Stadtvisionen

Visionäre Stadtkonzepte, die auf Nachhaltigkeit setzen, nehmen weltweit zu. Viele davon sind jedoch mittlerweile als „grüne Geisterstädte“ verschrien. Zurecht?

Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: neun der zehn weltgrößten Städte im Jahr 1900 sind heute nicht mehr im Top-10-Ranking vertreten. Die Spitzenplätze nehmen nun asiatische Metropolen ein – und dieser Trend wird sich in den kommenden Jahren noch verstärken. Als Beispiel: War London im Jahr 1900 noch mit 6,5 Millionen Bewohnern auf Platz eins, nimmt Tokio die Spitzenposition im Jahr 2016 mit 38,14 Millionen Menschen ein; laut UN-Prognosen wird die japanische Hauptstadt ebenso im Jahr 2030 auf Platz eins (37,19 Millionen Bewohner) stehen. Dahinter befinden sich Delhi, Shanghai, Mumbai und Peking.

Die Urbanisierung hat einen noch nie zuvor gesehenen Grad angenommen. Der UN zufolge werden 2050 rund 70 Prozent der Menschen weltweit in Städten leben. Derartige  Entwicklungen erfordern neue Denkansätze. Denn mit einer solch rasant anwachsenden Bevölkerung, steigen auch die Herausforderungen in den Bereichen Verkehr und Infrastruktur, Energieversorgung, Wohnraum und Sicherheit. Als eine der Antworten bilden sich weltweit vermehrt – auf den ersten Blick utopisch anmutende – nachhaltige Stadtkonzepte heraus, insbesondere im asiatischen Raum. Ein Überblick über vier Stadtvisionen.

Bild: Illustration, Planstadt Songdo, Urban Strategies

Songdo

Die Planstadt wurde 2003 als Teil der südkoreanischen Stadt Incheon regelrecht aus dem Boden gestampft; Millionen Tonnen Sand wurden in das Watt des Gelben Meeres geschüttet. Der Songdo International Business District (Songdo IBD), so der offizielle Name des Projektes, soll bis 2020 fertiggestellt werden. Dahinter steht der Immobilienentwickler New Songdo International City Development LLC (NSIC), ein Joint Venture zwischen dem amerikanischen Bauträger Gale International und dem koreanischen Stahlunternehmen Posco E&C. Der IT-Konzern CIsco spielt hier ebenso eine wichtige Rolle, denn einer der Schwerpunkte von Songdo ist die Implementierung diverser Cisco-Technologien. Bereits heute leben – je nach Medienberichten – zwischen 30.000 und 70.000 Menschen in Songdo. Das Tagesgeschehen ist durch und durch geprägt von Datenanalysen. Denn Songdo ist gespickt mit Sensoren und Chips. Sensoren, die in Gebäuden und Infrastruktur verbaut sind, regulieren Energie- und Stromverbrauch. Ampeln, die sich nach dem Verkehr richten, sollen diesen fließen lassen, die Straßenbeleuchtung springt nur an, wenn Menschen unterwegs sind. Dahinter steckt der Wunsch, die Stadt effizient, nachhaltig, klima- und ressourcenschonend zu gestalten. Bis zu 30 Prozent weniger an Energie im Vergleich zu herkömmlichen Städten soll sie verbrauchen, wenn Songdo den Planungen zufolge 2020 fertiggestellt ist.

Bild: Illustration, Planstadt Archipelago 21, Urban Strategies

Archipelago 21

Nur eine Stunde von Incheon mit dem Zug entfernt liegt die südkoreanische Hauptstadt Seoul. Das dortige internationale Geschäftsviertel, Yongsan International Business District, soll breit angelegt restrukturiert werden. Das Projekt „Archipelago 21“ umfasst eine bebaute Fläche von 2,7 Millionen Quadratmetern – und zwar inmitten eines riesigen urbanen Parkes entlang des Flusses Han. Wann der Masterplan unter der Führung des US-amerikanischen Studio Libeskind fertiggestellt wird, ist den offiziellen Berichten nicht zu entnehmen. Fest steht jedenfalls, dass das Projekt 2008 gestartet wurde und dort nicht nur ein internationales Geschäftsviertel, sondern auch ein Wohnviertel, kulturelle und Bildungseinrichtungen sowie Unternehmen im Einzelhandel und Transportwesen entstehen sollen.

Der Name „Archipelago 21“ (aus dem Englischen für „Archipel“) kommt nicht von ungefähr: das Areal ist wie ein Archipel organisiert und in verschiedene Stadtviertel unterteilt, die „Inseln“ genannt werden. Jede dieser Inseln ist durch eine Art „Geschäftstal“ miteinander verbunden. Außerhalb der Inseln entsteht eine großflächige Naturlandschaft, die als verbindendes „Meer“ dienen soll, wie es heißt.

