Von Äpfeln und Apps

Lara Hämmerle will die Lücke zwischen Lebensmittelhandel und Bauern schließen: Über eine App sollen Prozesse vereinfacht und Lieferketten verkürzt werden. Mit Hier Foods krümpelt die österreichische Gründerin eine Branche um, die seit Jahrzehnten verstaubte, aber stark etablierte Strukturen unterhält. Um ihr Ziel zu erreichen, hat die Gründerin soeben eine Finanzierungs­-runde über sieben Millionen € abgeschlossen.

Lara Hämmerle hält einen Apfel in die Kamera. In ihrem Pitch beim „Europe 13 Demo Day“ erklärt die 30-Jährige, dass der Apfel aus Argentinien stammt – obwohl sie ihn in einem Berliner Supermarkt gekauft hat. Das sei momentan einfacher und günstiger für den Einzelhandel, so Hämmerle, als regional beim Bauern in der Nähe zu kaufen. Weil sie lokale Bauern unterstützen und Liefer­ketten verkürzen wollen, gründeten Hämmerle und ihr Co-Founder Mark Jäger das Start-up Hier Foods mit der gleichnamigen App. Das Duo will die komplette Lieferkette hinter Lebensmitteln im Supermarkt verändern. „Lokal ist das neue Bio“, sagt Hämmerle. Das sei längst ein Standard, den Konsumenten erwarten. Mit der App können Supermärkte oder kleinere Lebensmittelhändler von Kopfsalat über Wein und Fleisch bis hin zu Spätzlemehl alles bei lokalen Bauern bestellen. „Wir digitalisieren die Schnittstelle zwischen Lieferant und Le­bensmittel­einzelhandel“, erklärt Hämmerle.

So steht etwa ein Metzger als Käufer auf der einen und ein kleiner lokaler Senf-Lieferant auf der anderen Seite. Die beiden Seiten kommunizieren heute über Fax miteinander – der Metzger füllt einen vor­gefertigten Bestellschein aus und faxt diesen dann an den Lieferanten. „Das ist nicht nur zeitaufwendig und fehleranfällig, sondern bedeutet auch doppelte Arbeit in der Buchführung“, sagt Hämmerle. Hier Foods bietet dem Metzger also eine Bestell-App an – der Metzger hat so das ganze Sortiment seiner Lieferanten an einem Ort, klickt sich in 30 Sekunden durch, bestellt alles, was er braucht, und schickt die Bestellung ab. Die kommt dann entweder als Fax, E-Mail, Whatsapp oder SMS beim Lieferanten an, je nach Wunsch.

„Mein Vater scherzte ­früher manchmal, Arbeit sei 80 % Schmerz und 20 % Freude.“

Lara Hämmerle

Konkrete Zahlen will Hämmerle nicht verraten, sie sagt aber, dass Hier Foods in­zwischen deutschlandweit mit Lieferanten zusammen­arbeite und jedes Jahr zweistellig wachse. Sein Geld verdient das Unternehmen in Form einer Transaktionsgebühr, die auf Bestellungen anfällt. Um das Wachstum zu finanzieren, sammelte Hier Foods kürzlich sieben Millionen € von bestehenden Investoren ein, darunter die US-Beteiligungsfirma Collaborative Fund, die auch am Fahrdienstleister Lyft beteiligt ist. Auch der schwedische VC Pale Blue Dot und der österreichische Fonds Speedinvest sind weiter. Neu an Bord sind Amplifier-Labs aus Berlin und der US-Fonds A*Capital.

Der Einzelhandel scheint zufrieden mit der Lösung. In einem Promovideo spricht Benjamin Stiegler, Inhaber von Edeka Stiegler in Haßloch, lobend über die App. Er empfehle sie jedem Einzelhändler, der die Bestellabläufe übersichtlicher und zeitsparender gestalten will, so Stiegler. Die Liefe­ranten „spielen mit, sind glücklich“ – selbst die kleinen regionalen Bauern.

Doch wie wird die App auf der anderen Seite angenommen? Forbes hat beim Deutschen Bauernverband nachgefragt. Laut Lilian Heim, Geschäftsführerin des Bundesausschusses Obst und Gemüse (BOG), hat man noch nichts von der App gehört. Zwar ist Hier Foods noch jung, doch Heim zweifelt daran, dass die Bauern eine solche App überhaupt be­­nötigen. „Die Beziehungen zwischen den Bauern und dem Einzelhandel sind etabliert und persönlich. Man kennt sich, der menschliche Kontakt ist wichtig.“

Lara Hämmerle
...studierte im Bachelor Medien- und Kommunikationsmanagement an der Hochschule Fresenius in Hamburg. Anfang 2020 gründete sie gemeinsam mit Mark Jäger Hier Foods.

Die Bauern hätten Verträge mit dem Einzelhandel über Menge und Preis unterschrieben. In anderen Worten: „Das ist alles geregelt, ohne App.“ Doch für Hämmerle gehen die Vorteile über die reine Bestellung hinaus: In der App können bestehende Verträge digitalisiert werden und die Bauern die Preise selbst festlegen. Heim sagt, das könnte am Ende dazu führen, dass der Preisdruck steigt und Bauern die Preise senken müssen – eine Art „Amazon-Effekt“. Die Preis­setzungsmacht liege bereits beim Einzelhandel. Jeder Vertrag wird hart verhandelt und die Preise sind geheim. Das gebe den Bauern wenigstens etwas Verhandlungsmacht, weil sie nicht gegeneinander ausgespielt werden können. „Wir brauchen eher eine App, die den Landwirten mehr Verhandlungsmacht gibt, sodass sie keine un­­lauteren Bedingungen mehr akzeptieren müssen“, sagt Heim.

