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Der Aufstieg des österreichischen Waffenproduzenten Gaston Glock – und welche Rolle Hollywood dabei spielte.
Es ist ein unscheinbarer Ort, um eine der bekanntesten Marken der Welt aufzubauen. Dennoch ist Deutsch-Wagram, eine 8.000-Einwohner-Gemeinde am Rande Wiens, die Heimat von Glock. Hinter hohen Mauern, die auch der Verschwiegenheit des Unternehmens entsprechen (mehrfache Interviewanfragen von Forbes blieben unbeantwortet), baut man dort Waffen. Glock ist für seine federleichten Pistolen bekannt, bei Polizeibehörden ist man sogar Weltmarktführer. Doch wie genau schaffte es Gaston Glock, ein gelernter Kunststofftechniker, die Waffe zu jener Kultmarke zu machen, die sie heute ist?
Alles begann im Jahr 1980, als das österreichische Bundesheer aufgrund technischer Probleme der bis dahin verwendeten Pistole Walther P-38 nach einer Alternative suchte. Der Markt bot eine solche nicht, also wandte man sich an den Vorhangstangenhersteller Gaston Glock, der das Heer bereits mit Gewehrgurten und Feldmessern belieferte. Die neue Pistole sollte leichter sein, über ein größeres Magazin verfügen und günstig herzustellen sein.
Ohne große Kenntnis von Pistolen begann Glock zu tüfteln. Das Gewichtsproblem löste er durch ein Griffstück aus Polymer, das die neue Waffe im Vergleich zu den Schießeisen der Konkurrenz nicht nur leichter, sondern auch weniger korrosionsanfällig machte. Die Art der Sicherung war ebenso ein Novum: Anstelle einer manuellen Sicherung verwendete Glock einen neuartigen Abzug mit vorgespanntem Schlagbolzen. So war die Pistole nach jedem Schuss automatisch gesichert und ließ sich nur durch erneutes Betätigen des Abzugs wieder entsichern und auslösen. Zudem verfügte die Waffe über ein Magazin, das 17 Patronen fassen konnte – mehr als doppelt so viel wie jenes der P-38. Das österreichische Bundesheer war begeistert und bestellte 20.000 Stück. Der Umstieg ins Pistolengewerbe entwickelte sich für Glock zu einem lukrativen Geschäft. Doch eine konkrete Strategie für sein Unternehmen fehlte.
Genau zur gleichen Zeit versuchte ein gewisser Karl Walter sein Glück als Waffenhändler jenseits des Atlantiks. Der Österreicher reiste in einem Wohnmobil durch die USA, um an Polizeiwachen importierte Schusswaffen zu verkaufen. Im „Land des Revolvers“ war die neue Glock als „Pistole aus Plastik“ verschrien, doch Walter wollte verstehen, wieso sich die Streitkräfte in Österreich ausgerechnet für diese Waffe entschieden hatten. Während eines Wien-Besuchs 1984 inspizierte er erstmals ein Exemplar. Begeistert kontaktierte er Glock und erzählte ihm von seiner Idee, Polizisten in den USA zum Umstieg von Revolvern auf Pistolen zu bewegen. Der Plan gefiel dem verschwiegenen Industriellen, also beauftragte er Walter mit dem Aufbau einer Gesellschaft in Übersee.
Das Timing war perfekt. Glock USA war noch nicht einmal ein Jahr alt, als 1986 die größten Polizeibehörden des Landes vehement die Einführung einer semi-automatischen Pistole forderten. Immer mehr Polizisten fielen dem blutigen „Krieg gegen die Drogen“ zum Opfer; bei den Gesetzeshütern verbreitete sich das Gefühl, den Verbrechern waffentechnisch unterlegen zu sein. Als 1986 Agenten des FBI in Miami bei einer Schießerei starben, weil ihre Revolver nichts gegen den Kugelhagel der Selbstladepistolen ausrichten konnten, meinte der damalige FBI-Direktor William Sessions, dass „ein Umstieg zum Wohle unserer Agenten sowie aller Amerikaner unerlässlich“ sei.
Zu Glocks Glück stand die neue Pistole bereits im Zentrum hitziger Debatten: So hieß es etwa, sie sei aufgrund ihres hohen Kunststoffanteils leicht durch Flughäfen zu schmuggeln und daher die ideale Terroristenwaffe. Die Behauptung wurde zwar bald widerlegt, das rege Interesse an der mysteriösen Glock aber blieb. Damit war Walters Wohnmobil ein Fall für die Garage. Von nun an lobbyierte er erfolgreich als Geschäftsmann im Porsche vor allem große Polizeibehörden. Wenige Monate nach dem tragischen Vorfall bestellte das Miami Police Department 1.100 Exemplare, andere Großstädte folgten.
