Robody’s Perfect

Das von Alona Kharchenko und Rafael Hostettler gegründete Münchner Deeptech-Unternehmen Devanthro baut humanoide Roboter, sogenannte Robodys. Die Vision: eine Welt der „Tele­präsenz“, in der Menschen quasi an zwei Orten gleichzeitig sein können. Das Start-up erhielt Fördermittel in Höhe von mehr als 800.000 € und hatte bisher Einnahmen von über 600.000 € – bis Ende 2026 soll das Produkt in die Massenherstellung gehen.

Mitten im Labor des Tech-Start-ups Devanthro im Munich Urban Collab steht er: Robody, ein hu­manoider Roboter, der über ein Virtual-Reality-Headset fern­gesteuert wird. „Man kann sich in seinen Robody ‚beamen‘ und aus der Ferne verschiedene Tätigkeiten und Aktivitäten ausführen“, erklärt Alona Kharchenko, Mitgründerin und CTO von ­Devanthro sowie Forbes-„Under 30“-List­makerin 2023.

Devanthro steht für „Developing Anthropomimetic Robodies“. Das bedeutet, dass die Roboter so gebaut sind, dass sie eine ähnliche Körperstruktur wie Menschen haben. Diese Eigenschaft hat zwei Gründe: Erstens erleichtert sie die intuitive Steuerung; sie stellt sicher, dass die Bewegungen des Bedie­nenden durch das VR-Set nahtlos auf den Roboterkörper übertragen werden können. Zweitens wird damit ein häufiges Problem von oftmals eingesetzten Industrie­armen gelöst: ihre Unvorherseh­barkeit. „Ein Industriearm kann sich nur sehr seltsam bewegen. Er ist schwer zu steuern und kontra­intuitiv, weil die Dynamik anders funktioniert“, erklärt Kharchenko. Die menschen­ähnliche Morpho­logie von Robody soll hingegen ein Gefühl der Sicherheit schaffen.

Ein Anwendungsbereich von Robody ist die Altenpflege. Unter dem Titel „Robody Cares“ kommen die Roboter dort bereits heute zum Einsatz. Das ist auch das Geschäftsmodell von Devanthro: Das Unternehmen bietet seinen Kunden einen abonnierbaren Service an, bei dem Pflegekräfte aus der Ferne mit Robodys arbeiten können. Robody bleibt im Haus des Kunden und übernimmt dringende Aufgaben, etwa Hilfe beim An­kleiden, beim Essen oder bei der Notfall­erkennung; für die komplexeren Auf­gaben sind nach wie vor Pflege­kräfte vor Ort erforderlich.

Um sowohl Markt- als auch Umsetzungsrisiken einschätzen und bewältigen zu können, konzentriert man sich aktuell darauf, zu zeigen, dass „Robody Cares“ nicht nur realisierbar, sondern auch notwendig ist. Dafür werden einmonatige Pilotprojekte in insgesamt fünf Privathaus­halten gestartet.

Mit dem Robody führte das Devanthro-Team auch einen Test in der Tagespflege durch. Neun Teilnehmer wurden dabei in Dreier­gruppen eingeteilt, wobei Robody physisch im Raum neben den äl­teren Menschen anwesend war. Mitgründer Rafael Hostettler steuerte den Roboter mit einer VR-Brille aus einem Nebenraum. Die Leitung der Pflegeeinrichtung war vorsichtig optimistisch, da sie nicht wusste, wie die Bewohner des Pflegeheims reagieren würden. Zu ihrer Über­raschung zeigten die älteren Bewohner aber nicht nur Begeisterung, sondern auch den Wunsch nach taktiler Interaktion.

Auf der Hannover Messe im April hat das Team mit dem Robody in fünf Tagen 2.300 Menschen umarmt.

