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Was wäre, wenn jene revolutionären Techniken, die zum Fracken von Gestein für Öl entwickelt wurden, modifiziert werden könnten, um aus der Wärme der Erdkruste unendlich viel saubere Energie freizusetzen? Tim Latimer hat mehr als 400 Mio. US-$ von Bill Gates, Jeff Bezos, Mark Zuckerberg und anderen eingesammelt, um seinen grünen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Allein Präsident Donald Trump könnte ihm im Weg stehen.

Tim Latimer hat schon immer gern gegraben. „Als ich sieben Jahre alt war, beschloss ich, ein Loch in den Boden zu graben, und grub eine ­Woche lang weiter“, erinnert er sich. „Ich hatte im Fernsehen eine Sendung über ein cooles Tunnel-Klubhaus gesehen und wollte mein eigenes bauen.“ Später, als Teenager, sah er 2008 zu, wie die Sandy Creek Energy Station – das letzte große Kohlekraftwerk in den USA – fünf Meilen von seinem Zuhause im kleinen Riesel, Texas, aufgebaut wurde und dieser Bau die landwirtschaftlich geprägte, flache Landschaft überragte. „Das wurde zu einer sehr bildhaften Erinnerung, dass Energie für unser Leben lebenswichtig ist, aber auch positive und negative Seiten hat.“

Diese beiden Obsessionen – tief zu ­graben und Energie zu erzeugen – haben den erst 35-­jährigen Latimer, der 2019 auf der Forbes ­Under 30-Liste stand, an die Grenze dessen geführt, was sich als globaler Durchbruch bei der Suche nach CO2-freier Energie herausstellen könnte – oder als kostspieliger Wunschtraum.

Als Vorstandsvorsitzender und Mitbegründer des in Houston, Texas, ansässigen Unternehmens Fervo Energy hat er über 400 Mio. US-$ für einen Plan aufgebracht, praktisch unbegrenzte geothermische Energie (erzeugt aus der Hitze des Erdkerns) aus superheißem Gestein mindestens 2.500 Meter unter der Erde freizusetzen. Zum Einsatz kommt dabei die gleiche Fracking-Technik, mit der Öl und Erdgas aus Schiefer­gestein gefördert wird. Zu Fervos Investoren gehören Mitsubishi Heavy Industries, traditionelle Öl- und Gasproduzenten, Mark Zuckerberg und Breakthrough Energy Ventures, ein auf den Klimawandel fokussierter Risikokapitalfonds, der von Bill Gates gegründet wurde und von einer Reihe weiterer Milliardäre wie Jeff Bezos, Michael Bloomberg, Ray Dalio und Reid Hoffman unterstützt wird.

In den nächsten drei Jahren will Fervo mit ­einer 50 Meter hohen Bohranlage insgesamt 80 Bohrlöcher in der Escalante-Wüste nahe Milford im US-Bundesstaat Utah bohren. Jedes dieser Löcher – Fervo hat bereits 20 gebohrt – hat einen Durchmesser von etwa 25 Zentimetern und reicht knapp 2,5 Kilometer in die Tiefe, dann noch 1,6 Kilometer horizontal. Das ist harte Arbeit, denn hier wird in massives Granitgestein gebohrt, das sich dadurch auf fast 200 Grad Celsius erhitzt. Sobald ein Loch gebohrt ist, wird unter hohem Druck mit Sand vermischtes Wasser ­hi­neingepresst, um Risse im Gestein zu öffnen.

Fervo verwendet Sensoren, um die Ausbreitung dieser Risse zu bestimmen, und bohrt dann den nächsten „Brunnen“, sodass die erwarteten Risse mit denen des ersten Brunnens zusammentreffen. Wenn nun zwei Brunnen bereit sind, pumpt Fervo kaltes Wasser in einen davon, das dann in die Felsrisse eindringt. Das Wasser entzieht dem Gestein die Wärme und wird zu Dampf, der durch den zweiten Brunnen wieder nach oben an die Oberfläche strömt und als Wärmeenergie zum Antrieb einer Turbine genutzt wird. Jedes Brunnenpaar bildet einen geschlossenen Kreislauf, bei dem das abgekühlte und kondensierte Wasser zur erneuten Erwärmung in den ersten Brunnen zurückgeführt wird.

Im Oktober, weniger als vier Jahre nach dem Pachten des Landes, erhielt Latimer entscheiden­de Bundesgenehmigungen, um Fervos Projekt in Utah, bekannt als Cape Station, zu erweitern. Dort will er bis 2030 2.000 Megawatt kohlenstofffreien Erdwärmestrom zu Kosten von „mehreren Milliarden“ produzieren, hofft er. Das reicht für mehr als zwei Millionen Haushalte.

