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Die Rektorin der WU Wien analysiert Organisationen anhand von Geschlechtsspezifika.
Der 2013 neu erbaute Campus der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien erstreckt sich weitläufig. Insgesamt fünf Gebäudekomplexe mit 35.000 Quadratmetern sind es, die restlichen 55.000 Quadratmeter werden von öffentlich zugänglichem Freiraum ausgemacht. Die Vorlesungszeit startet zwar erst in einem Monat (zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses; Anm.), trotzdem wimmeln bereits jetzt zahlreiche Studierende herum. Insgesamt sind es im Wintersemester 2017/2018 rund 25.000. Letztverantwortlich für die Ausbildung dieses Nachwuchses ist Edeltraud Hanappi-Egger. Die gebürtige Eisenstädterin wurde 2015 zur Rektorin der WU gewählt – als erste Frau in dieser Position. Sie folgte Christoph Badelt nach, der 13 Jahre lang an der Spitze die Geschicke der Universität lenkte.
Die Führungsebene ist Hanappi-Egger aber keineswegs fremd: Bereits von 2006 bis 2009 war sie Vorsitzende des WU-Senats (neben dem Rektorat und dem Universitätsrat oberstes Leitungsorgan; Anm.). „Ich sehe das Amt der Rektorin als eine Teamleistung. Bereits bei meiner Bewerbung habe ich präsentiert, wen ich als Vizerektor und Vizerektorin haben will. Es gibt gewisse Verantwortlichkeiten für die Ressorts, wo diese auch hingehören“, erzählt Hanappi-Egger. In diesem Zusammenhang verweist sie auf ihre akademische Vergangenheit als Softwareentwicklerin, denn ursprünglich studierte sie in den 1980er-Jahren Informatik an der Technischen Universität (TU) Wien. Demgemäß sei Hanappi-Egger „skandinavisch angehaucht“ und habe ein stark partizipatives Verständnis. Woher kommen aber ihre wirtschaftswissenschaftlichen Wurzeln? „Während meines Informatikstudiums habe ich mich stark mit Softwareentwicklung beschäftigt. Mein erstes großes Forschungsprojekt (Anfang der 1990er-Jahre; Anm.) war über die Planung von Operationsterminen in einem Krankenhaus. Wie diese ablaufen und aus welchen Tasks sie bestehen. In diesem Rahmen werden sehr viele Organisationsentscheidungen getroffen – mir ist etwa aufgefallen, dass die weiblich konnotierten Aufgaben wie das Vorbereiten der Patienten und das Aufräumen der OP-Säle als sehr vernachlässigbar wahrgenommen wurden. Was für ein Planungssystem natürlich nicht stimmt.“
Hanappi-Egger erzählt zwar pragmatisch, gleichzeitig ist ein eindeutiger Drang nach Veränderung spürbar. Die damaligen Forschungsergebnisse sprachen für die Forscherin eine eindeutige Sprache: Es bestand eine geschlechterspezifische Arbeitsaufteilung, welche Aufgaben Frauen und welche Männern zugeschrieben wurden. „Zudem gab es eine geschlechterspezifische Hierarchie. Je weiter man in der Spitalsorganisation nach oben blickte, desto weniger Frauen waren vorhanden.“ Derartige Erkenntnisse sind an sich nichts Neues. Zahlreiche Studien belegen dies. Der Anteil der Universitätsprofessorinnen betrug 2015 23 Prozent – das geht aus einer parlamentarischen Anfrage an den ehemaligen ÖVP-Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner hervor. Für Hanappi-Egger war dies jedoch ein Augenöffner. Denn wie Strukturen innerhalb von Organisationen und anhand welcher – geschlechterspezifischen – Merkmale sie ablaufen, wurde zu einem ihrer Hauptforschungsschwerpunkte.
Edeltraud Hanappi-Egger (53)
Studium der Informatik an der TU Wien, anschließend Doktorat an der TU und an der Universität Stockholm. Von 1993 bis 1996 war sie Stipendiatin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. 1996 folgte die Habilitation für Angewandte Informatik an der TU Wien. Seit 2002 Professorin für „Gender and Diversity in Organizations“ an der WU Wien, seit Oktober 2015 deren Rektorin. Aufenthalte an internationalen Forschungsinstitutionen (zuletzt an der LSE und McGill University).
