„The Line“ – ein Strich durch die Wüste

Ein 170 Kilometer langer Wolkenkratzer, umkleidet von Spiegelwänden aus Glas, ragt mitten in der saudi-arabischen Wüste aus dem Boden: Die veröffentlichten Bilder von „The Line“ erinnern mehr an einen Science-Fiction-Film als an die Realität – innerhalb der Wände blühende Land­schaften, außerhalb dürre Wüste. Und tatsächlich sind sie bislang nur ein Konzept. Wird es je umgesetzt werden?

Es ist Saudi-Arabiens neues Megaprojekt: „The Line“ – eine futuristische Stadt, die bis 2045 auf einer Fläche von 34 Quadratkilometern eine Heimat für neun Millionen Menschen bieten soll. Das ist zwar in etwa die Einwohnerzahl von London, aber flächenmäßig entspricht „The Line“ nur etwa 2 % davon, denn bei der futuristischen Stadt soll jeder Flecken genutzt werden – und so entstehen mehrere Ebenen zwischen den 300 Meter hohen und 500 Meter breiten Spiegel­wänden, die die Stadt umhüllen.

„The Line“ soll so konzipiert werden, dass die Bewohner innerhalb von fünf Gehminuten alle Einrichtungen ihres täglichen Lebens erreichen können. Seien es Arbeit, Supermarkt, Schule oder Wohnung; alles soll auf mehreren Etagen übereinandergeschichtet werden. Für längere Strecken gibt es eine Hochgeschwindigkeits-U-Bahn – emissionsfrei. Diese würde die Einwohner dann in nur 20 Minuten vom einen zum anderen Ende des Megaprojekts befördern. Im Netz äußern sich einige skeptisch, da das bedeuten würde, dass die Bahn über 500 km/h schnell sein müsste – ob das möglich ist?

So groß das „The Line“-Projekt auch klingt – es geht noch größer. „The Line“ ist nur ein Teil der Planstadt Neom – einer Vision des saudi-arabischen Kronprinzen Mohammed bin Salman (MBS). Der skandalträchtige Kronprinz ist Vorsitzender des Neom-Verwaltungsrats und bekannt für seine ausgefallenen Ideen rund um das Projekt Neom – mit 27.000 Quadratkilo­metern circa 30-mal so groß wie Berlin. Die Riesenstadt soll im Nordwesten von Saudi-Ara­bien in direkter Nähe zu Jordanien und Ägypten gebaut werden.

Zuallererst müssen allerdings 500 Mrd. US-$ für das Megaprojekt aufgetrieben werden. Davon sollen alleine 200 Mrd. US-$ für „The Line“ benötigt werden. Ganz schön viel Geld vor dem Hintergrund der Tatsache, dass man immer noch nach Investoren sucht. Ob und welche Geldgeber die Planstadt bereits hat, ist nicht bekannt –doch es ist wohl klar, dass das Projekt ohne die Beschaffung des benötigten Geldes auf wackeligen Beinen steht.

 

Ein weiteres Ziel ist, sich unabhängiger von Erdöleinnahmen zu machen – ein Teil der von MBS angestrebten „Vision 2030“, wonach ein moderneres Saudi-Arabien geschaffen werden soll; im Netz auch als die ehrgeizigste Image­kampagne in der Geschichte des saudischen Regimes bezeichnet. Erreicht werden soll das, indem die Energie- und Wasservorräte bei Neom zu 100 % erneuerbar sind. Mithilfe von Solar­technologie und Windkraftanlagen soll die En­er­gieversorgung ökologisch funktionieren.

