SCHICHT FÜR SCHICHT

Ein Schädelimplantat, hergestellt in nur wenigen Stunden: Kumovis-Gründer Stefan Fischer und Sebastian Pammer verändern mittels ihrer 3D-Druck-Technologie das Gesundheitswesen – eine Schicht nach der anderen.

Für manche Studenten steht die ­Universität für einen Stundenplan voll mit Seminaren, gelegentlichen ­Pausen und stundenlangen Vor­lesungen. Für Sebastian Pammer (Bild: zweiter von rechts) und Stefan Fischer (Bild: ganz rechts) war das Studieren all das – und brachte dazu den Aufbau eines revolutionären me­dizinischen Start-ups. „Man geht morgens an die Uni und besucht natürlich ein paar Vorlesungen, aber ansonsten verbringt man so ziemlich 100 % seiner Zeit im Institut und arbeitet nur an diesem Projekt“, erinnert sich Pammer. Von ihrem Büro in München aus blicken die Mitgründer von ­Kumovis gerne – aber auch mit ­Erleichterung – auf die langen Nächte an der Universität zurück.

Was als Proof of Concept für ­einen 3D-Drucker in den Laboren der Technischen Universität München (TUM) begann, hat sich inzwischen zu einem vollwertigen Unternehmen entwickelt, das in Europa tätig ist und es demnächst auch in den USA sein wird. Der Kern von ­Kumovis’ Tätigkeit ist 3D-Druck für medizinische Geräte. Sein Drucker, Kumovis R1, hat etwa die Dimensionen eines großen Kühlschranks und kann bis zu 250 Grad Celsius an Hitze erzeugen. Gemeinsam mit Krankenhäusern produziert das Start-up ­Implantate aus Hochleistungspoly­meren (Materialien, die auch bei ­hohem Druck und hoher Temperatur ihre Eigenschaften behalten), indem der Drucker das Material Schicht für Schicht ­aufträgt. Das Vorgehen eignet sich besonders für Implantate, die ein ­individuelles Design erfordern. „Im Moment liegen die ­Schwerpunkte bei Schädel- und Gesichtsimplantaten“, so Pammer. „Ein anderer wären Wirbelsäulenfusionsimplantate, die man zwischen zwei Wirbel setzt, wenn die Bandscheibe einen Defekt aufweist.“ Bisher wurden alle gedruckten Implantate vor allem für die Forschung und Produktentwicklung verwendet. Es ist geplant, später im Jahr klinische Studien an menschlichen Patienten durchzuführen.

Was das Geschäftsmodell betrifft, so hofft Kumovis auf einen mehrgleisigen Ansatz – über den Einzelverkauf seiner 3D-Drucker hinaus. „Wir haben schnell erkannt, dass das konventionelle und altmodische Geschäftsmodell, bei dem man nur ein Gerät verkauft, für uns nicht wirklich funktioniert“, sagt Pammer (das Unternehmen hat in den letzten zwei Jahren zehn Geräte verkauft). Um die Einnahmeströme zu diversifizieren, bietet Kumovis gegen eine jährliche Gebühr Service und Wartung für die verkauften Maschinen an. Darüber hinaus ist geplant, bei jedem Verkauf eines Implantats einen Anteil am Gewinn zu erhalten, da das Start-up bei jedem Schritt – von der Ideenfindung über das Design und die Regulierung bis hin zum fertigen Implantat – eng mit den Partnern zusammenarbeitet.

Implantate aus dem Kumovis-R1-3D-Drucker.

Schon vor Kumovis tüftelte Fischer in seiner Freizeit an 3D-Druckern. Der aus Penzberg bei München stammende Deutsche hatte schon während seiner Schulzeit eine ­kleine Maschine für private Projekte, die aber nach eigenen Angaben „immer nur zum Spaß“ diente. Nach seinem ­Bachelorabschluss in Maschinenbau mit Schwerpunkt IT an der TUM wechselte Fischer im Masterstudium in Richtung Medizintechnik. Der aus Wien stammende Pammer hingegen hatte bereits Auslandsaufenthalte in Australien und Litauen hinter sich, bevor er sein Bachelorstudium der Mechatronik an der Johannes Kepler Universität Linz begann. Die Wege der beiden kreuzten sich schließlich 2015 während ihres Masterstudiums an der TUM. Ihr erstes ­gemeinsames Seminar? Die Entwicklung eines 3D-Druckers für medizinische Implantate. „Wir haben schnell gemerkt, dass das ein vielversprechendes Thema ist“, sagt Fischer. „Also beschlossen wir: Das ist mehr als nur ein Seminar oder fünf ECTS-­Punkte. Es war der Beginn von etwas Größerem.“

