Sichere Krise

Laut Großinvestor Carl Icahn steht die nächste Krise schon bevor.

Wenn ein Investor, der den Markt seit Jahrzehnten schlägt und seinen Riecher für Marktchancen zahlreiche Male bewiesen hat, auf eine sich anbahnende Krise hinweist, sollten Investoren aufhorchen. So schrieb Carl Icahn in seinem Essay für die Forbes 100 Greatest Business Minds Folgendes: „Manchmal lässt sich am besten Geld verdienen, wenn die meisten Leute sagen, dass man falsch liegt und verrückt ist. Wie im Gedicht von Rudyard Kipling: ‚Behalte deinen Kopf, wenn alle um dich herum ihren verlieren.‘ Mit dem richtigen emotionalen Gerüst ist es einem egal, was die Experten sagen. (…) Man liegt nicht immer richtig, und manchmal dauert es eine lange Zeit, seine Meinung zu beweisen. Die meiste Zeit ist man zu früh dran. (Ich glaube heute, dass den Markt bald eine Krise trifft – eine große Korrektur. Ich sicherte mich dagegen also schon früh ab.)“ Der Starinvestor und Chef von Icahn Enterprises warnt also vor einer drohenden Krise – und agiert auch entsprechend, denn Icahn hält zahlreiche Short-Positionen in den aktuellen Finanzmärkten (diese Positionen stellen eine Spekulation auf fallende Kurse dar, Anm.).

Icahn, der an der Wall Street für seinen guten Riecher bekannt ist und laut Forbes Billionaires List über 16 Milliarden US-$ ­Vermögen verfügt, warnt bereits seit 2015 regelmäßig vor einer Krise. Bisher hatte er damit jedoch nur mäßigen Erfolg, denn sein Investmentfonds schrieb zuletzt satte Verluste. Im Jahr 2015 war es ein Minus von 18, 2016 sogar von 20 Prozent. Doch Icahn hofft, dass seine Wette auf eine Marktkorrektur sich langfristig voll auszahlen wird.

Doch mit der Prognose von Finanzkrisen ist es so eine Sache. Die Daten basieren auf der Vergangenheit und sind daher nur begrenzt geeignet, Vorhersagen über die Zukunft zu treffen. Zudem ist das moderne ­Finanzsystem so vernetzt, dass eigentlich irrelevante isländische Banken eine Kettenreaktion auslösen können, die das gesamte Finanz­system an den Rand des Kollapses bringt – wie vor der Finanzkrise 2008. Keine Laienaufgabe also.

Wir versuchen es dennoch. Denn in dem Jahrzehnt seit der letzten ­Finanzkrise ist viel passiert. Und ­einige Indikatoren zeigen an, dass wir uns vielleicht dem Abgrund nähern. Aber erst mal der Status quo: Die Aktienmärkte jagen von einem zum nächsten Rekord; die Bilanzsum­me der vier größten Notenbanken ist auf 14 Billionen US-$ angewachsen, von denen alleine seit 2008 zehn Billionen US-$ durch eine expansive Geldpolitik aufgenommen wurden; die Leitzinsen stehen weiterhin bei oder nahe null; in China bläht sich eine – vom auf Schulden finanzierten Privatkonsum getragene – Kredit­blase auf, die in ihrer Größe historisch unbekannte Dimensionen annimmt; und die politischen Entwicklungen sind weltweit von Unsicherheit, einem erstarkenden Populismus und Verwerfungen geprägt. Kurz: Das ist kein gewöhnlicher Markt.

Die Experten sind aber uneinig. Einerseits schließen sich gewichtige Stimmen wie William White, ehemaliger Chef der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich und einer der wenigen Ökonomen, die die Krise 2008 vorhersagten, Icahns Sorgen an. White: „Die derzeitige Situation in den Märkten ähnelt jener von 2008 stark. Wir sehen alle möglichen ungewöhnlichen Entwicklungen in den Finanzmärkten. Die Preise vieler Assets sind sehr hoch – insbesondere Junk-Bonds (Hochzinsanleihen, die von Rating­agenturen nicht mit Investment ­Grade versehen sind – auch als Ramsch­anleihen bekannt, Anm.).“

