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Mit nur Anfang 30 leitet Christina Reuter eine Produktionsabteilung bei Airbus Defence and Space. Zudem wurde sie 2016 beim Konzern Kion zur damals jüngsten Aufsichtsrätin Deutschlands. Eine Karriere im Schnelldurchlauf.
Als Christina Reuter 2016 mit damals gerade einmal 31 Jahren in den Aufsichtsrat von Kion, einem der weltweit führenden Anbieter für Gabelstapler und Lagertechnik mit einem Jahresumsatz von 7,6 Milliarden € (2017), einzog, schlug das in der deutschen Wirtschaftspresse ziemliche Wellen. Mit Sätzen wie „... während andere noch im Praktikum …“ wurde nicht einmal der Versuch unternommen, aus der allgemeinen Bewunderung einen Hehl zu machen.
Reuter selbst nimmt es gelassen, und die positive Resonanz selbstbewusst zur Kenntnis – wenngleich sie im Gespräch offen zugibt, vom Ruf in den Kion-Aufsichtsrat überrascht gewesen zu sein. „Ich war neugierig, was sich dahinter verbirgt“, sagt sie heute. Gute und rasch fachlich tiefe Gespräche sowohl mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden John Feldmann sowie mit Kion-Vorstandschef Gordon Riske überzeugten sie davon, dass es – vor allem anderen – um ihre Expertise zu Industrie 4.0 und zur digitalen Transformation ging; und um mehr Diversität im dortigen Aufsichtsrat. Sie ließ sich zur Wahl aufstellen – und wurde Deutschlands jüngste Aufsichtsrätin eines milliardenschweren Konzerns.
Reuter wurde 1985 in Aachen geboren, sie ist das älteste von fünf Geschwistern. Ihre Eltern führten einen Handwerksbetrieb – der Vater ist Geigenbauer. Reuters Affinität zu den Naturwissenschaften entdeckte sie bereits, als sie im Mädchengymnasium die Schulbank drückte – und informierte sich alsbald über Möglichkeiten für später. „Mathematik alleine wollte ich nicht studieren, das schien mir zu trocken. Ich habe den Bezug zur Anwendung gesucht.“ Wirtschaftsingenieurswesen mit Fachrichtung Maschinenbau sollte es werden.
Christina Reuter
...wurde 1985 in Aachen geboren und studierte dort an der RWTH Wirtschaftsingenieurswesen mit Fachrichtung Maschinenbau. Zu Airbus kam sie Anfang 2017. Dort ist sie als Head of Performance & Improvement and Manufacturing Engineering, Space Equipment Operations bei Airbus Defence and Space tätig.
„Durchmarsch“ – so kann Reuters akademischer Werdegang mit Blick auf die dafür benötigte Zeit bezeichnet werden. An der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) 2010 zum Diplom, dazwischen noch für Jahr an der Tsinghua University in Beijing (China); 2014 dann Promotion – am Werkzeugmaschinenlabor (WZL) der RWTH Aachen, wo sie schon als studentische Hilfskraft tätig war und letztlich drei Jahre lang die Abteilungsleitung im Bereich Produktionsmanagement innehatte. „In dieser Zeit haben wir eine ‚Demonstrationsfabrik Industrie 4.0‘ aufgebaut und gemeinsam mit unterschiedlichen Unternehmen daran geforscht. Das war ein wichtiger Meilenstein in meiner Karriere“, so Reuter heute. In ihrem Bereich hat sie damals 25 wissenschaftliche Mitarbeiter und Programmierer sowie rund 50 Hilfskräfte geführt – und suchte mit Anfang 30 und einem beachtlichen Wegstück Karriere hinter, aber noch mehr vor sich nach Weiterentwicklung. „Ich wollte die Industrieseite näher kennenlernen.“ Gesagt, getan: Reuter wurde von Airbus abgeworben, wo sie Anfang 2017 andockte und nach dreimonatiger Aufwärmphase zum Head of Manufacturing Engieneering and Operational Excellence, Space Equipment Operations ernannt wurde.
Das klingt eingängig, ist aber – am Beispiel der Luftfahrt erklärt – nicht nur hochkomplex, sondern auch nur bedingt machbar. Mit einer Massenproduktion wie in der Automobilherstellung ist die Branche nicht vergleichbar. Hier wird in Serie gefertigt, und zwar in geringem Maß; vieles entsteht in Einzelanfertigung. Während Autohersteller mehrere Tausend Fahrzeuge pro Tag vom Band lassen, produziert Airbus durchschnittlich 2,5 Flugzeuge am Tag oder zehn bis 20 Satelliten pro Jahr.
