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„Neu planen“, rät Simon Schmincke, Partner des Risikokapitalfonds Creandum, Start-ups in der aktuellen Situation. Denn die Wirtschaftskrise trifft laut Schmincke Jungunternehmen quer über alle Branchen, für manche geht es um die Existenz.
Am 5. März 2020 veröffentlichte einer der bekanntesten Risikokapitalfonds der Welt, Sequoia Capital, einen Medium-Post mit dem Titel „Coronavirus: The Black Swan of 2020“. Was in den ersten Tagen nach Veröffentlichung bei manchen Beobachtern noch für Belustigung sorgte, ist knapp vier Wochen später Wahrheit geworden: Die Start-up- und Venture Capital-Szene steht aufgrund der durch das Coronavirus ausgelösten Wirtschaftskrise vor massiven Herausforderungen. Auch Simon Schmincke, Partner beim Risikokapitalfonds Creandum, betont die Relevanz der aktuellen Situation. „Wenn das Coronavirus nicht der Black Swan of 2020 ist, was dann? Das ist der größte Einschnitt ins Wirtschaftsleben, den viele von uns je mitgemacht haben.“
Auch für Schmincke und Creandum steht einiges auf dem Spiel. 2003 gestartet, hat der schwedische Fonds bis heute in insgesamt 79 Start-ups investiert – vorrangig in der frühen Phase. Insgesamt 660 Millionen € Finanzierung steuerte der VC für Europas Jungunternehmen bei, erst im Juni 2019 schloss Creandum einen 300 Millionen US-$ schweren Fonds, der erneut Gelder für Early-Stage-Start-ups zur Verfügung stellt. Einen Namen hat sich Creandum mit einigen hoch erfolgreichen Wetten gemacht: Der Fonds investierte früh in den Streamingdienst Spotify oder den Mobile-Payments-Anbieter iZettle – half so mit, Stockholm zu einem der spannendsten europäischen Start-up-Hubs zu machen und verdiente gutes Geld, um seinen Wirkungsgrad sukzessive zu erweitern. Heute betreibt Creandum neben dem Büro in Stockholm auch eines in San Francisco sowie in Berlin, wo Schmincke tätig ist.
Eine neue Zeitrechnung
Zu den aktuellen Portfolio-Unternehmen von Creandum zählt die Berliner Pflege-Plattform Careship (gegründet von den Forbes Under 30-Listmakern Antonia und Nikolaus Albert), der Uber-Konkurrent Bolt oder der Stockholmer Zahlungsdienstleister Klarna. Sie alle sehen sich ob der aktuellen Situation mit Schwierigkeiten konfrontiert. Denn alle Start-ups – egal ob groß oder klein, egal welche Branche – müssten sich laut Schmincke darauf einstellen, dass „eine neue Zeitrechnung beginnt. Wir schauen uns mit unseren Unternehmern die Situation an: Wie viel Geld hat man, wie lange kann man damit überleben, selbst wenn der Umsatz auf null geht? Wann war das nächste Fundraising geplant? Man fängt an, alles neu zu planen.“
Das komplette Interview wurde auch auf Video aufgezeichnet.
Doch wie trifft man langfristige und strategische Entscheidungen angesichts einer völlig unsicheren Zukunft? „Das ist die entscheidende Frage“, so der Deutsche. „Erstmal muss man sich ansehen, wo man (als Unternehmen) eigentlich wirklich steht – Cash-Bestand, Burn-Rate, Umsatzentwicklung, etc.“ Es könne durchaus vorkommen, so der Investor, dass die maximalen Einnahmen in den nächsten Monaten nur 20 bis 30 % der Umsätze vom normalen Niveau ausmachen. „Ganz entscheidend für uns ist aber auch: Was mache ich, wenn die Welt wieder anfängt, sich zu drehen?“ Man dürfe den Rotstift nur in dem Ausmaß ansetzen, dass man im Aufschwung schnell wieder auf Maximalbetrieb hochfahren kann.
Doch die Verunsicherung ist nicht nur in eine Richtung vorhanden. Laut Schmincke wäre aufgrund der aktuellen Lage durchaus damit zu rechnen, dass es in nächster Zeit viele Flat- und womöglich auch einige Downrounds geben wird (Flatround bzw. Downround bezeichnet eine Finanzierungsrunde, in der ein Start-up Geld zu einer gleichbleibenden oder niedrigeren Bewertung einsammelt als bei einer vorhergehenden Runde, Anm.). Zugleich mehren sich aber auch die Medienberichte, wonach VC-Investoren die Situation schamlos ausnutzen, um bei Finanzierungsrunden günstig zu partizipieren. Creandum gehört nicht dazu, versichert Schmincke – und kippt dabei in seine Berufsprache Englisch: „Wir haben von Anfang an signalisiert: We’re here for you, let’s make sure that you’re successful.“
Von der Krise profitieren
Für Schmincke bietet die aktuelle Situation durchaus auch Chancen für Gründer. Ohne Druck von Kundenseite könne Arbeit erledigt werden, die sonst auf der Strecke bleibt – etwa das eigene Produkt zu verbessern. Und: Während der Großteil der Start-ups mit Einbußen zu rechnen haben wird, blühen andere Geschäftsmodelle auf. Wie auch die Hersteller von medizinischen Produkten oder Supermarktketten gibt es nämlich auch in der Start-up-Welt Unternehmen, die aktuell mit der Arbeit kaum nachkommen. Schmincke nennt drei Beispiele aus dem eigenen Portfolio: Kry, TaxFix und TradeRepublic.
