Vom Fälscher zum Künstler

Bekannt wurde er als einer der größten Kunstfälscher aller Zeiten. Heute ist Wolfgang Beltracchi jedoch Künstler. Mittlerweile in der Schweiz lebend, malt der Deutsche nämlich wieder – ganz ohne Fälschungen.

Streng genommen ist der Mann ja gar kein Kunstfälscher. Denn ­Kunstfälscher fälschen – wie der Name schon sagt – Kunst. Doch der als „Jahrhundertfälscher“ bekannt gewordene Wolfgang Beltracchi fälschte keine Kunstwerke, sondern Urkunden: Er kopierte keine Bilder, sondern schuf neue Werke im unverkennbaren Stil großer Maler. Da er aber deren Namen – darunter bekannte Maler wie Heinrich Campendonk, Max Ernst, Max Pechstein oder André Derain – unter diese Bilder setzte, machte er sich der Urkundenfälschung schuldig. Selbst die anerkanntesten Kunstexperten konnten die „neuen“ Werke nicht als Fälschungen erkennen.

Wolfgang Beltracchi
…wurde 1951 als Wolfgang Fischer geboren. Er flog von der Schule, brach die Kunstschule ab und führte ein Wanderleben durch Europa und Nordafrika. 1992 lernte er seine Frau Helene kennen. Über viele Jahre hinweg fälschte Beltracchi mehrere Hundert Bilder, die er an Sammler und Galeristen verkaufte. 2011 wurde er erwischt, musste für sechs Jahre ins Gefängnis. Seit seiner Entlassung malt er wieder
als „regulärer“ Künstler.

Gemeinsam mit seiner Frau ­Helene, die die Bilder unter anderem als Teil einer angeblich neu entdeckten „Sammlung Werner Jägers“ weiterverkaufte, narrte Beltracchi Galeristen, Sammler, Auktionshäuser und Kunstexperten und verdiente so nicht nur gutes Geld (die Staatsanwaltschaft schätzte die Gewinne im Prozess auf 16 Millionen €, Anm.), sondern offenbarte auch zahlreiche wunde Punkte des Kunsthandels. Denn was Kunst ist und wie viel einzelne Stücke wert sein sollten, das sind umstrittene Fragen, die den Kunsthandel jedoch massiv beeinflussen. Es ist eine der großen Ironien ­dieser Geschichte, dass nicht Kunst­experten, sondern Chemiker die ­Beltracchis überführen konnten. Eine chemische Analyse seines Bildes „Rotes Bild mit Pferden“ zeigte, dass ein Titanweiß benutzt worden war, das zu Lebzeiten des Künstlers Heinrich Campendonk noch nicht existiert hatte. Wolfgang Beltracchi wurde zu sechs Jahren Haft (nach der Unter­suchungshaft im offenen Vollzug, Anm.), seine Frau Helene zu vier ­Jahren verurteilt.

Heute leben die beiden in der Nähe von Luzern, wo Beltracchi in einem ehemaligen Tanzsaal seine Bilder malt. Laut eigenen Angaben verkauft er die Werke um Preise zwischen 80.000 und 300.000 CHF, zumeist an Sammler. Sein Ziel, es vom Fälscher zum Künstler zu schaffen, hat er somit, so sagt er, erreicht. Doch was denkt dieser Mann, der sich jahr­zehntelang mit Kunst und dem Handel damit auseinandergesetzt hat, heute darüber? Wie lässt sich der Kunstmarkt seiner Meinung nach besser gestalten? Und was muss ein Künstler laut Wolfgang Beltracchi können?

Wir haben ihn besucht – und nachgefragt. An seiner Seite war, wie schon seit 26 Jahren, seine Frau Helene Beltracchi. Die beiden führten mit uns ein Gespräch über den Handel mit bzw. den Charakter, die Essenz und die Zukunft der Kunst.

Sie haben den Kunsthandel oftmals kritisiert und die Schwächen des Marktes offengelegt. Wie würden Sie sich denn den Kunsthandel wünschen, wenn Sie dürften?
WB: Das hat mich noch nie einer gefragt.

HB: Fairer für alle Künstler.

WB: Vor allem für junge Künstler. Man muss aber erst mal wissen, wie der Kunsthandel funktioniert, um das zu verstehen. Der Kunsthandel ist keine so große Geschichte, wie man oft denkt. Das Volumen liegt weltweit vielleicht bei 50 Milliarden US-$. Das ist nicht so viel. Deshalb wird der Handel von ganz wenigen Leuten dominiert – und das ist es, was mich stört. Unten fängt es ja noch harmlos an, da gibt es viele kleine Galerien, die sich um Künstler kümmern und versuchen, deren Werke zu verkaufen. Diese Galeristen und Künstler verdienen wenig, das sind aber die, die am meisten Arbeit und Zeit investieren.

HB: Dann kommt der große Zwischenbau: qualitativ etwas hochwertigere Ware, etablierte Kunst, aber meistens nicht die ganz großen Künstler – oder wenn, dann nur deren Nebenprodukte. Da gibt es zwar Umsätze, aber die Akteure verdienen maximal ihren Lebens­unterhalt. Das ist alles noch normaler Handel. Dann kommen aber die großen Galerien, die gutes Geld verdienen. Und darüber kommt die hoch­gejubelte Kunstelite, die sich den Markt teilt und richtig Geld verdient.

WB: Das sind vielleicht ein oder zwei Dutzend Personen weltweit.

