SACHERTORTE IN SAUDI-ARABIEN

In Wien hat eigentlich jede Familie ihre Aida-Geschichte: Der Großvater liebt die Topfengolatschen, die Tante den Kaffee. Doch wie sieht der Schritt in die Zukunft für das Traditionsunternehmen aus? Nach 116 Jahren führt Dominik Prousek die Kaffeekonditorei in vierter Generation – und will mit Aida die Welt erobern.

Gleich hinter der Produktionshalle stehen sie: Etwa 80 Marillenbäume säumen das Haupt­gebäude der Aida-Konditoreiwarenerzeugung. Sie decken den Eigenbedarf nicht – der Rest wird in der Wachau zugekauft –, aber aus den süß­sauren Früchten wird die hauseigene Marmelade erzeugt, etwa für die Biskuitroulade oder die klassische Sachertorte. Auch sämtliche Tortenböden, Cremen und Teigsorten werden hier in Wien-Floridsdorf selbst hergestellt, das meiste davon in Handarbeit.

In der großen Halle duftet es wie in einem Kindheitstraum – nach Zucker und Nüssen, Teig und Kakao. Rund 120 Mitarbeiter werken hier seit sechs Uhr früh: Sie drehen runde Kuchenformen in den Händen, bestreichen sie dünn mit Schokolade oder Topfencreme, formen zarte Marzipanfiguren oder verzieren Glückwunschtorten mit persönlichen Schriftzügen. Im Hintergrund brummen die Maschinen; Kekse und Pralinen werden behutsam in Schachteln gelegt, in Bottichen dampft die frisch eingekochte Marmelade. Rund drei Tonnen Waren werden täglich in der Aida-Produktion hergestellt; der Großteil geht in die 34 Filialen, der Rest wird über den Onlineshop verkauft. Insgesamt rund 800 Produkte hat Aida im Sortiment, in den ­Filialen werden durchschnittlich 200 Produkte angeboten. Sie variieren je nach Saison, sind aber im Großen und Ganzen seit Jahrzehnten unverändert.

Traditionsbetriebe wie Aida müssen auf ihre Stammkunden Rücksicht nehmen. Es ist riskant, auf Trends zu setzen – schließlich besteht die Gefahr, dass diese sich als kurzlebige Hypes entpuppen. Cupcakes zum Beispiel gab es etwa nur für kurze Zeit bei Aida. Doch vegane, ­gluten- und ­zuckerfreie Produkte (etwa die ­Kokostorte oder der mit Birkenzucker gesüßte Nikolo) haben nachhaltig Einzug ins Sortiment gehalten; ebenso, wie die Wiener Melange jetzt auch mit Soja- oder Mandelmilch zu haben ist. Das ist in einigen Traditionskaffeehäusern immer noch undenkbar: Alleine die Frage nach Alternativen zu Kuhmilch wird von manchem Kellner in der Wiener Innenstadt als Affront aufgefasst.

Seit 1913 stellt das Familienunternehmen Aida Süßwaren her. Dominik Prousek (siehe Coverfoto) führt den Konditoreibetrieb in vierter Generation.

Wird bei Aida etwas Neues ausprobiert, kosten es zuerst die Mitarbeiter im Büro des oberen Stockwerks. Finden sie Gefallen, wird das neue Produkt in der Filiale neben der Halle angeboten, dann in drei weiteren Geschäften. „Wir können sehr schnell feststellen, ob ein Produkt angenommen wird oder nicht. Findet es keinen Anklang, wird es wieder aus dem Sortiment genommen“, erzählt Dominik Prousek. Der 33-Jährige führt das Unternehmen heute in vierter Generation, zusammen mit seinen Eltern Michael und Sonja Prousek.

Und dann gibt es noch die Episode mit den CBD-Brownies, die Aida 2018 einführte und die wegen der „Novel Food“-Verordnung kurz darauf wieder verboten wurden. Cannabis darf in Österreich nur als Rauchware verkauft, nicht aber in Lebensmitteln verarbeitet werden. „CBD ist kein Suchtmittel. Das bestätigt die Medizin Tag für Tag. Wir wollten damit ein Statement setzen, auch in Bezug auf die absurde Gesetzeslage“, erklärt Dominik Prousek. Seit September 2019 werden die besonderen Brownies wieder angeboten, allerdings mit Hanföl anstelle von CBD.

Der Mut zum Experimentieren stammt vermutlich von Urgroßvater Josef Prousek. Dieser wanderte um die Jahrhundertwende von Nordböhmen nach Wien ein und stellte ab 1913 zusammen mit seiner Frau Rosa Nerad Süßwaren her. Nicht selten verkauften sie diese vor der Wiener Staatsoper. Als großer Verehrer der Komponisten Giuseppe Verdi und Giacomo Puccini schwankte Josef Prousek bei der Namensgebung angeblich zwischen den Opern Aida und Tosca. Schlussendlich entschied er sich für die äthiopische Königstochter, deren Name heute im bekannten Schriftzug alle Filialen ziert.

Schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Prouseks sowohl von der russischen als auch von der US-amerikanischen Armee beauftragt: Torten für die Russen und Donuts für die Amerikaner sicherten den Fortbestand der Konditoreikette. Dominik Prouseks Großvater Felix setzte alsbald die nächsten Schritte: 1946 stellte er Österreichs erste Espressomaschine in die Aida-Kaffeekonditorei am Wiener Graben in der Innenstadt, und bereits in den 1950er-Jahren testete er das Schockfrieren – noch heute wird das Verfahren angewendet, um Torten in gleichbleibender Qualität und möglichst ohne Schwund zu produzieren.

