RIVIAN: TESLAS ERSTER JÄGER

Rivian holt im Rennen um die Vorherrschaft bei Elektroautos gegenüber Tesla und Co schnell auf. Nun gilt es für Gründer RJ Scaringe, jene Schlaglöcher, die Tesla fast aus der Bahn geworfen hätten, zu umfahren.

Es ist acht Uhr an einem Januarmorgen, die Temperatur in Normal, Illinois – der Ort liegt nur wenige Stunden südlich von Chicago –, liegt weit unter dem Gefrierpunkt. Der kleine Teich vor dem Montagewerk von Rivian Automotive ist ­gefroren, das Gras ist ebenfalls mit Frost bedeckt. Im Werk selbst ist es nicht viel wärmer. Fast die gesamte 240.000 Quadratmeter große Anlage ist eine Baustelle. Denn Rivian baut im großen Stil um und investiert 750 Millionen US-$, um hier bald Elektrotrucks, -vans und -SUVs in Serie zu produzieren. Die Temperatur spielt aktuell also nur eine untergeordnete Rolle.

Der einzige fertig umgebaute Bereich ist ­jener, in dem der Vorbesitzer Mitsubishi ­seine Räumlichkeiten hatte. Damals war diese Abteilung für Anzugträger reserviert, heute ist der zweite Stock ein offener Arbeitsbereich, der für alle Mitarbeiter frei zugänglich ist. Das Konzept, auf dem auch das Forschungs- und Designzentrum von Rivian aufbaut, ist eine Verschmelzung von Industrie- und Outdoorästhetik. Das soll die Mission des Unternehmens widerspiegeln: ein Autohersteller, der nachhaltige Fahrzeuge für die Nutzung im Gelände baut.

RJ Scaringe
... studierte Ingenieurwesen, unter anderem am Sloan Automotive Laboratory der Eliteuniversität MIT. 2009 gründete er Rivian. Heute hat der E-Auto-Hersteller über 2.000 Mitarbeiter, der Hauptsitz befindet sich im US-Bundesstaat Illinois.

„Wenn wir mit dem Umbau fertig sind“, sagt Robert Joseph Scaringe, der 37-jährige ­Gründer und CEO von Rivian, „werden wir in der Lage sein, bis 2025 250.000 Fahrzeuge pro Jahr zu produzieren.“ Einen Autohersteller aus dem Nichts aufzubauen ist kein leichtes Unterfangen, da­ran scheiterten schon Preston Tucker oder John DeLorean. Klar ist aber auch, dass die 2020er-­Jahre das Jahrzehnt der E-Mobilität sein werden. Zwar machten Elektroautos und Plug-in-Hybride laut einer Studie der Investmentbank Oppenheimer im vierten Quartal 2019 nur 2,2 % aller in den USA verkauften Autos aus, und nur ein Drittel ­davon war rein elektrisch. Doch der Trend ist klar: Während 2018 nur 5,1 Millionen E-Autos verkauft wurden, werden es 2020 rund 21 Millionen Fahrzeuge sein, 2025 wird die Zahl auf 98 Millionen Stück ansteigen – und 2030 werden 253 Millionen E-Autos einen Käufer finden. Elektroautos zu bauen benötigt jedoch große Investitionen in Forschung und Entwicklung (F & E). Dazu gehören etwa Batterietechnologie und Antriebsstränge. Das einzige Unternehmen, das bei dem Versuch auch nur annähernd erfolgreich war, ist Tesla – und das nur mit äußerst großen Anstrengungen.

„Wir haben intensiv beobachtet, wie unterschiedliche Autohersteller aufgebaut sind“, sagt Scaringe. „Wir kennen die Risiken, die mit dem Aufbau und der Skalierung solcher Unternehmen verbunden sind – und wissen, wie viel Kapital es dazu braucht.“ Kapital ist jedenfalls vorhanden: In den letzten 13 Monaten haben Scaringe und sein Team 2,85 Milliarden US-$ Fremd­kapital aufgenommen. Investoren wie der Internet­gigant Amazon investierten im Februar 2019 rund 700 Millionen US-$, bevor der US-­Autohersteller Ford weitere 500 Millionen US-$ zur ­Verfügung gestellt hat.

