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Als Elon Musk dieses Jahr auf Platz eins der Forbes Billionaires List und damit zum reichsten Menschen der Welt aufstieg, war dies das Ergebnis monatelanger Recherchen, die Forbes und Forbes-Redaktionen rund um den Globus angestellt hatten. Luisa Kroll hat diese Liste lange betreut, Milliardäre sind ihre Spezialität. Sie berichtet, warum sie, seitdem sie eine junge Redakteurin war, so gerne an der Liste arbeitet und wie sie und ihr Team bei Forbes den Wert eines Vermögens berechnen.
Ich treffe Luisa Kroll in einem imposanten Wolkenkratzer am Washington Boulevard in New Jersey. Das gläserne Gebäude liegt gleich am Hudson. Aus den bodentiefen Fenstern blickt man auf die Skyline Manhattans. Für unser Gespräch hat sie sich zwischen Meetings und dem Redigieren von Texten Zeit genommen. Kroll ist Executive Editor und verantwortlich für die Magazintexte der Kollegen. Ihr Schreibtisch ist voll mit Papieren und Magazinen, aber nicht unorganisiert. Das Buch „Play Nice But Win“ von Michael Dell, Gründer und CEO von Dell, liegt ganz oben. Kroll ist nur zweimal im Monat im Büro, sie lebt mit ihrer Familie außerhalb der Stadt. Das Pendeln nach New Jersey dauert – vor allem, weil sie öffentliche Verkehrsmittel nimmt. „Ich bin New Yorkerin, fahre kein Auto. Ich hasse Autofahren.“
Kroll begann ihre Karriere bei Forbes damit, Wildparks zu bewerten und festzustellen, wie viel ein Zebra im Vergleich zu einem Löwen wert ist. Sie erinnert sich nicht mehr genau an den Wert, aber an eine Lektion: „Zehn oder 20 Millionen Dollar in Tieren ist für Milliardäre wirklich weniger als ein Rundungsfehler.“ Einmal im Jahr wühlen sich Kroll und ein Dutzend von Reportern durch Bankauszüge, Grundbücher und Unternehmensbilanzen. Krolls Vater war Banker in New York; „so habe ich immer schon einen Hang zu Zahlen gehabt“, sagt sie heute. Als sie 1996 als Reporterin bei Forbes anfing, habe sie allerdings nie gedacht, nach einem Vierteljahrhundert immer noch bei Forbes zu sein und das weiterzuführen, was sie als junge Reporterin angefangen hatte, diesmal in der Rolle der Leitung des Vermögens-Ressorts und für die Milliardärsliste. Am Ende der jährlichen Recherchen des Teams steht stets die Liste der reichsten Menschen der Welt.
Auf Platz eins – und damit der reichste Mensch der Welt – ist aktuell Tesla-Chef Elon Musk. Auf der 36. Forbes-Rangliste stehen aktuell 2.668 Menschen, sie sind zusammen 12,7 Billionen US-$ schwer. Aber noch mehr als die Zahlen interessieren Kroll die Geschichten dahinter, die Menschen. Denn: „Keine zwei Vermögen sind genau gleich.“ Es gibt Leute, die börsennotierte Aktien besitzen, es gibt Leute, die private Unternehmen besitzen, es gibt Leute, die viele Immobilien in verschiedenen Teilen des Landes oder in Österreich und Deutschland oder in Asien besitzen. Dann gibt es Leute, die Öl- und Gasfelder besitzen, und jedes davon ist anders zu bewerten. Auch die Recherche ist nicht immer gleich, denn nicht alle Milliardäre sind gleich zugänglich: „Wir haben Leute, die uns ihre Kontoauszüge schicken, und wir haben Leute, die sich weigern, mit uns zu telefonieren“, so Kroll.
Ein Punkt, der ihr besonders am Herzen liegt: der Frauenanteil. Der ist niedrig – nur 327 oder 12,2 % der Listmaker sind dieses Jahr weiblich. Kroll sagt, die Zahl sei eigentlich sogar zu hoch angesetzt: „Von diesen 327 Frauen haben nur 75 das getan, was es braucht, um auf die Liste zu kommen.“ Sprich: Nur 3 % dieser Frauen sind Selfmade-Milliardärinnen, der Rest ist Familienerbin oder (Ex-)Ehefrau, so wie MacKenzie Scott, Ex-Frau von Amazon-Gründer Jeff Bezos.
