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Das Architektur- und Designstudio Wideshot kombiniert Büroarchitektur, Science Fiction und Stadtplanung und gestaltet so ein Stück Zukunft.
Ein Rundgang im Büro des Wiener Designstudios Wideshot wirkt wie eine Zeitreise ins nächste Jahrhundert. Die Gänge sind schmal, hinter jeder Ecke verbirgt sich eine neue Überraschung: ein Raumschiff, ein Weltraumanzug oder futuristische Art-Designs. Selbst einen eigenen Virtual-Reality-Raum hat das Unternehmen. Auf 500 Quadratmetern haben die Gründer Oliver Bertram und Johannes Mücke eine riesige Spielwiese für Designer und Architekten geschaffen. Bertram und Mücke setzen sich offenbar nur ungern Grenzen.
Das Portfolio von Wideshot reicht vom Entwurf von Büro- oder Industriegebäuden über Interior-Designs bis hin zur Gestaltung ganzer Welten für Filme und Videospiele. Dabei ergänzt ein Bereich den anderen, so Bertram – ein Architekt profitiere von der Kreativität der Science-Fiction-Welt und ein Art-Designer für die Filmproduktion vom Wissen der Architektur. Dadurch würden Gebäude und Einrichtungen ausgefallener und Filmrequisiten einfacher zu bauen. Im Filmjargon beschreibt der „Wideshot“ eine Kameraeinstellung, die einen Überblick über das gesamte Szenenbild liefert.
Zur Gründung ein Raumschiff
Bertram und Mücke lernten sich im Zuge ihrer Forschungstätigkeiten an der Universität für Angewandte Kunst in Wien kennen. Im Jahr 2008 sollte Bertram für das deutsche Architekturbüro Kohlbecker den Entwurf eines Raumschiffs für den Kindervergnügungspark Sensapolis in Stuttgart prüfen. Nach der Durchsicht der Unterlagen entschied er sich, einen besseren Gegenvorschlag zu bringen. Er holte Mücke, der über die Jahre zu einem guten Freund geworden war, an Bord. Die beiden entwarfen in einer Woche ein Gegenmodell. „Wir stellten es bei Kohlbecker vor und es wurde sofort umgesetzt“, erzählt Bertram. Schon damals machten sich die beiden ihre jeweiligen Stärken zunutze: Bertram ist der „Architekt“, er forschte jahrelang zur Herstellung von Architekturbauteilen mit der Hilfe von Computern. Mücke, der ebenso Architektur studierte, arbeitete mehrere Jahre lang als Art-Designer in der Unterhaltungsindustrie und ist eher der kreative Kopf des Duos. Von Anfang an machten sich die beiden die Stärken des jeweils anderen zunutze.
Da Kohlbecker mit dem Raumschiff zufrieden war, erhielten Bertram und Mücke gleich ein zweites Projekt: Sie sollten eine Paddock-Lounge (ein Aufenthaltsgebäude, Anm.), für das Formel-1-Team von Lotus-Renault gestalten. Erneut überzeugten die beiden Architekten mit ihrem Entwurf. Aufgrund der erfolgreichen Zusammenarbeit schlug Kohlbecker vor, ein Designunternehmen zu gründen. Im Juni 2010 taten sie das dann auch, Kohlbecker wurde Gesellschafter. Dabei besteht Wideshot jedoch nicht aus nur einer Gesellschaft, sondern aus zwei: einer Design-GmbH und einer Gesellschaft für Ziviltechnik. Ohne Zweiteres dürfte Wideshot keine Architektur-Aufträge abwickeln.
Mediale Anziehungskraft
Über die Jahre sammelte das Unternehmen zahlreiche Projekte – einige davon hatten große mediale Anziehungskraft. Für den 2016 erschienen Film „Independence Day: Resurgence“ designte Wideshot etwa den Moon Tug, eine Art Science-Fiction-Gabelstapler für den Weltraum und weitere Raumschiffe. 2018 produzierte Mücke gemeinsam mit dem Designer Patrick Sturm auch einen eigenen Kurzfilm mit dem Namen „UI - Soon We Will All Be One“. Der Film wurde auf einigen Filmfestivals aufgeführt und nominiert, unter anderem beim Tribeca Filmfestival in New York. Sowohl die Designs für Independence Day als auch der Kurzfilm brachten Wideshot als Designunternehmen viel Aufmerksamkeit.
