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Aus einer Arztfamilie stammend weiß CEO Katharina Jünger, was es heißt, wenn das Wartezimmer überfüllt ist. Ihre Lösung: die Gründung eines Telemedizin-Unternehmens – Teleclinic.
Die Wirtschaftskrise trifft die große Mehrheit der Unternehmen hart. Doch einige wenige Unternehmer profitieren von der neuen Realität, in der wir uns aktuell befinden, darunter Amazon-Gründer Jeff Bezos, Zoom-Chef Eric Yuan – und Teleclinic-Gründerin Katharina Jünger (oben am Bild). 2015 mit Sitz in München gestartet, werden mit Hilfe einer App Arztbehandlungen via Ferndiagnose und per Videokonferenz möglich. Der Gang zum Arzt bleibt Patienten somit erspart, Wartezeiten entfallen und der Termin kann flexibel von jedem Ort aus wahrgenommen werden. Auch Rezepte und Krankschreibungen können über die App vergeben werden. Die Medikamente werden dann entweder über eine der 7.000 in der Teleclinic-App registrierten Apotheken versandt oder können persönlich abgeholt werden. Ebenso werden die Kosten der Behandlung direkt über die App abgerechnet. Die Vision, die dahinter steckt: Jeder Patient kann genauso online wie offline zum Arzt gehen.
Corona als Wachstumstreiber
Dass dieser Ansatz in Zeiten von Social Distancing und weitreichenden Quarantäne-Maßnahmen boomt, scheint nur logisch. Alleine in den letzten acht Wochen verzeichnete das Start-up einen Zuwachs an Patienten um 210% – mittlerweile hat die Teleclinic 40.000 Patienten. Rund 30% der derzeitigen Behandlungen über die Teleclinic beziehen sich konkret auf Corona-Thematiken. „Wir können als erste Anlaufstelle bei einer Corona-Symptomatik genutzt werden“, so Jünger, die wir natürlich per Videokonferenz interviewen. Auch Ärzte nutzen die App aktuell vermehrt, um ihre Dienste anzubieten. „Wir werden derzeit förmlich überschüttet mit Arztanfragen, weil Patienten derzeit – wenn nicht unbedingt erforderlich – nicht in die Praxis gehen.“ Der Vorgang bei der Teleclinic ist dabei wie folgt: Als Patient gibt man in der App sein Anliegen an, füllt also einen digitalen Anamnesebogen aus, und gibt einen Terminwunsch ab. Innerhalb von 30 Minuten wird einem dann automatisiert – oder in komplexeren Fällen über medizinisches Fachpersonal – und dem Anliegen entsprechend ein Arzt zugewiesen, dessen Profil für den Patienten einsehbar ist. Zum vereinbarten Termin findet dann die Arztbehandlung via Videokonferenz statt.
Mittlerweile sind 250 Ärzte bei der Teleclinic angemeldet. Das Unternehmen selbst hat 60 Mitarbeiter und verdient anteilig an den Behandlungskosten der Ärzte. Wie viel der Anteil an den Honoraren prozentual ist, gibt Jünger nicht bekannt. Die Kosten selbst werden derzeit nur von privaten Krankenkassen und einigen wenigen gesetzlichen übernommen. Jünger ist jedoch optimistisch, dass bald alle gesetzlichen Versicherungsträger die Kosten einer Behandlung übernehmen werden – daran arbeitet das Unternehmen derzeit intensiv.
Fernbehandlungsverbot: Die passende Gesetzeslage schaffen
Was sich derzeit als wahres Erfolgsrezept herauszustellen scheint war jedoch nicht immer erfolgsbringend. Vor allem nicht, weil es zur Gründungszeit 2015 noch ein Fernbehandlungsverbot in Deutschland gab. Für Jünger war das jedoch weniger Hindernis, sondern eher Ansporn: „Deutschland ist bei Innovationen oftmals nicht das erste Land, weil wir Deutschen eine eher gehorsame Art haben – was nicht erlaubt ist, machen wir nicht. Doch ich glaube, dass Innovation und Gesetzesänderungen oftmals nur dann passieren, wenn jemand daran arbeitet und dadurch der Bedarf gesehen wird.”
