Think big, Start small

Laura Stocco hat Großes vor: Mit Openversum will sie Millionen von Menschen in Lateinamerika und Afrika mit sauberem Trinkwasser versorgen. Parallel dazu sollen durch Mikrofranchising Tausende Jobs für lokale Unternehmer geschaffen werden. Openversum selbst aber startet klein – mit einem Kernteam von drei Mitgründern.

Die in Genf geborene Umweltingenieurin Laura Stocco, zusammen mit Oliver Gröninger und Lorenzo Donadio Mitgründerin von Open­versum und CMO des Unternehmens, schaltet sich für das Gespräch mit Forbes DA aus Indien zu. Sie ist dort, um das Marktpotenzial des Landes zu analysieren und Ideen für leicht skalierbare Vertriebsmodelle zu sammeln, die in Ländern in südlichen Regionen erfolgreich sein könnten. In ihrem Kalender stehen der Bengaluru Tech Summit sowie zahlreiche Treffen mit unterschiedlichen Start-ups; nächste Woche plant Stocco gemeinsam mit weiteren NGOs, die sich für den Zugang zu sicherem Wasser einsetzen, verschiedene Dörfer zu besuchen.

In Europa, wo der Zugang zu sauberem Trinkwasser für die meisten Menschen selbstverständlich ist, bleibt die globale Wasserkrise oft unbemerkt – Statistiken von Unicef und der WHO zeigen aber, dass weltweit zwei Milliarden Menschen keinen Zugang zu ­sicherem Trinkwasser haben. Jährlich sterben 365.000 Kinder unter fünf Jahren an den Folgen von verseuchtem Wasser und mangelnder Hygiene.

Mit dem von Stocco und ihren Mitgründern entwickelten 25-Liter-Filtrationsgerät, das Krankheitserreger, Pestizide, Schwermetalle und Mikroverunreinigungen entfernt, zielt Openversum darauf ab, die Wasserqualität in jenen Gebieten zu verbessern, in denen das am dringendsten benötigt wird – insbesondere in Lateinamerika und Afrika. Dabei setzt die NGO auf Mikrofranchising als Geschäftsmodell: An­statt seine Filter selbst zu vertreiben, stellt Openversum den Menschen vor Ort das Mate­rial und das Wissen dafür zur Verfügung, dass sie diese selbst montieren und warten können.

Bei der Entwicklung des Filters legte das Team den Schwerpunkt auf Umweltfreundlichkeit, Lösemittelfreiheit und einen kosten­­güns­tigen Einsatz. Der Filter selbst funktioniert rein mit Schwerkraft, er benötigt daher keine Energie; und auch die Technologie sei an sich nichts Neues, so die CMO: „Es gibt viele Wasser­reinigungstechnologien auf dem Markt“, sagt Stocco, „aber Milliarden von Menschen haben immer noch keinen Zugang zu sauberem Wasser.“ Das eigentliche Problem sei die Zugänglichkeit: Die Ingenieure neigen dazu, „eine Menge Spaß mit ihrem Produkt zu haben und die Menschen zu vergessen, die es tatsächlich benutzen werden“, so Stocco, die selbst Ingenieurin ist. Openversum konzentriert sich daher darauf, diese Technologie so vielen Menschen wie möglich zugänglich zu machen. Dies will das Unternehmen durch Mikro­franchising erreichen. Aber warum nicht ein­fach Gratis-Filter an jene verteilen, die sie brauchen? Oder einfach nur das Geld dafür zur Verfügung stellen? Wäre das nicht effektiver?

Der US-amerikanische Ökonom Jeffrey Sachs argumentiert hier, dass Armut effektiv beseitigt wäre, wenn reichere Länder zwischen 2005 und 2025 jährlich etwa 195 Mrd. US-$ an Entwicklungshilfe bereitgestellt hätten bzw. bereitstellen würden. Solche Hilfen könnten insbesondere wegen der sogenannten „Armutsfallen“ wirksam sein: Arme Länder bleiben oft arm, weil sie unter schwierigen klimatischen Bedingungen leiden, viele unfruchtbare Böden aufweisen und darüber hinaus auch noch teils abgeschieden liegen. Diese Faktoren er­schweren es, etwas ohne erhebliche Anfangs­investitionen zu produzieren, aber genau diese Inves­titionen könnten sich arme Länder nicht leisten, so Sachs.

