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Viele Unternehmen hören in Sachen Nachhaltigkeit bei dem auf, was von ihnen verlangt wird. Wer aber langfristig erfolgreich aussteigen will, muss darüber hinausgehen und eine solide Nachhaltigkeitsstrategie in die Unternehmensplanung einbauen, sagt Christof Miska. Wie das geht, erklärt er im Gespräch mit Forbes.
Vor wenigen Jahren herrschte rund um das Thema Nachhaltigkeit vielleicht nicht gerade Euphorie, aber doch mehr als nur Hoffnung. Joe Biden, damals Präsident der USA, drückte mit dem Inflation Reduction Act (IRA) 2022 die „umfangreichste Klimagesetzgebung, die die USA jemals gesehen haben“ durch, schrieb das World Resources Institute letzten Sommer. Hunderte Mio. US-$ sollten in erneuerbare Energien, Elektroautos und mehr investiert werden. Die EU hatte mit dem European Green Deal bereits zuvor Maßnahmen ergriffen, um die Region bis 2050 klimaneutral zu machen; Unternehmen und Banken auf der ganzen Welt präsentierten Pläne, um ihre Kohlenstoffemissionen zu verringern.
Heute weht ein anderer Wind.
An seinem ersten Tag im Amt als neuer US-Präsident fror Donald Trump 32 Mrd. US-$ ein, die der IRA für Zuschüsse für Unternehmen vorgesehen hatte. Als wäre das nicht genug, zog er die USA aus dem Pariser Klimaabkommen zurück. Gleichzeitig sehen viele Unternehmen hierzulande Europas Klimaregulierung als Dschungel, durch den sie sich regelrecht kämpfen müssen.
Es ist also nachvollziehbar, wenn manche dieser Unternehmen in Sachen Nachhaltigkeit nur das Notwendigste umsetzen. Genau dadurch entgeht ihnen aber die Möglichkeit, aus der Menge herauszustechen, sagt Christof Miska – er ist akademischer Leiter des Masterprogramms Leadership und Unternehmensführung und des ESG- und Nachhaltigkeits-Kurzprogramms der WU Executive Academy (EA). Warum sollten Gründer und Geschäftsführer angesichts des politischen Gegenwinds Zeit und Geld in eine Nachhaltigkeitsstrategie stecken, die über die Regulierungen hinausgeht? „Ganz einfach“, sagt Miska: „Es geht um Wettbewerbsvorteile.“ Er hat sieben Punkte ausgearbeitet, die Unternehmen zu einer erfolgreichen Nachhaltigkeitsstrategie führen sollen. Wer diese erfolgreich umsetzt, könnte in Zukunft die Nase vorn haben.
Viele Unternehmen richten ihre Nachhaltigkeitsmaßnahmen eher nach politischen und gesellschaftlichen Trends aus. „Das hat wenig mit Strategie zu tun“, sagt Miska. „Strategie bedeutet, dass man Ressourcen bereitstellt, sich die notwendigen Fähigkeiten aneignet und den Plan dann auch durchsetzt.“ Rudert ein Unternehmer in der ersten Krise zurück, führe das oft zu Unsicherheit bei der Belegschaft oder den Shareholdern, so Miska. Er sagt aber auch: „Es wird immer Zielkonflikte geben.“ Kurzfristige Ziele müssen gegen langfristige abgewogen werden, globale gegen lokale. Wird etwa in den nächsten Jahren Öl und Gas stärker gefördert, könnten Energieunternehmen die Forschung in alternative Energieträger zurückschrauben. Dadurch würden sie ihre kurzfristigen Ziele vielleicht leichter erreichen – allerdings auf Kosten der langfristigen. Miskas erster Tipp lautet also: Nicht nur Trends folgen – Unternehmen müssen proaktiv statt reaktiv handeln.

Es wird kein Unternehmen geben, das so weitermachen kann wie bisher.
