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Tourismus im All – eine lang ersehnte Zukunftsvision, die in uns Menschen Neugier, Ehrfurcht und Faszination hervorruft. Diese vielleicht größte Ambition der Menschheit wird zunehmend real. Ausgelöst wird der Fortschritt durch ein Wettrennen zwischen drei Multimilliardären: Jeff Bezos, Elon Musk und Richard Branson.
Egal ob „2001: A Space Odyssey“, die „Star Wars“-Reihe, die „Star Trek“-Verfilmungen oder zahlreiche andere Bücher, Filme und sonstige Vorstellungen: Das Reisen ins All ist für die Menschheit seit jeher ein Traum. Dabei werden den Darstellungen aber nicht die seltenen, äußerst kostspieligen Weltraummissionen angedacht – sondern ein ganz alltägliches Bewegen durch außerirdische Sphären.
Seit Langem beschäftigen sich Menschen – insbesondere jene mit dem nötigen Kleingeld – mit Flügen ins All. Bereits im Jahr 2001 zahlte der US-amerikanische Unternehmer Dennis Tito 20 Millionen US-$ für einen Platz in der russischen Raumkapsel Sojus, die ihn bis zur Internationalen Raumstation ISS flog. Das Programm der russischen Raumfahrtbehörde wurde jedoch nach nur sieben kommerziellen Flügen einige Jahre später wieder eingestellt.
Nicht in Russland, sondern beim historischen Erzrivalen USA wird heute an der Zukunft des Weltalltourismus getüftelt – durchaus mit Erfolg. Das auch, da sich der Charakter des Fortschritts gewandelt hat: weg vom geopolitischen Kräftemessen, hin zum Wettrennen zwischen Unternehmern. Denn, obwohl die Milliardäre den Begriff „Wettrennen“ ablehnen, ist der Konkurrenzdruck nicht zu verleugnen. Im Juli flogen Richard Branson und Jeff Bezos quasi auf eine Spritztour ins All – beide Ausflüge waren erfolgreich.
Während Branson neben den Piloten ausschließlich Führungskräfte aus seinem Unternehmen Virgin Galactic auf die Reise mitnahm, begleiteten Jeff Bezos neben seinem Bruder Mark auch der „Wildcard“-Gewinner Oliver Daemen, ein Student aus den Niederlanden. Er hatte einen Platz bekommen, nachdem der eigentliche Bestbieter – eine anonym gebliebene Person, die 28 Millionen US-$ gezahlt hatte – wegen einer „Terminkollision“ absagen musste. Das Quartett wurde durch die 82-jährigen Wally Funk komplettiert, die bereits am NASA-Trainingsprogramm teilgenommen hatte. „Wir sind hier, um das Weltall allen zugänglicher zu machen“, sagte Branson nach dem Flug. „Unsere Mission (...) war es, den Traum der Weltallreise für meine Enkel in die Realität umzusetzen …und für viele Menschen, die heute leben, für alle.“
Der Zeitpunkt von Jeff Bezos’ außerirdischer Exkursion, der 20. Juli 2021, war kein Zufall, denn an diesem Tag jährte sich die Mondlandung der Apollo 11 zum 52. Mal. Bezos’ Kapsel, die den Namen „New Shepard“ trägt, fliegt autonom und ist gänzlich auf das maximale Unterhaltungserlebnis ausgerichtet. Die übergroßen Fenster bieten einen freien Blick auf den Planeten Erde und seine Krümmung. Ein Anblick, der die Passagiere erwartungsgemäß mit Demut füllte, während sie in der Höhe von rund 103 km drei Minuten lang die Schwerelosigkeit erlebten.
So horrend der Preis für ein Ticket – 28 Millionen US-$ – klingt, so günstig könnte der Flug ins Weltall in Zukunft werden. Zwar gibt es noch keine konkrete Preisspanne vonseiten Blue Origins, doch beim Konkurrenten Virgin Galactic liegt der durchschnittliche Preis für eine Vorreservierung für einen suborbitalen Flug bei etwa 250.000 US-$.