Die gebürtige Ukrainerin ­Kharchenko begann ihre Reise in die Welt der Technik schon in jungen Jahren – Chemie, Mathe­matik und Informatik begeistern sie seit ihrer Kindheit. Sie studierte in Kiew Angewandte Mathematik und machte dann einen Master im Fach „Robotics, Cognition, Intelligence“ an der Technischen Universität München. Obwohl sie sich heute in München zu Hause fühlt, bleibt sie ihrer Heimat verbunden und engagiert sich aktiv für die vom Krieg Betroffenen – sie ist Vorstandsmitglied des gemeinnützigen Vereins München hilft Ukraine e. V., der bereits über 3.000 Tonnen an humanitären Hilfs­gütern in die Ukraine geliefert hat, und setzt sich weiterhin für den Wieder­aufbau der Ukraine als euro­päische Wirtschafts­nation ein.

2015, während ­Kharchenkos zweitem Studien­jahr, lernte sie Rafael Hostettler kennen. Damals noch Doktorand, hatte Hostettler das Ziel, Roboter zu bauen, die so gut wie ein menschlicher Körper funk­tionieren. Ihm war klar, dass das keine Einmannaufgabe war, weshalb er ein Team zusammenstellte, in dem Kharchenko eine zunehmend wichtige Rolle spielte. Ihr Unternehmen ­Devanthro wurde dann 2018 gegründet.

Roboy, der erste Vorfahre des Robody, entstand 2013 unter der Leitung von Rolf Pfeifer, Professor an der Universität Zürich. „Es war das Grande Finale seiner Karriere“, so Kharchenko. „Danach ging er in den Ruhestand.“ Diese erste Version war noch nicht ganz aus­gereift, vor allem, was die künst­lichen Muskeln betraf. Devanthro musste sich also an die veränderte technologische Landschaft an­passen. Sie integrierten das Robot Operating System, was bedeutende Hard- und Software-Verbesserungen erfor­derte. 2018 stellte Devanthro den Roboy 2.0 auf der Hannover Messe vor. Dieser war bereits eine vollständige Eigenentwicklung.

Aus den Roboy-Robotern wurde 2021 dann der erste Robody. Dieser hat die Größe eines erwachsenen Menschen, ist weiß „gekleidet“ und verfügt über einen Kopf mit einem anpassbaren ­digitalen Avatar als Gesicht. Der Avatar spiegelt die Gesichtsbewegungen des Nutzers wider, die von vier Kameras in der VR-Brille erfasst werden, und übersetzt 62 Gesichtszüge in Echtzeit. Robody nutzt zwei Kameras für die Stereovision, die eine men­schenähnliche Tiefenwahrnehmung simuliert. Ein Hals mit drei Freiheitsgraden (die Anzahl der voneinander unab­hän­gigen Bewegungen, die ein bestimmtes Gelenk ausführen kann) und ähnlich designte Arme ermög­lichen menschenähnliche Kopf- und Handbewegungen. Unterhalb des Avatarkopfs befinden sich Mikro­fone und Lautsprecher, um die Stimme des Bedieners zu projizieren. Die untere Hälfte des Roboters wird von einem fahrbaren Untersatz getragen, der für aus­reichend Mobi­lität sorgt. Der Bediener, der über eine VR-Schnittstelle verbunden ist, steuert die Aktionen des Roboters mittels Handcon­troller aus der Ferne.

Auf der Hannover Messe im April hat das Team mit dem Robody in fünf Tagen 2.300 Menschen um­armt – im Durchschnitt einen Menschen pro Minute. „Nachdem ich von der Messe zurückgekehrt war, träumte ich ständig davon, Menschen zu umarmen!“, lacht Kharchenko. Die häufige Inter­aktion mit Menschen unterscheidet das Unternehmen mit seinen Robodys von der Konkurrenz: Devanthro konfrontiert seine Schöpfung regelmäßig mit der realen Welt.

Der Zeitplan sieht vor, dass Devanthro bis 2025 fünf „Piloten“ fertigstellt; im Jahr 2026 soll die „Minimum Viable Product“-Phase mit 50 aktiven Piloten abgeschlossen sein. Zu diesem Zeitpunkt soll das Robody-Design für die Massenproduktion bereit sein. Bis 2032 will das Team deutlich wachsen und stark expandieren. „Roboter werden als ferne Zukunft wahr­genommen“, sagt Kharchenko, „aber das sind sie schon längst nicht mehr.“

Foto: Valentin Goppel

Ekin Deniz Dere,
Redakteurin

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