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Quasi aus dem Nichts schaffte Kate Wang den Sprung auf die Forbes Billionaires List. Nach dem Börsengang ihres Vaping-Unternehmens RLX Technology muss die Chinesin nun jedoch um ihr Milliardenvermögen kämpfen – denn die chinesischen Regulierungsbehörden sowie skeptische Investoren machen ihr zu schaffen.
Am 22. März brachen die Aktien des chinesischen Vaping-Unternehmens RLX Technology um satte 54 % ein. Die Marktkapitalisierung des seit Kurzem börsennotierten chinesischen Start-ups reduzierte sich daraufhin um mehr als 16 Milliarden US-$. Nachdem in China zwei Regulierungsbehörden Gesetze angekündigt hatten, die E-Zigaretten als Tabakprodukte klassifizieren könnten, reagierten Anleger nervös. Bislang war Vaping in China kaum reguliert – die angekündigten Vorschriften aber haben der seit Januar an der New Yorker Börse gehandelten Aktie einen gehörigen Schlag verpasst. Damit kommt zur verrückten Geschichte des Unternehmens ein weiteres aufsehenerregendes Kapitel hinzu: RLX, das innerhalb von drei Jahren aus dem Nichts zur größten E-Zigarettenmarke in China aufstieg, katapultierte vier Mitgründer 2021 auf die Forbes Billionaires List. Unter ihnen ist auch CEO Kate Wang, eine von rekordverdächtigen 57 Selfmade-Milliardärinnen aus China. Am Tag des Börsengangs war sie dank ihres 20-%-Anteils an RLX schlagartig 9,1 Milliarden US-$ schwer; aktuell liegt ihr Vermögen bei einem Drittel davon, konkret bei 2,9 Milliarden US-$. Von den Kursschwankungen gibt sie sich jedoch unbeeindruckt: „Das stört mich nicht“, sagt sie zu Forbes, „ich konzentriere mich lieber auf meine Arbeit und löse Probleme.“
Und tatsächlich hatte Wang eine Menge Herausforderungen zu bewältigen, um RLX von einer Idee im Jahr 2017 zu jenem Giganten zu machen, der laut dem Beratungsunternehmen China Insights Consultancy mehr als 60 % des gerade aufblühenden chinesischen E-Zigaretten-Marktes erobert hat. Trotz des wachsenden Misstrauens von Regulierungsbehörden und einer globalen Pandemie, in der Vaper und Raucher einem höheren Risiko ausgesetzt sind, wuchs der Umsatz von RLX im Jahr 2020 um 147 % auf 585 Millionen US-$ – im ersten Jahr, 2018, lagen die Einnahmen erst bei 19 Millionen US-$. Dabei hat der Markt noch viel Potenzial: Nur etwas mehr als 2 % der 308 Millionen Raucher in China verwenden E-Zigaretten. Ein Vergleich: In den USA ist es ein Drittel der 34 Millionen Raucher.
Doch es stehen noch einige Herausforderungen bevor: Analysten skizzieren eine Reihe möglicher Szenarien, von einer Verbrauchssteuer, die mit ziemlicher Sicherheit kommen, aber wahrscheinlich keinen großen Einfluss auf RLX haben wird, bis hin zu einem staatlich kontrollierten Lizenz- und Quotensystem, das weniger wahrscheinlich ist, aber den Umfang des Marktes für RLX drastisch reduzieren würde. „In der traditionellen Tabakindustrie werden das Verkaufsvolumen und die Preise für Zigaretten alle von China Tobacco festgelegt“, sagt Charlie Chen, Leiter der Verbraucherforschung bei der Pekinger Investmentfirma China Renaissance. „Wenn dies auf E-Zigaretten angewandt wird, wird sich das negativ auf die Bewertung von E-Zigaretten-Firmen auswirken. Das ist aber sehr unwahrscheinlich“, so Chen. Und auch Wang lässt sich davon nicht einschüchtern: „Ich bin nicht Superwoman“, sagt sie, „aber Probleme beflügeln mich.“
Kate Wang wuchs in der zentralchinesischen Stadt Xi’an, der Heimat der berühmten Terrakottakrieger, auf und ging auch dort zur Schule. Nach dem Abschluss ihres Finanzstudiums an der Jiaotong-Universität Xi’an heuerte sie als Management-Trainee beim Konsumgüterriesen Procter & Gamble in Guangzhou an. Drei Jahre lang war sie als Projektmanagerin in der Schönheits- und Körperpflegebranche tätig, bevor sie nach Hongkong ging, wo sie eine kleine Investmentfirma mitgründete. Doch die rastlose Wang blieb nicht lange dort: Bis 2011 lebte sie dann in New York, um an der Columbia Business School einen MBA zu machen. „Ich war überwältigt von den Möglichkeiten, die sich mir in New York boten“, so Wang. „Es war so anders als in Xi’an; es verschaffte mir eine ganz andere Denkweise.“
Ich bin nicht Superwoman, aber Probleme beflügeln mich.
Im Jahr 2017 waren E-Zigaretten in den USA allgegenwärtig: Das in San Francisco ansässige Unternehmen Juul Labs hatte gerade erst über 100 Millionen US-$ an Risikokapital erhalten. In China benutzten damals lediglich 0,5 % der mehr als 300 Millionen Raucher Vaporisatoren. Wang selbst rauchte gelegentlich – was sie aber tatsächlich belastete, war, dass ihr Vater zwei Packungen Zigaretten am Tag rauchte und seiner Gesundheit zunehmend schadete. Sie wandte sich E-Zigaretten zu. „Ich habe alle Produkte ausprobiert, die meisten waren schrecklich“, sagt sie heute. Es dauerte daher nicht lange, bis Wang ihre Chance erkannte und sich selbstständig machte. Wang sah Chinas Massen an Rauchern – viele von ihnen bereits älter, viele willens, mit dem Rauchen aufzuhören. Sie beschloss, eine Marke zu entwickeln, die ihr auch als Kundin gefallen würde. „Die Lösung sollte etwas anderes sein, als nur meinen Vater zum Aufhören zu zwingen“, erinnert sie sich. Sie war damals beim Uber-Rivalen Didi tätig, kündigte jedoch. Sie rekrutierte fünf ihrer Kollegen für ihr neues Unternehmen, das im Januar 2018 an den Start ging.