Dank der starken Nachfrage wird jedoch erwartet, dass die Ticketpreise auf bis zu 400.000 US-$ steigen könnten. Demnach würde Virgin Galactic allein mit solchen Tickets bei 400 Flügen pro Jahr rund 1 Milliarde US-$ Umsatz erwarten, wie Analysten der Schweizer Großbank UBS berechneten. Erst wenn Skaleneffekte eintreten und die erste Nachfragewelle gesättigt ist, geht die Bank von fallenden Ticketpreisen aus.
Dennoch: Das Potenzial ist da. Nach Schätzung der US-Investmentbank Morgan Stanley könnte der weltweite Jahresumsatz mit Weltraumtourismus bis 2040 auf rund 800 Milliarden US-$ ansteigen. Doch genauso wie die Umsätze sind auch die Investitionen der Unternehmer schwindelerregend hoch. So verkündete Jeff Bezos, jährlich rund eine Milliarde US-$ seines eigenen, rund 200 Milliarden US-$ umfassenden Vermögens (das Geld stammt aus Verkäufen von Amazon-Aktien) in Blue Origin zu investieren.
Im Zusammenhang damit merkte Jeff Bezos im Anschluss an seinen erfolgreichen Flug an: „Ich möchte mich bei allen Amazon-Mitarbeitern bedanken, jedem Amazon-Kunden, denn ihr alle habt dies bezahlt.“ Die Ereignisse auf dem Weg zum Weltalltourismus scheinen sich unterdessen zu überschlagen. Erst Ende Juni erhielt Virgin Galactic die offizielle Erlaubnis für kommerzielle Flüge von der amerikanischen Flugbehörde FAA. Dabei waren die Anfänge holprig. Im Jahr 2014 verstarb ein Virgin-Galactic-Pilot bei einem Testflug. Es folgten jahrelange Inspektionen, die zu Verzögerungen führten.
Kürzlich hat das Unternehmen seinen dritten erfolgreichen Testflug im US-Bundesstaat New Mexico absolviert, bei dem Passagiere an den Rand des Alls befördert wurden.
Weitere Testflüge stehen im Lauf des Jahres an: Neben dem bereits absolvierten will Branson ein weiteres Mal ins All. Auch plant die italienische Luftwaffe einen Flug mit Virgin Galactic. Dieser Flug soll laut Angaben des Unternehmens zwei Millionen US-$ Umsatz generieren.
Ab 2022 dürften die beiden Kapseln von Virgin Galactic für den Weltalltourismus zur Verfügung stehen. Das Unternehmen ließ zudem verlauten, es seien bereits 600 Tickets verkauft worden. Wem die Ambitionen von Branson und Bezos noch nicht groß genug sind, der wird bei Elon Musk fündig: Dessen Unternehmen SpaceX will gar mehrtägige Aufenthalte von Touristen in der Erdumlaufbahn ermöglichen.
Erst im Juni wurde – zusammen mit der Firma Axiom Space – verkündet, dass bis 2023 drei Flüge mit der „SpaceX Dragon“-Kapsel zur ISS angeboten werden. Die Kosten für ein solches Ticket sind dementsprechend höher: Bis zu 55 Millionen US-$ soll ein solcher Fahrschein laut Medienberichten kosten. Erst im November dockte eine SpaceX-Raumkapsel an die ISS an. Die USA schickte dabei zum ersten Mal seit zehn Jahren einen Astronauten von US-amerikanischem Boden ins Weltall – gefördert von einem privaten Unternehmer.
Richard Branson
...ist Gründer des britischen Mischkonzerns Virgin Group. Sein Vermögen wird auf 4,8 Milliarden US-$ geschätzt.
Jeff Bezos
...ist Gründer des E-Commerce- Riesen Amazon sowie des Weltraumunternehmens Blue Origin. Er ist mit einem Vermögen von
207 Milliarden US-$ der reichste Mensch der Welt.
Elon Musk
...ist Gründer des E-Auto- Herstellers Tesla, des Medtech- Unternehmens Neuralink sowie des Raketenbauers SpaceX. Er besitzt ein Vermögen von rund 160 Milliarden US-$.
