SPIELERISCH GELÖST

80 Prozent der Menschen sind Homo ludens, schätzen also spielerische Ansätze, sagt Gerhard Fehr. Mit seinem Beratungsunternehmen Fehr Advice will er die Wirtschaft nun „gamifizieren“.

Es waren weise Worte, die ­Charlotte von Stein, damalige Hofdame von Weimar, in einem Schreiben an ihren Brieffreund, den deutschen Dichter Johann Wolfgang von ­Goethe, wählte: „Ich schreibe dir einen langen Brief, weil ich keine Zeit habe, einen kurzen zu schreiben.“

Rund 250 Jahre später scheint von Steins Theorie aktueller denn je. Denn in der digitalen Welt ist Komplexität ein unbedingt zu vermeidendes Übel, wie Gerhard Fehr erzählt. Der Verhaltensökonom lehnt sich in seinem Stuhl in der ­Wiener ­Heumühle – sein eigentlich in ­Zürich ansässiges Unternehmen Fehr Advice hat dort kürzlich ­seine ­Wiener Niederlassung bezogen – zurück und sagt, was von Stein bereits in anderen Worten formulierte. „Einfach zu sein ist immer schwieriger als komplex zu sein.“

Denn laut Fehr sind die Menschen verspielte Wesen, die die Welt intuitiv und einfach erleben wollen – eine Regel, die in der digitalen Welt noch mehr Gültigkeit bekommt. Fehr: „Google hat die einfachste Art der Verspieltheit eingeführt – mit einem Search Bar, der hochgradig intuitiv zu benutzen ist. Komplexität ist immer schädlich, denn sie führt zu Abbruch.“

Und tatsächlich scheint es, als wären die erfolgreichsten Unternehmen der digitalen Revolution – ­seien es Amazon, Google, Apple oder Facebook – in ihrem Wesen deutlich verspielter als etablierte Akteure. Das ist, wenn man Fehr Glauben schenken darf, nicht verwunderlich, kann man doch laut dem Unternehmer rund 80 Prozent der Menschen in die Gruppe „Homo ludens“ einstufen – also Menschen, die generell verspielt sind oder spielerische Aspekte zumindest schätzen.

„Wir subsumieren diese spielerischen Elemente unter dem Begriff Playfulness“, sagt Fehr. „Das heißt, dass Menschen einen spielerischen Zugang zu etwas bekommen. Das kann in verschiedenen Ausprägungen passieren.“ Und obwohl wir mit dem Spielen aufwachsen und unsere ersten Lern- und Ent­deckungserfahrungen in spielerischen Settings machen, findet Verspieltheit in unserem ­professionellen Umfeld, am Arbeitsplatz und in Unternehmen, kaum Platz. Dabei sei diese Eigenschaft laut Gerhard Fehr eine der Grundvoraussetzungen, um in Zukunft innovativ arbeiten zu können. „Playfulness für den Menschen nutzbar machen ist eine der Grundfähigkeiten, die gutes Management heutzutage beherrschen muss.“

Fehr spricht aus Erfahrung. Denn gemeinsam mit Kunden versucht Fehr Advice Prozesse, Produkte und Organisationen spielerisch umzugestalten. Das kann laut dem Forscher von der Art, wie Meetings gestaltet sind – „Verspieltheit heißt immer, Dialog und Interaktion zuzulassen“ –, über die Gestaltung von Gehaltserhöhungen bis hin zum Design digitaler Anwendungen gehen. Gamification ist schon seit Längerem ein großes Thema, um Unternehmen und ihre Produkte wettbewerbsfähig zu halten. Doch diese Möglichkeit, die sich nun über alle möglichen Bereiche ­legen lässt, um sie zu gamifizieren, ist neu. So erzählt Fehr etwa vom Bewerbungsprozess externer Kandidaten für Stellen bei Fehr ­Advice. Denn in der Regel müssen sich Bewerber bei großen Unternehmen registrieren. Das bringe dem Bewerber selbst keinen Mehrwert, würde ­lediglich den Aufwand für die Unternehmen selbst reduzieren. Die verhaltensökonomische Lösung? „Wir haben eine Lernplattform aufgesetzt, wo sich potenzielle Bewerber anmelden. Man loggt sich also nicht wegen der Bewerbung ein, sondern um Wissen zu akquirieren.“

Bild: Gerhard Fehr, Wirtschaftsberatung, Fehr Advice

Gerhard Fehr
... studierte Betriebs­wirtschaftslehre an der Universität Wien. Er arbeitete unter anderem als Journalist und im Investmentbanking, bevor er 2009 Fehr Advice, ein mit ver­haltensökonomischen Tools arbeitendes Beratungsunternehmen, gründete.