Und die Zahl der Milliardärinnen habe sich nicht verändert, seit Kroll bei Forbes angefangen habe, „vielleicht ist sie sogar ein bisschen kleiner geworden“. Als Frau und als Redakteurin sei das immer etwas gewesen, was sie interessiert habe und dem sie nachgegangen sei, um es zu verstehen. 2015 war Kroll es so leid, dass es so wenige Milliardärinnen gab, dass sie zu ihrem damaligen Chef ging und ihn bat, eine Liste von Selfmade-Unternehmerinnen erstellen zu dürfen. Es ist nur eine US-Liste, aber sie wurde auf 100 erweitert und es wurden auch Frauen aufgenommen, die weniger als eine Milliarde schwer sind, aber trotzdem ein großes Vermögen angesammelt haben. Das habe es der Redaktion ermöglicht, mehr Geschichten von Frauen zu erzählen, die durchaus einen großen Erfolg feiern konnten, wenn auch nicht mit zehnstelligem Vermögen.
„Dabei haben wir viel gelernt“, so Kroll – unter anderem, dass es ganz klar einige grundlegende Probleme gibt: „Männer haben die Wirtschaft und die Start-up-Kultur viele, viele Jahre lang dominiert. Einige der strukturellen Gegebenheiten von vor 30, 40, 50 Jahren haben vielen dieser Männer zu großem Reichtum verholfen.“
Kroll denkt, dass aber nur ein Teil strukturell bedingt ist. „Es hat auch etwas mit der Einstellung von Frauen zu tun. Ich denke, dass Frauen sich kümmern wollen. Sie wollen eine Art Mentorschaft aufbauen und andere Menschen unterstützen. Sie wollen oft nicht die sein, denen alles gehört, sie wollen Dinge teilen.“ Und: Im Allgemeinen wollen die Frauen häufig nicht über ihren Reichtum sprechen. „Sie wollen lieber gar nicht auf der Liste stehen“, sagt Kroll. Sie wollen nicht wegen ihres Vermögens im Rampenlicht sein, sondern damit, was sie der Gesellschaft zurückgeben.
Eine Trendwende sieht Kroll nicht unbedingt beim Vermögen, sehr wohl aber bei den Unternehmensgründungen. „Ich glaube, dass wir im Laufe der Zeit auf jeden Fall mehr Frauen sehen werden, die in den verschiedensten Bereichen Unternehmen gründen, etwa in der Tech- und Biotech-Branche und auf jeden Fall in Bereichen wie Mode und Einzelhandel.“
Bereits jetzt gebe es ermutigende Daten. Kroll bezieht sich auf eine Statistik des Weltwirtschaftsforums: Etwa 49 % der neuen Unternehmen im Jahr 2021 wurden von Frauen gegründet. „Für mich ist das ein wirklich ermutigendes Zeichen.“ Aber man sehe, dass der größte Teil der Risikofinanzierung usw. immer noch an Männer geht.
Es sei ein Hin und Her, ein Schritt vor, zwei Schritte zurück. Kroll: „Als ich mit dieser Liste angefangen habe, dachte ich, dass wir mehr Fortschritte sehen würden. Aber es gibt trotzdem großartige Geschichten, und es gibt immer noch so viele Frauen, die ein Unternehmen gründen und wirklich großen Erfolg haben. Das ist sehr positiv und gibt mir Hoffnung!“
Luisa Kroll ist leitende Redakteurin bei Forbes, zuständig für die Berichterstattung über Politik, Reichtum, Sport und Unterhaltung sowohl auf forbes.com als auch im Forbes-Magazin. Davor war sie Mitherausgeberin der World’s Billionaires List, von „Forbes 400 Richest Americans“ und der Liste der vermögendsten Selfmade-Frauen.
Fotos: Jamel Toppin