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In Finnland entsteht ein gewaltiges Tunnelsystem, das eines der größten Probleme der Menschheit lösen könnte: die Endlagerung von Atommüll. Kann das funktionieren?
Das Imagevideo beginnt idyllisch. Eine Frau in dicker Jacke und rotem Pulli steht im Wald, ihre Augen sind geschlossen. Leise Klaviermusik setzt ein. Sie öffnet die Augen und sieht einen rissigen Granitboden. Dann sagt eine dunkle Stimme: „Das ist für uns nicht gut genug.“ Erst als die Frau eine glatte Steinfläche erspäht, heißt es: „Aber das können wir nutzen.“ Worum geht es hier? Werbung für Outdoor-Bekleidung? Oder um etwas viel Wichtigeres? Die Wanderin heißt Johanna Hansen – und sie arbeitet als Geologin für die Firma „Posiva Oy“ an der Lösung eines gewaltigen, generationenübergreifenden Problems. Das trägt den Namen Atommüll und könnte hier mit einer Endlagerstätte gelöst werden. Das Grab für Brennstäbe aus den AKWs liegt unter der kleinen, bewaldeten Insel Olkiluoto und heißt „Onkalo“, was aus dem Finnischen übersetzt in etwa „Nest“ bedeutet.
Wohl 2025 soll die Einlagerung des Atommülls, der hier für mindestens 100 Millennien ruhen soll, starten. Zum Vergleich: Stonehenge wurde etwa 3.000 Jahre vor Christus erbaut und die ältesten Pyramiden sind etwa 4.600 Jahre alt. Seit Jahrzehnten produzieren Atomkraftwerke bei der Stromherstellung Müll, doch für dessen endgültige Lagerung fand sich bis heute keine Lösung. Laut Schätzung der „World Nuclear Association“ lagern weltweit etwa 270.000 Tonnen radioaktiver Müll auf Deponien, die dafür nicht ausgelegt sind. Immerhin, in Finnland wurde gehandelt. „Mitte der 1990er Jahre verbot uns in Finnland ein Gesetz den Export von abgebrannten Kernbrennstoff“, sagt Pasi Tuohimaa.“ Der Mann arbeitet als Pressesprecher für die Firma „Posiva“, die das Lager gerade baut. Bis 2000 untersuchten Forscher vier Standorte. Die Zustimmung für solch ein Lager war in jenen Gemeinden, in denen bereits AKWs stehen, am höchsten. Letztendlich wurde der Standort Olkiluoto ausgewählt. Die Idee hinter dem Projekt: Endlich das weltweit erste Endmülllager zu schaffen, in dem die abgebrannten AKW-Brennelemente über Jahrtausende ihre radioaktive Strahlung langsam abgeben können. Laut „World Nuclear Association“ dauert es „1.000 bis 10.000 Jahre, bis die Radioaktivität wieder auf den ursprünglichen Wert fällt.“ Das mit dem Zerfall kann wie bei Thorium in 0,6 Sekunden erledigt sein. Oder dauert, wie beim hochgiftigen Plutonium, 24.000 Jahre, wie der „Bund für Umwelt und Naturschutz“ nachrechnete. Das Problem mit dem Atommüll: Wir können die Strahlung nicht sehen, nicht fühlen, nicht schmecken und nicht riechen. In hoher Dosis ist sie tödlich. Das macht selbst die Sache mit dem Endlager tricky.
Posiva
... ist ein Gemeinschaftsunternehmen. Es befindet sich im Besitz der beiden Nuklearbetreiber. „TVO“ hält daran 60 Prozent und „Fortum Power and Heat“ 40 Prozent. 2018 arbeiteten etwa 100 Menschen für die Firma „Posiva“, in „Onkalo“ arbeiten täglich 50 bis 70 Mitarbeiter an der Endlagerstätte. Seit eineinhalb Dekaden graben die an der Langzeitlösung für das strahlende Erbe der Atomstromproduktion. 2018 wurden 23,7 Euro für Forschung und Entwicklung ausgegeben, was 32,2 Prozent des Umsatzes entspricht. Der Gewinn lag bei 1,88 Milliarden Euro. In Finnland gibt es keine staatliche Subventionen für die Kernenergie oder die Endlagerung von gebrauchtem Kernbrennstoff. Alles wird privat finanziert.
