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Das Münchner Start-up schnappt sich in Sachen Robo Advice gerade Europa.
Eigentlich ist es ja simpel: Erik Podzuweit und Florian Prucker wollen das Geld ihrer Kunden vermehren. Mit ihrem Münchner Start-up Scalable Capital digitalisieren sie die Vermögensverwaltung und entwickelten sich so in kurzer Zeit zum Marktführer im Bereich Robo Advice in Europa. Während das rasante Wachstum das nun übrigens in der Schweiz weitergehen soll das Interesse von namhaften Investoren und Partnern weckt, steigt simultan der Druck auf die Jungunternehmer. Denn es zeigt sich, dass jene, die das Geld anderer gut verwalten, es zugleich nicht immer ganz einfach haben, daran selbst gut zu verdienen.
Mit der klassischen Berufsbezeichnung des „Vermögensverwalters“ ist es in diesem Fall wohl nicht ganz getan. Denn die beiden Gründer von Scalable Capital, der Deutsche Erik Podzuweit und der Österreicher Florian Prucker, interpretieren ihre Rolle breiter als lediglich als „Schatzmeister“ von Kundenvermögen. So erklärt Prucker, dass eine ihrer wichtigsten Aufgaben gar nicht mit Geld an sich zu tun hätte: „Vermögensverwalter insbesondere digitale managen nicht nur Risiko, sondern auch Emotionen. Wir möchten schließlich vermeiden, dass unsere Anleger ganz klassische Fehler machen etwa, mit der Herde mitzulaufen oder bei kurzfristigen Rückschlägen sofort alles zu verkaufen.“
Als Florian Prucker diese Worte spricht, es ist Ende Jänner, scheint an den globalen Finanzmärkten noch die Sonne. Der MSCI World weist zu diesem Zeitpunkt eine 12-Monats-Performance von knapp 25 Prozent Plus auf, der US-Leitindex S&P 500 ist im gleichen Zeitraum um satte 26 Prozent gestiegen, der deutsche DAX kletterte um 13 Prozent. Wenig später wird es dann aber turbulent: Erst kontrahiert der Kryptowährungsmarkt, kurz darauf verzeichnet der S&P 500 innerhalb eines Tages (Anfang Februar, Anm.) ein Minus von vier Prozent (und damit den größten Tagesverlust seit 2011), und auch für Indizes wie MSCI World, DAX etc. geht es nach unten.
Wenn Pruckers Aussage also stimmt, haben er und Erik Podzuweit kurz nach unserem Gespräch einiges mehr im Bereich „Emotionsmanagement“ zu tun. Denn der Mensch tendiert insbesondere im Angesicht von Verlusten oftmals zu einem hochgradig irrationalen Verhalten. Meist werden beim Investieren in Aktien, Anleihen oder Fonds gewinnbringende Titel viel zu früh verkauft, während verlustbringende Papiere in der Hoffnung auf einen Turnaround zu lange gehalten werden.
Scalable Capital greift seinen Anlegern also unter die Arme, verwaltet deren Geld und beruhigt offensichtlich auch, wo nötig. Das tut das Start-up, im Gegensatz zu den traditionellen Angeboten der großen Finanzinstitute, vorrangig digital. Ganz neu ist dieser Ansatz freilich nicht: Robo Advisors, wie die digitalen Anlageprofis genannt werden, entstanden in den USA mit den Platzhirschen Betterment und Wealthfront bereits kurz nach der Finanzkrise 2008.
