Soja-Boom

Martín Roggero, Argentiniens „Sojakönig“ Gustavo Grobocopatel und das Geschäft mit der Bohne.

Ein holpriger Weg führt in ein Meer von Grün, mitten im „Herzen Argentiniens“ in der Provinz Córdoba. Der Weg führt vorbei an kleinen Bauerngehöften mit Landmaschinen und Traktoren, grasende Kühe schauen misstrauisch von der Seite auf; trockene Luft bläst einem ins Gesicht. Soweit das Auge reicht, ragen zwei Meter lange Stängel in die Höhe. Daran hängen Blätter, Blattstiele und Schoten, die drei Hülsenfrüchte umschließen. Freyre im Departamento San Justo ist ein unscheinbarer Ort mit gerade einmal 6.000 Einwohnern. Das Bild dominieren flache Einfamilienhäuser, Kinder radeln auf der Straße. Doch dafür ist das 240 Kilometer östlich der Provinzhauptstadt Córdoba gelegene Dorf umso reicher an Ressourcen.

Hier wächst nämlich das Gold ­Argentiniens, wie auf rund zwei Drittel der landwirtschaftlichen Nutzflächen im Land: Soja. Rund 18 Millionen Hektar sind in Argentinien mittlerweile mit Gensoja bepflanzt. Damit ist der Staat – nach Brasilien und den USA – der weltweit drittgrößte Produzent von Sojabohnen. Wurden 2010 noch 54 Millionen Tonnen geerntet, steigerte sich die Zahl 2015 auf mehr als 60 Millionen Tonnen. Doch seither pendelte sich der Wert zwischen 53 und 58 Millionen pro Jahr ein, wovon der Großteil mitsamt den Nebenprodukten in den Export fließt. 2016 machten ­Sojaschrot, Sojabohnen und Sojaöl mit 17,34 Milliarden US-$ insgesamt 31 Prozent der argentinischen Ausfuhren aus. Bei Sojaschrot – dieser wird durch die Zerkleinerung der Sojabohne gewonnen – ist Argentinien sogar Exportweltmeister. Besonders Schweine, Hühner und Kühe in der Europäischen Union und China werden in der Masttierhaltung mit dem eiweißhaltigen Nebenprodukt gefüttert. China ist überhaupt seit Jahren der größten Abnehmer des argentinischen Sojas.

Martín Roggero blickt auf sein Land, schnappt sich eine Sojaschote – und bricht sie auf. „Das Agribusiness ist nicht lukrativ. Die ­Gewinnmargen decken die damit verbundenen Risiken nicht ab. In den vergangenen fünf Jahren gab es in Freyre vier große Überschwemmungen. Zudem ist hier die Hälfte der Anbauflächen gepachtet, die Kosten dafür sind viel zu hoch“, sagt der Farmer, der in seinen 40ern ist. Die Krux: Der Pachtpreis muss in jedem Fall bezahlt werden, selbst wenn mehr als die Hälfte der Ernte zerstört wird. Diese Regel gilt sowohl für Kleinbauern als auch für große Agrarunternehmen. Dabei ist Roggero „Newcomer“ im Sojageschäft. Zwar baute er auch bisher gemeinsam mit seinem Bruder und seiner Schwester auf 100 Hektar Soja, Mais und Weizen an, der Großteil des Grunds war mit 300 Hektar aber als Weidefläche für Milchkühe bestimmt. Damit verdiente die Familie mehr als 75 Jahre lang ihr Geld. 80.000 Liter Milch produzierte sie zuletzt pro Tag, bei einem Preis von 0,28 US-$ pro Liter kein schlechtes Geschäft. Dieses jetzt wird Schritt für Schritt umstrukturiert – was keine ­leichte Entscheidung war, wie Roggero erzählt. „Aufgrund der Überschwemmungen konnten die Trucks nicht zu den Feldern zufahren und die Milch abtransportieren. Seit drei Monaten konzentrieren wir uns daher vor allem auf Soja“, sagt der Agronom, der auch als Berater in der Coop Agricola Ganadera y de Consumo Freyre Limitada tätig ist. Die Genossenschaft setzt sich aus 150 kleineren und mittleren Produzenten aus der Region zusammen. Die Bauern verkaufen ihre mit Korn erzielten Erträge direkt an die Kooperation, welche sie wiederum an die finanzkräftigere Asociación de Cooperativas Argentinas (ACA) abliefert. In den Häfen des Landes, etwa in der drittgrößten argentinischen Stadt Rosario, werden Schiffe mit je 3.000 Tonnen Sojabohnen verladen und verschickt, vorwiegend nach China.

