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Wie Adam Neumann mithilft von Coworking eine 20 Milliarden US-$ teures Start-up aufbaute.
Mit 20 Milliarden US-$ ist WeWork – abgesehen von Uber und Airbnb – das am höchsten bewertete US-amerikanische Start-up. Das Unternehmen setzt dabei darauf, nicht nur Coworking-Büros zu bauen, sondern das Arbeiten im Büro ganz allgemein zu einer neuen Erfahrung zu machen.
Adam Neumann, der energiegeladene Mitgründer und CEO von WeWork, lief in seinem Büro im New Yorker Stadtteil Chelsea hektisch auf und ab, ohne den Boxsack, sein Spinning-Bike oder die gut bestückte Bar auch nur eines Blickes zu würdigen. Stattdessen sah er immer wieder auf seine Uhr. Softbank-Chef Masayoshi Son, der reichste Mann Japans und einer der größten Investoren weltweit, hatte dem 38-jährigen ehemaligen Marineoffizier aus Israel zwei Stunden seiner Zeit für einen ausführlichen Rundgang am Firmensitz des Coworking-Innovators versprochen. Und: Er hatte bereits eineinhalb Stunden Verspätung.
„Endlich kommt Masa zur Tür herein, schaut auf seine Uhr und sagt: ‚Tut mir sehr leid, aber ich habe nur zwölf Minuten Zeit‘“, erzählt Neumann mit heiserer Stimme. Sie begannen also den Rundgang, und nach exakt zwölf Minuten kündigte Son an, er müsse jetzt gehen. Allerdings bot er Neumann an, ihn im Auto zu begleiten. Dieser schnappte sich seine Präsentationsunterlagen und trat die gemeinsame Fahrt an, aus der sich schließlich ein Geschäft ergab, das 20 Milliarden US-$ umfasste.
Son bat Neumann, seine Präsentation wegzulegen, zog sein iPad heraus und entwarf darauf die groben Züge eines Investitionsplans. „Ich empfand die Bewertung für ein Unternehmen dieser Größe als viel zu hoch und dachte, das Geschäftsmodell sei einfach zu kopieren“, sagt Son gegenüber Forbes. „Das ist allerdings niemandem gelungen. Die Idee hörte sich einfach an, war aber schwer umzusetzen. Adam hat bewiesen, dass er hält, was er verspricht.“ Am Ende der Fahrt schrieb Son seinen Namen unter den Draft auf dem iPad, zog daneben einen Strich und übergab Neumann den Stift. „Bis heute bekomme ich Gänsehaut, wenn ich nur daran denke“, sagt Neumann und hält wie zum Beweis seinen Unterarm hoch, auf dem die Härchen aufgerichtet sind. „Eine halbe Stunde später schickte er mir diese E-Mail.“ Neumann öffnet auf seinem iPhone ein Foto der digitalen Version jener Art von Vertrag, wie man sie früher auf Cocktailservietten gekritzelt hätte – ein Gewirr aus Linien, die die Grundzüge einer weltweiten Partnerschaft darlegen. Darunter Neumanns Unterschrift in krakeliger, blauer Schrift neben Masas Unterschrift in roten Großbuchstaben.