Gusseisen und Kupfer für die Sicherheit
Jenseits dessen, was wie ein überdimensionales Garagentor aussieht, fällt in „Onkalo“ ein breiter Haupttunnel bis zu 450 Meter tief in den uralten Granit. Der ist laut Tuohimaa „fast zwei Milliarden Jahre alt und rissfrei.“ Die Beschaffenheit des Gesteins zwischen 420 und 450 Metern unter der Erde soll das Grundwasser fern halten, welches die Lagerstätte im Laufe der Zeit beschädigen könnte. Denn wäre dies der Fall, träte Strahlung aus. Und weshalb in dieser Tiefe? Weiter darunter „entstünde zu großer Druck und „darüber ist der Granit zu rissig“, sagt der Pressesprecher. Mehr als 130 Kammern sprengen und graben sie derzeit von unten nach oben in den Fels. Dort werden ab kommendem Jahr 6.500 Tonnen hoch radioaktiver Abfall eingelagert. Wenn der Prozess in mehr als hundert Jahren endet, stecken exakt 3.250 Kanister unter Tage – randvoll mit jeweils einer halben Tonne abgebranntem Brennstoff. Der Atommüll steckt dabei in je 25-Tonnen-Kanistern aus Gusseisen und Kugelgrafit. Diese Mischung soll dem hohen Druck und möglichem Wassereinfall sehr lange standhalten. Darüber sind die Kanister mit einer fünf Zentimeter dicken Kupferschicht verkleidet. Als letzte, schützende Instanz verfüllt man die Schächte mit Bentonitkügelchen und dem Tunnelversatz. Jene Kügelchen kennen Katzenbesitzer, besteht doch das stark absorbierende Streu in der Tiertoilette daraus. Dieser Ton soll mögliches Wasser aufnehmen, bevor das in die Schutzhülle eindringt. Das Unternehmen bietet sein weltweit bislang einmaliges Konzept nun zum Kauf an und ließ sich dazu vor einem Jahr den Namen des Endlagers als Warenzeichen eintragen. Der Preis für das Versenken im Gestein liegt bei etwa 1,5 Milliarden Euro. „Finnland ist bei der Vorbereitung der Endlagerung abgebrannter Brennelemente weltweit am weitesten fortgeschritten, und darauf sind wir stolz“, sagt Firmenpräsident Janne Mokka. Weiter kam man auf eine pfiffige Idee. „Die unterirdische Forschungsanlage Onkalo wurde als Marke im EU-Raum eingetragen. Ziel ist es, sie und unsere Ergebnisse zukünftig zu schützen“, erklärte Mokka. So lässt sich das über Jahrzehnte erarbeitete Know-how später bei Endlagerbauten in anderen Staaten nutzen und versilbern.
Schwedische Justiz hinterfragte ähnliches Konzept
Ist das finnische Novum für den hochgiftigen Müll demnach sicher? „Leider nicht“, sagt Heinz Smital. Er arbeitet bei „Greenpeace“ und kennt sich als Kernphysiker mit dem heiklen Thema aus. „Granit ist sehr stabil, doch sehr zerklüftet.“ Im Klartext heißt das für ihn: Wasser kann in die Kanister eindringen. Was seine These stützt: ein angedachtes Endlager in Schweden, bei dem man ein ähnliches Konzept wie in Olkiluoto verfolgte. Nach siebenjähriger Beratung waren schwedische Richter dort der Meinung, dass das Konzept für ein Endlager „nicht genehmigungsfähig“ sei, denn es gäbe „bedeutende Unsicherheiten“. Ärger gab es in Schweden wegen der angedachten Stärke der schützenden Kupferschicht, da die von anvisierten 20 Zentimetern auf fünf Zentimeter schrumpfen sollte, was Kosten spart.