Andererseits raten zahlreiche Experten und Analysten trotz Rekord­niveaus zum Kauf von Aktien und sehen die Situation weit weniger dramatisch. So ist Burkhard Varnholt, Deputy Global CIO International Wealth Management bei der Credit Suisse, wie auch seine Kollegen für die Zukunft vorsichtig optimistisch gestimmt: „Wir erleben momentan den stärksten globalen Wirtschaftsaufschwung seit rund 20 Jahren. Der Schlüsselbegriff in diesem Zusammenhang ist jener der ‚Gleichzeitigkeit‘. Alle Konjunkturindikatoren sind synchron positiv.“ So hätten Aktien, auch durch verstärkte Nachfrage von institutionellen Investoren, noch Potenzial: „Selbst, wenn alle äußeren Effekte unverändert bleiben würden, hätten Aktien nach den derzeitigen Gewinnrevisionen noch rund 20 Prozent Luft nach oben.“ Die Marktvolatilität gibt Varnholt recht: Sie liegt, gemessen am Volatilitätsindex VIX, auf dem niedrigsten Niveau aller Zeiten (auch wenn das – etwa auch laut William White – auf ein zunehmend unvorsichtiges Verhalten von Marktteilnehmern hinweisen kann).

Also: Hat Carl Icahn recht? Steht der Markt vor einer signifikanten Korrektur oder gar einer (globalen) Finanzkrise? Wir haben drei Geschichten gefunden, die zumindest Symptome für eine Krankheit sein könnten: eine von einem kurvigen Rockstar, eine zweite von teurer Kunst und die dritte, die sich mit einem 100 Jahre alten Staat befasst,
der sich für 100 Jahre verschuldet.

Bilanzsummen-Wahnsinn
Quelle: Deutsche Bank, Zentralbanken

Prognose-Rockstar

Die Zinskurve ist ein ungewöhnliches, äußerst spannendes Tool. Sie bildet grundsätzlich die kurz- und langfristigen Renditen auf Staatsanleihen – beispielsweise jene der USA – ab. Dabei bildet die Kurve insbesondere auch das Verhältnis der verschiedenen Laufzeiten ab. Was auf den ersten Blick jedoch nach trockener Theorie für Ökonomen klingt, hat unter vielen Ökonomen den Status eines Rockstars. Denn die Zinskurve gilt als einer der besten Prognose­indikatoren für Finanzkrisen. Seit den 1970er-Jahren sagte die Zinskurve unfehlbar jede einzelne Rezession in den USA mit einer Trefferquote von 100 Prozent voraus. Zur Erklärung: Grundsätzlich sind langfristige Bonds höher verzinst als kurzfristige. Das ist logisch: Denn wenn Anleger ihr Geld 100 Jahre statt nur zehn Jahre verleihen, wünschen sie sich natürlich eine höhere Kompensation. Denn einerseits ist das Ausfallsrisiko über einen längeren Zeitraum viel höher. Zudem wirken sich Inflationssteigerungen negativ auf Anleihen aus, was ein zusätzliches Risiko über einen längeren Zeitraum darstellt. Und zu guter Letzt ist das Kapital gebunden, was wiederum die Handlungsmöglichkeiten einschränkt. Wären langfristige Anlagen nicht höher verzinst als kurzfristige, gäbe es für Investoren keinen Grund, sie nachzufragen.

Interessant für die Krisenprognosen wird es aber, wenn die ­Zinskurve sich verflacht. Denn eine flache Zinskurve bedeutet, dass ­Investoren kein Vertrauen in die zukünftige Entwicklung der Wirtschaft haben, da sie ihr Geld sonst in Immobilien oder Aktien stecken würden, statt eine vermeintlich sichere Wette einzugehen, indem sie Staatsanleihen kaufen. Starke Nachfrage führt bei Anleihen zu fallenden Renditen. Das kann so weit führen, dass die Renditen auf kurzfristige Anleihen höher liegen als jene auf langfristige – dann stellt sich die Zinskurve quasi auf den Kopf und wird invers (siehe Grafik). Eine invertierte Zinskurve heißt nicht zwingend, dass in naher Zukunft eine Krise folgt, denn 2005 invertierte sich die Kurve, der Ausbruch der Krise dauerte aber noch. Doch vor jeder Rezession in den USA innerhalb der letzten ­Jahrzehnte invertierte sich die Kurve – 2008, 2000, 1991 oder 1981 war das der Fall.