Um all diese technischen Aspekte kümmert sich unter anderem Joseph Bradley, Chief Executive Officer der Neom Tech & Digital Company. Er ist US-Amerikaner; kein unübliches Phänomen in Saudi-Arabien – die meiste Exper­tise bezieht MBS aus dem Westen. Bradley ist für die Ausarbeitung der Vision und die Umsetzung des technologischen und digitalen Ökosystems für Neom verantwortlich. „Die Zukunft war smart. Jetzt ist sie kognitiv“, heißt es auf der Tech-&-Digital-Webseite von Neom. Doch was soll das bedeuten? „Die Technologien, an denen das Neom-Tech-&-Digital-Team arbeitet, sollen unser menschliches Verhalten besser verstehen, um die Erfahrung des Menschseins zu verbessern und zu bereichern“, wie es auf der Website heißt. Die Art und Weise, wie wir leben, arbeiten und uns vernetzen, soll neu definiert werden. Genaue Beispiele sind nicht genannt – allerdings sind im Promovideo von „The Line“ fliegende Roboter zu sehen, etwa Drohnen, die den Bewohnern als Paketzusteller dienen.

Das Neom-Projekt, darunter auch „The Line“, erntete viel Kritik – besonders wegen der Zwangsräumungen, die 2020 angeordnet und durchgeführt wurden, um Platz für Neom zu schaffen. Einer der Betroffenen war der Aktivist Abdul-Rahim Al-Hwaiti. Er schrieb damals auf Twitter, sein Haus nicht verlassen zu wollen. Am 13. April 2020 wurde Al-Hwaiti laut Augen­zeugen auf seinem Grundstück von Polizisten erschossen. In einer Stellungnahme der offiziellen Behörden von Saudi-Arabien heißt es, dass Al-Hwaiti das Feuer eröffnet und sich seiner Verhaftung widersetzt habe.

Eine weitere Stimme, die dem Vorgehen des Kronprinzen und dem Neom-Projekt kritisch gegenübersteht, ist jene des amerikanischen Nahostexperten und Journalisten Nicolas Pelham. In einem Economist-Artikel berichtete er im Juli 2022 über die Planstadt Neom, in die er als einer von nur wenigen Journalisten einge­laden war. Die Stadt sollte im Jahr 2020 im Kern bereits fertiggestellt sein; bis 2025 soll sie weiterwachsen. Allerdings fand Pelham vor Ort keine Spur von der Megacity. Lediglich zwei Projekte waren fertiggestellt: Der Palast des Kronprinzen und etwas, das Google Earth als „Neom Experience Centre“ bezeichnet – als Pelham dorthin fuhr, war es von einem Fertighaus verdeckt. Ein Projektleiter sagte Pelham: „Wir denken, dass wir bald mit der Arbeit beginnen, aber alle zwei Monate legen die Berater einen neuen Plan vor.“

Inwieweit Neom und „The Line” also die hochtrabenden Zukunftspläne des saudischen Kronprinzen verwirklicht werden können, wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen.

Wir denken, dass wir bald mit der Arbeit beginnen, aber alle zwei Monate legen die Berater einen neuen Plan vor.

Saudi-Projektleiter

Doch was ist das Ziel von Neom? Eine Stadt der Zukunft soll es sein. Neo bedeutet im Altgriechischen neu, das m steht für das arabische Wort mustaqbal, übersetzt Zukunft – demnach „neue Zukunft“. (Gleichzeitig ist M auch der erste Buchstabe des Namens des Kronprinzen Mohammed bin Salman.) Neom soll anders als der Rest von Saudi-Arabien sein – eine unabhängige Wirtschaftszone mit eigenen Gesetzen und Steuern. Der Unterschied bei den Gesetzen wäre beispielsweise, dass die Verhüllung der Frau nicht vorgeschrieben wäre. Auch der Verkauf von Alkohol wäre erlaubt. Mit den entschärften Gesetzen möchte Saudi-Arabien vor allem Touristen anziehen. So soll „The Line“ bereits im Jahr 2030 – auch wenn die Stadt bis dahin  laut Plan noch nicht ganz fertig sein soll – fünf Millionen Touristen anlocken.