In Deutschland stößt man bei der Suche nach einem zweiten Experten für das sperrige Thema auf Klaus-Jürgen Röhlig. Der Wissenschaftler arbeitet an der „TU Clausthal“ als Professor des „Instituts für Endlagerforschung“ und sucht dort nach Ideen für eine endgültige Lagerung unseres Atommülls. Über das Projekt sagt er zu „Forbes“: „Für die finnischen Kollegen ist es nicht die beste Lösung, sondern die einzige, die sie haben. Denn: Der dortige Unterboden besteht aus kristallinen Hartgesteinen und jedes Gestein besitzt Vor- und Nachteile. Im Granit finden sie Klüfte, die auch wasserführend sein können. Hier hat man sich für die Behälter ein Konzept ausgedacht, dass das Wasser von den Abfällen fernhalten soll. In meinen Augen macht eine Diskussion über die Dicke der Kupferschicht der Behälter in Zusammenhang mit dem Dissens zur Kupferkorrosion in Schweden übrigens keinen Unterschied. Denn wenn es beim Kupfer unter anaeroben Zuständen zur Korrosion käme, wäre die Dicke der Container auch nicht mehr maßgebend. Die Schweden und Finnen haben für diesen Standort – in meinen Augen – ein sehr gutes und passendes Konzept für die Einlagerung entwickelt.“ Kritik am Projekt im hohen Norden übt der Schweizer Marcos Buser. Der Fachmann arbeitet am „Institut für nachhaltige Abfallwirtschaft“ und sagt: „Hier gibt es die koordinierte Aktion der Atomindustrie, um zu ´beweisen´, dass in allen Gesteinen, wie Granit, Ton oder Salz eine definitive Lösung des Abfallproblems möglich ist. Diese Anlage steht auf tönernen Füssen. Das Barrierenkonzept mit den Kupferkanistern ist unhaltbar. Stichwort ist hier: Kommt es zu einer Korrosion oder eben nicht? So lässt sich keine Sicherheit herstellen.“ Und weiter: „Das finnische Projekt ist durch extremen Zeitdruck gekennzeichnet.“ Befragt man die Gegenseite, heißt es dazu von „Posiva“ trocken: „Ich würde sagen, dass nach 35 Jahren Forschung und öffentlichen Befragungen jedes einzelne Detail berücksichtigt wurde. Es ist immer besser, den Müll 450 Meter tief im Fels zu lagern, als im ´Erdgeschoss´ wie bei der Zwischenlagerung.“ Der Pressesprecher spielt damit darauf an, dass viele Betreiber von Atommeilern den stetig anfallenden Müll direkt neben dem Werk „parken“.
Was beim Thema hinzukommt: Wie kann man Menschen in der Zukunft vor dem Müll unter ihren Füßen warnen? Gerade dann, wenn sie eines Tages auf das Atomgrab aufmerksam werden und in bester archäologischer Manier mit der Grabung beginnen? Helfen möglicherweise aufgestellte Schilder, wie es die Fachleute der US-amerikanischen „Waste Isolation Power Plant“ vorschlugen? Auf diesen Tafeln sollte es heißen: „Dieser Ort ist kein Ehrenplatz, hier ist nichts Wertvolles. Die Gefahr ist an einem bestimmten Ort, sie nimmt im Zentrum zu. Die Gefahr ist immer noch vorhanden. Zu Eurer Zeit, wie sie es in unserer war. Was hier ist, war für uns gefährlich und abstoßend.“ Doch was, wenn die Inschrift in 4.000 Jahren kein Mensch mehr entschlüsseln kann, auch weil sich die Buchstaben und die Grammatik bis dahin vollständig von unseren heute unterscheiden? Die Endlageristen in Finnland wagen übrigens den mutigen Schritt und stellen über dem gefährlichen Gut keine Warnsignets auf. Dazu heißt es: „Das ist nicht nötig. Der Ort ist geschlossen, sodass niemand ohne jahrzehntelange Arbeit mit gut entwickelten Geräten dorthin gelangen kann. Wäre er markiert, würden wir Leute ermutigen, nachzuschauen, was sich da unten befindet.“ Und weiter: „Das Endlager ist sicher, unabhängig davon, was in den kommenden 100.000 Jahren passiert. Nach der nächsten Eiszeit, wenn also zwei Kilometer Eis über Europa liegen, gibt es die Städte Berlin oder London nicht mehr. Dann gibt es nichts mehr.“
Text: Matthias Lauerer
Fotos: „Posiva Oy“