Die Zinskurve ist auch insofern beachtlich, als sie quasi eine „aggregierte Glaskugel“ für die Meinung zahlreicher Investoren über die zukünftige Wirtschaftsentwicklung der USA ist. Und da mehr als die Hälfte der 14 Billionen US-$, die aktuell in US-Staatsanleihen stecken, aus dem Ausland stammen, ist das ziemlich aussagekräftig. Leider leuchtet dieses treffsichere Warnsignal aktuell wieder auf. Obwohl die Zinskurve aktuell noch nicht invertiert ist, verflachte sie sich kürzlich doch deutlich – und zwar auf das flachste Niveau seit 2007. Das sagt nicht, dass sie sich tatsächlich auf den Kopf stellt, und auch nicht, dass eine Rezession in den USA zu globalen Schwierigkeiten führt. Dennoch: 100 Prozent Treffsicherheit sollten einem zu denken geben.

Die US-Zinskurve flacht ab
Quelle: U.S. Department of the Treasury (US-Finanzministerium)

Teure Kunst

450 Millionen US-$: Es war ein stattlicher Preis, der da beim Auktionshaus Christie’s in New York im November 2017 ausgerufen wurde. Damit wurde das Auktionsobjekt, Leonardo da Vincis Gemälde „Salvator Mundi“, zum teuersten jemals verkauften Kunstwerk. Das Verwunderliche daran war einerseits der Preis an sich: Das zweitteuerste Kunstwerk, „Interchange“ von Willem de Kooning, kostete „nur“ rund 300 Millionen US-$. Auch ob „Salvator Mundi“ wirklich von da Vinci stammt, wurde von einigen Beobachtern öffentlich angezweifelt. Doch Abu Dhabis Kultur- und Tourismusbehörde ließ es sich nicht nehmen, das gute Ding zu ersteigern.

Der Verkauf ist zwar ein Ausreißer, aber kein Einzelfall, denn der Kunstmarkt schwingt sich in den letzten Jahren zu neuen Höhen auf. Von den zehn teuersten Gemälden aller Zeiten wurden neun nach der Finanzkrise 2008 verkauft, sechs nach 2015. Gleiches zeigt sich bei den teuersten jemals verkauften Fotografien – acht von zehn wurden nach 2008 verkauft – und Skulpturen – neun von zehn nach 2008.

Und es geht weiter, denn die Hyperliquidität, die momentan herrscht, zeigt sich auch anderswo. Bitcoin sowie der gesamte Kryptowährungsmarkt erreichten bis zu fünfstellige Prozentsteigerungen, auch die Transfersummen im Fußball sind 2017 explodiert: Im Sommer wechselte der Brasilianer Neymar für satte 222 Millionen € vom FC Barcelona zu Paris Saint-Germain. Der Markt geht in Geld unter.

Ob das Sorgenfalten hervorrufen sollte, ist unter Experten erneut umstritten. Ronald-Peter Stöferle von der Liechensteiner Fondsgesellschaft Incrementum und Autor des viel beachteten Gold Report, findet diese Entwicklung nicht normal: „Die ,Liquiditätsparty‘, die wir seit dem Jahr 2009 sehen, wird 2018 zu Ende gehen. Das heißt, dass die Notenbanken nicht mehr als Käufer von Staatsanleihen und Unternehmensschulden auftreten werden. Das wird ein Stresstest für die Märkte.“

Burkhard Varnholt sieht das indes gelassener: „Das ist das Gesetz der Thermodynamik: Wenn ich Energie in einen Markt fließen lasse, äußert sich das in verschiedensten Kanälen. Die große Liquiditätswelle der letzten Jahre nimmt viele Boote mit.“

Obwohl: Etwas merkwürdig mutet die Häufigkeit solcher Vorfälle dann doch an.