Mit ihren rund 450 Mitarbeitern erwirtschaftete die Aida Produktions GesmbH und Co KG zuletzt (im Geschäftsjahr 2017/18) rund 26 Millionen €. Das war eine Erholung gegenüber den leichten Rückgängen im Jahr davor, die laut der Kaffeekonditoreikette auf Umbauten in den Filialen zurückzuführen waren. Aida ist der Branche entsprechend profitabel, will nun aber ordentlich wachsen – und zwar fernab des Heimmarktes ­Österreich, denn Prousek will die Internationalisierung des in Rosa gebrandeten Unternehmens vorantreiben.

In China, Polen, Saudi-Arabien, Kroatien, Kasachstan und Bosnien und Herzegowina wurden die Märkte in sogenannten Pop-up-Stores bereits getestet. Nach dem Franchiseprinzip werden nun jahrzehntealte Rezepte mit Anleitung weitergegeben. „Unsere Tradition und die Wiener Kaffeehauskultur lassen sich nur schwer in ein paar Tagen vermitteln“, erklärt Prousek. Deswegen helfen Mitarbeiter aus Wien für ein paar Monate vor Ort, den Servicegedanken in die Ferne zu transportieren. Es gibt viel zu beachten: Für manche Regionen hat sich Aida als Halal-Produzent zertifizieren lassen; für asiatische Geschmäcker ist der Plunder zu süß, im arabischen Raum wünscht sich das Publikum hingegen mehr Zucker.

Von den insgesamt 450 Mitarbeitern sind rund 120 in der Fabrik tätig. Sie stellen rund drei Tonnen Waren pro Tag her, die dann großteils in die 34 Filialen verschickt werden. Der Rest wird im Onlineshop verkauft.
Neben den hier gezeigten Makronen ist das Unternehmen vor allem für Klassiker wie die Sachertorte bekannt.
Von den insgesamt 450 Mitarbeitern sind rund 120 in der Fabrik tätig.
Rund 800 Produkte hat Aïda im Sortiment, der Großteil davon wird auch heute noch in Handarbeit hergestellt.

„Schon als Kind habe ich meinen Eltern gesagt, dass wir Aida weltweit vermarkten sollten“, erzählt Prousek beim dritten Espresso. Erste Andockstellen für ein internationales Publikum sollen Reiseknotenpunkte wie Flughäfen und große Bahnhöfe werden. Auch für den Terminal 1 in Wien-Schwechat gibt es Pläne: Anders als in den Filialen der Innenstadt mit ihrem unverwechselbaren Charme der 1950er- und 1960er-Jahre zeigt das Rendering für das Lokal am Flughafen eine sehr moderne Optik. „Das junge Publikum kommt nicht nur zum Essen, es will auch Fotos machen“, sagt Dominik Prousek. Im 21. Jahrhundert führe an Social Media kein Weg vorbei. „Das mache ich mit meinem Team“, sagt Prousek. „Die Social-Media-Kommunikation soll authentisch rüberkommen und nicht von einer Agentur gesteuert sein.“

So wie sein Vater, sein Großvater und sein ­Urgroßvater vor ihm versucht nun Dominik ­Prousek, die nächste Generation für Aida zu gewinnen. Wer ihn am meisten beeinflusst hat? „Meine Mutter“, sagt er, „sie ist eine richtige ­Powerfrau.“ Die Eltern sind beide noch stark in die Aida-Geschäftsführung involviert. Echte Konflikte in der Frage, wie der Weg in die Zukunft beschritten werden soll, gebe es keine. Bereits als Jugendlicher habe er angefangen, im Betrieb mitzuarbeiten, und dann alle Stationen durchlaufen. So entspannt, wie er sich den Job damals als Sohn der Eigentümer vorgestellt hat, sei es nicht gewesen. „Die Mitarbeiter haben mir ziemlich Druck gemacht – und das war auch gut so“, sagt er heute lachend.

Nicht alle Ideen zur Erneuerung sind aufgegangen. Als Aida vor einigen Jahren T-Shirts mit den Aufschriften „Zimtschnecke“ und „Punschkrapferl“ für die Frauen und „Striezi“ und „Verlängerter“ für die Männer im Service einführte, gab es heftige Kritik. Heute sieht man wieder die klassischen rosa Röcke, Schürzen und Haarschleifen, aber auch Uniformen für die Männer, die an Konditormeister erinnern. Bald soll es im Webshop auch Hoodies und Baseballkappen geben.

„Wir sind ein Traditionsunternehmen, das moderne Aspekte mit einschließt. Man darf mit der Tradition nicht brechen, muss aber trotzdem das Feingefühl haben, um Trends zu erkennen“, erklärt Prousek. Das wird wohl immer eine Gratwanderung bleiben und nicht allen Stammkunden gefallen – tatsächlich aber verkaufen sich viele der neu eingeführten Produkte sehr gut. So bestehen die zuckerfreien Himbeertörtchen Seite an Seite mit den traditionellen Schinkenrollen, die seit mehr als 100 Jahren nach dem gleichen Rezept hergestellt werden. Und auch die Tradi­tionswaren soll es weiterhin geben, sagt Dominik Prousek.

Text: Julia Herrnböck
Fotos: David Višnjić

Der Artikel ist in unserer Dezember-Ausgabe 2019 „Sicherheit“ erschienen.

Forbes Editors

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