Fracking-Geothermie „wird für saubere ­En­ergie ebenso revolutionär sein wie für Öl und Gas“, sagt Latimer. Das National Re­newable Energy Laboratory schätzt, dass die „heißen Steine“ bis 2050 12 % des Stroms der Vereinigten Staaten erzeugen könnten.

Das wird nicht billig sein – zumindest nicht am Anfang. Aber Latimer hofft, die sinkende Kostenkurve der Solarenergie wiederholen zu können, die in den letzten 15 Jahren um 80 % billiger geworden ist. Mit sechs Cent pro Kilowattstunde (einschließlich Kapitalkosten und staatlicher Subventionen) ist diese laut Berechnungen von Lazard jetzt preisgünstiger als Kohle mit zwölf Cent oder Erdgas mit acht Cent. Professor Sam Noynaert von der Texas A&M University, der sich seit Jahrzehnten mit Geothermie beschäftigt, ­verweist auf eine Schätzung des Energieministeriums, wonach rund 25 Mrd. US-$ nötig sind, um fortgeschrittene Geothermieprojekte kommerziell auf den Weg zu bringen, und weitere 250 Mrd. US-$, um sie auf etwa 100 Gigawatt zu skalieren – genug, um ganz Texas mit Strom zu versorgen.

Nachdem 20 Bohrungen durchgeführt ­wurden, hat Fervo die Bohrzeit für jede Bohrung von 70 auf 21 Tage verkürzt und die Bohrkosten um die Hälfte reduziert. Latimer prognostiziert, dass die Kosten von Cape Station schließlich auf 4,5 Cent pro Kilowattstunde sinken werden, was es konkurrenzfähig gegenüber neuen Solar- und Windkraftprojekten im Versorgungsmaßstab machen würde.

Vielleicht wird KI die Dinge beschleunigen. Die dafür erforderliche Zuverlässigkeit der Rechen­zentren ist der Grund, warum Technologiegiganten – von denen viele öffentlich Erneuerbare-Energie-Projekte zugesagt haben – plötzlich scharf auf Atomkraft sind: ­Google hat einen Vertrag über neue Reaktoren beim Start-up Kairos abgeschlossen, Microsoft will Three Mile ­Island neu starten; Amazon zahlte im März 650 Mio. US-$ für ein Rechenzentrum, das neben einem Reaktor in Pennsylvania angesiedelt ist. Doch Geothermie könnte langfristig eine bessere Option sein. Wie Atomenergie wird diese rund um die Uhr produziert und nicht nur, wenn die Sonne scheint oder der Wind weht. Bonus: Sie ist sicherer und es entsteht kein schädlicher Abfall.

Fervo hat im Rahmen eines langfristigen Vertrags 115 Megawatt seiner Leistung an Googles Rechenzentren und weitere 320 Megawatt an Southern California Edison verkauft. Cape Station liegt strategisch günstig in der Nähe ­eines Windparks mit 165 Turbinen, sodass Hoch­spannungsleitungen bereits vorhanden sind.

Es ist auch hilfreich, dass Milford, Utah, am östlichen Rand des Ring of Fire liegt, eines Gürtels aus Vulkanen, der sich über den Pazifischen Ozean erstreckt, sodass sich heißes Gestein relativ nah an der Oberfläche befindet. Außerdem gibt es in Milford (1.800 Einwohner), wo dringend Arbeitsplätze benötigt werden, keine Sorgen um bedrohte Arten, historische Grabstätten oder Nimby-Aktivisten. Ein großes Risiko besteht jedoch darin, dass US-Präsident Donald Trump sein Wahlversprechen wahr macht und die Subventionen für Ökostrom streicht, die im wegweisenden Inflation Reduction Act (IRA) von 2022 enthalten sind, wodurch die Wirtschaftlichkeit des Plans gefährdet wird – Trump hat bereits viele der Fördergelder des IRA eingefroren.

2008 ging Latimer an die University of Tulsa, um Maschinenbau zu studieren. In seinem letzten Jahr drehte sich in den auf Erdöl spezialisierten Ingenieursfakultäten alles um neuartige Fracking-Techniken, mit denen Öl- und Gassammler reich werden können, indem sie Öl und Gas aus Schiefergestein fördern. „Ich wollte in diesem beginnenden Boom gleich damit loslegen“, sagt er.