Doch Walter wollte einen Kassenschlager, der in die Geschichte eingeht – wie der Revolver 29 von Smith & Wesson in den 1970er-Jahren. In Wahrheit war der überhaupt keine gute Ware. Der Revolver war sperrig, niemand wollte ihn kaufen. Das sollte sich ändern, als Clint Eastwood auf der Leinwand das großkalibrige Schießeisen in seiner Rolle als Dirty Harry auf einen Räuber richtete und diesem klarmachte: „Das ist eine .44er-Magnum, die stärkste Handfeuerwaffe der Welt. Bläst dir glatt den Kopf weg.“ Wenig später war der Smith-&-Wesson-Revolver im ganzen Land vergriffen. Walter erkannte, dass Hollywoods Blockbuster-Ära angebrochen war und begann, Requisitenausstatter mit großzügigen Preisnachlässen zu hofieren. Zu schweren Waffen hatten sie kaum Zugang, eiserne Revolver waren teuer. Die „Pistole aus Plastik“ stand ihnen hingegen billig zur Verfügung. 1990 ging die Strategie auf.
In „Stirb langsam 2“ warnte Bruce Willis einen Flughafenchef: „Der Punk hat eine Glock 7 gezogen! Eine Ahnung, was das ist? Eine Pistole aus Porzellan, hergestellt in Deutschland – taucht nicht auf Metall-Detektoren auf!“ Inhaltlich ist diese Aussage zwar grundlegend falsch. Doch der Werbeeffekt für Glock war unbezahlbar, Verkaufszahlen schossen in die Höhe. Arnold Schwarzenegger, auch John Malkovich – mehr und mehr Hollywood-Stars wurden Werbeträger, die Glock entwickelte sich zum Verkaufsschlager am zivilen Markt.
Das Vermögen der Glock-Familie wird heute auf 1,75 Milliarden € geschätzt (obwohl der Wert durch die Organisation als GmbH schwer zu ermitteln ist). Neben Österreich und den USA hat der Konzern mittlerweile Gesellschaften in Brasilien, Uruguay, Venezuela, China, den Vereinigten Arabischen Emiraten und der Slowakei. Polizei- und Militäreinheiten in mindestens 50 Staaten sind mit seinen Pistolen ausgerüstet – darunter Länder wie Israel, Mexiko, Indien, Afghanistan und Irak. Die USA bleiben dennoch Glocks mit Abstand wichtigster Absatzmarkt. Zwei Drittel der dortigen Polizei tragen sie im Halfter. Sämtliche Behörden auf nationaler Ebene, einschließlich FBI und Drogenvollzugsbehörde DEA, führen sie in ihren Arsenalen.
2016 schrieb Glock Rekordzahlen: der Gewinn stieg von 96,7 auf 162,1 Millionen €. Der Umsatz wuchs zudem um 41 Prozent auf 709,5 Millionen €, wovon zwei Drittel auf den stärksten Markt, die USA, entfielen. Laut dem Beratungsunternehmen Small Arms Analytics wurden im Jahr 2016 insgesamt 3,7 Millionen Faustfeuerwaffen in die USA importiert. Über ein Drittel davon – etwa 1,3 Millionen – waren Glocks. Mit einem Anteil von 7,8 Prozent ist der Konzern der viertgrößte Player am dortigen Pistolenmarkt. 2017 erlitt Glock allerdings einen herben Rückschlag. In der Auswahl der neuen Pistolengeneration des US-Militärs unterlag man dem deutsch-schweizerischen Konkurrenten SIG Sauer, womit Glock ein Deal im Wert von 580 Millionen US-$ entging. Als Begründung wurden technische Vorteile der P320 von SIG gegenüber Glocks Modell 19 genannt. Ausschlaggebend dürfte jedoch der Preis gewesen sein: SIG Sauer konnte Glock mit seinem Angebot von 169,5 Millionen US-$ um satte 103 Millionen US-$ unterbieten.
Seit Jänner ist die vom US-Militär verschmähte Waffe dafür am zivilen Markt erhältlich, preislich ist sie vergleichbar mit einem neuen iPhone. Glocks Zielgruppen sind sehr unterschiedlich: So vertrauen den Pistolen Waffennarren in Texas ebenso wie militante Dschihadisten in Syrien. Der rechtsradikale Attentäter Anders Behring Breivik benutzte sie bei seinem Anschlag 2011 ebenso wie Omar Mateen in Orlando, als er 49 Menschen erschoss. Schätzungen zufolge sind heute mindestens 10 Millionen Pistolen aus den Waffenschmieden des Kunststofftechnikers Glock im Umlauf, denn aus Deutsch-Wagram konnte 2007 vernommen werden, dass weltweit bereits fünf Millionen Exemplare verkauft wurden. Seither wird jedoch wieder geschwiegen.
Dieser Artikel ist in unserer Juli-Ausgabe 2018 „Wettbewerb“ erschienen.