Hinzu kommt, dass die digitale Transformation als Kulturwandel zu betrachten ist, der Zeit braucht – und Erklärungsbedarf hat. Reuter: „In meinen Augen ist es wichtig, aufzuzeigen, was damit gemacht werden soll. Digitalisierung soll ja kein Selbstzweck sein. Wenn man also auf die Produktion schaut, soll sie den Mitarbeitern Hilfsmittel in die Hand geben, Prozesse zu bewerkstelligen und ihre Arbeit einfacher auszuführen, oder ihnen vielmehr den Freiraum verschaffen, ihre Stärken in den Vordergrund zu stellen, anstatt stupide Sachen am Computer zu machen; etwa Daten abtippen.“ Und als Nachsatz: „Ich sehe zukünftig keine menschenleeren Fabriken, so wie es gerne in den Medien dargestellt wird.“ Wettbewerb und Druck steigen im „Weltmarkt Weltall“ dennoch täglich weiter.
Eine Untersuchung der Bank of America Merrill Lynch aus dem Jahr 2017 prognostiziert ein Wachstum des Geschäftsfelds „Weltall“ von 339 Milliarden US-$ im Jahr 2016 auf rund drei Billionen US-$ bis 2045. Seit 2000 wurden demnach bereits 16 Milliarden US-$ in sogenannte Space-Start-ups investiert. Neben den Investitionen auf institutioneller, nationaler bzw. internationaler Ebene, so die Studie weiter, sind 16 der 500 reichsten Menschen der Welt – unter anderen Elon Musk mit seinem Unternehmen SpaceX oder Jeff Bezos mit Blue Origin – in unterschiedlichste Weltraumprojekte investiert. Die höchsten Umsätze wurden weltweit im Bereich der Satelliten (Telekommunikation – und hier speziell die kommerzielle Kommunikation –, Erdbeobachtung, Wissenschaft) gemacht: 127,7 Milliarden US-$ waren es alleine im Jahr 2016. Dann folgen sogenannte Bodensysteme (Sat-TV, Navigationsgeräte etc.) mit 113,4 Milliarden US-$, die Satellitenherstellung mit 13,9 Milliarden US-$ und Raketensysteme mit 5,5 Milliarden US-$.
Die Airbus Group ist in die drei Produktbereiche Commercial Aircraft (Umsatz 2017: 51 Mrd. €), Helicopters (6,5 Mrd. €) und Defence and Space (10,8 Mrd. €) unterteilt. Defence and Space zählt wiederum vier Programmlinien: Military Aircraft; Space Systems; Communications, Intelligence & Security und Unmanned Aerial Systems – darunter fallen unbemannte Systeme wie Drohnen. Reuter selbst ist im Bereich Space Systems verortet und dort für Space Equipment zuständig. „Wir produzieren Zubehör für Satelliten – konkret sind das Elektronikteile oder Solargeneratoren, also die Flügel für die Stromerzeugung bei Satelliten und Strukturbauteile für Trägerraketen.“ Diese Komponenten stellt Airbus in insgesamt sechs Werken, aufgeteilt auf vier Länder, her.
Reuter wurde geholt, um an der viel zitierten digitalen Transformation bei Airbus mitzuwirken. Da wird etwa an der Fabrik der Zukunft gearbeitet, werden neue Fertigungswege getestet und geprüfte Prozesse sukzessive integriert. Hier wird Reuters Erfahrung mit und an der Demonstrationsfabrik Industrie 4.0 an der RWTH Aachen schlagend – und gewinnt an Gewicht. Denn eine europaweit durchgeführte Studie von Roland Berger im Auftrag des Bundesverbands der Deutschen Industrie besagt, dass die Digitalisierung der Luft- und Raumfahrttechnik im Jahr 2025 ein Wertschöpfungspotenzial von rund zehn Milliarden € bringen kann. Das Beratungsunternehmen McKinsey errechnete wiederum einen Mehrwert des IoT (Internet of Things) für Produktionsanlagen von weltweit bis zu 3,7 Billionen US-$ im Jahr 2025. Nicht zuletzt aufgrund der nackten Zahlen zieht Airbus das Tempo in diesem Bereich an. Denn schließlich geht es auch darum, in Hochlohnländern wettbewerbsfähig zu bleiben. „Dazu gehört“, um es mit den Worten von Thomas Enders, CEO der Airbus Group, zu sagen, „dass Konzeption, Entwicklung und Herstellung der Produkte wesentlich effizienter und schneller werden.“
Mit dem Projekt OneWeb Satellites auf der Agenda von Defence and Space spielt Airbus am Feld der kommerziellen Satelliten vorne mit – so zumindest das Vorhaben. Konkret geht es darum, die globale Abdeckung mit Internetzugang zu verbessern, um im Jahr 2027 möglichst flächendeckend Internet anzubieten. Das Konzept sieht vor, über 600 Mini-Satelliten ins All zu schießen, wobei die ersten Launches bereits für 2018 geplant sind. Das ändert vieles in den Produktionsabläufen, um kosteneffizient zu bleiben und trotzdem Qualität zu liefern: Wurde bei Airbus früher der Fokus auf den Bau großer Satelliten gelegt – durchschnittlich waren es sechs bis acht pro Jahr –, geht das Unternehmen heute stärker in Richtung Massenproduktion, sprich vier bis fünf Satelliten mit einem Gewicht von weniger als 150 Kilo pro Tag. Reuters Expertise in der Vernetzung solcher Maschinen ist an dieser Stelle – so betont sie erneut – kein Selbstzweck, sondern dient der Effizienzsteigerung der Prozesse in der eigenen Wertschöpfungskette.
