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Die russische Wirtschaft hat turbulente Zeiten hinter und vor sich. Mitten drin, ein österreichisch-russisches Duo mit Biss und einem starken Arm für ausländische Unternehmen im diffusen Geschäftsleben Russlands.
Eiskalt wie ein russischer Winter hat es die Wirtschaft vor drei Jahren erwischt. Zuerst, im März 2014, die Wirtschaftssanktionen der Europäischen Union als Reaktion auf die Krim-Annexion: Vermögen wurden eingefroren, Einreiseverbote verhängt, Geschäftskontakte zu Öl- und Finanzindustrie gekappt, die Krim isoliert. Ab Sommer 2014 dann der Ölpreis Hand in Hand mit dem Rubel im freien Fall. Zur gleichen Zeit trat als Antwort des Kremls ein Einfuhrstopp von Lebensmitteln aus der EU, den USA und weiteren Staaten in Kraft.
Die wirtschaftliche Lage bessert sich nun langsam wieder, die Verhärtung der Fronten aber zieht weite Kreise. Wertschöpfungsketten verschieben sich ins Inland und spielen russischen Produzenten den Ball zu. Eine baldige Öffnung der Grenzschranken ist nicht in Sicht, nachdem Staatschef Wladimir Putin das Importverbot vorzeitig bis Ende 2018 verlängerte. Die EU zog bald nach und erweiterte ihre Blacklist im August 2017 sogar um drei Namen und Unternehmen, nachdem Gasturbinen des deutschen Technologiekonzerns Siemens auf der annektierten Halbinsel Krim gesichtet wurden.
Als hätten sie den Tumult gewittert (und sich von ihm anziehen lassen), gründeten die Österreicherin Isabella Pipal und die Russin Ekaterina Ilg im Jahr 2013 eine Rechts- und Beratungsfirma in Moskau. Im Gorky-Park an der Moskwa, einen Katzensprung vom Kreml entfernt, setzten sie sich mit Forbes zusammen.
Seit 4 Jahren unterstützen Sie als Rechts- und Unternehmensberatung ausländische Firmen beim Markteintritt und ihren Geschäften in Russland. Wie agieren österreichische, deutsche oder Schweizer Unternehmen am russischen Markt?
Ilg: Die meisten ausländischen Unternehmen kommen, um zu bleiben. Oft werden Tochterfirmen oder Niederlassungen gegründet, immer aber mit dem Ziel, hier Fuß zu fassen. Wer sich auf den russischen Markt traut, der will auch bleiben. Und der versteht auch, dass man diesen Markt nicht von Europa aus bearbeiten kann.
Pipal: Viele starten zuerst in Kooperationen mit russischen Unternehmen - oft einem Händler vor Ort. Die meisten unserer Kunden kommen aber zu uns, weil sie ein Problem zu lösen haben. Vielen ist das Geschäft aus der Ferne über einen lokalen Händler zu intransparent. Die Ware geht über die Grenze, was danach damit passiert, ist unklar.
Auf die Angebote von ausländischen Unternehmen werden 15 Prozent aufgeschlagen, dadurch gewinnen alle Teilnehmer aus der Eurasischen Wirtschaftsunion künstlich an Wettbewerbsfähigkeit.
Was ist die Motivation hinter einer Kooperation mit russischen Firmen?
Pipal: Es gibt zahlreiche staatliche Erlässe, die bis 2020 bzw. 2025 den Import von bestimmten ausländischen Produkten unterbinden sollen – Stichwort Lokalisierung. Besonders betroffen sind staatliche Ankäufe oder öffentliche Aufträge. Wenn heute die russische Eisenbahn als staatliches Unternehmen Maschinen ankauft, dann sollen möglichst heimische Unternehmen beauftragt werden. Ausländische Zulieferer wollen ihre Marktanteile behalten und suchen entweder Kooperationen mit russischen Unternehmen oder gründen Unternehmen mit eigenen Produktionsstätten im Land, um ihre Produkte als „Made in Russia“ labeln zu können. Bei öffentlichen Ausschreibungen bekommen ausländische Unternehmen die Lokalisierungsstrategie ganz besonders zu spüren. Auf die Angebote von ausländischen Unternehmen werden 15 Prozent aufgeschlagen, dadurch gewinnen alle Teilnehmer aus der Eurasischen Wirtschaftsunion (Anm.: Russland, Weißrussland, Kasachstan, Armenien und Kirgisistan) künstlich an Wettbewerbsfähigkeit.
Jetzt kommt wieder Optimismus auf, für 2017 wird ein positives Wirtschaftswachstum prognostiziert.
Ukraine-Konflikt, Sanktionen, Ölpreisverfall, Rubelschwäche. Es gibt günstigere Standorte derzeit. Was für eine Marktstimmung herrscht bei ausländischen Unternehmen?
