Verspielte Berater

Die Roland Berger Holding GmbH arbeitet schon länger an Lösungen, um die eigenen Kunden in die digitale Welt zu begleiten. Das Spielfeld in Berlin ist dafür ein Positivbeispiel.

Eine Fabrik, abseits von Trubel und Stadttreiben, und dennoch mitten in Berlin-Kreuzberg. Dass man hier nicht in ein Verpackungszentrum der Deutschen Post, sondern ein Büro des Beratungsunternehmens Roland Berger und des Kreditkartengiganten Visa spaziert – das eine ein Riese in der Beraterbranche, das andere das größte Kreditkartenunternehmen der Welt –, würde man auf den ersten Blick nicht vermuten. Denn der Standort des „Spielfeld Digital Hub“ ist abgeschieden, der „Look and Feel“ des Gebäudes erinnert an die Start-up-Szene. Das Gefühl setzt sich beim Eintreten fort: Direkt neben dem Eingang findet sich eine Bar, davor wartet ein Tischtennistisch auf Spielfreudige. Dass das kein Zufall ist, erzählt Spielfeld-Leiter Tobias Rappers gleich bei der Begrüßung: „Mitarbeiter unserer Kunden ziehen hier am Spielfeld für einige Wochen oder Monate ein.“

Das soll einen Kulturwechsel bewirken und Großkonzerne innovativer und agiler machen. Das Spielfeld ist ein gemeinsames Projekt von Roland Berger und Visa und soll als physische Fläche eine Plattform bilden, wo sich die alte mit der jungen Wirtschaft trifft, um Lösungen zu finden. Lösungen, die vor allem wegen digitaler Umwälzungen auf Unternehmen zukommen und ein Umdenken erzwingen. Während Visa eher an eigenen Innovationen tüftelt, nutzt Roland Berger den Ort, um eigenen Kunden „Beratung auf einer anderen Stufe anzubieten“, wie Stefan Schaible, stellvertretender CEO von Roland Berger, erklärt.

Es ist weder die erste noch die einzige Initiative des Münchner Hauses, in die digitale Welt vorzustoßen. Unter Führung von CEO Charles-Édouard Bouée launchte Roland Berger die digitale Plattform „Terra Numerata“, die als Plattform Start-ups, Technologieunternehmen, Venture Capitalists und die Wissenschaft zusammenbringen soll. Das Spielfeld ist einer der erfolgreicheren dieser Vorstöße, andere, etwa eine geplante Kooperation mit Rocket Internet, scheiterten. Doch wie genau funktioniert das Spielfeld? Welche Konfliktpotenziale entstehen dadurch in Großunternehmen? Und wie unterscheidet es sich von ähnlichen Bemühungen anderer Beratungshäuser?

Was ist die Idee hinter dem Spielfeld?
TR: Das Spielfeld ist eine relativ junge Initiative, wir sind hier vor rund 1,5 Jahren gestartet. Das Ganze ist aus der Logik von Roland Berger geboren, die sich auch im Terra-Numerata-Netzwerk zeigt. Die Initiative basiert auf der Erkenntnis, dass Kunden neue Antworten und Wege brauchen, um sich dem Thema Digitalisierung zu nähern. Das ist in den letzten Jahren ein Top-Thema für CEOs. Und es nimmt rasante Geschwindigkeit auf, rüttelt Industrien durch und zieht Wertschöpfungsketten auseinander. Dieses Verständnis kann man nicht im Internet nachlesen oder sich aus Fachbüchern erarbeiten. Man muss sich mit Personen vernetzen, die in Sachen Innovationen ganz vorne sind. Vor allem, weil neue Themen mit riesigem Disruptionspotenzial wie künstliche Intelligenz, Blockchain oder Augmented und Virtual Reality gerade erst am Anfang stehen. Und genau das tun wir hier: Wir vernetzen uns mit Innovatoren, Experten, Start-ups und Großunternehmen, um ein gemeinsames Verständnis über die Zukunft zu bekommen. Denn komplexe Organisationen sind nicht mehr nur dazu gemacht, effizient zu sein – sie müssen crossfunktional denken und wieder stärker vom Kunden aus agieren.
StS: Eine Beratung unserer Größe und Reputation muss beim Digitalisierungsthema eine führende Rolle einnehmen. Wir haben deshalb sehr genau überlegt, was und wie wir das tun. Unsere Wettbewerber finanzieren Start-ups, andere gründeten Technologie-Labs. Doch was ist die Value Proposition?
Wir wollen eine katalytische Funktion einnehmen und Kräfte freisetzen, damit unsere Kunden am Ende selbst tragende Digitalisierungsstrategien umsetzen können. Wir bleiben schließlich nicht ewig beim Kunden, sondern setzen Impulse. Das Spielfeld ist ein Instrument von Roland Berger in diesem Kontext mit drei Elementen: Erstens ist es eine physische Infrastruktur, ein Freiraum für unsere Kunden, wo sie gemeinsam mit uns – ohne laufende Belastungen aus dem alltäglichen Geschäft– neue Digitalisierungskonzepte entwickeln können. Eine zweite Dimension ist, konkrete Projekte umzusetzen. Beispielsweise eine neue Banking-App, die das zuständige Team dann nicht in 14 Monaten und mit riesigem IT-Budget umsetzt, sondern mithilfe eines agilen Projektmanagements in zwei Monaten. Drittens machen wir hier vor Ort Trainings, etwa für verschiedene DAX-Unternehmen, wo deren Führungskräfte einen unternehmensspezifischen „Digital-Führerschein“ machen, um den Herausforderungen der Digitalisierung begegnen zu können.

