Themen folgen Menschen

Der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft zum „Cyber Valley“.

Sind Sie mit dem Ausgang der deutschen Koalitionsverhandlungen zufrieden?
Ich glaube, Wissenschaft und Bildung haben in den Koalitionsverhandlungen eine wichtige Rolle gespielt. Sie waren – soweit ich das beurteilen kann – nie strittig, man hat sich da sehr schnell geeinigt. Das zeigt, dass man das Thema in Deutschland parteiübergreifend als prioritär ansieht. Die Investitionen in Wissenschaft und Bildung, die im Koalitionsvertrag vorgesehen wurden, sind beachtlich. Alle Parteien sehen, dass der Wohlstand in Deutschland auch auf exzellenter Wissenschaft und Bildung beruht – diese Basis möchte man stärken.

Sie fordern, dass die Forschungsquote in Deutschland bis 2025 auf 3,5 Prozent des BIP ansteigen soll. Ist das – Stand heute – denn realistisch?
Ja, ich glaube, das wird passieren. Diese Quote des BIP wird nur zu einem Drittel aus öffentlichen Mitteln getragen, zwei Drittel stammen aus der Industrie. Es ist also ein gesellschaftlicher Konsens vorhanden, dieses Ziel zu erreichen. Auch die Industrie muss erheblich zusätzlich in Forschung investieren und Kapazitäten aufbauen, sonst bekommt man das nicht hin. Ich würde sagen, das ist ambitioniert, aber erreichbar.

In einem Gastbeitrag im Tagesspiegel loben Sie die USA in Sachen Innovationsförderung – insbesondere das Beispiel DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency, Behörde des Verteidigungsministeriums, die Forschungsprojekte für die nationale Sicherheit durchführt, Anm.). Sie schreiben: „Voraussetzung für den Erfolg: Autonomie, Verzicht auf politische Steuerung, Rekrutierung herausragender Projektmanager und: eine Kultur, die Scheitern gestattet und damit die Voraussetzung schafft für den eigentlichen Erfolg.“ Das klingt alles ziemlich uneuropäisch. Ist das, was Sie da fordern, eine Utopie?
Die Max-Planck-Gesellschaft hat im kleinen Kreis ein Papier erarbeitet, das vorschlägt, eine Agentur für Sprunginnovationen zu kreieren. Wir wollten einen Ansatz wählen, der sich von klassischer Forschungsförderung unterscheidet. Diese Agentur soll letztlich auch Forschungs- und Innovationsförderung betreiben. Dies geschieht jedoch orthogonal zu den Prinzipien, die heute vorherrschen – etwa Peer Reviews. Wir sind der Meinung, dass Sprung­innovationen nicht nach den gleichen Maßstäben bewertet werden können wie Innovationen im klassischen Sinne. Das Risikopotenzial ist einfach höher. Mir ist bewusst, dass diese Anforderungen nicht einfach zu erfüllen sind. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass auch die Max-Planck-Gesellschaft eine Organisation ist, die in hoher Autonomie agiert und risikoreiche Forschung betreibt.

In der Ökonomie gibt es eine hitzige Diskussion bezüglich der Rolle des Staates hinsichtlich der Innovationsförderung. Die Ökonomin Mariana Mazzucato beschreibt etwa einen unternehmerisch denkenden Staat, liberale Stimmen sehen hingegen die fehlende Effizienz im Staat als Hindernis für eine solche Auf­gabe. Wie sehen Sie das?
Der Staat hat Ziele – in den USA zum Beispiel häufig im militärischen Bereich –, die nicht ökonomisch ausgerichtet sind. Ein Militärflugzeug
zu bauen ist keine Entscheidung, die mit einem ökonomischen Ziel verbunden ist. Die deutsche Energiewende ist auch ein Beispiel für ein Ziel, das nicht ökonomisch, sondern politisch vorgegeben ist. Es gibt schließlich billigere Methoden, Energie zu produzieren, als jene, die wir forcieren. Oft muss der Staat Geld in die Hand nehmen, um solche Ziele zu erreichen. Er wird dabei technische Hürden überwinden, das kostet Geld und würde im freien Markt nicht passieren. Am Ende können daraus allerdings Technologien entstehen, die sich auf dem Markt bewähren.