Pipal: Jetzt kommt wieder Optimismus auf, für 2017 wird ein positives Wirtschaftswachstum prognostiziert. Im Sommer 2018 findet zudem die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland statt. Davon erhoffen sich gerade österreichische Unternehmer, die schon in Sotschi erfolgreich tätig waren, viele Aufträge.
Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren, hier in Moskau sind die Straßenarbeiten ja praktisch rund um die Uhr im Gange.
Pipal: (lacht) Man sagt, der Straßenbau sei eines der korruptesten Geschäfte in Russland. Die Twerskaja-Straße, eine der größten und meist frequentierten Straßen Moskaus, wird zum Beispiel nahezu jeden Sommer aufgerissen.
Sind auch österreichische Unternehmen in Russlands Straßenbau aktiv?
Pipal: Niemand von unseren Kunden zumindest.
Hier in Russland ist es ein Problem, dass viele neue Unternehmen sich nur mit englischsprachigen Broschüren präsentieren und annehmen, das sei ausreichend.
Eine der Leistungen ist laut Ihrer Website die „Anpassung einer Marke an die Kultur“. Worauf müssen ausländische Unternehmer in Russland achten? Was können sie falsch machen?
Ilg: Ich denke, das ist nicht nur in Russland ein wichtiger Aspekt. Es ist immer eine Herausforderung, wenn man in ein neues Land kommt und sich erst an die Kultur und Umgangsformen anpassen muss. Das ist nicht anders, wenn eine Firma nach Amerika oder Ostasien expandiert, die Marke muss immer adaptiert werden. Russland ist ein Mix aus Europa und Asien.
Pipal: Hier in Russland ist es ein Problem, dass viele neue Unternehmen sich nur mit englischsprachigen Broschüren präsentieren und annehmen, das sei ausreichend. Russische Kunden werden einem fremdsprachigen Marketing-Sheet kaum Beachtung schenken. Alles läuft hier auf Russisch, man braucht eine entsprechende Homepage und muss die Social-Media-Kanäle anpassen. Vergleichbar mit Facebook verwendet man hier etwa das soziale Netzwerk „vkontakte“ (Übersetzung: „in Kontakt“). Für Vieles gibt es ein russisches Pendant. Bei uns benutzt jeder Google, hier ist die meistgenutzte Suchmaschine Yandex. Wenn also Homepages promotet werden sollen, dann unbedingt auch über die russischen Plattformen.
Das Online-Karrierenetzwerk LinkedIn hat global über 500 Millionen Nutzer, in Russland ist die Website aber seit November 2016 gesperrt. Warum?
Pipal: Vor rund 2 Jahren wurde ein strengeres Datenschutzgesetz erlassen. Demnach müssen sämtliche Daten über russische Staatsbürger auch auf russischen Servern gespeichert werden, was LinkedIn (Anm.: Ende 2015 von Microsoft übernommen) nicht macht. Deshalb hat die Behörde dieses Netzwerk blockiert.
Wie geht man hier damit um? Haben russische Firmen dadurch einen Nachteil?
Pipal: Das betrifft mehr Privatpersonen als Unternehmen. Die einfachste Lösung sind Proxy-Server und VPNs, mit denen der Nutzer einen Standort im Ausland vortäuscht und so auf die blockierten Websites zugreifen kann. Allerdings gibt es wiederum verschärfte Gesetze, die erst vor Kurzem verabschiedet wurden, und diese Umgehung verbieten. Ab September 2017 dürfen Proxy-Server und VPNs nicht mehr verwendet werden, wenn mit ihnen auf Seiten zugegriffen wird, die eigentlich vom Staat beschränkt wurden. Das betrifft in erster Linie Webseiten mit extremistischen Inhalten.
Gibt es auch ein russisches Pendant zu LinkedIn?
Pipal: Keines, das mir bekannt wäre.
Es werden immer noch viele Geschäfte außervertraglich vereinbart, die Entscheidung fällt im Rahme nicht formaler Umstände. In Europa verläuft das anders, dort wird alles nach einem offiziellen Schema abgearbeitet.
Wodurch zeichnet sich die russische Geschäftsmentalität aus? Worauf muss man sich einstellen, wenn man zum ersten Mal hier arbeitet?
Ilg: Unberechenbarkeit. Es werden immer noch viele Geschäfte außervertraglich vereinbart, die Entscheidung fällt im Rahmen nicht formaler Umstände. In Europa verläuft das anders, dort wird alles nach einem offiziellen Schema abgearbeitet. Die Geschäftswege und Verhandlungen in Russland unterscheiden sich insofern, als dass sehr viele Inhaber von Firmen nicht in das operative Geschäft involviert sind und die Detailfragen des Unternehmens und der Branche nicht kennen.