Christof Miska
Der zweite heißt: Lieferketten analysieren. Viele Unternehmen müssen das aufgrund entsprechender Gesetze ohnehin schon machen; aber auch jene, die von solchen Regulierungen bisher „verschont“ geblieben sind, sollten ihre Wertschöpfungskette unter die Lupe nehmen, sagt Miska. Einerseits ist es grundsätzlich vorteilhaft zu wissen, wie die Lieferkette aufgestellt ist – andererseits sind oft andere Unternehmen in derselben Lieferkette verpflichtet, gewisse Daten zu melden. „Die Regulatorik hat hier einen indirekten Mechanismus. KMUs, die denken, das Gesetz sei für sie gar nicht relevant, kommen dann von Unternehmen an anderen Stellen der Lieferkette unter Druck. Die müssen nämlich Zahlen reporten, die Daten müssen aber erst erfasst werden“, so Miska. Wer die entsprechenden Zahlen schon parat hat, hat gegenüber anderen Lieferanten sehr wahrscheinlich einen Vorteil.
Was zu Nummer drei auf Miskas Liste führt: „Unternehmen müssen eine solide Datengrundlage schaffen“, sagt er. So können Unternehmen nicht nur die Berichte besser schreiben, die sie eben liefern müssen – wer die Zahlen kennt, kann auch besser einschätzen, wodurch sich Risiken ergeben und wodurch Chancen; ein grundlegender strategischer Baustein.
Konkret bedeutet das für Miska: „Als Erstes sollte ich schauen, welche Zahlen ich schon zur Verfügung habe. Unabhängig davon, ob ich berichterstattungspflichtig bin, muss ich beginnen, über die verschiedenen Abteilungen im Unternehmen hinweg zu kommunizieren.“ Dabei gehe es oft um profane Dinge: In welcher Maßeinheit werden Daten erfasst? Welches System wird verwendet? Falls bereits eines besteht: Wie kann es verbessert werden?
„Net Zero statt Emissionshandel“ lautet Punkt Nummer vier. „Es wird global wahrscheinlich immer mehr Regulatorik geben, aber diese wird wohl auch einheitlicher werden“, sagt Miska. Erste Anzeichen dafür zeigen sich im Bereich von Net Zero und Treibhausgas-Emissionen: Unternehmen, die heute noch Emissionszertifikate kaufen, müssen sich überlegen, wie sie mit Net-Zero-Vorgaben umgehen werden. Für manche reicht eine Reduktion der Emissionen, andere werden in neue Technologien investieren müssen, mit denen Emissionen vermieden oder zumindest ausgeglichen werden können, so Miska.
Viele Unternehmer ärgern sich jetzt schon über Regulierungen, besonders in der EU – Unternehmen des alten Kontinents müssten mit „zusammengebundenen Füßen“ gegen Konkurrenten aus den USA und China kämpfen, die, zumindest bezüglich Nachhaltigkeit, mehr oder weniger tun könnten, was sie wollen. Das würde es für europäische Unternehmen schwierig machen, im globalen Konkurrenzkampf mitzuhalten, so das Argument.

Miska stimmt zu, dass europäische Initiativen oft von Bürokratie zurückgehalten werden, sagt aber, dass Nachhaltigkeitsregulierungen nur einen kleinen Teil davon ausmachen: „Europa hat grundsätzlich an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Dahinter stecken aber sehr viele Entwicklungen, die wir in Europa einfach nicht am Schirm haben. Die Nachhaltigkeitsregulatorik wird oft
als Grund angeführt, ohne dass Unternehmen wirklich verstehen, worum es geht, und ohne die globale Bandbreite der Nachhaltigkeitsdebatte zu sehen.“ Ja, unter Trump sei keine große Klimapolitik in den USA zu erwarten, sagt er, aber: „China, Australien und nach wie vor einige Teile der USA wie etwa Kalifornien: Diese Regionen gehen grundsätzlich in Richtung stärkerer Richtlinien.“ Es wird also von immer mehr Unternehmen verlangt werden, Emissionen zu reduzieren – und sie auch immer weiter zu reduzieren. Das wird durchaus auch von Marktkräften getrieben. Wer schon früher auf Net Zero hinarbeitet, spart später Kosten.
Punkt fünf auf Miskas Liste ist, dass Nachhaltigkeit auch Teil des Risikomanagements von Unternehmen werden muss. Durch den Klimawandel ergeben sich für Firmen Risiken, an die früher niemand denken musste. So stellt sich etwa im Bankenbereich die Frage, ob man ein Bauvorhaben in einer Region finanzieren kann, wenn dort die Hochwassergefahr immer höher wird. „Über Branchen hinweg spüren wir bestimmte Effekte, die vom Klimawandel vorangetrieben werden und zusätzliche Kosten verursachen“, so Miska. Eine gute Nachhaltigkeitsstrategie, so der Professor, berücksichtige diese Faktoren schon jetzt.