Die Anwälte gossen die auf dem Rücksitz des Autos geschlossene Grundsatzvereinbarung in einen aus zwei Teilen bestehenden Vertrag: Softbank sollte drei Milliarden US-$ direkt in WeWork investieren (1,3 Milliarden US-$ über ein Kaufangebot für bestehende Belegschaftsaktien und 1,7 Milliarden US-$ in Form von frischem Beteiligungskapital). Weitere 1,4 Milliarden US-$ sollten auf drei neue Gesellschaften verteilt werden, mit denen WeWork in Asien expandieren sollte: WeWork Japan, WeWork Pacific und WeWork China. Neumanns Team sollte die Errichtung und Verwaltung der Büroräumlichkeiten übernehmen, während sich Softbank um die Beziehungen vor Ort kümmern würde. Die Bewertung wurde bei 20 Milliarden US-$ festgelegt. WeWork, das die Bereiche Immobilien, Hotel- und Gastgewerbe sowie Technologie unter einen Hut bringt, wurde damit plötzlich genauso hoch bewertet wie der Hotelbetreiber Hilton Worldwide – und sogar höher als die Social-Media-Sensation Snap. Anlässlich des Closings in Tokio im März 2017 wurde Neumann von seinem Mitgründer Miguel McKelvey begleitet, einem drahtigen 43-Jährigen, der früher für die University of Oregon Basketball gespielt hatte und mittlerweile ebenfalls auf einem Milliardenvermögen sitzt. „Masa dreht sich zu mir und sagt: ‚Wer gewinnt bei einem Kampf – der Clevere oder der Verrückte?‘“, erzählt Neumann. „Ich sage: ‚Der Verrückte.‘ Und er sieht mich an und entgegnet: ‚Stimmt, aber du und Miguel seid nicht verrückt genug.‘“
„Ich sagte Adam, er solle sich nicht zu viel darauf einbilden, dass WeWork aus eigener Kraft ohne eine große Vertriebsabteilung oder ohne riesiges Marketingbudget wächst“, so Son. „Mach die Firma noch zehnmal größer, als du ursprünglich vorhattest. So gesehen ist dann die aktuelle Bewertung noch günstig.“ Wie günstig? „Dann könnte das Unternehmen ein paar Hundert Milliarden US-$ wert sein.“
Man möchte meinen, dass der Verrückteste von allen Son selbst ist, wenn man sich klarmacht, was er hier eigentlich mit 20 Milliarden US-$ bewertet. Von allen anderen US-Start-ups erreichen nur Uber und Airbnb höhere Werte (der Big-Data-Analyst Palantir wird ähnlich bewertet wie WeWork). WeWork ist ein Büroraumbetreiber – der keine Büros besitzt. Genauso wie Uber und Airbnb agiert WeWork im Wesentlichen als Vermittler, mietet Flächen von anderen zu Großhandelspreisen und vermietet sie dann gegen einen entsprechenden Aufpreis für cooles Design, flexible Mietverträge und inkludierte Dienstleistungen wie Internet, Empfang, Poststelle oder Reinigung weiter. Im Mietvertrag inbegriffen sind auch Kaffee und Bier. Der Mehrwert, den WeWork bietet, ist eine neue Art von Bürokultur – und das im großen Stil.
Was 2010 mit einer Bürofläche in New York City begann, ist inzwischen auf ein kleines Imperium mit 163 Standorten angewachsen – eine Zahl, die sich seit Ende 2015 verdreifacht hat – und umspannt 52 Städte auf der ganzen Welt. Die mehr als 2.900 Mitarbeiter des Unternehmens verwalten eine Gesamtfläche von knapp 930.000 Quadratmetern für insgesamt 150.000 Mitglieder. Die Monatsmieten liegen zwischen 220 US-$ für die Nutzung eines Gemeinschaftsraums und 22.000 US-$ für ein 50 Personen fassendes Büro.
„Niemand investiert in ein Coworking-Unternehmen mit einem Wert von 20 Milliarden US-$. So etwas gibt es nicht“, so Neumann. „Unsere heutige Bewertung und Größe gründen viel mehr auf unserer Energie und dem Gefühl, für das wir stehen, als auf einer Hochrechnung der Umsatzerlöse.“
Damit hat er ziemlich sicher recht. Das Unternehmen wird 2017 voraussichtlich Umsatzerlöse von geschätzt 1,3 Milliarden US-$ erzielen (bei Umsatzrenditen von rund 30 Prozent) und verzeichnet somit ein höheres Kurs-Umsatz-Verhältnis, als es ein vergleichsweise konventionelleres Wachstumsunternehmen auf der Grundlage des Cashflows erreichen würde. Die von Son angesetzte Bewertung von 20 Milliarden US-$ bedeutet einen Wert von 133,3 US-$ pro Mitglied (obwohl das Modell die Möglichkeit beinhaltet, jederzeit auszusteigen). Jedes Mitglied generiert umgekehrt im Durchschnitt 8.000 US-$ pro Jahr. Jeder vermietete Quadratfuß (0,09 Quadratmeter) wird mit 2.000 US-$ bewertet – im Vergleich dazu liegt der Wert für den Ankauf erstklassiger Immobilien an einem Technologiedrehkreuz wie Austin bei 325 US-$.
Unsere Bewertung und Größe gründen mehr auf unserer Energie und dem Gefühl, für das wir stehen, als auf einer Hochrechnung der Umsatzerlöse.