Pipal: Zusätzlich wird der Preis laufend nachverhandelt, erfahrungsgemäß besonders dann, wenn es sich um den Kauf von Maschinen bzw. Anlagen handelt. Da meint man, man hat sich schon geeinigt und dann kommt noch eine Nachverhandlung. Der gesamte Geschäftsprozess läuft informeller ab. Oft fragen ausländische Unternehmen ihre russischen Partner nach einem Business-Plan inklusive Modelle und Prognosen. Dann antwortet der russische Geschäftspartner: “Forecasts? Vertraust du mir nicht? Du kannst nie wissen, was in einem halben Jahr passieren wird. Nicht einmal, was in zwei Monaten passiert!”
Vertrauen und der informelle Austausch sind also zwei Charakteristika der Geschäftsmentalität. Woher kommt das?
Ilg: Das hat wiederum etwas mit Erfahrungen in den Post-Sowjet-Zeiten zu tun. Bei uns gab es Anfang der 90er-Jahre keine Supermärkte, dafür aber oft Basare und Straßenmärkte. Sehr viele der heute erfolgreichen Geschäftsleute sind in dieser Zeit aufgewachsen und haben sich in ihr zu bewegen gelernt. Sie haben auf der Straße gefeilscht und Geschäfte abgeschlossen - ohne schriftliche Verträge. Diese Dynamik hat sich weiterentwickelt und hat sich selbst bei den aufsteigenden Geschäftsleuten etabliert. Heute bilden sie Russlands Wirtschaftselite, aber sehr viele stammen aus der Zeit der Straßenmärkte.
Gerade im Kontakt mit Behörden gilt: Wenn das Papier nicht den formalen Anforderungen entspricht, wird dem Inhalt keine Beachtung geschenkt.
Gleichzeitig gilt aber Bürokratie als ausgeprägter Bestandteil der russischen Wirtschaft. Welche Rolle nehmen Formalitäten im Geschäftsverkehr wirklich ein?
Pipal: Gerade im Kontakt mit Behörden gilt: Wenn das Papier nicht den formalen Anforderungen entspricht, wird dem Inhalt keine Beachtung geschenkt. Ansuchen werden abgelehnt, weil etwa der Stempel nicht an der richtigen Stelle gesetzt wurde. Das führt zu skurrilen Erlebnissen. „In-sich-Geschäfte“ sind hier zum Beispiel gang und gäbe. Wenn ich mir als Geschäftsführerin mein Gehalt auszahlen will, ruft mich die Bank jedes Mal an und fragt, ob ich mir die Auszahlung bestätige. Man unterschreibt Bevollmächtigungen an sich selbst und beglaubigt seine eigene Unterschrift. Es klingt absurd: Es gibt auch Arbeitsverträge mit sich selbst. Da kann es zu Situationen kommen, dass russische Geschäftsführer bei russischen Unternehmen mit ausländischen Gesellschaftern angestellt sind und mit sich selbst einen Arbeitsvertrag mit großzügigem Gehalt abschließen. Ein Geschäftsführer kann sich auch jeden Monat legal Prämien selbst auszahlen, sofern solche Vorgehensweisen nicht entsprechend vertraglich verhindert werden.
Wenn man mit einer neuen Firma in Kontakt kommt, dann werden die Visitenkarten ausgetauscht: der Eine ist operativer Direktor, der Andere konstruktiver Direktor, der Dritte intellektueller Direktor.
Wie stark ist der Wunsch nach gesellschaftlichem Aufstieg?
Ilg: Es gibt so eine Sitte, über die wir immer lachen müssen. Wenn man mit einer neuen Firma in Kontakt kommt, dann werden die Visitenkarten ausgetauscht: der Eine ist operativer Direktor, der andere konstruktiver Direktor, der Dritte intellektueller Direktor.
Titelinflation in Russland?
Pipal: Es gibt schon ein stark ausgeprägtes Karrieredenken hier, gleichzeitig aber auch ein Streben nach Stabilität. Und mein Eindruck ist, dass es tendenziell Frauen sind, die Letzteres priorisieren.
Ilg: Es war in Russland immer so, dass die Frau diejenige war, die alles auf ihren Schultern tragen musste. Auch zu Sowjet-Zeiten und davor zu Zaren-Zeiten war die Frau vielleicht nie im Vordergrund des öffentlichen Diskurses, aber sie war immer diejenige, die den Haushalt und die Familie erhalten hat. Auch bei uns gibt es das Sprichwort: Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau.
Steht hinter dem Sprichwort nicht, dass Frauen nur für ihre Männer anstatt für sich selbst stark sind?
Ilg: Diese Einstellung ändert sich, moderne Frauen sind auch hier schon viel selbstbewusster. Man muss aber in Russland speziell unterscheiden: In urbanen Regionen hat sich viel verändert, in den ländlichen Regionen herrschen aber noch sehr konservative Rollenbilder. Auch wenn Frauen dort erwerbstätig sind, ist Karriere nichts, worüber nachgedacht wird.