Hinzu kamen im September 2019 noch einmal 350 Millionen US-$ von Cox Automotive – bevor der Vermögensverwalter T. Rowe Price eine ­Investitionsrunde in der Höhe von 1,3 Milliarden US-$ anführte, die knapp vor Weihnachten abgeschlossen wurde. Rivians Bewertung liegt aktuell bei oder über 5,5 Milliarden US-$. Scaringe selbst besitzt Schätzungen zufolge rund 20 % des Unternehmens, was ihn zwar nicht zum einzigen, aber jedenfalls zum jüngsten „Automilliardär“ macht. Das Geld hat es dem Gründer auch ermöglicht, die Teamgröße bei ­Rivian von 700 Personen im Jahr 2018 auf heute über 2.000 Mitarbeiter zu verdreifachen. Die entscheidende Frage: Hat Rivian mit diesen drei Milliarden US-$ tatsächlich genug Geld, um Scaringes elektrischen Traum zu verwirklichen? Bisher war der Weg jedenfalls deutlich gemütlicher als bei Elon Musk. Tesla gab zwischen 2003 und 2008 rund 100 Millionen US-$ für die Produktion des Roadster aus, der dann zugunsten des Model S aufgegeben wurde, für das 350 Millionen US-$ gebraucht wurden. Der Weg des Model 3 war dann besonders schwierig: Probleme in der Lieferkette und Musks Wunsch, den Produktionsprozess vollständig zu unterbrechen, führten zu einer Verzögerung von zwei Jahren. Das kostete Tesla angeblich mehrere Hundert Millionen US-$.

Doch was lässt Scaringe glauben, dass Rivian – das Unternehmen hat noch kein einziges Auto ausgeliefert – eine ruhige Fahrt vor sich hat? „Es werden Dinge schiefgehen“, sagt er. Doch der 37-Jährige, der im Gegensatz zu Musk – der aufgrund seiner manischen Züge eher Iron Man Tony Stark ähnelt – wie ein sanftmütiger Clark Kent wirkt, ist zuversichtlich, dass er alle Hindernisse überwinden kann. Schließlich baut Rivian seine Autos für unwegsames Gelände.

Schon als Schüler träumte RJ Scaringe davon, eine Automarke zu starten. Doch im Gegensatz zu vielen anderen untermauerte ­Scaringe seinen Wunsch mit einem Ingenieurstudium, ­unter anderem an der Eliteuniversität MIT. Doch seine ursprüngliche Idee kam in Konflikt mit der Realität. „Mir wurde bewusst, wie viele Probleme das Auto verursacht – geopolitisch, ökologisch oder hinsichtlich der Luftqualität.“ Nach seinem Abschluss 2009 gründete er das Unternehmen, das später zu Rivian wurde. Er verbrachte fast zehn Jahre damit, die Plattform zu bauen – ein Chassis, das Batterie, Aufhängung, Elektromotor und einen Steuercomputer enthält. Im November 2018 stellte er Rivian auf der Los Angeles Auto Show vor: Die ersten Modelle waren der R1S, ein rein elektrischer SUV mit sieben Sitzplätzen, und der R1T, ein elektrischer Pick-up-Truck.

Wir werden bis 2025 in der Lage sein, 250.000 Fahrzeuge pro Jahr zu produzieren.

