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Wie ein argentinisches Unternehmen von Novartis und Pfizer profitierte – und die heimische Branche revolutionierte.
Es ist eine rund 30-minütige Autofahrt aus dem Zentrum von Buenos Aires nach Gárin in der Provinz Buenos Aires. Die Panamericana, ein System aus Schnellstraßen, das von Kanada bis nach Feuerland in Chile reicht, ist heute verstopft, Autos hupen, nichts geht so wirklich voran. Am Ziel angekommen, am Unternehmensareal von Sinergium Biotech, muss man sich erst einmal auf dem 20.000 Quadratmeter großen Areal zurecht finden. Hier konzentriert sich das biopharmazeutische Unternehmen überwiegend auf die Erforschung, Entwicklung, Produktion und Vermarktung von Impfstoffen. Es ist das einzige Unternehmen dieser Art in Argentinien. Die Produktionskapazitäten erreichen 30 Millionen Stück pro Jahr; sie setzen sich aus 22 Millionen Fertigspritzen für Impfstoffe (saisonale Grippe, Pneumokokken und Humane Papillomviren, HPV), vier Millionen Fläschchen und vier Millionen Fertigspritzen für Biopharmazeutika zusammen.
In den Produktionsräumen reihen sich riesige Maschinen aneinander, wie etwa eine Spritzenabfüllanlage von Groninger oder ein automatisches Inspektionssystem von Eisai aus Japan. Frauen und Männer in weißen Hygieneanzügen befüllen Pipetten, prüfen diese und legen sie wieder weg. Dem Zufall überlassen wird hier nichts. Das Equipment und die Produktionsprozesse sind nach den höchsten internationalen Standards der Good Manufacturing Practices (GMP), der US-amerikanischen Food & Drug Administration (FDA) und der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) zugelassen.
Für ein Unternehmen, das heute Impfstoffe in fast alle südamerikanische Länder liefert und 250 Mitarbeiter beschäftigt, verlief das Wachstum doch recht flott. In gerade einmal einem Jahr, zwischen 2009 und 2010, schaffte es Sinergium Biotech das Unternehmen aufzusetzen. In der Tat war damals Eile geboten, da Argentinien unter der Influenza-A (H1N1)-Pandemie litt. Wie in vielen anderen Ländern der Welt waren aber keine Grippeimpfstoffe verfügbar. Somit war klar: das zweitgrößte lateinamerikanische Land benötigt eine eigene Produktionsstätte.
Die argentinischen Unternehmensriesen Grupo Insud und Grupo Bagó (das Mutterunternehmen von Sinergium Biotech, Biogénesis Bagó, zählt dazu, Anm.) wandten sich sohin mit einer privaten Initiative an die Regierung. „Der Vorschlag war: ,Gebt uns zehn Jahre an Exklusivität im öffentlichen Markt und in diesem Zeitraum werden wir ein Unternehmen (gemeint ist damit Sinergium Biotech, Anm.) aufbauen, in das wir zu hundert Prozent private Gelder investieren werden. Wir werden die entsprechende Technologie nach Argentinien transferieren und hier Grippeimpfstoffe produzieren. Darüber hinaus werden wir mit internationalen Unternehmen Partnerschaften eingehen“, sagt Fernando Lobos, Business Development Director bei Sinergium. Mit der Regierung (damals unter Cristina Fernández de Kirchner, Anm.) vereinbarten die Verantwortlichen verbindliche Bedingungen und Pönalen im Fall einer Verletzung.
Mittlerweile sitzen wir im Bürogebäude in einem Besprechungszimmer. Neben Lobos ist auch der CEO und Präsident von Sinergium, Alejandro Gil, anwesend, der von Beginn an die strategischen Schritte des Unternehmens lenkte. Und diese verfolgt Sinergium seither konsequent. Nach der Gründung 2009, begann man bereits 2010 – damals noch ohne eigene Produktionsstätte – Impfstoffe gegen Grippe in Argentinien auszuliefern. Möglich war das aufgrund einer Kooperation mit Novartis, in deren Rahmen Sinergium Influenza-Impfstoffe importierte. Mit dem Bau der Anlage in Gárin wurde 2011 begonnen, sowie nach und nach erste Mitarbeiter eingestellt. Im Dezember 2012 erfolgte dann der nächste Schritt mit der Etikettierung der Impfstoffe, ein Jahr später kümmerte sich Sinergium bereits selbstständig um die richtige Zusammensetzung der Vakzine und die Befüllung in Spritzen.
„Derzeit befinden wir uns in der letzten Phase. Wir bauen eine neue Produktionsanlage, wo wir Antigene (darunter versteht man den Grundstoff eines Impfstoffes; an diese können sich Antikörper spezifisch binden, Anm.) herstellen werden“, sagt CEO Gil. Der Kostenpunkt des Neubaus: 50 Millionen US-$. Alle bisherigen Investments beliefen sich zum Vergleich auf 80 Millionen US-$. Diese wurden ausschließlich aus Geldern der Aktieninhaber gestemmt, wie Gil oftmals betont. Zu diesen zählen das argentinische Pharmaunternehmen Biogénesis Bagó und Laboratorio Elea (entwickelt Medikamente für verschiedenste Bereiche, Anm.)