Er ergatterte einen Einstiegsjob als Ingenieur auf einer Bohrinsel im Eagle-Ford-Schieferfeld in Südtexas. Die Produktion stieg rasch an, aber das Gestein wurde so heiß (rund 150 Grad Celsius), dass die Bohrausrüstung und die Sensoren von Latimers Anlage ständig durchbrannten. Sein Chef beauftragte ihn, Geräte zu finden, die die Hitze besser überstehen würden.

„Ich hatte noch nie von Geothermie gehört“, gibt Latimer zu. Er begann, sich einzulesen. Jahrzehntelang hatten Energieriesen wie Chevron und Getty Oil versucht, Geothermie zu nutzen, aber sie hatten nicht herausgefunden, wie sie dies in großem Maßstab tun könnten. Latimer stieß 2006 auf eine Analyse des Massachusetts Insti­tute of Technology, die nahelegte, man müsse neue Bohrmethoden entwickeln, um Erdwärme kommerziell nutzbar zu machen.

Er erinnert sich, dass er laut lachen musste. Er verwendete bereits ähnliche Methoden, um Schieferölgestein zu fracken. „Mein erster Gedanke war, dass diese Idee so naheliegend ist, dass es schon jemand gemacht haben muss“, sagt er. Er begann herumzufragen, doch es stellte sich heraus, dass seine Ölfracker-Kollegen sich nicht für Erdwärme interessierten und die Geothermie-­Leute nicht wussten, wie weit die Bohrtechnologie fortgeschritten war. „Es war, als lebten sie in einem anderen Jahrzehnt“, staunt Latimer, der Texaner in achter Generation ist.

In zehn Jahren könnte Energie aus Gestein ebenso günstig sein wie Solarenergie – sie würde allerdings rund um die Uhr erzeugt werden, nicht nur, wenn die Sonne scheint.

Er war fest entschlossen, die Fracking-Technologie auf heißes Gestein anzuwenden, und schrieb einen Aufsatz über seine neue Mission, der ihm die Zulassung für Stanford einbrachte, wo er parallel einen MBA und einen Master in Geothermie-Ingenieurwesen absolvierte. Dort traf er Jack Norbeck, der eine Doktorarbeit darüber schrieb, wie man Erdwärme nutzen kann, ohne Erdbeben auszulösen.

Nach Abschluss ihrer jeweiligen Studien gründeten die beiden 2017 Fervo, wobei der heute 37-jährige Norbeck als technischer Leiter fungierte. Sie wurden schnell in das renommierte Cyclotron-Road-Programm des Lawrence Berkeley National Laboratory des Energieministeriums aufgenommen. Das zweijährige Stipendium bietet Unternehmern die Möglichkeit, mit Experten an ihren Start-ups zu arbeiten.

Das Energieministerium untersuchte das Potenzial der Geothermie bereits. 2015 wurden fünf mögliche Standorte für das erste Frontier Observatory for Research in Geothermal Energy (Forge) in Betracht gezogen. Joseph Moore, ein Professor der University of Utah, der zu akademischen Zwecken mit geothermischem Fracking experimentierte, überzeugte das Unternehmen, es in Milford zu bauen. Als Bundesbehörde veröffentlichte Forge alle seine Ergebnisse öffentlich und sparte Fervo so jahrelange Arbeit und Millionen von Dollar. „Das war ein großer Ansporn für uns“, sagt Latimer.

Latimer lernte aus dem Schieferölboom eine weitere wertvolle Lektion: Pachten Sie früh und oft. Also nutzte er, noch während er im Cyc­lo­tron-­Road-Programm war, ein paar Millionen aus Mitteln von Breakthrough Energy Ventures und anderen, um 600 Acres (rund 243 Hektar) neben Forge von Viehzüchtern, der Regierung und Utahs Trust Lands Administration zu pachten.

Im Jahr 2022 sammelte Fervo 138 Mio. US-$ ein – Geld, das es teilweise für ein Pilotprojekt in einem Geothermiekraftwerk in Nevada verwendete, das zu wenig Dampf produzierte. Latimer und Norbeck belebten das Kraftwerk wieder, indem sie zwei 7.700 Fuß (rund 2.347 Meter) tiefe Brunnen bohrten und frakturierten. Laut Latimer war es das erste Mal, dass die theoretisch ­erforschte Paired-Well-Technik in der Praxis ­ein­gesetzt wurde.