2021 will Rivian insgesamt 20.000 Stück, 2021 dann schon 40.000 Stück verkaufen. Das würde einen Umsatz von 1,4 bzw. 2,8 Milliarden US-$ bedeuten. Bis 2024 wird es zudem drei weitere Modelle geben. Mit Ankündigungen ist ­Rivian vorsichtig, jedenfalls soll aber ­eines davon kleiner und effizienter sein als die Vorgänger. Sofern Scaringe den Preis der Autos ­unter 50.000 US-$ halten kann, wird es für Musk schwierig. Klar ist aber auch, dass Tesla den Markt für Elektroautos aktuell noch dominiert. 80 % der Verkäufe in den USA sind Teslas, und auch sonst ist der Wettbewerb hart. Im Herbst 2020 lanciert Rivian seinen R1S SUV, zudem werden aber zugleich auch der Mercedes-Benz EQC (67.900 US-$), der Audi e-tron SUV (74.800 US-$), der Jaguar i-Pace (69.500 US-$) und natürlich der Tesla Model X (84.990 US-$) lanciert.

Andere Autohersteller, etwa ­Hyundai und Kia, warten mit günstigeren ­Alternativen, dem Kona EV und dem Niro EV, auf, die bei 37.190 US-$ bzw. 38.500 US-$ beginnen. In der Lkw-Kategorie ist Rivian hingegen praktisch konkurrenzlos, denn der Tesla Cybertruck wird wohl nicht vor 2022 produziert. „Die Chancen auf dem Markt sind groß“, sagt Ed Kim, ein Analyst für das Beratungsunternehmen Auto Pacific. ­Neben dem Preis und einer breiten Fahrzeugpalette ­entscheidet aber auch die Reichweite.

Rivian behauptet, dass R1S und R1T eine Reichweite von rund 640 Kilometern ­haben – 120 Kilometer mehr als alle bestehenden E-­Autos. Und: Rivian verspricht Gängigkeit im Gelände. Von seinen neuen Allianzen erhofft sich Scaringe mehr als nur Geld. Mit Ford wird ein gemeinsames Fahrzeug gebaut – und obwohl sich Scaringe mit Details zurückhält, wird es wohl ein Luxus-SUV der Ford-Marke Lincoln sein. Ford hält sich seine Optionen offen, um das Ziel – 30 E-Modelle bis 2022 – zu erreichen. Der Konzern arbeitet auch mit Volkswagen an einer E-Auto-Plattform.

Amazon wiederum erhofft sich von Rivian einen batteriebetriebenen Lieferwagen. Denn das Unternehmen versprach unlängst, bis 2030 100 % erneuerbare Energie für den Betrieb des eigenen Unternehmens zu verwenden und bis 2040 emissionsneutral zu werden. Die Lieferwagen wären dann Teil eines durchgängigen Logistiknetzwerks, an dem Amazon seit 2015 arbeitet. Doch der Rivian-Partner, der für die Konkurrenten am gefährlichsten scheint, ist Cox: Die Autotochter des US-Mischkonzerns Cox Enterprises führte 2019 mehr als 55 Millionen Servicetermine quer über die USA durch. Wenn also mit einem Rivian-Auto Probleme auftreten, könnten Kunden die Cox-Servicestellen nutzen, um ihr Fahrzeug rechtzeitig und ordnungsgerecht reparieren zu lassen. Mit solch einem flächendeckenden Angebot kämpft Tesla mit seinen 100 Servicezentren in 30 US-Staaten weiterhin.

Nun muss Rivian durch den ersten Produktionszyklus finden und die ­Produktpalette er­wei­tern. Und obwohl es noch zu früh ist, zu ­sagen, wer das Rennen um den Elektroautomarkt gewinnen wird, ist Rivian eines der wenigen Unternehmen, die gute Chancen haben, ganz ­vorne mitzufahren. Jetzt müssen die Autos nur noch ­gebaut werden.

Text: Chuck Tannert / Forbes US
Foto: Jamel Toppin / Forbes US

Der Artikel ist in unserer Februar-Ausgabe 2020 „Space“ erschienen.

Forbes Editors

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