Eines ist markant: Es sind bisher vorrangig US-amerikanische oder britische Unternehmer, die den Weltalltourismus vorantreiben.
Fehlt es Kontinentaleuropa an Infrastruktur oder auch unternehmerischem Mut? Oder an den finanziellen Mitteln, um einen möglichen Verlust des waghalsigen Projektes privat abzufedern?
Laut Volker Gass, Leiter des Swiss Space Centers in Lausanne, gibt es mehrere Gründe: „Wenn man das Raumfahrtbudget der einzelnen europäischen Staaten ansieht, ist es im Vergleich zu den Mitteln der USA verschwindend klein. Es geht hier auch um das Thema Risiko. Welche Unternehmen sind bereit, Risiko zu nehmen? Und was passiert, wenn es das Unternehmen nicht schafft oder pleitegeht? Das ist natürlich viel schwieriger hierzulande.“ Bereits im Jahr 2008 schrieb die European Space Agency (ESA) auf ihrer Website, dass das Interesse der Bevölkerung an suborbitalen Flügen enorm hoch sei. Man wolle „dieser Branche helfen, zu florieren, indem man regulatorische Rahmenbedingungen für derartige Projekte aufbaut“.
Doch der große Wurf gelang Europa nie. Projekte wie der „Spaceport Sweden“, der im Jahr 2007 gegründet wurde, verliefen trotz vielversprechendem Beginn im Sande. Die Bedingungen – eine große unbewohnte Fläche im Norden Schwedens und eine existierende Infrastruktur für Raketen – schienen ideal. Auch über eine Zusammenarbeit mit Virgin Galactic wurde diskutiert. Laut eines Medienberichts aus dem Jahr 2018 fehlte es der lokalen Gemeinde Kiruna, von der Spaceport Sweden Flüge anbieten wollte, an Unterstützung der schwedischen Regierung, etwa bei der Verlängerung einer Startbahn.
Volker Gass berichtet von einer Studie des sogenannten „K2000“-Programms der französischen Firma Dassault Systèmes vor 15 Jahren. Die Frage damals: Wie muss ein Shuttle aussehen, das mit sechs Passagieren den Flug auf 100 Kilometer Höhe schafft – also fast ins All? Gass: „Diese Studien wurden ziemlich weit vorangetrieben. Es scheiterte letztendlich aber nicht an der Machbarkeit, sondern an der Rentabilität des Unterfangens.“
So scheint es also, dass Großverdiener mit Wunschdestination All in erster Linie das Angebot der US-amerikanischen Firmen wahrnehmen müssen, bis sich ein europäischer Mitbewerber ins Rennen wagt. Doch wie weit sind wir entfernt vom Phänomen des „Massentourismus im All“?
Laut Gass sind wir noch Lichtjahre davon entfernt. „Vielleicht können wir es ein bisschen mit dem Tourismus in Bora-Bora vergleichen. Viele Menschen können sich nicht leisten, jedes Jahr dorthin zu reisen – ob aus finanziellen oder allein aus zeitlichen Gründen. Doch wenn man vor Ort ist, ist es traumhaft.“
Mit Weltallflügen sei das zwar eine schöne Vorstellung, aber aktuell nicht realisierbar: „Ich denke nicht, dass die Reisen ins Weltall in den nächsten zehn bis 15 Jahren zum Massenphänomen werden. Der Zugang zum All braucht eine immense Infrastruktur, sowohl am Boden als auch in Sachen Sicherheit. Daran kann man nicht wirklich sparen. Wir sind also weit weg von einer Liberalisierung des Tourismus im Weltall.“
Die Vision des kommerziellen Fluges ins All wird konkret – vorerst aber eben nur für die Superreichen. Für alle anderen bleibt er vorerst eine Utopie und doch ein Traum, der weiter geträumt werden darf.
Text: Carolin Roth
Fotos: Martin Schoeller für Forbes US
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 6–21 zum Thema „NEXT“.