Stefan Schaible

Stefan Schaible
Schaible studierte Chemie und Rechtswissenschaften in Konstanz. Seine Karriere bei Roland Berger startete 1997, vier Jahre später wurde er Partner bei dem Beratungsunternehmen. Schaible fokussierte sich auf Beratungen im öffentlichen Sektor und leitete bis 2014 das International Civil Economics, Energy & Infrastructure Competence Center. Seit 2014 ist Schaible stellvertretender CEO und in dieser Rolle neben Deutschland auch für die Schweiz, Osteuropa sowie die CIS-Staaten zuständig.

Sie holen also Mitarbeiter aus den jeweiligen Unternehmen heraus, damit sie hier vor Ort arbeiten?
TR: Ja. Die Kundenmitarbeiter ziehen ins Spielfeld ein, beispielsweise für den Zeitraum eines Projekts von zehn bis zwölf Wochen. Wir bauen hier crossfunktionale Teams, bei denen die relevanten Funktionsbereiche dabei sind, etwa IT, Produkt, Legal, Vertrieb etc. Und bringen sie mit Umsetzungsexperten für UX-Design, SEM/SEO, Design Thinking sowie Innovatoren zusammen. Wir als Berater begleiten Kunden auf diesem Weg.

Haben Sie einen Branchenfokus, etwa Fintech, auch hinsichtlich Ihres Partners Visa?
StS: Nein. Die Zusammenarbeit mit Visa ist ohne engen Fokus auf die Finanzbranche aus einem gemeinsamen Projekt entstanden, wo wir merkten, dass wir ähnliche Ansätze verfolgen. Aber es gibt natürlich eine gewisse Branchenabfolge, da der Druck der Digitalisierung unterschiedlich ist. Und da wir als strategisch ausgerichtete Beratung bei denen sind, die vorne dabei sind, ist es derzeit natürlich verstärkt die Automotive-Branche, die wegen Themen wie Shared bzw. E-Mobility unter Druck ist. Dazu kommt jener Bereich, der bei uns „Engineered Products/Hightech“ heißt, also Maschinenbauer und Anlagenproduzenten. Und natürlich die Finanzindustrie, deren Produkte vollständig digitalisierbar sind und die wegen Negativzinsen und Margenerosion bedroht ist. Nach und nach kommen aber alle. Das Coole ist, dass sich die Offenheit und Erkenntnis, dass da etwas gemacht werden muss, hierzulande radikal verändert hat.

Wie funktioniert die Kooperation zwischen Roland Berger und Visa genau?
StS: Es ist eine gleichberechtigte Partnerschaft. Doch was Roland Berger hier macht, ist natürlich etwas anderes, als was Visa macht. Visa treibt eigene digitale Aktivitäten und Innovationen voran, wir beraten unsere Kunden.

Wie funktioniert das Geschäftsmodell?
TR: Das Spielfeld bietet eine Infrastruktur zum kreativen Arbeiten, an dem sich jedes Unternehmen andocken kann, sowie ein Netzwerk zu den innovativsten Akteuren der Digitalisierung. Und eben ein Vehikel für Roland-Berger-Beratungsprojekte. Das Geschäftsmodell von Roland Berger hat sich nicht fundamental geändert, sondern bietet mit dem Spielfeld einen „winning edge“ gegenüber Konkurrenten. Wir nutzen das Spielfeld hier als Ergänzung zum Beratungsgeschäft.

Welche konkreten Projekte sind aus dem Spielfeld bereits entstanden?
TR: Wir hatten 2016 15 Unternehmen, die zu 100 Prozent der Spielfeld-Philosophie gefolgt sind und ihre Mitarbeiter hierhergeschickt haben. Damit waren wir mit unseren Flächen auch ausgebucht. Dabei waren eine führende Bank, die eine Applikation für die Absicherung ihrer Kundenschnittstelle gelauncht hat, oder ein Chemieunternehmen, das ein neues B2B-Geschäftsmodell aufgebaut hat. Hinzu kommt aber auch ein kultureller Beitrag: Wie kann ich Innovation in meinem Unternehmen vorantreiben? Statt: Ich kaufe ein Start-up ein.
StS: Wenn es um Berührungspunkte mit Unternehmen geht, die das Spielfeld genutzt haben, waren es im Vorjahr wohl weit über 200.
TR: Es waren insgesamt 240.