Was sind die Intentionen hinter dem Cyber Valley?
Das Cyber Valley hat eine Vorgeschichte, die man vielleicht kennen muss: Die Max-Planck-Gesellschaft hat vor sieben Jahren beschlossen, eines ihrer größten Institute, jenes für Metallforschung, umzuwandeln, und zwar in ein Institut für intelligente Systeme. Wir betrachteten dieses Gebiet damals als zukunfts­trächtig: Die Verbindung von modernster robotischer Forschung mit den Forschungsgebieten des Erkennens, Verstehens, des Handelns. So entstanden zwei Standorte: Maschinelles Lernen, Bilderkennung und Robotik werden in Tübingen, lernende Materialsysteme, Mikro- und Nanorobotik in Stuttgart untersucht. Dieses Institut ist der Nukleus von dem, was wir heute als Cyber Valley bezeichnen. Im Endausbau wird das Institut Platz für 500 bis 600 Leute bieten, mit einem Etat von rund 30 Millionen € pro Jahr. Neben der Forschung bauen wir auch ein Ausbildungssystem auf – unter anderem durch die Gründung von Stiftungslehrstühlen –, damit Studierende mit den Themen in Berührung kommen. Uns war klar, dass man auf diesem Gebiet nur erfolgreich sein kann, wenn man mit Unternehmen zusammenarbeitet. Die Forschung ist sehr angewandt und beruht auf Daten, die man erst mal haben muss. Künstliche Intelligenz ohne große Datenmengen ist nicht vorstellbar – und deshalb benötigt man Unternehmen.

Vom Gesamtbudget im hohen zweistelligen Millionenbereich stammen insgesamt zehn Millionen € von den Industriepartnern (siehe Grafik; je 1,25 Millionen € jährlich, Anm.). Das wirkt niedrig.
Ich könnte mir vorstellen, dass die Unternehmen mehr investieren. Aber ich denke, wir warten erst mal ab. Viele Unternehmen investieren selbst ja auch in Forschung und bringen viel in das Umfeld ein. Unternehmen wie Bosch bauen große Zentren in diesem Gebiet auf. Die genannten Zahlungen sind ja nur die reinen Transferzahlungen. Wenn wir über Gesamtinvestitionen in künstliche Intelligenz sprechen, sind das ganz andere Summen. Mercedes, BMW, Bosch – in den Bereich fließen hohe Beträge.

Ist konkret geplant, die Investi­tionen aus der Industrie zu erhöhen? Falls ja: Soll das über neue Partner oder über höhere Leistungen der bestehenden Partner geschehen?
Da sind wir völlig offen. Wir sagen: Form follows function. Wir wollen in erster Linie exzellent sein, unser Ziel ist nicht Masse, sondern Klasse. Und wir müssen erst mal die richtigen Personen anlocken, junge Forschende. Am Ende werden die Mittel den Personen folgen. Wir haben ja auch innerhalb der Max-Planck-Gesellschaft Gelder, die nicht geografisch gebunden sind. Wenn sich also junge, vielversprechende Köpfe im Cyber Valley bewerben, werden wir dort mehr investieren. Der erste Schritt ist getan, jetzt müssen wir das Projekt zum Abheben bringen.

Künstliche Intelligenz und Robotics sind breite Felder. Gibt es einen engeren Fokus, mit dem sich das Cyber Valley beschäftigt? Oder folgen Sie da wiederum den Personen?
Die Max-Planck-Gesellschaft ist immer personenorientiert. Bei uns gibt es ein uraltes Prinzip, das Harnack-Prinzip: Themen folgen Menschen. Wir berufen keine Wissenschaftler, um thematische Felder abzudecken. Wir suchen vielmehr herausragende Köpfe – und sie bringen Felder mit, auf denen wir dann arbeiten.

Gerade in Süddeutschland würde sich aber doch das Thema Mobilität anbieten …
Der Bereich Mobilität ist einer, den die deutsche Automobilindustrie sowieso abdeckt. Aber was heißt Mobilität tatsächlich? Das hat etwas mit dem Erkennen und Verstehen von Situationen zu tun. Das ist ein komplexer kognitiver Prozess. Uns in der Wissenschaft interessiert: Wie lernt ein Rechner aus dem, was er sieht? Wie schafft man es, einen lernenden Computer zu bauen? Einen Computer, der aus dem, was er sieht, Schlüsse zieht und vielleicht sogar Kausalitäten erkennt. Wir wollen nicht für eine konkrete Anwendung Lösungen finden, sondern Zusammenhänge verstehen.