Trotz der anfänglichen Hindernisse war Jünger das Potential von Teleclinic bereits vor der Gründung bewusst. Aus einer Ärztefamilie stammend, hat sie immer wieder erlebt, wie Freunde um ein Telefonat für den Rat ihrer Mutter angefragt hatten. Alleine diese Telefonate waren meist schon enorm hilfreich. „Ein Arzt kann mit den richtigen Fragen bereits viel diagnostizieren”, so Jünger. Bevor sie im Alter von 24 Jahren die Teleclinic gründete, zog es sie erst einmal von ihrer Heimat Freiburg im Süden Deutschlands nach Berlin für ein Jurastudium an der Humboldt Universität. Sie hängte ein Masterstudium in Technologiemanagement an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München an. „Ich wollte immer mein eigenes Ding machen und in der Schule hat mich auch eher weniger Biologie und Chemie interessiert als vielmehr Politik, Sprachen und Wirtschaft.“ Im Rahmen ihres Masters traf sie auf den Radiologen Dr. Reinhard Meier. Gemeinsam mit Patrick Palacin als Entwickler wurde aus dem Potential von Telemedizin schließlich ein Unternehmen. „70% der Behandlungen können über die Teleclinic stattfinden. Besonders geeignet ist unsere App für Fälle, für die man den Hausarzt konsultieren würde, in der Dermatologie oder in der Kinderheilkunde“, so Jünger, die damit Skepsis gegenüber einer Fernbehandlung ausräumen möchte. Im Mai 2018 wurde das Fernbehandlungsverbot vom Deutschen Ärztetag aufgehoben.
Konkurrenz auf dem Telemedizin-Markt
Zu der Zeit, als das Fernbehandlungsverbot aufgehoben wurde, gab es bereits in anderen Ländern wie Schweden, Großbritannien den USA oder der Schweiz Anbieter von Telemedizin. Darunter befindet sich schwedische Unternehmen Kry, das von Investoren wie Creandum 219 Millionen € an Kapital einsammeln konnte (siehe auch unseren Artikel mit Creandum-Partner Simon Schmincke). Kry ist seit Ende 2019 in Deutschland aktiv. Auch Zava (ehemals Dr.Ed) aus Großbritannien, das seit 2010 31 Millionen € an Investition erhalten hat, ist bereits am Markt etabliert. In Amerika sind Anbieter wie der börsennotierte Konzern Teladoc Health im Bereich Telemedizin erfolgreich. Und das Schweizer Telemedizinunternehmen Medgate, das nach eigenen Angaben mit seiner Medgate Tele Clinic Europas größtes telemedizinisches Zentrum ist, expandierte Ende 2019 nach Deutschland und plant nun seinen operativen Einstieg.
Für Jünger, die insgesamt etwa zehn Millionen € an Investorengeld einsammeln konnte und derzeit eine B-Finanzierungsrunde plant, ist die Konkurrenz jedoch kein Grund zur Sorge. „Der deutsche Gesundheitsmarkt ist sehr anspruchsvoll und riesig – pro Tag werden eine Milliarde € ausgegeben. Wir kennen uns mit den Besonderheiten aus und positionieren uns explizit in Deutschland. Das Modell, als Telemedizinunternehmen in vielen Ländern aktiv zu sein, ist nicht erfolgreich, viele Wettbewerber haben so bereits viel Geld verbrannt.” Des Weiteren nennt Jünger den Datenschutz als wichtigen Punkt zur Abgrenzung von anderen Anbietern. Denn anstatt die Patientenangaben aufgrund ausländischer Anbieter in anderen Ländern gespeichert zu haben, hat Teleclinic seine Server in Deutschland und führt regelmäßig Crashtests durch und ist hinsichtlich Datensicherheit seit kurzem zudem von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zertifiziert. Doch Jünger hat ein ehrgeizigeres Ziel, als lediglich gut aufgestellt zu sein: „Wir haben uns bewusst für Deutschland entschieden, wir wollen hier die Nummer eins sein.”
Text: Andrea Gläsemann
Fotos: TeleClinic