Ist das Spielfeld eine eigenständige Zelle, die sich finanziell tragen muss? Und: Gibt es Kunden, die nur aufs Spielfeld kommen – und sonst nicht bei Roland Berger sind?
StS: Das Spielfeld muss sich tragen, was es auch tut. Und es gibt schon Projekte wie die erwähnten 15, die wir nur im Spielfeld umsetzen. Doch die Idee ist nicht, dass das Spielfeld unser Geschäft ablöst oder substituiert. Es hat vielmehr eine katalytische Funktion, um Beratung auf einer anderen Stufe anzubieten. Unser Ansatz ist auch eine bewusste Abgrenzung zu Konkurrenten wie Boston Consulting Group oder McKinsey. Wir wollen den Kunden über Strategieentwicklung und exemplarische Exekution befähigen, die digitale Transformation zu stemmen. Unsere Wettbewerber gehen stärker in die Implementierung.
TR: Derzeit fangen viele Corporates an, Akzeleratoren oder Inkubatoren zu gründen. Die Idee dabei ist meist, innovativ zu sein und gemeinsam mit Start-ups eine eigene Einheit zu gründen. Dazu werden Externe geholt, die sie aufbauen, in der dann auch gute Ideen entstehen. Das Problem ist aber, dass diese externe Organisation an Geschwindigkeit aufnimmt – was sie muss – und sich dadurch von der Kernorganisation entfernt. Es fehlt meist an einem gesteuerten Rücktransfer in die Organisation sowie einer Kultur, die diese Innovationen aufnimmt. Meiner Meinung nach ist das eines der Probleme, warum externe Organisationen von Corporates oft nicht funktionieren.

Tobias Rappers rechts

Tobias Rappers (rechts im Bild)
Den Betriebswirt Rappers verschlug es bereits während des Studiums zu Roland Berger. Es folgten kürzere Engagements beim Beratungsunternehmen BBDO und als ,,Entrepreneur in Residence" beim E-Commerce-Start-up Rebate Networks, bevor er wieder bei Roland Berger andockte. Nach vier Jahren als Projektmanager wechselte Rappers im Jänner 2016 als Leiter in die neu gegründete ,,Spielfeld Digital Hub GmbH" in Wien.

Sind diese Erkenntnisse auch aus eigenen Fehlern entstanden? Roland Berger wollte 2014 ja gemeinsam mit Rocket Internet selbst einen Inkubator gründen.
StS: Richtig ist, dass wir mit großer Offenheit Verschiedenes ausprobiert haben. Denn auch Berater haben die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen. Und die Internet Economy zeichnet sich dadurch aus, dass es viele Möglichkeiten und nicht nur die eine Lösung gibt.

Aber es ist doch ein weiter Weg von der Start-up-Schmiede Rocket Internet hin zum riesigen Corporate Visa als Partner für den Weg in die Digitalisierung, oder?
StS: Ich sehe das nicht alternativ. Das Ziel war es, unsere klassischen Kunden mit den Start-ups zusammenzubringen. Und das haben wir im Spielfeld geschafft, aber auch mit der guten Kooperation und unserer Beteiligung am französischen Inkubator Numa. Wir haben 15 oder 20 verschiedene Ini­tiativen angeschoben – und ich finde es gar nicht schlimm, dass da nicht immer alles klappt. Es gehört zur New Economy dazu, dass einige Dinge nicht funktionieren. Hier müssen wir ja gerade in Deutschland an unserer Kultur etwas ändern und mutiger sein.

Gibt es Elemente aus der Start-up-Kultur, die Sie nicht unbedingt in Großunternehmen implementieren würden?
StS: Es gibt natürlich massive Unterschiede. In klassischen Unternehmen muss ich ja immer das Kerngeschäft weiterführen. Das Denken muss zwar offener werden – es muss auch mal etwas schiefgehen können – aber die grundlegende Philosophie von Start-ups, alles auf eine Karte zu setzen, ist in Großunternehmen oft nicht möglich. Dass es in Großunternehmen aber häufiger flachere Hierarchien und eine offenere Diskussionskultur geben sollte, ist auch klar. Aber was für Großunternehmen nutzbar ist und was nicht, muss genau angesehen werden. Unser Vorteil: Wir kennen die Druckpunkte der Großen und die Stärken der Start-ups genau. Die Frage ist: Wie führt man beide zueinander? Was kann ein Fintech unreguliert tun? Und wie passt es dann zu einer Bank, die ein ganz anderes regulatorisches Umfeld hat? Was passt – und was nicht?
TR: Wir beraten auch Tech-Unternehmen. Und zwar zu ganz klassischen, „langweiligen“ Themen, etwa: Wie können wir Prozesse strukturieren? Und die Großen wollen so agil und schnell wie diese Unternehmen sein.

Gibt es Überlegungen, auch an anderen Orten ein Spielfeld zu eröffnen?
StS: Ja. Wir überlegen, in Deutschland, aber auch international die Ansätze aus dem Spielfeld zu übertragen.

International heißt Europa?
StS: Nein, international kann auch Asien, etwa Singapur, heißen. Wir haben einen stark europäisch-asiatischen Footprint. Inhaltlich tragen wir das Konzept jedenfalls in die Welt und werden weitere Hubs haben, die hinzukommen.

Dieser Artikel ist in unserer Mai-Ausgabe 2017 „30/30“ erschienen.

Klaus Fiala,
Chefredakteur

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