Neben deutschen Konzernen wie etwa Daimler und Bosch sind auch die US-Unternehmen Facebook und Amazon an Bord. Wie kann man sich die Zusammenarbeit zwischen den Parteien konkret vorstellen?
Das kann ich im Detail nicht sagen, weil ich als Präsident der Max-Planck-Gesellschaft nicht die Nähe habe. Aber Amazon kollaboriert nicht einfach nur mit uns, sondern holt auch rund 100 Forschende in die Region. Das sind für uns wichtige Partner, insbesondere, wenn die Forschung der Unternehmen führend ist. Dass Topwissenschaftler für Unternehmen arbeiten, hat in den USA eine alte Tradition. Früher gab es da etwa die Bell Labs (vom Erfinder des Telefons, Alexander Graham Bell, entwickelte und gesponserte Forschungslabors, aus denen unter anderem der Transistor, der Laserstrahl, die Informationstheorie sowie acht Nobelpreise hervorgingen, Anm.). Heute sind führende Labors etwa das Microsoft Research Lab oder Labs bei Amazon und Facebook.

Die immer besser werdenden Algorithmen der IT-Giganten, nicht zuletzt jene von Facebook, werden in der Öffentlichkeit auch kritisch beobachtet. Wie kann man mit Fortschritten hinsichtlich der Technologie ethisch umgehen?
Die Frage von Ethik und Forschung geht über die Fragestellung der künstlichen Intelligenz hinaus. Das Thema gibt es auch in der Biomedizin – denken Sie nur an die Möglichkeit, genetisches Material zu verändern. Wissenschaft eröffnet Neuland – und in vielen Fällen kommt anschließend die Frage, wie man damit ethisch umgeht. Das ist eine allgemeine Frage, die uns nicht erst seit der Entdeckung der Kernspaltung vor genau 80 Jahren beschäftigt. Wissenschaft ist erkenntnisgetrieben. Kann man mithilfe von künstlicher Intelligenz aus großen Datenmengen kausale Zusammenhänge erkennen? Das ist zunächst ein wissenschaftliches Problem, das nicht gelöst ist. Was man dann findet, kann man in verschiedenen Bereichen anwenden – viele davon sind unbedenklich; etwa wenn Millionen von Röntgenbildern gespeichert werden, um die medizinische Diagnostik zu verbessern. Dann gibt es aber auch Fälle, wo Erkenntnisse missbraucht werden. Da ist die Gesellschaft gefordert, regulierend einzugreifen. Und die Wissenschaft muss ihre Expertise dafür bereitstellen – dieser Aufgabe kann sie sich nicht entziehen.

Dächte ich jetzt dystopisch, könnte ich sagen, dass das Cyber Valley Facebook dabei hilft, über Algorithmen den nächsten
Donald Trump zu produzieren.
Solche Dinge sind meistens komplex, keiner weiß genau, was da passiert ist. Daher muss man mit Spekulationen vorsichtig sein. Zunächst liefert Facebook eine Plattform. Die steht für viel Positives, kann aber eben auch missbraucht werden. Nehmen wir mal an, eine Plattform wie Facebook wird benutzt, um beeinflusste Wahlergebnisse herbeizuführen. Dann muss sich die Gesellschaft mit solchen Plattformen befassen. Was will man gesellschaftlich tolerieren, was nicht? Wir haben ja auch Geschwindigkeitsbegrenzungen in Wohngebieten, obwohl die Automobilindustrie Fahrzeuge baut, mit denen man mit 200 km/h durch Ortschaften fahren könnte. Der Staat sagt dann aber, dass diese Geschwindigkeit nur unter bestimmten Bedingungen – oder gar nicht – erlaubt ist. Die technischen Möglichkeiten, die gegeben sind, dürfen nicht beliebig ausgenützt werden.