Der Sprung von der ­Vision zur Realität fand im Herbst 2017 statt, als Kumovis offiziell gegründet wurde. „An der Universität lernt man in den Vorlesungen vieles über ­coole ­Dinge, aber es ist sehr ­abstrakt und weit weg. An diesem Punkt ­hingegen wurde alles sehr unmittelbar und ­offensichtlich“, sagt Pammer über den Zeitpunkt, als sich das Projekt über seine frühen Prototypen hi­naus entwickelt und das Interesse von Branchenexperten geweckt ­hatte. „Was man macht, wird ernster, weil die Maschine jetzt funktionieren muss“, ergänzt Fischer, „es ist dann nicht mehr nur ein Spiel – es ist unser Unternehmen.“ ­Gemeinsam mit ihren ­Kollegen Miriam Haerst, Stefan Leonhardt und Alexander Henhammer bilden die TUM-­Alumni das Gründerteam von Kumovis. Um dessen ­Wachstum voranzu­treiben, sicherte sich das Team 2018 eine Seed-Finanzierung in Höhe von 1,2 Millionen €, gefolgt von weiteren 3,6 Millionen € in einer Series-A-Runde 2020, angeführt von den Investoren Solvay Ventures und dem Kunststoffspezialisten Renolit. Zu den Kunden zählen inzwischen unter anderem europäische Medizintechnikunternehmen wie KLS Martin, Samaplast und Diener Implants.

Sebastian Pammer und Stefan Fischer
...absolvierten ihren Master in Maschinenbau bzw. Medizintechnik an der Technischen Universität München. In einer Vorlesung entstand ihre Idee eines 3D-Druckers für medizinische Implantate. 2017 gründeten sie schließlich Kumovis.

Im medizinischen Bereich werden Implantate traditionell durch Schneiden und Formen aus einem Material­block hergestellt. „Das Problem bei diesen konventionellen Fertigungstechnologien ist, dass zum einen das Design eingeschränkt ist“, erklärt Pammer, „auf der anderen Seite ist es auch eine Preisfrage: Durch das Fräsen wird eine Menge Material von ­einem Block weggeworfen, vor allem bei der Herstellung individualisierter Implantate.“ 3D-Drucker seien die wirtschaftlichere Lösung, wenn es um die Herstellung kleiner Mengen für personalisierte Teile geht, mit dem Potenzial, rund 50 % der Herstellungskosten einzusparen. „Die Herausforderung der nächsten Jahre ist es, noch schneller zu werden, sodass man nicht mehr so viele Maschinen braucht“, sagt Fischer.Der breitere Trend zum 3D-Druck, auch bekannt als ­additive ­Fertigung, scheint ­vielversprech­end. Laut dem Europäischen Patent­amt (EPA) stieg die Zahl der Patent­anmeldungen in diesem Bereich zwischen 2015 und 2018 jährlich um durchschnittlich 36 %, wobei Deutschland an der ­Spitze liegt. Polymere bleiben für 3D-Druck-Patente das ­beliebteste Material, noch vor Metallen, Keramiken und Biomaterialien. Laut den Kumovis-Gründern ­seien Hochleistungspolymere dem menschlichen Knochen ähnlicher als Metall und hätten daher therapeutische Vorteile.

„Ein großer Aspekt unserer nächsten Schritte ist die Bewältigung der regulatorischen Fragen und biologischen Tests“, sagt Pammer. „Da wir zum Beispiel eine neue Herstellungstechnologie verwenden, müssen wir nachweisen, dass diese keinen Einfluss auf die Biokompatibilität der von uns verwendeten Materialien hat.“ Kumovis plant zusammen mit seinen Partnern, die ersten ­Produkte noch in diesem Jahr von Aufsichts­behörden wie der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) zertifizieren zu lassen; danach können die Implantate nach und nach auf den Markt gebracht werden. Da die Coronapandemie weiterhin die globalen Versorgungsketten unterbricht und medizinische Engpässe aufdeckt, hat sich das 22-köpfige Kumovis-Team eine Point-of-Care-Fertigung zum Ziel gesetzt – das heißt, dass es seine 3D-Drucker zum Beispiel in Krankenhäusern aufstellt und dabei hilft, den gesamten Fertigungsprozess einzurichten. Diese ­Lösung könnte die Lieferzeiten für Implantate verkürzen und logistischen Problemen innerhalb der Implantatproduktion entgegenwirken. Laut Kumovis wäre dies mit anderen 3D-Druckern aufgrund ihrer Größe und Infrastruktur nicht möglich (der Kumovis-Drucker benötigt in Summe etwa 11 ft² Platz). Dies ist nur einer von vielen Meilensteinen (wie die Gründung einer US-Niederlassung in der ersten Hälfte 2021), die das ehrgeizige Start-up in der Zukunft erreichen will – Schicht für Schicht.

Text: Olivia Chang
Fotos: Kumovis GmbH

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 1/2–21 zum Thema „Innovation & Forschung“.

Olivia Chang,
Redakteurin

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