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Wer hinter den besten Risikomanagement-Software der Wall Street steht.
Wie hält man sich an der Spitze, wenn das eigene Kerngeschäft die Märkte sind und Gewinne als Hundertstelprozentpunkte gemessen werden? Mit der besten Risikomanagement-Software der ganzen Wall Street.
Auf einem Bildschirm, der direkt vor einem bunten Andy Warhol-Porträt des ehemaligen US-Präsidenten Teddy Roosevelt hängt, behält Blackrocks COO Rob Goldstein die gesamten sechs Billionen US-$ an Assets im Blick, die sein Arbeitgeber verwaltet. Das ergibt 135 Teams, die Positionen in über 100 Märkten und 30 Ländern halten. Um das zu schaffen, benötigt er jedoch Hilfe. Diese kommt in Form einer Software, die in den 23 Jahren, die Goldstein bei Blackrock tätig ist, perfektioniert wurde. Eine graue Spalte auf der linken Seite des Interface zeigt Blackrocks Aktivität. An diesem eher ruhigen Tag sind das 25.000 Handelsorder und rund 77.000 Trades. Eine weitere Ansicht zeigt auch die jeweiligen Portfoliomanager und Händler, die ebendiese Aktivitäten setzen.
Das Programm heißt Aladdin, die Kurzform für den etwas sperrigen vollständigen Namen Asset Liability and Debt and Derivative Investment Network. Aladdin dehnt sich aus und zieht sich zusammen wie ein Akkordeon von einer holistischen Ansicht des unternehmensweiten Risikos hin zur Durchführung einer einzelnen Verkaufsorder im Bruchteil einer Sekunde. Aladdin ist der Grund, warum der 45-jährige Goldstein als einer der heißesten Kandidaten für die Chefrolle bei Blackrock gilt obwohl er während seiner Laufbahn noch nie einen Trade durchgeführt hat. Sein Aufstieg bei dem Finanzgiganten spricht Bände über den heutigen Zustand im Asset-Management einer Branche, die von der plötzlichen Explosion von passiven Indexfonds dominiert wird, die mit immer niedrigeren Gebühren aufwarten.
„Die Möglichkeit, ein Unternehmen wie Blackrock über ein Dashboard zu kontrollieren, das so simpel wie das eines Autos ist, ist außergewöhnlich“, so Goldstein nicht ohne Selbstbewusstsein. „Wir haben lediglich ein System, eine Datenbank, ein Modell. Ich weiß, dass die Mehrheit ein solches Tool schlicht nicht hat.“
Doch was das Programm auf dem Monitor in Goldsteins Büro zeigt, ist nur ein Vorgeschmack auf das, was Aladdin kann. Rick Rieder, Chief Investment Officer (CIO) von Blackrocks 1,7 Billionen US-$ großer „Fixed Income“-Sparte, nutzt es, um die Risiken seiner durchaus komplexen Positionen zu tracken und zu analysieren. Er zeigt an seinem 31 Milliarden US-$ umfassenden Fonds Strategic Income Opportunities, wie das Portfolio auf veränderte Marktbedingungen reagieren würde. Ein Szenario namens „Eurozone Breakup“ würde Strategic Income laut Aladdins Berechnungen 79 Basispunkte an Performance kosten. „China Credit Crunch“ wäre doppelt so schmerzhaft. Doch was ist das größte Risiko für den Fonds? „Spring 2013“, eine Wiederholung des Taper Tantrums, als die US-Notenbank Fed signalisierte, dass sie ihre stimulierenden Maßnahmen langsam reduzieren würde, was zu stark steigenden Anleiherenditen führte.
Rieder: „Wenn ich Assets kaufe, weiß ich genau, was das für mein Portfolio bedeutet.“ Als Nordkorea Raketen über Japan schickte, prüfte Rieder sofort, ob er zu viel Exposure in dem Markt hatte. Aladdin berechnete, dass er rund 400 Millionen US-$ an Staatsanleihen kaufen müsste, um das Risiko zu managen. „Aladdin ist wie Sauerstoff. Ohne das Programm würden wir einfach nicht funktionieren“, sagt Anthony Malloy, CEO der 238 Milliarden US-$ an Assets verwaltenden New York Life Investors. Das Unternehmen ist eines von Hunderten Unternehmen, die Blackrock dafür bezahlen, sein Programm verwenden zu dürfen. Daniel Pinto, CEO von JPMorgans Investmentsparte: „Es ermöglicht unseren Kunden, über verschiedene Assetklassen hinweg zu handeln, ausgeklügelte Risikoanalysen anzuwenden und ihre Portfolios in einem integrierten Datenumfeld zu überwachen.“
Es ist kein Zufall, dass es eine Software ist, die der vielleicht größte Faktor für Blackrocks Erfolg ist. Schon während der bescheidenen Anfänge im Jahr 1988, als Blackrock lediglich als Bondmanager (Verkäufer von Anleihen, Anm.) tätig war, hob CEO und Mitgründer Larry Fink Datenanalyse und Risikotechnologien an die Spitze der Bemühungen, statt solche Lösungen als zweite Wahl hinter Portfoliomanagern und Tradern zu sehen.