Neben der Brücke zwischen Bauern und Einzelhandel soll Hier Foods aber auch einen anderen Zweck erfüllen: Eine Verkürzung der Lieferketten. Denn wie störungsanfällig lange, um den Globus gesponnene Lieferketten sind, zeigt die aktuelle Lieferkettenkrise, die zu leeren Regalen im Handel und Hunderten Schiffen in der Warteschleife vor den Häfen der Welt führt.

„Die globale Wertschöpfungskette ist auf Papier super optimiert, doch wir haben gesehen, was passiert, wenn es irgendwo einen Ruckler gibt“, so Hämmerle. Die Lieferketten zu dezentrali­sieren sei eine Antwort – und Hier stelle die passende Lösung zur Verfügung. Hämmerle: „Wir wollen, dass wir langfristige, diverse und nachhaltige Wertschöpfungsketten bauen, die vor allem resilient sind. Dafür bauen wir die passende Infrastruktur und digitalisieren sie.“ Wenn Hämmerle von ihrem Start-up erzählt, sucht sie nicht nach Worten. Sie weiß, was sie will, was sie macht, und warum. Man spürt, dass die „Under 30“-Listmakerin Erfahrung hat, denn sie gründet nicht zum ersten Mal: 2017 startete sie mit Til Klein das Fintech Vantik, das einen neuen Ansatz im Bereich Altersvor­sorge bieten sollte. Ein ganz anderer Markt – und doch nicht so unterschiedlich. „Man sagt ja immer: ‚Gutes Essen ist die beste Altersvor­sorge‘“, scherzt Hämmerle. Was sie damals wie heute extrem gereizt habe, sei, ,,dass beide Bereiche einen positiven gesellschaftlichen Impact haben“ – langfristig. Hämmerle: „Altersvorsorge ist einfach ein riesiges Problem für die heutige Generation. Der Zugang zur Alters­vorsorge, zu Investitionen, zum Ver­mögens­aufbau, das ist nicht für alle gegeben.“ Ähnlich verhält es sich mit Hier Foods: Hämmerle sieht ein Problem und packt es selbst an. „Irgendwie findet man eine Lösung“, so die Gründerin. Diese Mentalität habe sie von ihren Eltern und Groß­eltern mitbekommen: Ihr Großvater sagte immer, „dass man irgendwie alles gebacken kriegt“.

Hämmerle wuchs in einem Familien­unternehmen auf, einem Stickerei­betrieb in Vorarlberg. Da das Un­ter­nehmen ihr nicht nur familiär nahe war, sondern auch nur 150 Meter von ihrem Zuhause lag, war der Betrieb immer präsent. Für sie gehören Familie und Unternehmen zusammen – ihr Mitgründer Mark Jäger von Hier Foods ist auch ihr Lebenspartner. Darüber, wie man ein Unternehmen führt, hat sie aber andere Vorstellungen als ihre Familie: „Mein Vater scherzte ­früher manchmal, Arbeit sei 80 % Schmerz und 20 % Freude.“ Ihr Großvater würde das Verhältnis wahrscheinlich auf 90 % zu 10 % legen. Hämmerle will aber Freude und Erfüllung in ihrer Arbeit finden. Dass sie eine „Macherin“ ist – das habe sie „sowohl von meiner Mutter als auch meinem Vater“.

Was sie sich aber doch von ihrem Vater abgeschaut habe, sei, wie hart er an sich selbst arbeitet: „Mein Vater ist ein Selbstoptimierer, zum Beispiel beim Sport oder mit seinen Uhren.“ Hämmerle selbst geht es an die körper­liche Substanz, wenn nichts weitergeht. Sie habe sich zwischen ihren Gründungen zwingen müssen, mal gar nichts zu tun. Wobei „nichts tun“ auch nicht ganz stimmt: Sie hat Pflanzen umgetopft und einen Solotrip nach Spanien gemacht – sich also die Zeit vertrieben, um dann ein neues Unternehmen zu starten. Schon in ihrer Karriere vor den Gründungen, unter anderem bei einigen Start-ups in Zürich und San Francisco, ging es für sie immer nur schneller, höher, weiter. Sie sei aufgewachsen mit der Frage: Worin bin ich noch nicht gut, was muss ich verbessern? Inzwischen fokussiere sie sich aber eher auf ihre Stärken. Sie sei gut mit Menschen: „Das ist mein Ding. Es gibt mir so viel Kraft, neue Menschen kennenzulernen, sie einzustellen, neue Investoren zu treffen und zu verstehen, wie sie ticken.“ Es sei wichtig, ob jemand gut zum Unternehmen passt, egal ob Investoren oder Mitarbeitende.

Neben der Leidenschaft für lokale Lebensmittel will Hämmerle sich auch im Bereich Frauenförderung im Unternehmertum einsetzen. Aber zuerst einmal will sie weitermachen mit Hier Foods, „solange ich die richtige Person in der CEO-Rolle bin“. Da ist sie ehrlich mit sich selbst: Loslassen kann sie, wenn nötig – von Vantik ging sie weg, weil es inhaltliche Diffe­renzen gab. Doch derzeit ist sie fokussiert darauf, Hier Foods groß zu machen: „Ich glaube, dass diese Firma das Potenzial hat, richtig groß zu werden und in ganz Europa aktiv zu sein.“

Text: Sophie Schimansky
Fotos: Jörg Klaus

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 10–21 zum Thema „Under 30“.

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Deputy Editor in Chief

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