Jene, die sich ihr anschlossen, wurden schließlich reich: David Jiang, der den Vertrieb von RLX in China leitet, hat heute ein Nettovermögen von 1,3 Milliarden US-$. Wen Yilong, ein weiterer Ex-Didi-Kollege Wangs, verantwortet die Lieferkette und die Produktentwicklung und ist 870 Millionen US-$ schwer. Du Bing, der mit Wang nicht nur bei Didi arbeitete, sondern auch beim P&G-Rivalen Unilever war, ist CEO von RELX International – einer separaten Einheit, die RLX-Produkte in Übersee verkauft; er verfügt über ein Nettovermögen von rund 370 Millionen US-$. Tony Tang, Leiter des Marketings, sowie Yang Yangzi, Leiter von Strategie und Wachstum, vervollständigen das Gründerteam.
Um das Unternehmen auf den Weg zu bringen, setzten sie zunächst auf Crowdfunding auf JD.com – insbesondere, um schon früh Käufer zu finden. Im Juni 2018 folgte eine Startfinanzierung von IDG Capital und der Pekinger Venture-Capital-Firma Source Code Capital in der Höhe von rund sechs Millionen US-$. Das Verkaufsargument war einfach: schlanke, einfach zu bedienende Verdampfer in verschiedenen Geschmacksrichtungen, die auf Chinas große Gruppe älterer Raucher abzielten. Das Unternehmen stellte junge Hochschulabsolventen ein und präsentierte sich als Tech-Start-up, das Komponenten für seine Geräte von Partnern wie Smoore bezog, dem weltgrößten Hersteller von Vaping-Geräten. Smoore stellte 2019 mehr als 70 % der RLX-Produkte her, Gründer Chen Zhiping ist ebenfalls frischgebackener Milliardär. Zu dieser Zeit war der Vaporisatoren-Markt in China fast vollständig unreguliert und RLX wuchs rasant. In der ersten Jahreshälfte 2019 hatte das Unternehmen bereits fast die Hälfte des chinesischen Vaping-Marktes erobert.
Im April 2019 sicherte man sich dann 75 Millionen US-$ in der Serie-A-Runde. Unter den Investoren waren Sequoia China und der Milliardär Yuri Milner. Im September 2019 eröffnete RLX eine Fabrik in Shenzhen, in der mehr als 4.000 Arbeiter an der Herstellung von Geräten arbeiten. Es lief aber nicht alles glatt: Im Oktober 2019 verboten chinesische Regulierungsbehörden den Onlineverkauf von E-Zigaretten, um den Konsum bei Minderjährigen einzudämmen – eine Maßnahme, die 20 % des Geschäfts von RLX zunichtemachte. Also schwenkten Wang und ihr Team um: Im Januar 2020 eröffneten sie einen Flagship-Store in Shanghai (heute betreibt das Unternehmen mehr als 5.000 Shops in 250 Städten in China) und installierten ID- und Gesichtserkennungs-technologie, um zu verhindern, dass Minderjährige bei RLX einkaufen.
Mehr als ein Jahr später muss Wang nun ihre Investoren davon überzeugen, dass die chinesische Regierung nicht die Kontrolle über die E-Zigaretten- Industrie an sich reißt. Zu diesen Bedenken trägt auch der Holding Foreign Companies Accountable Act bei, den der damalige US-Präsident Donald Trump im Dezember 2020 in Kraft setzte. Demnach können die USA ausländische Unternehmen, die an US-Börsen notieren, delisten – das aber nur in dem Fall, dass diese sich weigern, sich von einer Behörde der US-Finanzmarktaufsicht SEC, dem Public Company Accounting Oversight Board (PCAOB), alle drei Jahre prüfen zu lassen. Es ist eine Praxis, die derzeit von der chinesischen Regierung gemieden und von der großen Mehrheit der in den USA gelisteten chinesischen Firmen ignoriert wird – auch von Alibaba.
Die Zeit spricht jedoch für RLX: Es könnte bis zu zwei Jahre dauern, bis die chinesischen Behörden die Vaping-Vorschriften verschärfen; die SEC ist vermutlich auch noch Jahre davon entfernt, Verstöße gegen das neue Gesetz durchzusetzen. Mit einem Crosslisting in Hongkong nach dem Vorbild von Alibaba könnte RLX dem zudem ausweichen. In der Zwischenzeit hat sich Chinas Vaper-Zahl 2020 bereits verdoppelt und wird sich bis 2023 auf 10 % der Raucher vervierfachen. Das sind 31 Millionen Menschen – und ebenso viele potenzielle RLX-Kunden. Im schlimmsten Fall müsste Wang mit Hürden im eigenen Land und einem Delisting in den USA umgehen. Doch im Moment boomt das Geschäft, und die 39-jährige Milliardärin scheint zuversichtlich, dass sie RLX zu immer neuen Höhen führen kann.
Text: Giacomo Tognini, Forbes US
Foto: Stefen Chow, Forbes US, VCG/VCG via Getty Images
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 4–21 zum Thema „Geld“.