Auch in der Architektur hat sich bei Wideshot viel getan. Seit Gründung hat man laut Bertram 15.000 Büroarbeitsplätze designt – darunter 250 Arbeitsplätze des Telekommunikationsunternehmens Kapsch CarrierCom mit Sitz in Wien, 75.000 Quadratmeter Arbeitsfläche der Bank Austria und ein Ausbau eines Automobilwerks des chinesischen Autoherstellers Nio. Hinzu kommen Entwürfe von Bürogebäuden und Residenzen. Mit dieser Kombination erwirtschaftete Wideshot allein im Jahr 2018 rund drei Millionen € Umsatz. Rund 40% davon kommen aus der Architektur, weitere 40% aus dem Interieur Design und 20% aus der Unterhaltungsindustrie. Damit macht Entertainment nur einen Bruchteil der Einnahmen des 26-Personen-Unternehmens aus. „ Das ist aber ein sehr lauter Anteil, der uns viel Aufmerksamkeit gebracht hat”, so Bertram. Mit ihren Leistungen bewegen sich Bertram und Mücke auf dem Architektur-, Design- und Unterhaltungsmarkt zugleich – und alle drei bieten Raum zum Wachsen. 2018 machte die Architekturbranche in Österreich laut dem Architects Council of Europe, einer Interessensvertretung für europäische Architekten, 287 Millionen € Umsatz. In Deutschland waren es vier Milliarden €.
Neue Welten
Welten zu kreieren – das ist das Ziel, das Bertram und Mücke bei all ihren Tätigkeiten verfolgen. Ganz egal, ob es sich dabei um eine Science-Fiction Welt in einem Film, das Büro eines Unternehmens oder ein ganzes Gebäude handelt. „Wir suchen bei allem ein Narrativ und fragen uns ‘Was wäre, wenn?’“, erklärt Mücke. Etwa: „Was wäre, wenn plötzlich Aliens auf der Welt ankommen würden?“. Oder „Was wäre, wenn ein Büro auf einem Schiff läge. Dadurch kreieren wir eine Gedankenwelt mit eindeutigen Eigenschaften und Richtlinien“, so Mücke.
Bei Architektur- und Büroaufträgen hängt das Narrativ jedoch von den Mitarbeitern ab. Das Gebäude muss sich nach ihren Bedürfnissen richten – und viele hätten Schwierigkeiten damit, ihre Bedürfnisse richtig zu kommunizieren, so Bertram. „Die Leute denken strategisch. Wenn ein Mitarbeiter ein großes Büro haben möchte, wird er mit hoher Wahrscheinlichkeit ein kleineres Besprechungszimmer wählen“, so Bertram. „Denn logischerweise ist der Platz begrenzt. Nur wer sagt, dass nicht beides machbar ist?“
Um dieses “Out of the Box”-Denken bei ihren Kunden zu fördern, hat Wideshot ein eigenes Würfelspiel entwickelt, bei dem die Mitarbeiter oder Bewohner eines Gebäudes auf einem Drei-Mal-Drei-Raster mit Würfeln jeden Wunsch einzeln bestimmen können – vom Arbeitsbereich über das Besprechungszimmer hin zur Lounge-Area. „Sie sollen die Regisseure ihrer Umgebung sein“, meint Bertram. Da die Befragung und Auswertung dieser Daten sehr zeitaufwändig werden kann, wie etwa bei den 250 Mitarbeitern von Kapsch CarrierCom, hat Wideshot auch gleich einen passenden Auswertungs-Scanner entwickelt. Damit müssen die fertig ausgewählten Würfel nur noch zur Erfassung in das Gerät gelegt werden. „So können wir in zwei bis drei Tagen bis zu 400 Mitarbeiter befragen“, sagt Bertram.
Branchenwanderung
Neben der Gestaltung von Gebäuden, Büroräumen und Unterhaltungs-Designs erschließen Bertram und Mücke im Moment auch ein völlig neues Feld: Die Stadtentwicklung. „Die Veränderung, die derzeit die Unterhaltung und das Design durchmacht, wird auch bei Straßen und Gebäuden stattfinden. Denn das Bild, wie eine Stadt aussehen soll, wandelt sich“, so Bertram. Gemeinsam mit einem Beratungsunternehmen aus München arbeitet Wideshot gerade an der Gestaltung eines gesamten Stadtviertels. Auch hier soll das Würfelspiel zum Einsatz kommen – damit die Bewohner selbst bestimmen können, wie ihre Umgebung künftig aussieht.
Auch in allen anderen Bereichen versuchen die beiden Gründer, der Zeit voraus zu sein. „Wir stochern gerne in neuen Entwicklungsmöglichkeiten herum und probieren sehr viel Neues aus. Zum Beispiel haben wir unser Würfelspiel jetzt auf Virtual Reality-Basis programmiert“, meint Bertram. „So arbeiten wir uns auf eigenen Wegen in die Zukunft vor.“ Wideshot bietet mit Visionen und Ideen einen kleinen Einblick in mögliche Zukunftsszenarien für Städte, Gebäude oder der Unterhaltung – die womöglich bald Realität werden.
Text: David Hanny
Fotos: WIDESHOT