Teure Tropfen

Whisky boomt und hat in den vergangenen Jahrzehnten eine rasante Wertsteigerung hingelegt. Doch kühlt sich der Markt nun ab? The Dalmore, eine der exklusivsten Destillerien Schottlands, hat neue Sammlerabfüllungen herausgebracht, für die Whisky-Fans weiterhin bereit sind, ein Vermögen zu bezahlen.

Der Mann, den sie „die Nase“ nennen, steht in der American Bar des Hotels Gleneagles. Er hält ein tulpenförmiges Glas wie ein Dirigent seinen Taktstock; sein Publikum besteht aus einem Dutzend Gästen, darunter Journalisten, Kenner und Branchenexperten der schottischen Whisky­industrie. Alle schauen erwartungsvoll auf den Mann im schwarzen Zweireiher. Die Show kann beginnen.

Richard Paterson ist der Meister-Whisky-­Destiller von The Dalmore, einer exklusiven Scotch-Marke. Diese hat an diesem Frühjahrstag zum Tasting eines sehr seltenen Tropfens in das Golfresort nördlich von Edinburgh geladen. Paterson – Spitzname „The Nose“ – fordert die Gäste auf: Man möge ihm nun jeden Schritt nachmachen; und am besten auch seine Worte nachsprechen.

Der Whisky-Experte führt das Glas zum rechten Nasenloch, saugt das Aroma ein, schließt dabei instinktiv die Augen. Wie er das macht, sieht wunderbar elegant aus, er hat das über Jahrzehnte perfektioniert. Paterson schwenkt den Whisky im Glas herum, mustert, wie der ­Alkohol Schlieren zieht. Dann hält er mit dem Tropfen ein wenig Small Talk, sagt langsam und betont Richtung Glas: „Hello, how are you? – Quite well, thank you very much!“ Auch die Gäste schwenken mit, manche murmeln seine Worte nach, wie die Kirchengemeinde das Gebet des Pfarrers. Dann, endlich, nimmt Paterson ­einen ordentlichen Schluck – und hebt sofort den Zeige­finger. Nicht schlucken! Bis es so weit ist, muss der Tropfen erst noch einige Sekunden auf der Zunge und über den Gaumen tanzen.

Paterson ist in Schottland eine Berühmtheit. „The Nose“ ist Kult, wegen seiner Tastings. Die verstorbene Queen Elizabeth II. hat ihm für seine Verdienste für die Scotch-Industrie einen Ritterorden angeheftet. Heute ist auch für Paterson ein besonderer Tag: Im feinen Hotel Glen­eagles nordwestlich von Edinburgh präsentiert er eine neue Sammlerabfüllung der schottischen Destillerie The Dalmore, einen 49 Jahre gereiften Single-Malt-Whisky, genannt „The Rare“, aus der Luminary-Serie. Nur drei Abfüllungen dieses Whiskys werden jemals hergestellt werden, und nur eine wird bei Sotheby’s in London versteigert. Die Einnahmen gehen an das Victoria and Albert Museum (V&A) – und sind als eine Art schottische Kunst- und Kulturförderung gedacht.

Das Sammlerstück entstand in Kooperation mit den Designern von Zaha Hadid Architecture und dem Kunstmuseum V&A Dundee. Melodie Leung, Direktorin bei Zaha Hadid Architects, entwarf zusammen mit den Meister-­Destillern Gregg Glass und Richard Paterson eine Glas-Bernstein-Skulptur, die Whiskey-Fans und Kunstfreunde zugleich ansprechen soll. Der gleichzeitig präsentierte 16 Jahre gereifte Single-Malt aus der ­Luminary-Serie „The Collectible“ wird ebenfalls durch Leungs Gestaltung aufgewertet.

Dass in der Bar des berühmten Golf­hotels von Gleneagles ein Gläschen des „Rare“ ver­kostet wird, ist wie das Getränk an sich eine Rarität – denn diese Tropfen sind Sammlerstücke, vergleichbar mit Kunstwerken. Sie stehen in Millionenanwesen irgendwo auf der Welt. Es sind Assets und Anlagen, deren Wert über die Jahre steigen soll, die mit Gewinn weiterverkauft werden sollen – oder an die nächste Generation weiter­gereicht werden.