Die Frage ist vielleicht eine größere: Das, was heute technisch machbar ist, ist weit von dem entfernt, was in der Öffentlichkeit zum Thema künstliche Intelligenz diskutiert wird – Stichwort Killerroboter. Wie kann man der Öffentlichkeit verständlich er­klären, wo wir technisch stehen?
Das ist eine zentrale Frage. Wissenschaft beeinflusst unser Leben heute viel mehr als vor 100 oder 200 Jahren. Wenn ich diesen Trend in die nächsten 100 Jahre extrapoliere, wird der Einfluss wissenschaftlicher Ergebnisse auf das Leben des Einzelnen noch größer. Die Kommunikation zwischen Gesellschaft und Wissenschaft muss also auf einen besseren Boden gestellt werden. Wie macht man das? Ich glaube, es gibt sogenannte Gatekeeper, die zwischen der Wissenschaft und der Öffentlichkeit stehen – früher etwa Zeitungen; im weitesten Sinne Menschen, die zwischen den Produzenten und Konsumenten von Wissen stehen. Sie hatten die Aufgabe, zu filtern, zu sortieren, verständlich zu machen und kritische Fragen zu stellen. Diese traditionellen Gatekeeper sind aber unter Druck geraten. Jetzt muss man aufpassen, dass anstelle dieser Gatekeeper, die sich professionell mit solcher Materie beschäftigen, nicht eine Diskussionskultur tritt, die sich in Publikationsblasen und auf Basis von Verschwörungstheorien abspielt. Das ist in der Tat gefährlich, weil Wissenschaft so für den Einzelnen nicht mehr greifbar ist. Wenn Sie heute bei Google das Stichwort „Impfen“ eingeben, kommen an prominenter Stelle Websites von Impfgegnern, da solche Seiten nachgefragt werden. Das sind keine Seiten wie jene des Robert Koch-Instituts (Einrichtung der Bundesregierung auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und -prävention, Anm.), die sachlich über Risiken aufklären. Die Menschen werden verunsichert, obwohl jeder, der halbwegs bei Verstand ist, weiß, dass Impfen eine der größten Errungenschaften der Menschheit ist. In einer seriösen Zeitung würde niemand solche Theorien verbreiten. Wir müssen also schauen, wie wir damit umgehen, wenn solche Verschwörungstheorien sich massiv verbreiten und auf Resonanz stoßen. Wenn jeder zum Sender von Information wird, müssen wir überlegen, wie wir damit umgehen und was das für Konsequenzen hat.

In welche Richtung wird sich künstliche Intelligenz entwickeln?
Das ist eines der Gebiete, wo wir das nicht sagen können. Die Möglichkeiten sind unendlich und es gibt eine große Anzahl an Menschen, die sich damit befassen. Alleine die großen IT-Unternehmen wie Microsoft, Apple, Amazon et cetera investieren Milliardensummen in dieses Gebiet. Ich glaube aber, einer der zentralen Punkte wird jener der Kausalität sein: Bis heute ist künstliche Intelligenz quasi eine Interpolation großer Datenmengen. Wir als Menschen haben aber eine Eigenschaft, die uns überlegen macht: Wir extrapolieren. Wir verstehen Zusammenhänge und können aufgrund dessen Neuland logisch erschließen. Das können – soweit ich das beurteilen kann – künstliche Systeme bis heute nicht. Sie sind quasi in einem Datensatz gefangen, der von außen vorgegeben wird. Sie können aus diesem Datensatz aber nicht etwas generieren, das extrapolierbar ist.

Beispielsweise eine Krankheit zu diagnostizieren, die dem Menschen bis dahin noch unbekannt ist?
Zum Beispiel. Etwas wirklich zu verstehen, wie die Physik das macht – das fehlt noch. Menschen waren etwa seit der Steinzeit in der Lage, Planetenbewegungen vorherzusagen und vorauszusagen, wann die nächste Sonnenfinsternis kommt. Dann gab es einen Geniestreich, jemand setzt die Sonne in die Mitte des Modells, entwirft eine simple Gleichung – und plötzlich verstehen wir das Planetensystem und die Galaxien. Auf einen Schlag verstehen wir die Welt, in der wir leben, völlig anders. Das ist der Mensch.

Dieser Artikel ist in unserer Februar-Ausgabe 2018 „Künstliche Intelligenz“ erschienen.

Klaus Fiala,
Chefredakteur

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