Im vergangenen Februar sammelte Fervo weitere 244 Mio. US-$ bei einer geschätzten ­Bewertung von 850 Mio. US-$ ein. Die größten Schecks kamen vom Energiemilliardär John Arnold aus Houston, der angeblich 30 Mio. US-$ investierte, und von Devon Energy aus Oklahoma City, das 100 Mio. US-$ einbrachte und nun einen Anteil von 17 % besitzt. Latimer will nicht sagen, welchen Anteil er behält, aber Forbes schätzt, dass sein Anteil mindestens 50 Mio. US-$ wert ist.

Es ist keine Überraschung, dass Latimer bei solch großen Ambitionen mit vielen Risiken ­konfrontiert ist. Das Gesetz, das Trump auf­heben will, bietet Geothermie-Entwicklern Steuer­gutschriften in Höhe von 30 % des ­investierten Kapitals für Projekte, die bis 2032 begonnen werden. Alternativ können sie eine übertragbare Steuergutschrift von 2,75 Cent für jede Kilowattstunde Strom wählen, die über zehn Jahre produziert wird. Latimer besteht darauf, dass es Fervo auch unter Trump gut gehen wird, solange es durch Änderungen der Bundespolitik nicht gegenüber anderen erneuerbaren Energiequellen benachteiligt wird.

Fervo ist dabei nicht der einzige Anbieter. Das in Houston ansässige Unternehmen Quaise Energy hat 96 Mio. US-$ aufgebracht, um eine neuartige Bohrtechnologie voranzutreiben, die am MIT entwickelt wurde und bei der der tiefe Granit mit hochenergetischen Wellen gesprengt wird – man stelle sich als groben Vergleich einen 10.000-fachen Mikrowellenherd vor. Sage Geosystems, das von der ehemaligen Shell-Managerin Cindy Taff geleitet wird, perfektioniert einen Einzelbohrlochansatz, der Strom auf Abruf liefert. Das Start-up baut eine Pilotanlage in der Nähe von San Antonio und hat Meta ein System mit bis zu 150 Megawatt verkauft.

Die größten nicht technischen Heraus­forderungen bei der Entwicklung von Geo­thermie­projekten sind Genehmigungen, Wasser und Land. Jeder Brunnen benötigt Millionen Liter Wasser, und selbst bei einem geschlossenen Kreislaufsystem wie dem von Fervo geht Wasser durch Verdunstung und Lecks verloren. Positiv ist hingegen, dass bei der Geothermie Regenwasser, unbehandeltes Abwasser und sogar Salzwasser verwendet werden können. Die riesigen westlichen Gebiete, die vom Bureau of Land Management verwaltet werden – allein etwa 70 % von Utah – bieten reichlich potenzielle Geothermiestandorte. Was die Genehmigungen angeht, sollte die Geothermie mit ihrem grünen Anstrich weniger Nimby-Probleme haben als das ­Fracking von Öl und Gas, obwohl Sage-CEO Taff zugibt, dass manche riesige Bohranlagen trotzdem als Schandfleck betrachten würden. Fracking kann zudem kleinere Erdbeben verursachen. Bisher haben die Sensoren von Forge allerdings keine Erdbeben mit einer Stärke von über 1,9 regis­triert – also deutlich unter der Besorgnisschwelle. Könnte Fracking aber die Hitze im Erdkern stören? Diese Sorge ist weit hergeholt, denn Vulkane stoßen auf natürliche Weise viel mehr Energie aus, als Menschen je einfangen könnten. Der Erdkern wird durch den radioaktiven Zerfall von Uran und Thorium auf 9.000 Grad erhitzt und sollte noch einige Milliarden Jahre heiß bleiben.

In der Praxis könnte die Produktion eines geothermischen Brunnens laut Taff innerhalb von fünf Jahren um etwa 10 % zurückgehen. Das bedeutet, dass Fervo weiter bohren muss, um die Energieproduktion aufrechtzuerhalten. Das sei aber keine große Sache, sagt Latimer – in Eagle Ford könnten Fracking-Brunnen in Betrieb gehen und 1.000 Barrel Öl pro Tag (bpd) fördern, nur um ein Jahr später auf 600 bpd abzufallen.

„Wärme bewegt sich sehr, sehr langsam durch Gestein. Wenn wir sie nicht herausholen würden, würde die Wärme mit der Zeit in diesen Bereich zurückkehren“, sagt er. Und er hat eine einfache Lösung für das Problem der nachlassenden Wärmegewinnung: „Gehen Sie tiefer!“

Text: Christopher Helman
Fotos: Jamel Toppin für Forbes

 

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