Das aus Schweden stammende Unternehmen Kry ist der größte Video-Telemedizin-Anbieter Europas. Dass ein Start-up, das die Möglichkeit bietet, Patienten aus Wartezimmern fernzuhalten und dennoch medizinisch zu betreuen, in Zeiten von einer hochansteckenden Viruserkrankung aufblüht, scheint nur logisch. TaxFix wiederum bietet Steuererklärungen per Smartphone an. „Plötzlich haben alle Zeit, ihre Steuererklärungen abzugeben.“ Und auch Trade Republic, ein gebührenfreier Anbieter für Aktienmärkte, könnte aufgrund der Unsicherheit an den Märkten höhere Umsätze erzielen.
Unternehmen im Bereich Travel, Hospitality, etc. hätten jedoch mit massiven Schwierigkeiten zu kämpfen, wobei die endgültigen Auswirkungen auf die Realwirtschaft noch gar nicht abschätzbar seien, wie Schmincke sagt. Dass für B2B-Unternehmen auch die potenzielle Kundschaft, etwa Großkonzerne, wegbrechen könnten, sei ein zusätzliches Problem.
Fundraising auch für VC’s schwierig
In den letzten fünf Jahren wurden satte 122 Milliarden US-$ in europäische Start-ups investiert. Dieser massive Kapitalfluss führte dazu, dass immer mehr VC-Fonds aus dem Boden schossen. Und gute Start-ups, die zuvor um jede kleine Summe ringen mussten, hatten zunehmend den Luxus, sich ihre Geldgeber aussuchen zu können.
Wird sich das im Rahmen der Corona-Krise und durch weniger liquide Kapitalmärkte wieder umkehren? Schmincke differenziert. Denn von den professionellen Geldgebern würden 5 bis 10 % der Gelder in Alternative Investments investiert – also Private Equity und VC. Der Rest teilt sich oft auf Aktienmärkte und Immobilien auf. Nun sei aber der Anteil, der in Aktien investiert wurde – also der liquide Teil des Portfolio – plötzlich nur noch die Hälfte wert. Das ist ein Problem, denn VC- oder Private Equity-Investments lassen sich im Gegensatz zu Aktien nur schwer von heute auf morgen verkaufen. „Viele große Investoren werden keine neuen Beziehungen zu VC-Managern aufbauen. Es wird daher weniger neue Fondsgründungen geben.“
Creandum selbst sei laut Schmincke in der komfortablen Situation, dass die eigenen Geldgeber, sogenannte Limited Partner (LPs), vorrangig institutionelle Investoren wie Staatsfonds oder Pensionskassen seien. „Wir haben keine High Net Worth Individuals oder Family Offices an Bord.“ Fest steht, dass bereits geplantes Fundraising für 2020 aktuell überdacht werden sollte. Dass Gründer mit guten Ideen ihre Bemühungen, Geldgeber zu finden, gänzlich auf Eis legen sollten, denkt Schmincke aber nicht. Überhaupt betont der Investor, dass auch diese Krise Chancen bietet. Wie auch Unternehmen wie der US-Zahlungsdienstleister Stripe oder der Robo Advisor Betterment, die alle im Rahmen der Finanzkrise 2008 entstanden, wird auch diese Krise neue Ideen und Geschäftsmodelle mit sich bringen: „Wir sehen uns natürlich besorgt an, was da gerade passiert. Aber wir sind auch wahnsinnig daran interessiert, zu verstehen, welche Chancen gerade geboren werden. Wir sehen auch Positives, das aus dieser Krise kommt – weil Menschen gezwungen sind, kreativ zu denken und neue Wege zu gehen. Das heißt für uns, dass neue Unternehmer kommen, die wir spannend finden.“
Dass nicht jegliche Hoffnung verloren ist, zeigt auch, dass Sequoia Capital seine Bemühungen, rund 7 Milliarden US-$ an neuem Funding einzusammeln, nicht auf Eis legt. Trotz Marktturbulenzen seien die Pläne weiterhin intakt, wie mehrere Medien berichten.
Text: Klaus Fiala
Fotos: Creandum / TaxFix