Ob ihr da nicht ihr junges Alter als Führungskraft für oft deutlich ältere Mitarbeiter im Wege steht? „Das war bei mir nur ganz vereinzelt der Fall. Flächendeckend kann ich das nicht bestätigen“, so Reuter. In solchen Situationen sei sie dem so begegnet, dass sie jener Person mit all ihrem Erfahrungswissen Wertschätzung entgegengebracht habe. „Die Erfahrung älterer Menschen, nicht nur in der Produktion, ist enorm wichtig für die Projekte. Man muss aber auch klarstellen, dass man nicht alles so machen kann wie in den letzten 50 Jahren“, sagt Reuter weiter. Man müsse entsprechende Lösungen so unterstützend wie möglich gestalten.
Aktuell zählt Christina Reuter sechs Personen in ihrem direkten Team – und darunter wiederum zwei Frauen. Die fachliche Führung hat sie aktuell über rund 25 Mitarbeiter. „Ich habe eine Affinität zu Führungsthemen und Führungsaufgaben, ohne dass ich mir diese zum Ziel gesetzt hätte.“ Primär um Macht geht es Reuter dabei weniger, vielmehr „um den Gestaltungsfreiraum, neue Themen zu entwickeln und zu schauen, wie ich die individuellen Stärken des Teams als einzelne Bausteine zusammenstelle, damit wir am Ende auch zum Ziel kommen.“
Über die Jahre hat sie beobachtet, dass immer mehr Frauen in die Teams gestoßen sind, in denen auch sie war: „Ab und zu habe ich den Eindruck, dass dort wo Frauen sind, sich auch mehr Frauen ansiedeln. In meinem Job an der Universität war das auch so: Damals waren wir anfangs bei fünf Prozent Frauenanteil, am Ende hatte ich über 30 Prozent in meiner Abteilung.“ Der Frauenanteil in der Airbus-Gruppe liegt bei 17,5 Prozent, auf Managementebene bei 12,4 Prozent; Tendenz steigend. Eine dezidierte Frauenquote im Management sei ihr, so Reuter, nicht bekannt. „Aber definitiv das Commitment, Frauen in Führungspositionen zu setzen.“ Sichtbar sei das ja auch mit der Besetzung von Grazia Vittadini als Airbus’ Chief Technology Officer.
Man müsse man aber auch sehen, dass es Bereiche gibt, die sich ganz allgemein aus der Wahl der Studienrichtungen entwickeln. Eine Quote im technischen könne daher nicht so hoch angesetzt werden, wie in anderen Bereichen. Denn: „Wo sollen denn diese Frauen herkommen?“ Grundsätzlich sieht Reuter Diversität als eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Zustandekommen von Innovation. Auf dieses Potenzial könne heute niemand mehr verzichten. Bei Airbus Space and Defence wird sich die aktive Gender Diversity um eine Frau erhöhen. Dann, wenn Reuters Kind in die Betriebskita eingewöhnt und sie selbst an ihre Arbeitsstelle zurückkehren wird. „Wir werden schauen, wie das funktioniert“, lacht sie. „Ich habe das große Glück, einen Partner zu haben, der sich seiner Vaterrolle bewusst ist. Wir werden das gemeinsam, mit einer gewissen Flexibilität am Arbeitsplatz, sicher gestemmt bekommen.“
Dieser Artikel ist in unserer September-Ausgabe 2018 „Women“ erschienen.