Auf der anderen Seite argumentiert William Easterly, einer der einflussreichsten Gegner von Auslandshilfen, dass solche Maßnahmen mehr Schaden anrichten, als sie nutzen würden. Sie hindern laut ihm Menschen daran, eigene Lösungen zu suchen, untergraben lokale Institutionen und fördern die Lobby der Hilfs­organisationen. Easterly zufolge gibt es keine „Armutsfallen“ – die einzige Lösung gegen Armut seien freie Märkte und die rich­tigen Anreize, damit Menschen ihre Probleme selbst lösen können.

Laura Stocco stimmt weder dem einen noch dem anderen zur Gänze zu. Für sie ist die Vorstellung, dass arme Länder arm sind, weil ihr Land nicht fruchtbar ist, zu eindimensional gedacht. „Das sind nämlich häufig sogar Länder, die über erhebliche natürliche Ressourcen ver­fügen“, sagt sie. Easterlys Hypothese entgegnet sie Folgendes: „Man kann noch so motiviert sein: Ohne Zugang zu Möglichkeiten wird man dennoch nichts erreichen können.“ Allerdings erkennt Stocco eine Abhängigkeit, die mit den allerbesten Absichten erzeugt wird: „Oft sind die ‚Kunden‘ der NGOs nicht die Nutznießer. Die NGOs jagen kurzfristigen Erfolgen hinterher, um die Geldgeber zu befriedigen, und übersehen dabei die langfristige Perspek­tive“, erklärt Stocco.

Hinzu kommt, dass NGOs oft global arbeiten und von Ort zu Ort wechseln. „Sie verbessern das Leben der Menschen für ein paar Monate, dann müssen sie die Region verlassen, um bei einer anderen Katastrophe zu helfen – und schon ist man an dem besagten ersten Ort wieder bei null“, so die Unter­nehmerin. Seine Produkte zu verschenken sei letzten Endes auch nicht nach­haltig. Stocco: „Wenn man Waren umsonst liefert, nimmt man den Menschen die Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und verdrängt die lokalen Marktakteure.“

Es gibt viele Wasser­reinigungstechnologien auf dem Markt, aber Milliarden von Menschen haben immer noch keinen Zugang zu sauberem Wasser.

Laura Stocco, Mitgründerin und CMO Openversum

Die Lösung, so Stocco, sei der Mittelweg – und sie denkt, diesen im Mikrofranchising gefunden zu haben. Sie möchte das Konzept aber noch einen Schritt weiterführen: „Wir wollen nicht, dass unsere Unternehmer nur Filter vertreiben; wir wollen ihnen beibringen, wie man einen Filter montiert und wartet, aber auch, wie man ein Unternehmen führt“, so Stocco. Open­versum arbeitet deshalb an einer Onlineplattform, die lokale Unternehmer mit Wissen zur Wasseraufbereitung, Anleitungen zur Herstellung von Filtern sowie Kursen zur Buchhaltung und beim Monitoring unterstützt. Ziel ist es, dass die Unternehmer Teil eines Netzwerks werden. „Wir wollen nicht nur mit Wasserexperten arbeiten“, sagt Stocco, „wir wollen auf Dauer Wasserexperten ausbilden.“

Openversum preist seine Filter wert­orientiert an, das heißt: In Kolumbien liegen die Produktionskosten des Wasserfilters bei rund 15 CHF, er wird für rund 20 CHF an Unternehmer verkauft, die ihn dann für rund 30 CHF weiterverkaufen. Der Filter ist ein Premium­produkt, aber „für die meisten Teile der länd­lichen Bevölkerung ist er sogar im Vergleich zu den weniger effizienten Filtern auf dem Markt zum selben oder einem niedrigeren Preis er­hältlich“, erklärt Stocco. „Es ist aber klar, dass sich die Ärmsten diese Investition nur schwer leisten können.“ Für diesen Fall werden Gutscheine angeboten, sagt sie.

