das stimmt faktisch nicht. Wir haben nicht nur Ethno-Kunden bei uns. Man kommt zu uns, weil wir aufgrund unserer mehrfachen Lieferungen in der Woche immer frisches Obst, Gemüse und Fleisch haben. Wir haben sogar in den nobleren Bezirken Wiens wie Währing zwei Filialen. Die meisten Kunden dort sind Einheimische, die Filialen ­laufen ziemlich gut.

„Das Potenzial in Deutschland ist für uns einfach viel größer als im Westen Österreichs.“

Hüseyin Ünal, Gründer Etsan

Überlegen Sie, bald einem Ihrer Kinder das Unternehmen zu übergeben? Sind diese in Ihr Geschäft involviert?

Der Älteste betreibt nur Wild Dragon, unseren hauseigenen Energydrink, der Zweite macht das operative Geschäft. Ein weiterer Sohn unterstützt mich insbesondere in der Expansion nach Deutschland. Und der Jüngste hilft nur ab und zu aus, weil er noch zu jung ist. Meine älteste Tochter studiert Pharmazie, die jüngere Tochter hilft ebenfalls im Betrieb aus.

Wo ist denn eigentlich Heimat für Sie?

Dort, wo man sein Brot für sich und seine Familie verdient. So habe ich das als junger Einwanderer nach ­Österreich gesehen und so sehe ich das ­heute auch als stolzer austrotürkischer ­Geschäftsmann. Österreich ist zwar ein harter Markt, aber wenn du es hier schaffst, dann schaffst du es überall.

Text: Muamer Bećirović
Fotos: David Višnjić

Dieser Artikel erschien in unserer Forbes Daily "Wiener Wirtschaft".

Muamer Bećirović,
Redakteur

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