Tarnen, Täuschen, Einnehmen

Die Wiener Konzeptkünstlerin Deborah Sengl zeichnet für den Auftritt des diesjährigen Women’s Summit verantwortlich. Über ihre Arbeit, ihr Selbstverständnis, ihre Vorbilder und ihren produktiven Zorn sprach sie mit Heidi Aichinger, Begründerin der Women@Forbes-Initiative für den deutschsprachigen Raum. Die beiden verbindet eine 40-jährige Freundschaft.

Ich habe in einem deiner Interviews gelesen, dass du deinen Feminismus erst spät entdeckt hast. Was heißt denn das?
Deborah Sengl (DB): Ich ­konnte allein schon mit dem Begriff nichts anfangen, weil feministisch zu sein für mich eigentlich eine Selbstverständlichkeit war. Du kennst ja meine ­Mutter … eine sehr starke, sehr selbstbewusste Frau, die mir mitgegeben hat, dass ich mich durchsetzen muss, wenn mir was nicht passt, und dass ich für meine Position kämpfen soll – ganz unabhängig von meinem Geschlecht. Ungleichbehandlung – so, wie sie diskutiert wird – ist mir im Beruflichen tatsächlich nie widerfahren.

Möglicherweise liegt es bei dir auch daran, dass du als Künstlerin nur für dich selbst und alleine stehst …
(DB): Ich sage immer: Wenn das mit der Kunst nicht läuft, dann kriegst du mich in keinen Betrieb rein – außer als Chefin. Ich kann mich überhaupt nicht unterordnen und bin darüber hinaus komplett beratungsresistent, ich kann nicht Auto fahren und für meine perfektionistischen Ansprüche zu schlecht Englisch. Ich bin unvermittelbar. (lacht)

Du hast die Gestaltung für ­unseren diesjährigen Women’s Summit übernommen. Passt eine Konferenz rund um die Welten der Frauen – von Kunst bis Finanzen – zu deinem ­Arbeitsthema des „Jägers, der sich die begehrte Beute ‚ertarnt‘“ …?
(DB): Finde ich schon. Wir spielen permanent Rollen, privat wie beruflich. Wir sind immer mehrere, je nachdem, was wir gerade bezwecken wollen – wir haben auch verschiedene Bedürfnisse im Leben –, und um diese unterschiedlichen Rollen ist es mir immer gegangen. Auch in dem Sinn, als wir alle ebenso Opfer wie Täter sind. Wir tragen eben mehrere Seiten in uns.

Bei keinen anderen Veranstaltungen außer jenen, die Frauen im ­Fokus haben, geht es um die Sichtbar­machung von Role Models. Siehst du dich als Vorbild?
(DB): Eigentlich nicht. Aber wenn ich ein Vorbild für junge Mädels sein kann, die sich durchsetzen und wehren wollen, dann bin ich das gerne.

Wir haben verschiedene Bedürfnisse und unterschiedliche Rollen. Wir sind ebenso Opfer wie Täter. Wir tragen eben beide Seiten in uns.

Deborah Sengl

Hattest oder hast du Vorbilder?
(DB): Nie. Es gibt aber viele Menschen, die ich spannend finde. Als Kind habe ich auch niemanden ange­betet – außer vielleicht Robert Smith von The Cure.

Ich selbst fand das Vorbild-/Rollenthema immer eher schwierig …
(DB): Ja, weil dir alle sagen, was du sein sollst. Ich war einmal bei einer Veranstaltung zum Thema Depressionen, wo sehr unterschiedliche Beiträge zu hören waren. Einen sehr persönlichen Text, von Barbara Kaufmann, fand ich besonders stark; da wurden nach der Reihe Ratschläge, was man tun soll, wenn man Depressionen hat, vorgelesen: Du solltest mehr Sport machen, du solltest weniger Sport machen, du solltest länger schlafen, du solltest weniger schlafen … Dieser Text hat mich so unglaublich berührt – und du kannst ihn auf jedes Thema ummünzen. Das hörst du ja auch als Frau bis heute noch: Du solltest das oder jenes tun oder nicht tun … Und mit jedem dieser Ratschläge wird es doch immer noch schwieriger, in deine eigene Rolle zu finden und dich verstanden zu fühlen.

Ist das für dich als Künstlerin ähnlich? Du hast dich von der Grafik bis zum Objekt und der Malerei in ­vielem ausprobiert …
(DB): Ich sehe mich als Konzeptkünstlerin, die verschiedene Themen in verschiedenen Techniken bearbeitet. Das geht von der Zeichnung über die Malerei und die Skulptur bis hin zur Gestaltung ganzer Räume, wie bei den Escape Rooms, die ich gestaltet habe. Die Technik ist bei mir immer nur ein Mittel zum Zweck.

Auf welche deiner Arbeiten bist du am stolzesten?
(DB): Immer auf die letzte, die ich gemacht habe – wirklich wahr.

Deborah Sengl (* 1974) ­studierte an der Universität für angewandte Kunst. Sie lebt und arbeitet in Wien.
www.deborahsengl.com

Foto: David Višnjić

Heidi Aichinger,
Herausgeberin

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