Für Gil waren insbesondere zwei Faktoren für die rasche Umsetzung der Produktion verantwortlich. „Erstens, die Flexibilität unseres Unternehmens. Da unsere Strukturen kleiner sind als bei Konzernen, können wir Entscheidungen schneller fällen. Zudem haben wir von Beginn an ein hochqualifiziertes Team aufgestellt, das aus vielen jungen Technikern besteht. Diese stammen etwa aus Panama, Venezuela oder Kolumbien.“ Der zweite Punkt betrifft die Vereinbarung mit dem nationalen Gesundheitsministerium (El Ministerio de Salud de la Nación). Ein technisches Team kontrollierte den Aufbau und die bauliche Umsetzung der Produktionsstätte und führte Qualitätskontrollen des angekauften Equipments durch. „Die regulatorischen Zulassungsstellen waren in diesen Prozess sehr involviert“, sagt Gil.
Den aber wahrscheinlich größten Vorteil bedeutete das international ausgerichtete Produktionsmodell. Darunter fallen die strategischen Partnerschaften mit Branchenriesen wie Novartis oder Pfizer. Zuerst wurden die Grippeimpfstoffe aufgrund der Vereinbarung mit Novartis importiert, danach ermöglichte aber schon bald ein Technologietransfer, diese (Viraflur und Fluxvir, Anm.) lokal in Argentinien zu produzieren. „Wir kopierten genau jenen technologischen Prozess, den Novartis zu dem Zeitpunkt auch bereits in Italien oder Großbritannien etabliert hatte – und setzen ihn in Argentinien um“, so der Business Development Director. Mittlerweile hat sich die Grippeimpfstoff-Sparte von Novartis mit BioCSL (eine Sparte des australischen Pharmaunternehmens CSL, Anm.) zu Sequirus zusammengeschlossen – das heute zweitgrößte Grippeimpfstoffunternehmen der Welt.
Dieser Vereinbarung folgten weitere Partnerschaften: Mit Pfizer für die Produktion des Pneumokokken-Konjugat-Impfstoffes und mit MSD (Merck, Sharp & Dohme, argentinische Tochtergesellschaft von Merck & Co) für die Herstellung des Impfstoffes gegen Humane Papillomviren (HPV). „Pfizer entwickelte eine Strategie, um in einigen Ländern weltweit, eigens Impfstoffe anfertigen zu können – etwa in Russland oder der Türkei. Argentinien war das letzte Land im Rahmen dieser Abkommen, aber das erste, das die Produktion starten konnte“, sagt Lobos. „Und“, ergänzt Gil, „wir haben ein starkes Vertrauen mit den multinationalen Unternehmen aufgebaut. Denn wir planen dabei über einen langfristigen Zeitraum hinaus und nicht nur für das kommende Geschäftsjahr.“
Diese Tatsachen mögen insofern überraschen als laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) der Impfstoff-Markt global gesehen relativ klein, stark reguliert und weitgehend abhängig von öffentlichen Geldgebern ist. Öffentliche Gelder bekam Sinergium zwar nicht und auch ansonsten scheint das Geschäft auch für die Zukunft gut gesichert. Dennoch gibt es Herausforderungen: denn in einem derart großen Land wie Argentinien (2,78 Millionen Quadratkilometer Fläche) müssen erst einmal die 830 offiziellen Stellen beliefert werden, an denen sich Menschen impfen lassen können. Logistisch sei dies nicht immer einfach zu lösen, so Gil. Deshalb arbeite man nicht nur eng mit dem Gesundheitsministerium, sondern auch mit Behörden auf lokaler und kommunaler Ebene zusammen. Die weite Zerstreutheit ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Influenza-Impfrate laut Gill mit 60 Prozent im Vergleich zu europäischen oder nordamerikanischen Ländern sehr hoch ausfällt.
Und noch eine Herausforderung kommt hinzu: die Influenza-Impfstoffe wechseln jedes Jahr ihre Zusammensetzung. Denn die WHO gibt immer aufs Neue heraus, welche Virenstämme verwendet werden müssen, um das Produkt zu fertigen. „Wir müssen jährlich ab Mitte März bis Ende Juli am argentinischen Markt verfügbar sein. Also produzieren wir und liefern wir alle unsere Impfstoffe in diesem Zeitraum aus“, so CEO Gil. Für die Herstellung eines Influenza-Impfstoffes selbst – von der internen Genehmigung des Antigens über die richtige Mischung bis hin zur Auslieferung – dauert es für gewöhnlich einen Monat.
Mittlerweile vertreibt und verabreicht Sinergium die Impfstoffe in ganz Südamerika – mit Ausnahme von Brasilien. Denn die Zertifzierung durch die Administración Nacional de Medicamentos, Alimentos y Tecnología Médica (ANMAT) wird nur von eben diesen Ländern anerkannt. Gleichzeitig bleibt Sinergium in gewisser Weise seinen Wurzeln treu – und stärkt sie zugleich noch. Denn das Unternehmen investiert 50 Millionen US-Dollar in eine neue Anlage in Gárin in der Provinz Buenos Aires. Dort sollen ab 2020 Primärantigene hergestellt und zudem 100 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Im Rahmen dessen wird eine sogenannte rekombinante Technologie genutzt, die eine viel schnellere Impfstoffproduktion ermöglicht. Ist die neue Anlage einmal fertig gestellt, werden aber nicht nur Grippeimpfstoffe gefertigt werden sondern auch Zika-Impfstoffe.
In ferner Zukunft will Sinergium damit wohl auch eigene Impfstoffe entwickeln – und nicht nur jene, die auf dem Know-how und der Technologie der internationalen Pharmariesen beruhen. Denn das unausgesprochene Ziel scheint sowieso zu lauten: bald sind wir auch einer von ihnen.