Bereits vor Sons Einstieg hatten Größen wie Benchmark, Fidelity, Goldman Sachs und JPMorgan 1,55 Milliarden US-$ in WeWork gesteckt und waren dabei ebenfalls von der Annahme ausgegangen, dass das revolutionäre Geschäftsmodell des Unternehmens über herkömmliche Berechnungsparameter nicht ausreichend abgebildet wird. „Sie schaffen ein dynamisches und ansprechendes Umfeld, das sie mit begeisterten Menschen füllen, wodurch die Arbeit im Büro stark an Reiz gewinnt“, so Bruce Dunlevie von Benchmark. Jamie Dimon, der CEO von JPMorgan, bezeichnet WeWork als eine Lebensphilosophie: „Da wurde ein Hybrid an der Grenze zwischen Hospitality- und Tech-Unternehmen geschaffen, der sich völlig von allen anderen Immobilienanbietern unterscheidet.“
Die Finanzierung von Start-ups ist allerdings kein Selbstzweck. Worauf die Investoren – und insbesondere Son – setzen, ist, dass WeWork das Arbeiten im Büro generell zu einer völlig neuen Erfahrung macht. In den letzten Jahren hat WeWork Unternehmen wie GM, GE, Samsung, Salesforce, Bank of America und Bacardi als Kunden gewonnen. Heuer wurde ein ganzes Gebäude im New Yorker Greenwich Village an IBM vermietet, und mittlerweile machen große Unternehmen 30 Prozent des monatlichen Umsatzes aus.
„Für unsere Leute ist das in Sachen Büroimmobilien mittlerweile eine zentrale Lösung“, erklärt Matt Donovan, der das Marketing für Microsoft Office 365 leitet und mehr als 300 Mitarbeiter in WeWork-Büros untergebracht hat. „Sie haben Zugang zu verschiedenen Standorten und können Erkenntnisse und Feedback von anderen Mitgliedern sammeln".
Für wachsende Unternehmen bietet WeWork eine Möglichkeit, sich in neuen Städten anzusiedeln, ohne sich auf die zeitraubende Suche nach möglichen Objekten begeben, Verträge ausverhandeln und Dienstleister finden zu müssen. „Es gibt keinen Grund dafür, Büroräumlichkeiten selbst anzumieten“, bringt es Josh Kushner auf den Punkt. Er ist Gründer des VC-Unternehmens Thrive Capital und hat Oscar Health mitgegründet, welches seine Geschäftstätigkeit in Los Angeles von einem WeWork-Standort aus aufgenommen hat. „Man bekommt alles aus einer Hand. Ein Unternehmen zu führen ist schwer genug. Dank WeWork erspart man sich all die Unannehmlichkeiten rundherum.“
Für Neumann und McKelvey ist die Kultur im eigenen Unternehmen, die Zusammengehörigkeit im Team extrem wichtig. „Adam und Miguel wuchsen beide in einem gemeinschaftlichen Umfeld auf und wissen, wie viel Kraft man daraus schöpfen kann“, erklärt Michael Gross, ehemals CEO der Boutique-Hotel-Kette Morgans Hotel und aktuell Vice Chairman bei WeWork. „Das hat ihnen dabei geholfen, zu überleben.“
Neumann und McKelvey wuchsen an entgegengesetzten Enden der Welt auf. Beider Kindheit war aber bezeichnenderweise von zahlreichen Ortswechseln und dem Leben in größeren Gemeinschaften geprägt. Neumann wurde in Israel als Sohn eines Ärztepaars geboren, das sich scheiden ließ, als er noch klein war. In den ersten 22 Jahren seines Lebens wohnte er an 13 unterschiedlichen Orten, darunter zwei Jahre in Indianapolis und eine Zeit lang in einem Kibbuz, wo seine Mutter als Ärztin arbeitete. Als schwerer Legastheniker konnte Neumann bis zur dritten Klasse weder lesen noch schreiben, schaffte es aber dennoch auf die israelische Eliteschule für Marineoffiziere. Nach dem Militärdienst zog es ihn nach New York, wo er bei seiner Schwester Adi wohnte, einer ehemaligen Miss Teen Israel, die damals als Model arbeitete.