Miskas vorletzter Schritt ist, dass Geschäftsführer und Manager auch gedanklich darauf vorbereitet sein müssen, sich an neue Umstände anzupassen: Regulierungen werden geändert, neue Gesetze kommen dazu oder werden eingestampft. Unternehmer dürfen aber nicht ad hoc auf jede Veränderung entsprechend reagieren, immerhin gilt: proaktiv, nicht reaktiv handeln. Das heißt aber nicht, dass sie stur ihre Strategie verfolgen können – sie müssen wissen und lernen, wann Anpassungen wirklich zielführend sind. Wichtig sei dabei das richtige Mindset, so Miska: Wenn man sich schon auf Veränderungen einstelle, fallen diese leichter.
Zuletzt gilt es laut dem WU-EA-Professor, sich Unterstützung zu suchen. In vielen Fällen gibt es Konkurrenten oder Partner, die bereits eine solide Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt haben – von diesen können sich Führungskräfte etwas abschauen, wobei es „das eine Idealmodell“ nicht gibt, so Miska. Viel eher müsse man in jedem Fall den spezifischen Kontext des jeweiligen Unternehmens berücksichtigen. Aber auch mit Lieferanten, Kunden und den eigenen Angestellten müssen Geschäftsführer zusammenarbeiten. „Das gilt generell für Nachhaltigkeit“, so Miska, „alleine schafft das niemand. Jeder braucht andere, um Dinge umzusetzen. Es geht um systemische Veränderungen, und als Einzelperson sind solche unmöglich.“
Ein Unternehmen, das laut Miska ein Vorbild sein kann, ist Ørsted. Der dänische Energiekonzern war vor 20 Jahren noch ein klassisches Öl- und Gasunternehmen. Laut Unternehmensangaben wurden in den späten 2000er-Jahren noch rund 85 % der Strom- und Wärmeproduktion aus fossilen Brennstoffen gewonnen. Im selben Jahr präsentierte Ørsted die „Strategie 85/15“: Bis zum Jahr 2040 sollten 85 % der produzierten Wärme und des produzierten Stroms aus erneuerbaren Energien gewonnen werden. 2017 wurde das Öl- und Gasgeschäft verkauft und Investitionen in Windenergie hochgekurbelt. Heute basiert die Energieproduktion zu 90 % auf erneuerbaren Energien – und Ørsted hat aus dem Wandel einen Wettbewerbsvorteil gezogen: Laut eigenen Angaben ist der Konzern mit einem Marktanteil von knapp 30 % Weltmarktführer im Bereich der Offshore-Windenergie. Das neue Ziel für 2040? Ørsteds gesamte Wertschöpfungskette soll Net Zero erreichen.
Wer Miskas Tipps umsetzen will, muss gutes Leadership beweisen. Führungskräfte, sagt er, sollten sich an ihren Werten orientieren und eben nicht danach, wie der politische Wind gerade weht. „Wenn ich solche Werte nicht habe, dann verbiege ich mich. Dann weiß ich auch gar nicht mehr, warum ich bestimmte Dinge mache“, so Miska. Dass das leichter gesagt als getan ist, weiß er: „Wenn es leicht wäre, würden es alle machen.“ Aber er betont: Wenn die Nachhaltigkeitsstrategie aus eigenem Interesse stammt – weil man erkennt, dass sich dadurch Wettbewerbsvorteile gewinnen lassen –, dann wirken seine sieben Punkte nicht wie sieben Hürden, sondern wie eine Anleitung für ein nachhaltiger aufgestelltes Unternehmen. Und Miska ist sich sicher: „Es wird kein Unternehmen geben, das so weitermachen kann wie bisher. Jedes Unternehmen wird sich verändern müssen.“
Christof Miska ist akademischer Leiter des Masters Leadership & Unternehmensführung und des ESG- und Nachhaltigkeits-Kurzprogramms der WU Executive Academy sowie Professor am Institute for Responsibility and Sustainability in Global Business der WU Wien. Neben Purpose umfasst seine Forschung auch verantwortungsvolles Leadership mit einem speziellen Fokus auf Ethik, Corporate Responsibility und nachhaltiger Entwicklung. Miska habilitierte sich an der WU zum Thema „Intersections of Responsible Leadership, Culture, and Institutions“.
Fotos: Gianmaria Gava