Dabei soll die futuristische Stadt höchst umweltfreundlich werden. Sie soll mit 100 % erneuerbarer Energie betrieben werden, 95 % des Landes sollen als Naturland bewahrt werden. Zur Natur außerhalb von „The Line“ würden die Bewohner unmittelbaren und uneingeschränkten Zugang haben. Während außerhalb nur Wüste zu finden ist, sprießt im Promovideo der Stadt saftiges Grün. Das soll eine große Rolle für die gute Luftqualität spielen. Um das Klima zusätzlich zu verbessern, soll durch die verspiegelte Fassade die Sonneneinstrahlung reduziert und Hitze in der Stadt vermieden werden.

Ein weiteres Ziel ist, sich unabhängiger von Erdöleinnahmen zu machen – ein Teil der von MBS angestrebten „Vision 2030“, wonach ein moderneres Saudi-Arabien geschaffen werden soll; im Netz auch als die ehrgeizigste Image­kampagne in der Geschichte des saudischen Regimes bezeichnet. Erreicht werden soll das, indem die Energie- und Wasservorräte bei Neom zu 100 % erneuerbar sind. Mithilfe von Solar­technologie und Windkraftanlagen soll die En­er­gieversorgung ökologisch funktionieren.

Um all diese technischen Aspekte kümmert sich unter anderem Joseph Bradley, Chief Executive Officer der Neom Tech & Digital Company. Er ist US-Amerikaner; kein unübliches Phänomen in Saudi-Arabien – die meiste Exper­tise bezieht MBS aus dem Westen. Bradley ist für die Ausarbeitung der Vision und die Umsetzung des technologischen und digitalen Ökosystems für Neom verantwortlich. „Die Zukunft war smart. Jetzt ist sie kognitiv“, heißt es auf der Tech-&-Digital-Webseite von Neom. Doch was soll das bedeuten? „Die Technologien, an denen das Neom-Tech-&-Digital-Team arbeitet, sollen unser menschliches Verhalten besser verstehen, um die Erfahrung des Menschseins zu verbessern und zu bereichern“, wie es auf der Website heißt. Die Art und Weise, wie wir leben, arbeiten und uns vernetzen, soll neu definiert werden. Genaue Beispiele sind nicht genannt – allerdings sind im Promovideo von „The Line“ fliegende Roboter zu sehen, etwa Drohnen, die den Bewohnern als Paketzusteller dienen.

Das Neom-Projekt, darunter auch „The Line“, erntete viel Kritik – besonders wegen der Zwangsräumungen, die 2020 angeordnet und durchgeführt wurden, um Platz für Neom zu schaffen. Einer der Betroffenen war der Aktivist Abdul-Rahim Al-Hwaiti. Er schrieb damals auf Twitter, sein Haus nicht verlassen zu wollen. Am 13. April 2020 wurde Al-Hwaiti laut Augen­zeugen auf seinem Grundstück von Polizisten erschossen. In einer Stellungnahme der offiziellen Behörden von Saudi-Arabien heißt es, dass Al-Hwaiti das Feuer eröffnet und sich seiner Verhaftung widersetzt habe.

Eine weitere Stimme, die dem Vorgehen des Kronprinzen und dem Neom-Projekt kritisch gegenübersteht, ist jene des amerikanischen Nahostexperten und Journalisten Nicolas Pelham. In einem Economist-Artikel berichtete er im Juli 2022 über die Planstadt Neom, in die er als einer von nur wenigen Journalisten einge­laden war. Die Stadt sollte im Jahr 2020 im Kern bereits fertiggestellt sein; bis 2025 soll sie weiterwachsen. Allerdings fand Pelham vor Ort keine Spur von der Megacity. Lediglich zwei Projekte waren fertiggestellt: Der Palast des Kronprinzen und etwas, das Google Earth als „Neom Experience Centre“ bezeichnet – als Pelham dorthin fuhr, war es von einem Fertighaus verdeckt. Ein Projektleiter sagte Pelham: „Wir denken, dass wir bald mit der Arbeit beginnen, aber alle zwei Monate legen die Berater einen neuen Plan vor.“

Inwieweit Neom und „The Line” also die hochtrabenden Zukunftspläne des saudischen Kronprinzen verwirklicht werden können, wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen.

Text: Lea Czimeg
Fotos: Neom

Lea Czimeg

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