McKelvey seinerseits wuchs in Eugene, Oregon, auf. Dies geschah innerhalb eines Kollektivs alleinerziehender Aktivistinnen, denen es mehr um die Sache ging, für die sie kämpften, als ums Geld. Es war eine Kindheit, die von ständigen Umzügen und staatlichen Lebensmittelhilfen geprägt war. Durch die Löcher im durchgerosteten Unterboden des familieneigenen Volvos warf McKelvey oft Gummibälle, um zu beobachten, wie sie hinter dem Auto auf der Straße hüpften. Den alljährlichen Ausflug ins Buffetrestaurant King’s Table liebte er: „Es war etwas ganz Besonderes, einmal so viel essen zu dürfen, wie man wollte, ohne Angst, dass man nicht satt wird“, erinnert sich McKelvey und lässt den Blick über den Firmenhauptsitz streifen, in dem es kostenlos Kaffee, Bier und Snacks im Übermaß gibt. „Ich löffelte dort jedes Mal Softeis, bis mir schlecht wurde.“ Der über zwei Meter große McKelvey war ein talentierter Student und spielte bereits am Colorado College Basketball, bevor er an die University of Oregon wechselte, wo er eine erfolgreiche Laufbahn als Unisportler und ein anspruchsvolles Architekturstudium unter einen Hut brachte.
Die beiden Männer lernten einander in New York über einen gemeinsamen Freund kennen und verstanden sich gerade durch ihre jeweils individuelle Lebensgeschichte und ihre erfolgsorientierte Einstellung auf Anhieb. Neumann hatte eine Firma für Babymode namens Egg Baby gegründet (einer der Verkaufsschlager waren die „Krawlers“ genannten Höschen mit eingenähten Knieschonern) und einen Teil seiner Bürofläche für zusätzliche Mieteinnahmen weitervermietet. McKelvey kümmerte sich als Architekt unter anderem um das Shopdesign für Kunden wie American Apparel. Neumann versuchte, ihm seine Idee schmackhaft zu machen, günstige Räumlichkeiten anzumieten, die sie dann aufteilen und teurer als Büros weiterverkaufen könnten.
Er überredete seinen Vermieter Joshua Guttman, ihm ein ganzes Stockwerk in Brooklyn zu vermieten, und gründete gemeinsam mit McKelvey Green Desk als umweltfreundlichen Anbieter von Gemeinschaftsbüroräumen. Es war sofort ein Erfolg, die beiden wollten nach Manhattan expandieren. Guttman hingegen wollte lieber Leerstände in seinen Gebäuden in Brooklyn abbauen. Also verkauften sie ihm ihren Anteil um drei Millionen US-$ und setzten mit ihrem Gewinn auf ein Coworking-Modell in Manhattan, das auf ihren Erfahrungen im Kibbuz und im Kollektiv fußte – Real Estate meets Culture. Das war 2010. Sieben Jahre später sind die Anteile der beiden insgesamt 4,3 Milliarden US-$ wert.
Im Herzen der Unternehmenszentrale von WeWork befindet sich ein 60-Zoll-Touchscreen, auf dem die 163 Standorte des Unternehmens auf einer Google-Map angezeigt werden. Durch einfaches Tippen wird der aktuelle Stand zu Bauarbeiten, Lieferungen und Instandhaltung angezeigt. Mit einem Wisch erhält man Informationen über potenzielle neue Gegenden, wie etwa öffentliche Verkehrsmittel, Cafés, Fitnessstudios oder nahe gelegene Niederlassungen von Einzelhandelsketten, die auf einen ausreichend entwickelten Standort schließen lassen (das Vorhandensein von Fitnessstudios, etwa von der Kette Equinox, oder Geschäfte des Modelabels Urban Outfitters sind dafür gute Indikatoren).
WeWork hat ein komplexes Technik- und Logistiksystem entwickelt, um genau diese Aspekte handhaben zu können, und im September zehn neue Standorte eröffnet, mehr als bis 2014 durchschnittlich pro Jahr hinzukamen. In gewisser Weise wirkt WeWork weniger wie ein Immobilienverwalter, sondern eher wie eine Fluglinie: Es geht darum, möglichst viele Sitze in einen Flieger hineinzuquetschen, dabei aber doch noch genügend Extras und Annehmlichkeiten anzubieten, sodass es niemandem sauer aufstößt, in der Holzklasse zu fliegen. Ein einziger zusätzlicher Arbeitsplatz kann auf ein Jahrzehnt gerechnet ein Umsatzplus von etwa 80.000 US-$ bedeuten. Aber im Gegensatz zu einer Boeing 777 mit ihrer standardmäßig vorgegebenen Fläche verfügt hier jedes Projekt über völlig unterschiedliche Dimensionen und Tücken. WeWork betreibt Flächen in ehemaligen Zollgebäuden, Brauereien, Lagerhäusern und in Shanghai sogar in einer einstigen Opiumfabrik.