Das Sojageschäft ist bei Weitem nicht so zeitintensiv und kostenaufwendig wie etwa eine Rinderzucht. Soll heißen: gesät wird einmal jährlich, zweimal pro Jahr werden die Pflanzen mit Pflanzenschutzmitteln besprüht. Geerntet wird von März bis Mai. Die Landmaschinen least Roggero von Unternehmern aus der Umgebung. „Durchschnittlich werden in dieser Region jährlich 2,8 Tonnen pro Hektar geerntet. Für eine Tonne bekommt man 300 US-$. Das ist ein guter Preis, vor zwei Jahren waren es noch 150 US-$“, sagt Roggero. Doch fast die Hälfte davon, 1,3 Tonnen pro Hektar, fließt in die Pacht. Der Pachtpreis wird hier anhand der Sojaernte berechnet.

So richtig zufrieden scheint ­Roggero also (noch) nicht zu sein. Vor mehr als 20 Jahren sahen hiesige Landwirte das anders: Damals wurde die Sojabohne in Argentinien so richtig zum Kassenschlager und die Bauern verdienten ordentlich daran. Der US-amerikanische Gentechnikkonzern Monsanto betrat die Bühne und Argentinien wurde innerhalb kürzester Zeit mit gentechnisch veränderten „Round­up Ready“-Samen überschwemmt. Das Unternehmen wurde dabei ­kräftig durch die damalige neoliberale Regierung unter Führung von Carlos Menem (Regierungszeit 1989 bis 1999) unterstützt. Das nicht nur, da der Konzern auf „Nachbaugebühren“ verzichtete (Bauern bezahlen nur beim erstmaligen Kauf von Roundup-Soja); vielmehr winkten auch satte staatliche Einnahmen. Das International Service for the Acquisition of Agri-biotech Applications (ISAAA) errechnete, dass Argentinien aufgrund der Roundup-­Bohne zwischen 1996 und 2010 65 Milliarden US-$ generierte.

Die Bohne ist gegen das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat (Breitbandherbizid, Anm.) resistent, die Pflanzen und Insekten rundherum hingegen sterben ab. Der Anbau wurde somit billiger, effizienter, schneller. Mit der Zeit wurden aber auch die Gräser gegen die Herbizide resistent, es musste mehr gesprüht werden und die Produktionskosten stiegen an. „Heute wird in Argentinien zu 100 Prozent gentechnisch verändertes Soja geerntet“, sagt Roggero. Das führte mancherorts zu einem heftigen Aufschrei. So berichteten Ärzte und Anwohner in Ituzaingó in der Region Buenos Aires von vermehrten Krebsfällen und Missbildungen, die der Chemiemix ausgelöst haben soll. Konzerne wie Monsanto wehren sich gegen diese Vorwürfe.

Wenig später sitzen wir im Hause Roggero an einem Holztisch in einer kleinen Küche mit Couch und großem Kühlschrank. Er zeigt ein YouTube-­Video mit riesigen Wassermengen in Freyre. Verbittert wirkt er nicht, vielmehr grinst er, als wir ihm vom Interview mit dem argentinischen „Sojakönig“ Gustavo Grobocopatel erzählen: „Ihr sprecht mit dem größten Sojaproduzenten des Landes – und nun sitzt ihr bei mir zu Hause?“