1990 promovierte Hanappi-Egger. Ihre Dissertation befasste sich mit dem Thema „Datenschutz versus Informationsfreiheit“. Sechs Jahre später, 1996, folgte die Habilitation in Angewandter Informatik an der TU Wien. 2002 wurde Hanappi-Egger Professorin für „Gender and Diversity in Organizations“ an der WU Wien. Gegenstand der Forschung ist, wie Ungleichverhältnisse, die an Diversitätsmerkmale anknüpfen, in sozialer, ökonomischer und politischer Hinsicht entstehen, sich verändern und Einfluss nehmen.
Dabei drängt sich die Frage auf, ob die beschriebenen Phänomene nur auf gewisse Organisationen zutreffen. „Das ist keine Branchenfrage, das trifft auf alle Organisationen zu. Es gibt ja auch Ausschließungen von Männern als Prototypen von Maskulinitätskonstruktionen. Zum Beispiel wird man im pädagogischen und erzieherischen Bereich als Mann skeptisch wahrgenommen.“ Um auf diese Probleme aufmerksam zu machen, wählt Hanappi-Egger aber keine individuelle Betrachtungsweise von Personen, sondern einen strukturtheoretischen Zugang. „Organisationen sprechen einen bestimmten Typus an. Wir haben auch eine Studie gemacht, dass PersonalmanagerInnen eine vergeschlechtlichte Schablone verwenden, wenn sie Auswahlentscheidungen treffen.“
Ich sehe das Amt der Rektorin als eine Teamleistung.
Auf individueller Ebene ist man vielmehr bei den Studierenden gefordert. Denn die Wirtschaftselite von morgen auszubilden, benötigt einen kräftigen Schub hinsichtlich Lehrverhältnisse oder Vereinbarkeit von Beruf und Studium. Wer eine wissenschaftlich fundierte Berufsvorbildung genießen wolle, müsse nicht nur Grundlagenwissen vermittelt bekommen, sondern auch Fähigkeiten des interdisziplinären Arbeitens sowie lösungsorientierte Denkweisen, so die WU-Rektorin.
„Wir haben Student Panels und Surveys und sehen anhand dessen, dass die Studierenden am Arbeitsmarkt auf eine gute Nachfrage stoßen. Wir bilden sie breit aus, sodass sie zum Beispiel nicht nur im Marketing oder Personalmanagement arbeiten können, sondern für viele Bereiche qualifiziert sind. Alle bekommen eine volkswirtschaftliche, betriebswirtschaftliche, mathematische und rechtswissenschaftliche Einführung. In einem Studienzweig kann man sich dann spezialisieren und innerhalb dessen gibt es dann weitere Wahlmöglichkeiten.“ In Zukunft gelte es besonders, mit Komplexitäten umgehen zu lernen, also mit schlecht spezifizierten Entscheidungsgrundlagen arbeiten zu können.
Was den Karriereweg von WU-Absolventen betrifft, ist dieser laut
Vienna Career Panel Project der WU seit den 1990er-Jahren relativ gleich geblieben: Rund fünf Prozent finden den Weg in die öffentliche Verwaltung, bis zu zwölf Prozent landen in öffentlichen Unternehmen. Nach wie vor bildet die Privatwirtschaft mit mehr als 70 Prozent den größten Cluster, wie auch Hanappi-Egger im Gespräch bestätigt. Die Tendenz ist leicht steigend. „Ich glaube aber auch, dass die Studierenden zukünftig mehr selbst gründen werden. Wir merken zudem eine verstärkte Nachfrage für Social Entrepreneurship.“ Dafür gibt es etwa das Gründungszentrum am WU Campus. Zur Veranschaulichung: Dem WU Career Center zufolge (2016) – es hilft bei der klassischen Jobsuche – schicken Masterabsolventen durchschnittlich fünf Bewerbungsschreiben aus, die zu drei Bewerbungsgesprächen und zwei Jobangeboten führen.