HB: Was das Ganze aber so schrecklich macht, ist, dass sich der Handel gleichzeitig nur noch auf wenige Künstler fokussiert. Das ist eine Monopolgesellschaft, und daran wird verdient. Die in diese Gesellschaft aufgenommenen Künstler produzieren ein gigantisches Volumen.

WB: Das sind alles „Factories“. Da gibt es welche, die haben nicht mal mehr einen Zeichentisch im Büro stehen, aber Dutzende Kunstarbeiter auf der Lohnliste.

HB: Es bräuchte also einen Me­chanismus, wie dieses Geld auch an jene verteilt werden kann, die es so schwer haben

Haben diese wenigen Personen, ganz oben zu viel Macht?
WB: Früher standen in den Ranglisten der einflussreichsten Personen am Kunstmarkt ganz oben vor allem Künstler. Heute sind die ersten 40 Plätze von Kunstmachern belegt. Das sind die Leute, die bestimmen, wer nach oben kommt. Quasi: „Aus dir machen wir etwas – oder nicht.“ Und das hat überhaupt nichts mit guter oder schlechter Kunst zu tun.

Womit hat es denn dann zu tun?
WB: Kunst hat keinen Wert, Kunst ist ja eine Fiktion. Man verkauft ein Bild für 1.000 CHF oder für eine Million CHF. Niemand kann sagen, ob das Bild seinen Preis auch wert ist. Der Unterschied besteht nur darin, dass jemand bereit ist, dafür so viel Geld zu bezahlen.

Was wiederum mit Angebot und Nachfrage zu tun hat …
WB: Das Angebot für die gehobene Kunstgesellschaft kann ein normaler Künstler aber nie schaffen. Wenn ich wirklich viel arbeite, kann ich in einem Jahr vielleicht 25 Bilder verkaufen. Wenn aber jemand auf dem Weltmarkt malt, benötigt dieser Künstler zwischen 200 und 500 Werke – beispielsweise jemand wie Ai Weiwei (chinesischer Künstler, Anm.). Solche Künstler sind keine Millionäre mehr, das sind angehende Milliardäre. Und daran verdienen natürlich andere mit. Und da irgendjemand diese Kunst herstellen muss, gibt es eine Menge Leute in diesen Factorys, die die Werke herstellen, der Künstler signiert nur noch, fertig. Egal, ob das jetzt Damien Hirst, Jeff Koons oder Takashi Murakami ist: Es ist immer das gleiche Spiel.

Sollten Künstler ihre Werke direkt verkaufen?
HB: Man kann den meisten ­Künstlern nur empfehlen, dass sie ihr eigenes Marketing aufbauen. Das ist heute eben die große Chance, sich selbst weltweit zu vernetzen. Aber das ist unendlich aufwendig – und die meisten Künstler sind sowieso nicht die großen Marketers.

WB: Es gibt Millionen Künstler weltweit, aber die sind heute nicht mehr gut ausgebildet, haben die Fähigkeiten nicht. Und dann wird es pro­blematisch, denn die sind irgendwann alle arbeitslos und müssen sich bestenfalls als Kunstarbeiter durchschlagen.

Welche Rolle spielen die Auktionshäuser?
WB: Die gehören mit dazu. Die spielen heute nicht mehr die gleiche Rolle wie früher, denn damals verkauften die Händler noch direkt an ihre Kunden. Heute gehen die Kunden aber direkt bei den Auktionshäusern einkaufen, Kunstauktionen sind zum Einzelhandel geworden.

HB: Dadurch sind die Preise eben auch exorbitant gestiegen.

WB: Und die Auktionshäuser sind natürlich auch schlau, denn die mischen sich in den Handel ein. Die akquirieren Kunden, beteiligen sich an Verkäufen et cetera.

Zu welchen Prozentsätzen beteiligen sich die Häuser an den Kunstwerken?
HB: Etwa 25 bis 30 Prozent.

Lässt sich denn überhaupt ein Markt aufbauen um etwas, das keinen inneren Wert hat?
HB: Die Frage ist: Was will ich haben? Und nicht: Was will mir jemand einreden, das ich kaufen soll? Man könnte die Machtverhältnisse am Kunstmarkt verändern, indem etwa die Sammler an sich arbeiten und sich von den „Beratern“ emanzipieren, die ihnen einflüstern, was Kunst ist und was man kaufen soll.

Sie bezeichnen Ihre Fähigkeit, Bilder mit den Augen anderer zu malen, immer als „genetischen Defekt“. Wieso?
WB: Na ja, normal ist das nicht. (lacht) Das Maximale, was ich von mir behaupten würde, ist, dass ich ein seltenes Talent habe, die Handschriften der Maler zu sehen und wiedergeben zu können, also neue Gemälde in den Handschriften zu malen. Ich habe mich zudem intensiv mit den Künstlern beschäftigt – ich weiß sogar, was die gegessen haben.
Ist das auch etwas, das im heutigen Markt fehlt – Wissen über die Künstler, den Kontext?

WB: Das fehlt extrem. Für mich besteht Kreativität immer aus Können und Wissen. Das Können muss man erlernen wie ein Handwerk, das Wissen muss man sich aneignen. Beides zusammen ergibt ­Kreativität, und aus Kreativität kann Kunst entstehen. Sonst kann man auch einem Schimpansen einen Pinsel geben. Bei Musikern ist das etwas anders; wenn sich da jemand ans Klavier setzt, der nicht spielen kann, wird er ausgelacht. In der Kunst wird das einfach hingenommen.

Dieser Artikel ist in unserer Oktober-Ausgabe 2018 „Handel“ erschienen.

Klaus Fiala,
Chefredakteur

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