Um das Maximum aus jedem Millimeter herauszuholen, verwendet WeWork 3-D-Scanner zum Vermessen der Räume und Virtual-Reality-Modelle zur Planung jedes einzelnen Stockwerks, bevor auch nur ein Nagel eingeschlagen wird. Mittels Heatmaps können Personenströme und Nutzungsverhalten analysiert werden, um so die richtige Aufteilung zwischen Gemeinschaftsbereichen, Arbeitsplätzen und Konferenzräumen zu finden. „Vermieter verkaufen nur Aluminium. Wir machen iPhones“, so Dave Fano, der Growth Officer und so etwas wie der verrückte Professor im WeWork-Team. Mit fortschreitender Expansion ergaben sich für WeWork nicht nur Preisvorteile, sondern auch ein immens wichtiger Zugewinn an Fachkompetenz. Seit 2010 hat Neumanns Team 4.354 Tonnen Aluminiumprofile verbaut, 1,1 Millionen Quadratmeter Glaswände eingesetzt, über 817.000 Quadratmeter Eichenholzböden verlegt und 12.000 Telefonzellen errichtet. WeWork macht alles selbst: die Suche nach geeigneten Standorten, das Aushandeln der Verträge, die Innenausstattung. Sogar die Tausenden Zargen zur Befestigung der vielen Kilometer an eingebauten Glaswänden fertigt WeWork selbst. Heuer konnten durch Effizienzsteigerungen bei der Technik und die beträchtliche Einkaufsmacht des Unternehmens die Kosten pro neu eingebautem Arbeitsplatz um 45 Prozent auf 8.550 US-$ gesenkt werden.
Die Herausforderungen rund um Bau- und Einrichtungsarbeiten zu lösen, scheint einfach im Vergleich zu den menschlichen Problemen, die sich ergeben, wenn ein Unternehmen innerhalb von sieben Jahren von zwei auf über 2.000 Personen anwächst. Neumann hat erfahrene Führungskräfte aus den Bereichen Immobilien, Hotelgewerbe, Medien und Technologie in das Management des einst eher unorganisiert agierenden Unternehmens geholt, darunter Artie Minson (Time Warner) als CFO, Rich Gomel (Starwood) als President, Jennifer Berrent (WilmerHale) als COO, Michael Gross (Morgans Hotels) als Vice Chairman und Shiva Rajaraman (Spotify, YouTube) als Chief Product Officer.
Das rasche Wachstum brachte auch einiges Ungemach mit sich: einen öffentlich ausgetragenen Streit mit einer Gewerkschaft für Reinigungskräfte im Jahr 2015; durchgesickerte Informationen über nach unten korrigierte Umsatzprognosen 2016; die Kündigung von sieben Prozent der Beschäftigten im selben Jahr. Ehemalige Mitarbeiter verklagten das Unternehmen wegen überhöhter Arbeitszeiten und zu geringer Bezahlung. Zum Teil als Reaktion auf diese Probleme übernahm McKelvey jüngst die Funktion des „Culture Officer“ – ein sanft klingender, ironischer Titel in einem Unternehmen, das seine spezielle Kultur eigentlich als sein Kernprodukt betrachtet. Er wacht über Personalwesen, Fortbildung und Personalaufwand für Tausende Beschäftigte, die über zahlreiche Länder, Sprachregionen und Kulturräume verstreut sind.