Burkhard Varnholt
Varnholt studierte an der Universität St. Gallen Betriebswirtschaft und promovierte 1994. Seine Karriere startete er bei Morgan Stanley in London, bevor er erstmals bei der Credit Suisse andockte. Nach Stationen bei der Bank J. Safra Sarasin und Julius Bär kehrte er wieder zurück und ist heute als Deputy Global Chief Investment Officer tätig

100 Jahre alt, 100 Jahre verschuldet

1918 wurde die Erste Republik Österreichs ausgerufen, dieses Jahr feiert der Staat also seinen 100. Geburtstag. Als Geschenk an sich selbst feierte man eine Premiere: Österreich begab 2017 eine 100-jährige Staatsanleihe – die erste eines Mitglieds der Eurozone. Mit einem Rückzahlungszeitpunkt im September 2117 sorgte das Papier bei Kapitalmarktexperten für Verstörung. So titelte etwa die Neue Zürcher Zeitung: „100 Jahre? Geh, hör auf!“ Jene Fondsmanager und Investoren, die diese Anleihe heute nachfragen, werden den Rückzahlungszeitpunkt nicht mehr erleben. Das scheint aber die meisten nicht interessiert zu haben, denn das Papier, das mit einem fixen Kupon von 2,1 Prozent versehen ist, erfreute sich großer Beliebtheit.

Mehr als elf Milliarden € wurden nachgefragt, die Bestellungen kamen (in dieser Reihenfolge) aus Großbritannien, der Schweiz, Deutschland und den Niederlanden. Und dabei investierten nicht nur in ihrer Strategie beschränkte, verstaubte Pensionsfonds: 30 Prozent entfielen auf Fondsmanager, 20 Prozent auf Banken.

Dabei hat die Anleihe nicht wenige Risiken. Denn in 100 Jahren kann viel passieren, zudem ist der fix verzinsliche Kupon im Vergleich zur Laufzeit relativ niedrig. Das führt zu einer extrem hohen Preissensibilität. Zudem reagieren Anleihen grundsätzlich negativ, wenn die Leitzinsen oder die Inflation ansteigen oder die Wirtschaft stark wächst. All das ist angesichts von rekordtiefen Zinsen und einer Inflation, die weiterhin weit unter dem Ziel der Notenbanken liegt, in den nächsten Jahren nicht unwahrscheinlich. Stöferle: „Die Notenbanken wollen Inflation herbeiführen – whatever it takes.“

Obwohl auch hier ist nicht gänzlich klar, ob die Politik der Notenbanken tatsächlich zu Inflation führt: „Das größte Problem der Notenbanken ist, dass sie ihre Botschaften nur schwer kommunizieren können. Die Politik ist nicht per se inflationär. Da wurde Geld geschaffen, womit Bonds gekauft wurden. Solange dieses Geld aber geregelt zurückgeführt wird, ist das nicht primär inflationär. Wenn, dann passiert das über Spill-over-­Effekte, und auch die sind unklar.“

Einem Staat also für 100 Jahre sein Geld anzuvertrauen ist somit trotz des vermeintlich geringen Risikos von Anleihen gewagt (wenn natürlich auch nicht alle die Anleihe für die gesamte Laufzeit halten, sondern diese am Sekundärmarkt handeln werden). Insbesondere, wenn die Notenbanken weltweit vor allem ein Ziel haben. Dass der Finanzmarkt lieber ein 100 Jahre laufendes Papier nachfragt, als in Aktien zu investieren, spricht nicht unbedingt für die Hoffnung der Investoren.

Also: Kommt eine Krise?

Zinskurven, Kunstmarkt, Staatsanleihen – ist das genug, um endgültig auf eine Krise zu schließen? Nein. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass solche Indikatoren darauf hinweisen, dass wir in den nächsten Monaten (oder Jahren) eine signifikante Korrektur erwarten können, ist dennoch hoch. Es ist also empfehlenswert, Carl Icahn bei der Überlegung, wie man sein Geld anlegen kann, im Hinterkopf zu behalten. Denn selbst, wenn zahlreiche Beobachter eine Krise im kommenden Jahr ausschließen, weiß der Investor: „Manchmal dauert es eine lange Zeit, seine Meinung zu beweisen. Die meiste Zeit ist man zu früh dran.“ Bleibt zu hoffen, dass Icahn unrecht hatte. Allein, es fehlt der Glaube.

Ronald-Peter Stöferle
Nachdem Stöferle bereits mit 14 Jahren seine erste Aktie gekauft hatte, studierte er standes­gemäß Betriebswirtschaft in Wien und den USA. Nach dem Abschluss verschlug es ihn zur Erste Bank, 2013 gründete er mit Partnern die Fondsgesellschaft Incrementum in Liechtenstein. Viel beachtet ist der von Incrementum publizierte „Gold Report".

Dieser Artikel ist in unserer Januar-Ausgabe 2018 „Forecasting“ erschienen.

Klaus Fiala,
Chefredakteur

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