Das Motto ist klar: Durch die Automatisierung von teuren manuellen Prozessen, etwa einem Heer an menschlichen Beratern oder einem dichten Netz an Filialen, können Kosten gespart werden. Kunden wickeln ihre Vermögensverwaltung somit günstiger und mit deutlich niedrigeren finanziellen Einstiegshürden Scalable Capital verlangt ein Mindestanlagevolumen von 10.000 € ab als früher. 0,75 Prozent „Flat Fee“ fallen dabei für die Kunden an. Ansonsten entstehen laut den Gründern keine zusätzlichen Kosten. Durch die digitale Strategie und die geringen Kosten werden somit auch Kundenschichten angesprochen, die in traditionellen Lösungen entweder keinen Mehrwert erkennen können oder noch nicht genug Geld auf der Kante haben, um sich dafür zu qualifizieren. Überhaupt tickt bei Scalable Capital die Welt der Vermögensverwaltung etwas anders: Keine Nadelstreifanzüge, sondern Pullover und Sneakers dominieren hier die Garderobe. Und das Büro wirkt weniger wie das Hauptquartier einer Bank, sondern eher wie das Basecamp eines Tech-Start-ups. Erik Podzuweit ist es jedenfalls wichtig zu betonen, dass günstig nicht gleich billig bedeutet: „Es geht bei uns nicht nur um Automatisierung. Letztendlich geht es darum, dem Kunden einen fokussierten Service zu bieten, bei dem Cross-Selling in andere Produkte wie Versicherungen genausowenig Platz hat wie versteckte Kick-Backs. Das ist eine andere Erfahrung als in traditionellen Banken.“
Das scheint jedenfalls gut anzukommen, denn das Wachstum des Jungunternehmens war insbesondere in den letzten Monaten kometenhaft. 2014 gegründet, gingen die beiden damals noch in etwas anderer Gründer-Konstellation im Herbst 2015 in Deutschland und Großbritannien an den Start, im Sommer 2016 folgte der Markteintritt in Österreich. Hatte Scalable Capital im Dezember 2016 erst 2.500 Kunden, die dem Fintech rund 100 Millionen € an Assets anvertrauten (relevante Kenngröße: Assets under Management – AuM; Anm.), waren es Ende 2017 bereits 600 Millionen € an AuM von über 20.000 Kunden.
Dabei setzen die Unternehmer vor allem auf namhafte Partnerschaften. So schloss das Start-up 2017 einen Vertrag mit Siemens ab, der Prucker und Podzuweit auf einen Schlag Zugang zu den rund 250.000 Mitarbeitern des Industriekonzerns verschaffte. Der fast noch größere Coup war jedoch eine Kooperation mit der Direktbank ING-DiBa, wodurch das Start-up alleine (bis heute) rund 330 Millionen € an AuM einsammelte. Erik Podzuweit: „Im deutschsprachigen Raum haben wir 2017 die Marktführerposition erreicht und ausgebaut. Kaum ein Robo Advisor in Europa verwaltet heute mehr als eine halbe Milliarde €. Außer uns gibt es in dieser Größenordnung eigentlich nur noch Nutmeg.“ Ein kurzer Blick auf die Robo-Landschaft zeigt: So unrecht hat der Gründer damit nicht. Der britische Konkurrent Nutmeg ist Scalable Capital zwar noch etwas voraus, denn das Unternehmen verkündete kürzlich AuM von einer Milliarde Pfund. Doch Nutmeg ist ausschließlich am britischen Markt aktiv, bei Scalable Capital entfällt der Löwenanteil hingegen auf Deutschland. Dort ist die Nummer zwei unter den Konkurrenten wohl Liqid. Das Start-up hatte im Mai die 100-Millionen-€-Marke geknackt und lag laut Medienberichten Ende 2017 bei rund 175 Millionen € AuM. Konkurrenten wie die Comdirect-Tochter Cominvest, Quirion, Sutor Bank oder Whitebox verwalteten hingegen „nur“ (teils geschätzte) 80, 75, 65 bzw. 60 Millionen € AuM.
Inwiefern die Münchner jedoch in anderen Kennzahlen besser als die Konkurrenz sind, scheint unklar. Eine Recherche der ARD ergab, dass ein gewichtetes Portfolio mit mittlerem Risikoprofil bei Scalable Capital lediglich 3,7 Prozent jährliche Rendite bringt; die Konkurrenten kamen hingegen auf Performances von bis zu 5,5 Prozent. Darauf angesprochen relativieren die beiden Gründer die Zahlen jedoch. Prucker: „Das für den Test gewählte Portfolio war einerseits nicht repräsentativ für einen Multi-Asset-Fonds außerdem waren die Zahlen nicht ganz akkurat. Wenn wir einen Durchschnittskunden mit mittlerem Risikoprofil ansehen, liegt die Rendite bei etwa sechs oder sieben Prozent. Es sind aber auch nicht fünfzehn Prozent Plus, denn es ist nicht unser Ansatz, zu hundert Prozent in Aktien zu investieren. Unser Risikomanagement-Modell erlaubt das gar nicht. Unser Anspruch ist es, für unsere Anleger die beste risikoadjustierte Rendite zu erzielen.“
Dieses Risikomanagement-Modell, das vom Münchner Finanzprofessor und Mitgründer Stefan Mittnik eigens entwickelt wurde, soll die Anleger vor allem vor großen Verlusten schützen. Dabei investiert Scalable Capital ausschließlich in passiv gemanagte Fonds, ETFs, die insofern wieder eine Form der Finanzautomatisierung darstellen, als sie gegenüber ihren aktiv verwalteten Gegenübern den menschlichen Faktor einsparen und lediglich gewisse Indizes nachbilden. Das hält die Kosten gering. Man darf sich das so vorstellen: Was Robo Advisors für die traditionelle Vermögensverwaltung, das sind ETFs für Fondsmanager.