Mikrofranchising ist auch der Weg, so schnell wie möglich zu skalieren. Die Idee, durch Direktverkäufe an der Haustür wiederkehrende Einnahmen zu generieren, reicht aus, „um den lokalen Betrieb aufrechtzuerhalten, aber nicht, um zu skalieren oder unser kleines Team in der Schweiz zu unterstützen.“ Der nächste Schritt könnten Einnahmen durch institutio­nelle Verkäufe sein. „Wir könnten NGOs, ESG-Fonds oder andere Initiativen mit Um­setzungspaketen versorgen und das Netzwerk, das Ökosystem und möglicherweise eine lokale Produktion aufbauen“, erklärt Stocco. „Für Sozialunternehmen wie unseres ist Ein­­kommensdiversifizierung entscheidend, da wir Produkte mit sehr geringen Gewinn­spannen an die ‚Base of the Pyramid‘-Bevölkerung verkaufen.“

Openversum will ein umfassendes Öko­system entwickeln, das möglicherweise auch Elemente wie eine dezentrale Abwasser­­­aufbereitung und Solartechnologie umfasst. Die Ambitionen sind hoch, aber das dreiköpfige Team steht vor einer Reihe von Herausforderungen wie komplizierten rechtlichen Rahmen­bedingungen, hohen administrativen Hürden und der allgemeinen Schwierigkeit, die Sichtweisen und Bedürfnisse der lokalen Bevölkerungen zu verstehen. „Stellen Sie sich vor, Sie bringen eine ausgezeichnete Technologie in ein indisches Dorf, aber die Dorfbewohner fragen: ‚Warum sollte ich das nutzen?‘ In solchen Fällen scheitert das gesamte Vorhaben.“ Diese Frage des Vertrauens sei entscheidend: Vertrauen die Menschen eher jemandem aus Europa, der mit einem 25-Liter-Wasserfilter ankommt, oder einem Nachbarn? Die Antwort sei nuancierter als „ein einfaches Entweder-oder“, so Stocco.

Ein paar Etappenerfolge hat das Unter­nehmen aber schon erreicht: So wurde Openversum im Rahmen der Global Freshwater Challenge des Weltwirtschaftsforums als „Top Innovator“ ausgezeichnet, hat mittlerweile mehr als 500 Nutzer gewonnen und wird von über 20 Unternehmern unterstützt. Die NGO selbst hat etwa 500.000 CHF aus Zuschüssen und Wandel­darlehen erhalten, hauptsächlich von der Schweizer Regierung und verschiedenen Universitätsinitiativen. Dennoch reicht das allein nicht aus. „Zu Beginn sind unsere Kosten hauptsächlich kapitalintensiv, ein typisches Merkmal von Sozialunternehmen“, erklärt Stocco. „Die laufenden Betriebs- und Wartungskosten sind im Vergleich geringer.“ Man sei naturgemäß stets auf der Suche nach Geld­gebern; weniger im Risikokapitalbereich, weil die jeweiligen Ziele nicht übereinstimmen. Andere Optionen wie Impact Investing würden sich in der Schweiz aktuell nicht ­wirklich ­an­bieten.

An Stillstand ist dennoch nicht zu denken: Das nächste Projekt steht nämlich bereits in den Startlöchern. Bald soll ein Pilotprojekt in Uganda beginnen, in Zusammenarbeit mit Get Water Uganda und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit.

Für die Zukunft wünscht sich Stocco, dass Openversum ein nachhaltiges und für alle zugängliches Lösungssystem für den Globalen Süden entwickeln kann; ein System, das den Gemeinschaften Selbstversorgung ermöglicht und die Kette der Abhängigkeit durchbricht. „Mein größter Traum ist es, in zehn Jahren nicht mehr dieselbe Aufgabe zu haben“, offenbart Stocco. „Ich träume davon, dass eines Tages jeder Haushalt auf diesem Planeten eine sichere Wasser­versorgung hat.“

Laura Stocco, 28, in Genf geborene Umweltingenieurin und Wasser- sowie Verhaltensänderungsexpertin, ist Chief Marketing Officer (CMO) bei Openversum und Projektleiterin an der Eawag, dem Wasser­forschungsinstitut der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH).

Fotos: Miriam Kamba Danielsson, Nancy Bow Schneider
Infografik: Emin Hamdi

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