„Die Wurzeln dieses Unternehmens basieren auf den Konzepten Risikomanagement und Technologie“, sagt Fink. In einer Ära der Disruption erzielt Blackrock rekordverdächtige Margen. Die Aktie performt am stärksten von allen Wall Street Titeln und erreichte seit dem IPO des Unternehmens im Jahr 1999 eine durchschnittliche Jahresrendite von 23 Prozent.
Aufgewachsen in Brooklyn, schloss Goldstein die Highschool bereits mit 16 Jahren ab. Er entschloss sich für die günstigere Binghamton University, statt an einer der Privatuniversitäten zu studieren, weil sein Vater ihm im Gegenzug ein Auto versprochen hatte. Der Rockfan schloss sich 1994 dem damals winzigen Blackrock an er war damals erst 20 Jahre alt. Sein kleines Team bewertete Hypotheken und produzierte computerbasierte interne, auf grünem Papier gedruckte Risikoberichte die „Green Packages“. Er hoffte, dass sein Job in der Administration ein Sprungbrett zu einer glamouröseren Tätigkeit als „Bond Salesman“ sein könnte.
Es kam anders: Blackrock intensivierte seinen Fokus im Bereich des Risikomanagements. 1998 leitete der nunmehr 25-jährige Goldstein die Anstrengungen, die analytische Kraft des Programmes an andere Unternehmen zu lizenzieren: Erster Kunde wurde der Hypothekenbroker Freddie Mac, der mit Aladdin über 500 Milliarden US-$ an Anleihen bewertete. Bis 2000 war die Nachfrage nach dem Programm so stark angestiegen, dass rund um die Software eine Geschäftseinheit aufgebaut wurde, die Blackrock Solutions getauft wurde. Goldstein war eine der treibenden Kräfte dieser Umstrukturierung.
Immer, wenn Blackrock neue Assets zukaufte, wurde Aladdin verfeinert. Die Fähigkeit, Aktien und europäische Märkte zu bewerten, kam hinzu, als Merrill Lynch Investment Managers 2006 übernommen wurde. Expertise im Bereich der ETFs (Exchange Traded Funds) kam hinzu, als Blackrock 2009 Barclays Global Investors für 13,5 Milliarden US-$ aufkaufte. Ein weiterer Durchbruch folgte während der Finanzkrise, als es überlebenswichtig war, die eigenen Exposures an kriselnden Unternehmen sowie potenzielle Verluste einzuschätzen. 2008 wurde Aladdin von der US-Notenbank Fed verwendet, um den Kauf der Assets der insolventen Investmentgesellschaft Bear Stearns zu analysieren und anschließend vom US-Finanzministerium, um das Finanzsystem zu stabilisieren. Auch während der europäischen Schuldenkrise nutzten die irische, die griechische und die Europäische Zentralbank (EZB) Aladdins Dienste.
Heute verwenden 200 Finanzunternehmen die Software mit rund 25.000 Nutzern. Das Programm überwacht 18 Billionen US-$ an Assets. Mit Aladdins Hilfe werden täglich eine Viertelmillion Trades durchgeführt und jede Woche Milliarden von Prognosen erstellt. Blackrock Solutions generierte 2017 rund 700 Millionen US-$ von insgesamt zwölf Milliarden US-$ Gesamtumsatz (Blackrock) eine Steigerung um 15 Prozent. Aladdin dringt zudem in den Retail-Bereich vor, denn Blackrock ist überzeugt davon, dass Risikoquantifizierung und Prognosen Finanzberatern helfen können, bessere Pläne für die Kunden zu erstellen. Diesbezüglich hat Blackrock bereits einige passende Investments getätigt: FutureAdvisor, das aus München stammende Fintech Scalable Capital, iRetire und iCapital. Fünf Unternehmen im Bereich Vermögensverwaltung, unter anderem die Schweizer Bank UBS, nutzen Aladdin.
Goldsteins Software ist einer der Gründe, warum viele Analysten und Hedgefonds dem Urteil von Dan Loeb, dem Chef des in New York ansässigen Hedgefonds Third Point, zustimmen: „Wir betrachten Blackrock als weit mehr als einen Asset-Manager, der Marktbewegungen unterworfen ist“, schrieb Loeb in einem Brief an seine Investoren. Andere, wie Macrae Sykes, ein Analyst beim Vermögensberater Gabelli & Co., vergleichen den Asset-Manager sogar mit Amazon: „Blackrock erinnert mich an die Qualitäten von Amazon. Es werden Effizienzsteigerungen für Kunden angetrieben, starkes Wachstum wird erreicht sowie ein unermüdlicher Ansatz für wettbewerbsfähige Positionierungen verfolgt.
Text: Antoine Gara
Übersetzung: Klaus Fiala
Dieser Artikel ist in unserer Januar-Ausgabe 2018 „Forecasting“ erschienen.