Doch der Boom, den ETFs in den letzten Jahren erlebt haben, hat auch Nachteile. Denn mit weltweit insgesamt rund 7.000 solcher Fonds und einem Anlagevolumen von rund 4,4 Billionen US-$ (bei Weitem nicht alle davon sind im DACH-Raum erhältlich, Anm.) kann ein durchschnittlicher Anleger in diesem Universum kaum noch den Überblick behalten. Podzuweit sieht das als Chance: „ETFs sind ein sehr starkes Zugpferd für uns. Die meisten Leute wollen sich nicht aus über tausenden ETFs den besten aussuchen. Wir sehen uns daher als eine Art ETF-Concierge: Wir suchen, auf Mandat des Kunden, die besten ETFs für ihr Portfolio raus und beachten bei der Gewichtung der ETFs das Risiko.“
Doch obwohl die Marktentwicklung für den Geschäftserfolg von Scalable Capital weniger entscheidend ist als etwa für Online-Broker, die von einem hohen Transaktionsvolumen profitieren, half die Börsenrally der letzten Jahre dem Start-up doch. Denn der echte Lackmustest steht vielleicht noch bevor, wenn die Märkte längere Zeit auf Talfahrt gehen sollten und Anleger ihr Geld vielleicht plötzlich abziehen oder zumindest kein neues investieren. Doch Scalable Capital will die Gunst der Stunde nutzen.
20.000 Kunden, 600 Millionen € AuM. Auch wenn Scalable Capital wohl schon an der Milliardengrenze kratzt, ist das für die beiden Gründer noch immer zu wenig. Denn die Devise heißt weiterhin Wachstum. Florian Prucker: „Robo Advice ist ein Scale Game. Unter einer Milliarde € Assets under Management ist es mit den benötigten Investitionen in die Technologie schwierig, profitabel zu sein.“ Diese Profitabilitätsfrage ist aber eine äußerst heikle und gleichzeitig die entscheidende in der Branche. Denn den Beweis, dass man mit so niedrigen Gebühren überhaupt ausreichend Geld akquirieren kann, um die nötigen Investitionen neben der Technologie auch in Personal, Marketing etc. zu decken, steht noch aus. Bei 0,75 Prozent Gebühren und 600 Millionen AuM macht Scalable Capital etwa 4,5 Millionen € Jahresumsatz. Das ist für ein Start-up mit rund 70 Mitarbeitern und einem ambitionierten Wachstumsplan zu wenig.