Zurück zu den Genderfragen: Laut Hanappi-Egger müsse man die Strukturen, die anhand von Stereotypen funktionieren, kritischer hinterfragen – um diese so aufzubrechen. „Im internationalen Vergleich sind die österreichischen Verhältnisse hartnäckig. Da gibt es massive stereotypische Zuschreibungen. Ich merke das, wenn ich mit Managerinnen aus dem Ausland spreche – wie sehr sie in Österreich auf irgendwelche Mutterrollen fixiert werden“, sagt sie kritisch. Gleichzeitig hat die WU Wien bereits eine Abschlussquote an weiblichen Studierenden von 50 Prozent (BSc-, MSc-, Doktorrats- und PhD-Abschlüsse zusammengerechnet; Anm.) – und liegt somit etwa deutlich über jener der TU Wien (siehe Artikel Seite 94–97). „In vielen beruflichen Bereichen gibt es die berühmten „ersten Frauen“. Das kann man als Fortschritt sehen. Aber massive Umschwünge sehe ich nicht.“
Der Gender Gap Report bildet diese Strukturen in Zahlen ab. Das World Economic Forum quantifiziert in einem Bericht die Größe der Geschlechterungleichheiten. Besonders wird dies in vier Kernbereichen gemessen: Gesundheit, Erziehung, Wirtschaft, Politik. Die Analyse aus dem Jahr 2016 (bewusst im Original gehalten): „More than a decade of data has revealed that progress is still too slow for realizing the full potential of one half of humanity within our lifetimes.“ Traditionell auf den ersten Plätzen rangieren die skandinavischen Länder (2016: Island, gefolgt von Finnland und Norwegen). Österreich belegte 2016 den 52. Rang – von 144 Staaten. Woran liegt das? „Dabei gibt es unterschiedliche Aspekte. In den skandinavischen Ländern gibt es die kulturelle Prägung, dass sich die Eltern die Verantwortung für das Kind gleichermaßen teilen. Es wäre verpönt, wenn der Vater sich nicht in die Familienbetreuung einbringt. Zudem ist die Familienteilzeit stärker ausgeprägt, wodurch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für beide Elternteile einfach ist. Außerdem sind die flächendeckenden Betreuungsangebote stärker ausgeprägt“, erklärt die 53-jährige Hanappi-Egger, die selbst ein Kind hat.
Die WU-Rektorin sieht hierbei jedoch nicht nur die Politik gefragt, für entsprechende Rahmenbedingungen – wie für verschiedene Karenzvarianten – zu sorgen. Vielmehr müsse man früher und tiefer greifend einwirken: „Es geht um das Kulturverständnis. Darum, was die Kinder bereits in der Schule lernen, was Männer und Frauen angeblich tun. Man beginnt sehr früh, diese geschlechtsspezifischen Stereotype aufzubauen. Das führt dazu, dass die Leute dies internalisieren.“ Auf der WU Wien gibt es seit Jahren spezielle Frauenförderprogramme sowie Karrierecoachings für Wissenschaftlerinnen. Die Ergebnisse seien aber noch verbesserungswürdig, zeigt sich Hanappi-Egger selbstkritisch. Erst kürzlich habe die WU erneut Habilitationsstellen für zwei Frauen in der Postdocphase ausgeschrieben. „Um diese in einer Phase, wo es um den ersten wissenschaftlichen Karriereschritt geht, vermehrt sichtbar zu machen.“
Schon mehr erwartet sich die 53-Jährige von der derzeitigen uniinternen Diskussion: jener des Leistungsbegriffes im akademischen Umfeld. Derzeit werde dieser hauptsächlich über den Forschungsoutput definiert. Dabei verkenne man jedoch, dass die WU auch für eine hochwertige Lehre und sogenannte „Third Mission“-Aktivitäten, also etwa Wissenstransfer und Öffentlichkeitsarbeit, sorgen müsse. „In einem Leistungsbeurteilungssystem, das fast ausschließlich auf Forschungsoutput basiert, verlieren wir viele Personen, die eigentlich ein breiteres Leistungsportfolio haben. Zudem müssen wir wegkommen von der Vorstellung der akademischen Normalbiografie – dass nur diese eine Chance hat. Denn diese Normalbiografie ist in gewisser Weise auch wieder vergeschlechtlicht: Die damit verbundenen Erwartungen implizieren, dass sich junge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen auf das Publizieren konzentrieren müssen, viel international unterwegs sind und ihre Communitys pflegen. Das können Menschen mit Betreuungspflichten nur schwer leisten.“