Wie also schmeckt ein Whisky, der ein halbes Jahrhundert in diversen Port-, Sherry- und Bourbonfässern veredelt wurde? Milder, komplexer und weniger torfig als die gängigen Whiskys. Noten von Vanille-, Beeren- und Kakaoaromen lassen sich herausschmecken. Besonders stolz sind Paterson und Meister-Blender Glass auf einen Hauch von gerösteten Kastanien und Patisserie-Gewürzen. Nur das Finish ist leicht rauchig. Paterson sagt später: „Für mich sind diese Whiskys wie Kinder. Du nährst sie, kümmerst dich, willst ihnen das Beste mitgeben. Irgendwann sind sie gereift und bereit, dass man sie in die weite Welt entlässt.“

Für mich sind diese Whiskys wie Kinder. Du nährst sie, du kümmerst dich, willst ihnen das Beste mitgeben. Irgendwann sind sie gereift und bereit, dass man sie in die weite Welt entlässt.

Richard Paterson

The Dalmore ist eine Destillerie am Ufer des Cromarty Firth gelegen, eines Meeresarms, der bei Inverness in die Nordsee greift. 1839 gründete der Händler und Abenteurer Sir Alexander Matheson die Brennerei, um überwiegend Single Malt Scotch Whisky herzustellen. In den 1860er-Jahren übernahmen Abkömmlinge des Mackenzie-Clans die Geschäfte. Sie kamen auf die Idee des silbernen Hirschgeweihs als Logo und Qualitätssiegel. Der Legende nach rettete Clan-Krieger Colin of Kintail König Alexander III. das Leben – er brachte einen rasenden Highland-Hirsch zur Strecke, bevor das Tier nach einer misslungenen Jagd zu einer wohl tödlichen Attacke auf den Regenten ansetzen konnte.

Um 1900 blieben Investments aus, die Marke stand vor dem Ende. Auch während der beiden Weltkriege litt die Produktion – statt Whisky musste die Firma Seeminen für die ­Royal Navy herstellen und lagern. Bei einem Feuer ­wurden einige Gebäude zerstört. In den 1960er-Jahren übernahm die Spirituosenfirma Whyte & Mackay die angeschlagene Destillerie.

Bis 2002 produzierte The Dalmore nur zwölf Jahre alte Single Malts; bis Richard Paterson ein paar Flaschen aus älteren Fässern ­abfüllte und mit den Aromen der Casks experimentierte. Auf einer Messe in Frankfurt war ein asiatischer Einkäufer derart begeistert, dass Paterson das Reifen und Veredeln in unterschiedlichsten Behältnissen zu einer Kunst und einem Markenzeichen des Dalmore machte. Inzwischen ist die Marke vor allem bei vermögenden Sammlern aus dem Nahen und Mittleren ­Osten und in Asien sehr beliebt. Laut dem ­Luxury ­Investment Index des britischen Maklerunternehmens Knight Frank haben seltene Scotch-Whiskys in den vergangenen Jahren rund 300 % an Wert zugelegt. Der Single Malt Whisky Mac­allan 1926 Fine & Rare ist der teuerste Whisky der Welt – seine streng limitierte Flasche wurde für rund 1,7 Mio. € versteigert. Japanische Sorten wie ­Karuizawa und Yamazaki erzielen Preise von ­einer halben Million; ein 62-jähriger The Dalmore brachte es auf 299.000 €. Meister-Destiller Paterson wählte für einen Blend vier verschiedene Whiskys aus den Jahren 1868, 1878, 1926 und 1939. Zwölf Flaschen wurden abgefüllt. Bei Sotheby’s erzielten die Editionen „The Mackenzie“ und „The Cromarty“ Rekordpreise.

Whisky boomt schon seit Jahren. Im ­ersten Halbjahr 2023 ist laut den Exportzahlen der Scotch-Boom allerdings leicht abgeflaut: 20 % weniger in der Menge und rund 4 % weniger im Wert wurden verkauft. Allerdings war das Wachstum im Jahr zuvor durch das Abschwingen der Pandemie auch höher als unter gewöhnlichen Bedingungen. Dass Kunden weniger, aber weiter hochwertig trinken, sei ein weltweiter Trend, so heißt es bei der Scotch Whisky Association, und das komme Premiumprodukten, wie sie bei The Dalmore entstehen, zugute.

Große Hoffnung setzen die schottischen Whisky-Produzenten auf Indien als neuen Wachstumsmarkt. Innerhalb der nächsten fünf Jahre soll Scotch im Wert von einer Mrd. Pfund auf den Subkontinent exportiert werden. Derzeit liefern die Schotten 219 Millionen Flaschen ihres Nationalgetränks pro Jahr, trotz hoher Handelstarife. Aktuell wird ein neues Handelsabkommen finalisiert – dann sollen auch die hohen Importhürden für das alkoholische Genussmittel wegfallen. Der indische Markt wird auf rund 20 Mrd. US-$ geschätzt. Doch auch indische Produzenten stellen inzwischen hochwertige Single Malts her, darunter die Destillerie Indri aus dem Vorland des Himalajas. Der lukrative Wettbewerb im Premiumbereich wird also immer härter. Für Whisky-Fans ist auch die Anlage in die Tropfen selbst oder in die Fässer, in denen sie reifen, immer wieder ein spannendes Thema – die Inves­tition kann hohe Renditen bieten, gilt aber als ­risikoreich.