Roggeros Reaktion zeigt: Grobo­copatel prägt die argentinische Landwirtschaft seit über 25 Jahren wie kaum ein anderer. Das Vorantreiben der Direktsaat sowie die zunehmende Digitalisierung der Branche sind ihm zuzuschreiben. Bei der „Siembra directa“ (Direktsaat) wird direkt nach erfolgter Ernte gesät, ohne vorher den Boden zu bearbeiten. Dabei wird der Boden geschont, Treibstoff und Bewirtschaftungskosten werden gespart. Gleichzeitig kommt es aber leichter zu einem Austrocknen der Flächen. 90 Prozent der argentinischen Bauern arbeiten mit dieser Methode. „Es gibt keinen Sojabohnen-Boom. Es handelt sich um Protein. Viele arme Menschen, besonders in China und Indien, essen mehr davon als vor 20 Jahren“, sagt Grobo­copatel zu Beginn des Gesprächs. Wir sitzen in einem kleinen Café im Osten von Buenos Aires. Reiner Produzent ist Grobocopatel längst nicht mehr. 1984 stieg der studierte Agrarwissenschafter in das von seinem Vater Adolfo gegründete Unternehmen Los Grobo Agropecuaria ein (heute eine Sparte der Unternehmensgruppe Los Grobo, Anm.). Anfangs sollte sich Gustavo nur um die technischen Angelegenheiten kümmern, doch sein Vater erkannte rasch sein Gespür für das Geschäft. 2001 wurde der Junior schließlich Präsident und CEO von Los Grobo. Seither baut der „Soja­könig“ das Unternehmen zu einem großflächigen Ökosystem auf. Es umfasst 80.000 zu bewirtschaftende Hektar, die sich von Argentinien nach Uruguay und Paraguay erstrecken – mit diversifizierten Tätigkeiten: Bereitstellung von Services und Technologien an Farmer, Kornlagerung, Logistiklösungen, Chemikalien- und Düngemittelversorgung. Nur zehn Prozent macht die Produktion von Soja, Mais und Weizen aus, dennoch ist Los Grobo ein Schwergewicht: 400.000 Tonnen waren es 2017, 40 Prozent davon Soja. Ähnlich wie Roggero pachtet Los Grobo den Großteil seiner Anbauflächen: „Wir haben das Geschäftsmodell im großen Stil entwickelt, sodass man keine Produktionsmaschinen, Arbeitskräfte oder Kapital besitzen muss, um Farmer zu sein. Vielmehr kann man Land pachten, Arbeit outsourcen und Kapital von Investoren nutzen. Das Einzige, was man braucht, sind Know-how und Managementfähigkeiten.“ Bei Grobocopatel äußern sich diese Eigenschaften besonders darin, Netzwerkpartnerschaften zu erkennen und einzugehen: Verschiedene Spezialisten werden zu einem größeren Agrar­projekt zusammengefasst, das von Los Grobo koordiniert wird und genügend Raum für Innovationen schafft. Einer der Gründe für das rasche Wachstum über das letzte Vierteljahrhundert: 1984 bestand das Unternehmen seines Vaters noch aus fünf Mitarbeitern, einem Traktor und 3.500 Hektar. Heute sind es 700 Mitarbeiter, 4.000 Kunden und ein Umsatz von jährlich rund 700 Millionen US-$. Dennoch werden auch kritische Stimmen laut: Nicht jedem Kleinbauern gefällt es, dass Großunternehmen wie Los Grobo, Cargill oder Bunge immer mehr Landfläche kontrollieren.

„Wir wachsen schnell. Das muss man aber in den richtigen Kontext stellen. Die Kirchner-Regierung war gegen unser Geschäft. Es war mein Traum, ein großes, multinationales Unternehmen zu schaffen. Aber ich konnte dies nicht erreichen“, sagt Grobocopatel. Der Agrarsektor unterlag während der Regierungszeit von Néstor Kirchner (2003 bis 2008) und seiner Frau Cristina Fernández de Kirchner (2008 bis 2015) strengen Auflagen. Aufgrund ihrer Devise, Nahrungsmittel für die eigene Bevölkerung im Land zu halten, schotteten sie Argentinien vom Weltmarkt ab. Exportsteuern und Ausfuhrhemmnisse für Getreide, Mais oder Fleisch wurden verhängt. 2006 und 2009 wurden die ­Fleischexporte einige Monate komplett gestoppt, immer mehr Rinderzüchter wurden infolgedessen zu Sojabauern (siehe Seite 64). Besonders Soja wurde als Ausweg aus der nachwirkenden Staatspleite 2001 gesehen. So wurden für Sojabohnen sogenannte „retenciones“ (Exportsteuern) von 35 Prozent erhoben. Dies betraf auch Los Grobo, denn das Unternehmen exportiert 95 Prozent seiner Sojabohnenproduktion – zu jeweils einem Drittel in die EU, China und den Rest der Welt. „Die protektionistische Politik hat zu großen Auseinandersetzungen zwischen den Farmern und der Regierung geführt“, erinnert sich auch Roggero. Die Steuern auf Sojabohnen betragen unter der neuen Regierung Mauricio Macris (seit 2015) noch immer 30 Prozent – besonders, um dem raschen Wachstum der Sojaanbauflächen Einhalt zu gebieten. Bis 2019 sollen sie jedoch auf 18 Prozent gesenkt werden. Indes schrumpft die Sojabranche; es wird heute weniger produziert als 2015.

Dennoch will Macri der Landwirtschaft zu alter Stärke verhelfen. Nach Schätzungen des Agrarministeriums könnte sich die Produktion innerhalb der nächsten fünf Jahre um 50 Prozent erhöhen. Das wiederum würde Los Grobo in die Karten spielen, denn bei Weizen und Mais steigt die Wachstumsrate: „Ich werde bis zum Ende kämpfen, um die Menschen zu überzeugen, dass unser inklusives Geschäftsmodell der beste Weg ist, Armut zu bekämpfen“, erklärt Grobocopatel. Und Roggero? Für die erste Erntesaison ist er mit einem Break-­even zufrieden, langfristig will er sich jedoch der Rinderzucht ­widmen: „Das ist stabiler. Denn in Krisenzeiten kannst du den Viehbestand auch verkaufen.“

Dieser Artikel ist in unserer März-Ausgabe 2018 „Food“ erschienen.

Niklas Hintermayer,
Redakteur

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