Bild: Illustration, Planstadt Masdar City, Urban Strategies

Masdar City

Das Megaprojekt in den Vereinigten Arabischen Emiraten zog in den vergangenen Jahren vielerlei Medienberichterstattung auf sich – positive wie negative. Denn die Ökostadt im Emirat Abu Dhabi beinhaltet zwar durchaus einige zukunftsträchtige Ideen, kommt aber bei Weitem nicht so rasch vorwärts wie erwartet. Zu ambitioniert scheinen die Pläne der Abui Dhabi Future Energy Company (ADFEC), die das Projekt gemeinsam mit Scheich Muhammad bin Zayid Al Nahyan 2006 initiierte. Bereits 2008 berichtete das deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel, dass die grüne Stadt mitten in der Wüste 2016 fertiggestellt sein soll. Kostenpunkt: 22 Milliarden US-$. Doch die Fertigstellung verzögerte sich aufgrund kolportierter Finanzierungsschwierigkeiten  mehrmals: Laut der wöchentlich erscheinenden Wirtschaftszeitung Arabian Business (aus dem Jahr 2016) ist diese nun für das Jahr 2030 geplant, bis dahin sollen 40.000 Menschen in der arabischen Stadt leben und 50.000 dort studieren und arbeiten. Derzeit arbeiten laut dem Medienbericht täglich 5.000 Menschen an der Fertigstellung von Masdar City.

Das Ziel von Masdar, das im Arabischen „Quelle“ bedeutet: keine CO2-Emissionen, keine Autos und kein Abfall. Die Projektkoordinatoren selbst bezeichnen Masdar als „die nachhaltigste Stadt der Welt“. Diese soll vollkommen mittels erneuerbaren Energien versorgt werden, die Fortbewegung mittels futuristischer, selbstfahrenden Mini-Cabs (dabei handelt es sich um eine Form des „Personal Rapid Transit“; ein fahrerloses und automatisiertes Personentransportsystem, Anm.) vonstattengehen und die schattenspendende Architektur sowie die vielen Grünflächen für die nötige Abkühlung sorgen. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob Masdar City tatsächlich einmal zu dem vielfach angepriesenen Prestigeobjekt wird – oder doch eher zur weltweit ersten „grünen Geisterstadt“, wie es die britische Tageszeitung The Guardian 2016 schrieb.  

Bild: Illustration, Planstadt Lavasa, Urban Strategies

Lavasa

Doch nicht nur in Südkorea oder die Vereinigten Arabischen Emirate schmieden Stadtplaner an Zukunftskonzepten, auch im bevölkerungsreichen Indien plant man innovative Stadtentwicklung. Rund 200 Kilometer von der Metropole Mumbai entfernt, im Bundesstaat Maharashtra, entsteht mit „Lavasa“ eine Planstadt für 200.000 bis 300.000 Einwohner. Dabei handelt es sich um eines der ambitioniertesten Stadtentwicklungsprojekte des Landes. The Guardian bezifferte die Gesamtkosten 2016 mit unglaublichen 30 Milliarden US-$. Das Kuriose dabei: Diese entstammen gänzlich privaten Quellen. Dahinter steht laut der britischen Tageszeitung der indische Großindustrielle Ajit Gulabchand, Chairman und Managing Director der Hindustan Construction Company. Er beauftragte die Architekten von HOK mit dem Entwurf von Lavasa, die etwa bereits für das Hauptquartier von Barclays in London zuständig waren. Ursprünglich sollten in Lavasa vier Stadtquartiere mit einer Fläche von 100 Quadratkilometern auf sieben Hügeln entsteht, direkt am Ufer des Warasgaon Stausees.

Doch die Realität sieht heute bei Weitem anders aus. Laut einem Online-Bericht des indischen Fernsehunternehmens NDTV aus dem Jahr 2018 leben heute gerade einmal 10.000 Einwohner in Lavasa – generell scheint niemand so wirklich zufrieden mit dem Projekt zu sein. Mit Dasve ist nur eine der fünf geplanten Teilstädte fertiggestellt. Selbst Gulabchand gibt zu, dass es rund 1,5 Milliarden US-$ bedürfe, um das Projekt wiederzubeleben. Ob dies im Sinne der ursprünglichen Vision tatsächlich geschieht, erscheint aber mehr als unwahrscheinlich.

Text: Niklas Hintermayer
Illustrationen: Valentin Berger

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Niklas Hintermayer,
Redakteur

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