Über ein Feedbacksystem und Preise (Badges) würden sich Bewerber so spielerisch auf eine mögliche Anstellung vorbereiten. Und: „Bewerber, die ausreichend Punkte gesammelt haben, wissen dann oft mehr als Mitarbeiter, die seit Monaten bei uns sind.“

Ein zweites Beispiel wurde in Zusammenarbeit mit dem Vorarlberger Medienkonzern Russmedia umgesetzt. Auf einer „gamifizierten Experimentability-Plattform“ sollte das User Engagement durch laufende Experimente nachhaltig gesteigert werden. Jede Interaktion der Nutzer – Einloggen, Lesen und ­Teilen von Artikeln etc. auf vol.at (Vorarlberger Nachrichten) ­wurde mit einer virtuellen Währung belohnt. Der Anstieg der Logins wurde um den Faktor 25 erhöht. Das Projekt wird mittlerweile weiterentwickelt: Im Rahmen der ­Google News Initiative erhielt ­Russmedia nun eine Förderung für eine virtuelle Währung, die „Journalism ­Currency“, die Blockchain-Technologie und Gamification verbindet. User sollen besser erreicht werden, um mehr über sie erfahren zu können. Dafür ließ Google 290.000 € springen.

5,5 Milliarden US-$ betrug der Markt für Gamification laut dem indischen ­Forschungsunternehmen Mordor Intelligence 2018. Die jährlichen Wachstumsraten ­betragen je nach Schätzung jedoch bis zu 30 Prozent, weshalb das Volumen bis 2024 auf 20 Milliarden US-$ wachsen könnte. Getragen wird das Wachstum vor allem von Branchen wie dem Handel (insbesondere E-Commerce), dem Banken- und dem Bildungs- bzw. Forschungs­bereich. Und auch geografische ­Unterschiede zeigen sich laut der Studie: Während Nordamerika und Afrika nur schwach von Gamifi­cation-Trends betroffen sind, sind Südamerika und Europa im mittleren Bereich. Wirklich relevant – und im Wachstum begriffen – ist Gamification aber vor allem in Asien, insbesondere in China.

Doch Spielen impliziert immer auch Wettbewerb. Und obwohl dieser im marktwirtschaftlichen Kontext zu Innovation führt, kann Wettbewerb innerhalb von Unternehmen schädlich sein. Fehr sieht jedoch Vor- und Nachteile beider Unternehmenskulturen – kooperativ und kompetitiv – je nach Zielsetzung: „Die Paradebeispiele sind ­Toyota und General Motors – Kooperationskultur versus Transaktionskultur.“ Man könnte das laut Fehr auch als relationale Modelle (über Beziehungen organisiert) und transaktionale Modelle (über Verträge organisiert) bezeichnen. Während relationale Modelle länger halten, resilient sind, lassen sich transaktionale ­Modelle schneller verkaufen und skalieren. „Wettbewerb ist per se immer effizienter“, so Fehr. „Aber welche Nebenwirkung bekommen wir mit Effizienz?“

Gerhard Fehr sieht in der Gamification von Prozessen, Meetings und Produkten jedenfalls einen massiven Hebel für Unternehmer (auch sich selbst), um in Zukunft Nutzer zu binden und Innovationen zu treiben. Die Schwierigkeit dabei: simple, intuitive Lösungen bieten zu können. Denn schon Charlotte von Stein wusste, dass das nicht immer ganz einfach ist.

Text: Klaus Fiala

Dieser Artikel ist in unserer Februar-Ausgabe 2019 „Gaming – Wettbewerb“ erschienen.

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