In den USA stellen sich jedenfalls auch weit jenseits der Schwelle von einer Milliarde AuM nicht zwingend schwarze Zahlen ein. Das Unternehmen Betterment verwaltet beispielsweise rund zehn Milliarden US-$ AuM, schloss aber dennoch im März 2016 seine Series-E-Finanzierungsrunde ab, um erneut Risikokapital in der Höhe von 100 Millionen US-$ einzunehmen. Gleiches zeigt sich beim größten Konkurrenten Wealthfront: Acht Milliarden US-$ AuM; im Jänner 2018 war dennoch eine mit 75 Millionen US-$ gefüllte Finanzspritze nötig. Denn die US-Robo-Advisors sind mit Gebühren irgendwo zwischen null (für die ersten 10.000 US-$) und 0,4 Prozent sogar noch günstiger als ihre europäischen Pendants. Und auch die Briten haben noch finanzielle Unterstützung nötig: So schrieb Nutmeg 2016 einen Verlust von 9,3 Millionen Pfund. Prucker und Podzuweit lässt das kalt. Profitabilität sei durchaus erreichbar, derzeit ginge es aber ums Wachstum: „Die Frage ist: Wie schnell wollen wir wachsen, wie schnell wollen wir profitabel werden? Wir könnten uns schon auf Profitabilität trimmen, wollen das derzeit aber nicht. Dafür sind die Wachstumsmöglichkeiten zu vielversprechend.“
So sammelte auch Scalable Capital bereits fleißig Geld ein. Insgesamt 41 Millionen € Finanzierung waren es bisher, in der letzten Runde alleine 30 Millionen €. Der spannendste Investor ist ein bekannter Name: der US-Finanzriese Blackrock. Mit sechs Billionen US-$ Anlagevolumen ist das von Larry Fink geführte Unternehmen einer der Marktakteure mit der größten finanziellen Feuerkraft und gibt Scalable Capital in gewisser Weise auch ein Gütesiegel. Insbesondere bei ETFs hat Blackrock einiges an Expertise gewinnen können vielleicht gibt es also auch einen Wissensaustausch?
Die Chance ist jedenfalls da, denn in Zukunft will das deutsche Fintech in zwei Dimensionen wachsen: inhaltlich und geografisch. Mit der Unterstützung von Blackrock soll neben dem Endkundengeschäft vermehrt auch der B2B-Bereich erschlossen werden, etwa indem die eigene Technologie anderen Finanzinstituten zur Verfügung gestellt wird. Auch über den Bereich der Verwaltung hinaus sprich: in der Vermögensberatung will man stärker aktiv werden, was interessanterweise auch den vermehrten Einsatz von menschlichen Mitarbeitern umfassen könnte.
Zudem will das Unternehmen in Europa expandieren. Dabei setzt Scalable Capital auf ein Hub-Konzept: Die Büros in München (rund drei Viertel der Mitarbeiter arbeiten hier) und London sollen bestehen bleiben und gestärkt werden, wobei die Präsenz in Großbritannien insbesondere nach dem Brexit-Votum Potenzial für das Start-up bedeutet. Zudem expandieren die Münchner 2018 in die Schweiz. In Kooperation mit der Baader Bank soll das „Heimatland“ des Private Banking auch digital erschlossen werden. Die eidgenössische Konkurrenz im Robo Advice ist angesichts der Privatvermögen, die in der Schweiz auf Verwaltung warten (alleine auf der Forbes Billionaire’s List finden sich über 30 Schweizer Milliardäre), noch dünn gesät.
Zudem steht Italien auf dem Menüplan, wobei hier per „EU-Passport“ keine selbstständige Organisation aufgebaut, sondern von München aus gesteuert wird. Dass die Expansion in Europa ein Leichtes wird, glauben die beiden jedenfalls nicht. Prucker: „Wir müssen einerseits die Komplexität mitdenken, die es angesichts der Mehrsprachigkeit und kulturellen Unterschiede schon immer in Europa gab. Dazu kommt in unserer Branche aber ein ganz spezielles Thema, das für die internationale Expansion sehr relevant ist: Steuern. Es gibt eigentlich keine zwei europäischen Länder mit einem identischen Steuersystem.“ Man müsse also, so Prucker, „dem Anleger helfen. Das geschieht entweder mithilfe einer lokalen Depotbank oder mit einem Steuerreporting, das wir anbieten. Auf dieser Basis kann der Kunde seine Gewinne sehr einfach in seine Steuererklärung integrieren.“ Es wird also nicht langweilig werden im Hause der digitalen Vermögensverwalter. Eine mögliche Marktkorrektur, Expansionen quer durch Europa und das Tragen zahlreicher Hüte vom Emotionsmanager bis zum Concierge werden Florian Prucker und Erik Podzuweit auch in Zukunft gut beschäftigen. Die wichtigste Herausforderung wird aber eine auf den ersten Blick einfache sein: Geld zu verdienen. Denn es bleibt zu beweisen, dass Robo Advisors sich selbst tragen können. Doch wer so viel Expertise im Verwalten von fremden Geldern hat, sollte sich ja auch mit den eigenen Finanzen ausreichend auskennen. Oder?
Dieser Artikel ist in unserer Februar-Ausgabe 2018 „Künstliche Intelligenz“ erschienen.