Weil Brennereien Zeit und Kapital brauchen, bieten sie auch Fässer an Investoren an. Der Markt für Whiskyfässer ist im Jahr 2022 durchschnittlich um rund 15 % gewachsen. Gleichzeitig sind Politik und Experten wegen betrügerischen Angeboten in diesem Geschäftsfeld zunehmend alarmiert. Der Markt ist weitgehend unreguliert und bevölkert von dubiosen Anbietern.

Whisky ist ein materieller Vermögenswert, der historisch im Lauf der Zeit gestiegen ist – und der auch während Rezessions- und Inflationsphasen seinen Wert gehalten hat. Wer direkt Geld in Whisky investieren möchte, sollte dennoch ein echter Experte sein, nicht nur Scotch-Liebhaber: Erfolgreiche Anleger brauchen ein Gespür dafür, welche Marken unterbewertet sind und welche limitierten Abfüllungen in Zukunft gefragt sein werden, sagen Experten. Immerhin gibt es eine besondere Art Versicherung bei dieser Art Anlage: Geht das Investment schief, kann man sich wenigstens mit einem guten Tropfen über die Enttäuschung hinwegtrösten.

Richard Paterson blickt jedenfalls optimistisch auf die Zukunft seiner Branche. Schon sein Vater und Großvater arbeiteten als Whisky-Broker in Glasgow. Der 74-Jährige, zu dessen Markenzeichen der dünne schwarze Schnauzbart und die feinen Anzüge gehören, ist das Gesicht der schottischen Whiskywirtschaft geworden. Der elegante Gentleman versteht viel von Genuss und guten Manieren. Aus der Fassung kann ihn nur eines bringen: wenn Whiskey nicht mit Aufmerksamkeit und Sorgfalt behandelt wird.

Einem Branchenblatt sagte Paterson einmal: „Ich kann es nicht ausstehen, wenn ich sehe, wie Leute wie Cowboys in einem Saloon ­ihren Whisky hinabstürzen.“ Sie missachteten die Qualität des Tropfens, und die Zeit, die Erfahrung und das Können, die in guten Scotch fließen. ­Paterson findet: Wer Whisky trinkt, muss jeden Schluck würdigen.

Der legendäre Master-Blender hat ein halbes Jahrhundert bei Whyte & Mackay verbracht. Whisky ist sein Leben. Und daher scheut er sich auch nicht, den Leuten ganz genau zu erklären, wie man Scotch genießt. Mindestens eine Sekunde für jedes Jahr, das er gereift ist, soll man den ersten Schluck im Mund bewegen, von links nach rechts, auf die Zunge und darunter – und wieder zurück. Einem New Yorker, der bei ­einer Show einen 25-jährigen The Dalmore hinunterkippte, soll Paterson der Legende zufolge eine Ohrfeige verpasst haben.

War es wirklich eine Backpfeife, wie man sie im Saloon austeilt; oder eher ein sanfter Klaps, der sich zudem dramaturgisch und komödiantisch perfekt in die Show einfügte? So genau weiß es wohl nicht mal mehr Paterson selbst. „Mir war es wichtig, etwas Respekt vor dem Produkt zu zeigen“, sagt der Blender, der auch in Dalmores Schwesterdestillerien Jura, Fettercairn und Tamnavulin die Aromen zum Harmonieren bringt.

Für Überraschung und Freude sorgen bei ­Paterson und seinem Arbeitgeber The Dalmore der plötzliche Ruhm des Master-Blenders auf der Social-Media-Plattform Tiktok. Dort sorgte sein „Hello! How are you?“-Tasting-Ritual kürzlich für einen viralen Hit. Zwar habe er mit sozialen Medien nicht viel am Hut, sagte „The Nose“. Aber: „Wir geben die Liebe für Scotch-Whisky an die junge Generation weiter – und das ist fantastisch.“

Richard „The Nose“ Paterson (74) ist seit seinem 26. Lebensjahr Meister-Whisky-Blender. Sein erstes Glas Whisky soll er (dem Vernehmen nach) im Alter von acht Jahren zu sich genommen haben. Für seine Verdienste wurde er von Queen Elizabeth II. zum Ritter geschlagen.

Fotos: The Dalmore

Reinhard Keck

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