Bei Neumann hingegen ist der einst machohafte, militärische Stil einem professionelleren Auftreten gewichen. „Er hat erkannt, dass Motivation durch Angst nicht funktioniert. Adam war früher der Meinung, dass Angst etwas Positives ist“, so McKelvey. „Heute ist ihm klar, dass es viel besser ist, die Menschen mit Würde und Respekt zu behandeln und ihnen dadurch positive Energie zu vermitteln, und das gelingt ihm unglaublich gut.“
Nach diesem Wandel befragt, blickt Neumann einen Augenblick lang nachdenklich auf seinen Schreibtisch. „So manchem Unternehmen wäre es wohl nicht recht, wenn einer ihrer Gründer so etwas einem Journalisten erzählt. Ich habe kein Problem damit – das ist ziemlich genau die Kultur, von der wir immer sprechen.“
Neumann erzählt, dass er die Veränderung seiner Frau Rebekah zu verdanken hat, die als Erste die Position des Brand Officer bei WeWork innehatte und ihren Ehemann auf das Problem hinwies, nachdem sie ihn einen Monat lang im Büro beobachtet hatte. „Mir wurde klar, dass, wenn ich einen positiven Ansatz verfolge, nicht nur alle rundum sich besser fühlen und ich selbst glücklicher bin, sondern dass dadurch auch das Unternehmen besser läuft.“
Während des zwölf Minuten langen Unternehmensrundgangs, der für Son ausreichend war, um einen Scheck über vier Milliarden US-$ auszustellen, fand Neumann lediglich Zeit für die Vorstellung eines einzigen Bereichs: des Forschungs- und Entwicklungszentrums von WeWork, einer Mischung aus Apple Store und Baumarkt. Laptops, Touchscreens und iPhones sind hier mit Türen, Lampen, Einrichtungsgegenständen und Türriegeln verbunden. Es gibt einen Versuchsarbeitsplatz, der, wie ein Fahrersitz, mit dem Durchziehen des Mitarbeiterausweises vorab gespeicherte Höheneinstellungen übernimmt. Gleich daneben passt der Prototyp einer Telefonzelle Beleuchtung und Temperatur an die Vorlieben des Nutzers an.
WeWork hat vor, jedes Büro zu einem riesigen „verbundenen Device“ zu machen, das sich an die einzelnen Nutzer anpasst und ständig Feedback an das Kontrollzentrum von WeWork schickt. Für den stellvertretenden Vorsitzenden von Softbank, Ron Fisher, der auch im Board von WeWork sitzt, war dieser Entwicklungssprung ausschlaggebend für die Investition, da WeWork seine Aktivitäten damit auf effiziente Weise auf Hunderte Standorte und Millionen von Mitgliedern ausweiten kann. „Wir haben Unmengen an finanziellen Modellen durchgerechnet – wie sie wachsen, welche Margen sie erzielen, welchen Cashflow sie generieren können“, erklärt er.
Geht es nach Neumann, soll diese Form der technologieunterstützten Effizienz irgendwann ein eigenständiges Produkt darstellen, eine Art WeWork-Betriebssystem, das seinen Anbieter auch für Unternehmen unabdingbar machen soll, die an Coworking-Lösungen gar nicht interessiert sind. Vielmehr soll WeWork dann in der Lage sein, ihre Büroflächen zu planen, einzurichten und zu verwalten. Zusätzliche Einnahmen können durch die Vermietung von WeWork-Technologie und den Einsatz von WeWork-Managern geschaffen werden, die vor Ort für reibungslose Abläufe und ein besseres Miteinander sorgen sollen. Für WeWork bedeutet das Programm einen weiteren Schritt hin zur Umsetzung eines „Asset-Light“-Modells, das verstärkt auf immaterielle Güter setzt und den Risikofaktor langfristige Geschäftsraummieten reduziert. Um sowohl das Betriebssystem als auch die weltweite Expansion zu stemmen, muss WeWork die „Ein-Milliarden-Dollar-Frage“ lösen – nämlich, wie man das familiäre WeWork-Feeling eralten kann, während man gleichzeitig auf die Ausmaße von McDonald’s anwächst. „Wir müssen unsere Teammitglieder dazu ausbilden, Standorte zu leiten und die Gemeinschaft zu fördern. Wenn uns das gelingt, erreichen wir diese positive Energie, die die Menschen inspiriert.“
Für Neumann geht all das zurück auf seine Jugendzeit im Kibbuz. Es war für ihn schwer, neue Freunde zu finden. Seine Familie hatte aber als Einzige einen Videorekorder, und Neumann überredete schließlich andere Jugendliche, ein paar Filme anzusehen. Doch als sie dort ankamen, war der Videorekorder fort. Seine Mutter hatte ihn mit ins Krankenhaus genommen – für einen 24-jährigen Patienten mit Krebs im Endstadium. „Die anderen waren verständnisvoll, und wir verbrachten schließlich doch Zeit miteinander“, erzählt Neumann mit feuchten Augen. „Das Komische ist, dass alle bald auf den Videorekorder vergessen hatten, bis wir eines Tages – zwei Monate später – zu mir nach Hause kamen, und er plötzlich wieder dastand. Niemand musste nach dem Grund dafür fragen.“
Text: Steven Bertoni
Übersetzung: Denise Tschager
Dieser Artikel ist in unserer Novemberausgabe 2017 "Lernen Leben Leistung " erschienen.