RÄUMLICHE REVOLUTION

Covid-19 hat unsere Arbeitswelt schlagartig verändert: Die Präsenzkultur wurde quasi über Nacht durch Homeoffice ersetzt. Ist die neue Art zu arbeiten nur eine Notlösung – oder eine Revolution mit Auswirkungen auf unsere Planung von Wohnräumen und ganzen Städten?

Es sind zahlreiche ­Stiegenaufgänge, von denen nicht wenige zum aufwendig bepflanzten Dachgarten führen. Von hier aus hat man einen beeindruckenden Weitblick über das Marschland der Bucht von San Francisco bis zur Vorstadt Palo Alto. Die Rede ist vom größten zusammenhängenden Bürokomplex der Welt – 40.000 Quadratmeter groß –, der vom Stararchitekten Frank Gehry im kalifornischen Menlo Park im Silicon Valley errichtet und von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg im März 2015 eröffnet wurde.

Allein in der ersten Etage der Facebook-Zentrale arbeiten 2.800 Mitarbeiter, die sich auf viele kleine Workstations verteilen. Weltweit zählt Facebook über 44.000 Beschäftigte, in nur zehn Jahren soll laut Mark Zuckerberg jeder Zweite davon im Homeoffice arbeiten. Aufgrund der Coronapandemie wechselten rund 90 % der Facebook-Mitarbeiter ins Homeoffice. Das Arbeiten von zu Hause habe sich laut Zuckerberg als effizienter erwiesen als erwartet. Ähnliches bestätigt auch der Organisationspsychologe Christoph Augner gegenüber Forbes: „Innovationen, wissenschaftliche Ergebnisse und neuartige Dienstleistungen haben eines gemeinsam: Sie ­setzen voraus, dass man in der Lage ist, durchgehend konzentriert an einer Aufgabe arbeiten zu können, ohne sich ablenken zu lassen. Das geht im Homeoffice besser. Insofern kann die sinnvolle Anwendung von Home­office ein Wettbewerbsvorteil sein, weil auch die Qualität der Arbeit ­davon profitiert.“

Weitere Homeoffice-Vorteile für Mensch und Umwelt liegen auf der Hand: Es kann von überall aus gearbeitet werden, Mitarbeiter müssen nicht umziehen oder pendeln. Das Unternehmen spart Parkplätze, Mieten für Büroflächen und die Ausgaben für Reinigungskräfte – selbst die Betriebskantine wird womöglich überflüssig.

Eine Umfrage unter 1.000 Erwachsenen in Österreich, die das Marktforschungsinstitut TQS Research & Consulting gemeinsam mit Talk Online Panel, einem Betreiber von Online-Research-Communitys, im April durchführte, kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: 86 % der Befragten können Job und Familie im Homeoffice gut bzw. sehr gut miteinander vereinbaren, fast 60 % haben den Eindruck, dass ihre Produktivität höher ist als im Büro. 70 % macht die Arbeit von zu Hause aus Spaß – sie wollen diese Möglichkeit auch nach der Coronapandemie verstärkt nutzen.

Masken im Büro oder zum Arbeiten ganz zu Hause bleiben? Geht es nach Experten, könnte das Homeoffice eine bleibende Rolle spielen.

Doch das Recht auf Home­office bzw. Telearbeit, wie es etwa ­bereits in den Niederlanden existiert, ist in Deutschland und Österreich noch nicht Realität. In Deutschland soll bis kommenden Herbst zumindest ein Gesetzesentwurf vorliegen. „Soweit eine Arbeitsleistung von zu Hause aus möglich ist“, gilt selbst in Coronazeiten, dass das Arbeiten von zu Hause, „zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer klar vereinbart sein muss“, heißt es auf der Web­seite der Wirtschaftskammer Österreich (WKO).

Überhaupt wird es nicht ausreichen, Mitarbeiter einfach nur mit einem Laptop auszustatten. „Es geht darum, Arbeitsprozesse und Workflows so zu digitalisieren, dass eine gute Arbeitsgestaltung erfolgen kann. Die Meetingkultur wird sich in vielen Bereichen ändern müssen, die Fähigkeit zur Selbstorganisation der Mitarbeiter muss gestärkt, das Reporting angepasst werden“, so Augner. Außerdem warnt er: „Gerade in der Coronakrise haben wir gesehen, dass Homeoffice und Betreuungspflichten zu einer enormen Belastung führen können, die zum Teil schwerwiegende psychische und physische Auswirkungen haben.“

Hinter dem gelebten Home­office der Zukunft mitsamt seinen neuen, vor allem aber flexibleren Arbeitszeitmodellen besteht nämlich auch die Gefahr, dass die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit nun noch stärker verschwimmen. In seinem Buch „Selbstoptimierung ist auch keine Lösung“ vertritt Augner die These, „dass es nicht darum geht, noch mehr Tätigkeiten irgendwo hineinzustopfen, sondern zu identifizieren, was wirklich wichtig ist. Insofern gibt es das Potenzial, dass Mitarbeiter im Homeoffice effizienter arbeiten – nicht, weil sie schneller sind, sondern weil viele unnütze Dinge weggelassen werden.“

Verschiedene Faktoren – die Pandemie, aber auch Digitalisierung und Globalisierung – könnten letzten Endes dazu führen, dass Homeoffice-Lösungen die Regel statt die Ausnahme werden. „Der coronabedingte Digitalisierungsschub trägt zu einem verstärkten Verschmelzungsprozess öffentlich ausgetragener Aktivitäten im Privaten bei, wodurch der Fortbestand von Arbeit, Kommunikation sowie Besorgungen anhand digitaler Behelfe ermöglicht wird“, meint der Wiener Architekt David Calas, der das Studio Calas führt.

Das könnte auch zu einem Umdenken bei der Gestaltung unserer Wohn- und Arbeitsräume führen. Aus architektonischer Sicht könnte dies mit einer Planung beginnen, „die lediglich notwendige Räume vorgibt, Wände als flexible Raumelemente denkt und schnelle Umgestaltungsmöglichkeiten für die Bewohner garantiert“, erklärt Calas. Er kommt zu dem Schluss: „Der Raum passt sich ans Leben an – nicht umgekehrt.“ Der Architekt fordert „planerische Umdenkprozesse, die sich bei Neubauten, aber auch im Bestand realisieren lassen und sich letztendlich auch dem Homeoffice im jeweiligen Karriereschritt besser anpassen können.“

Wird das ­Großraumbüro also schrittweise zum Auslauf­modell? Aus reiner Kostenperspektive – ­viele Mitarbeiter auf engem Raum – werden große Büroflächen stets über­legen sein. Aber das ist nicht ­alles, was für Unternehmen relevant sein sollte: Harvard-Professor Ethan Bernstein untersuchte in seiner jüngsten Studie „The Impact of the ‘Open’ Workspace on Human Collaboration“ die Nachteile von Großraumbüros – dem Ergebnis der Studie nach senken der ständige Geräuschpegel und das lebhafte Umfeld die Produktivität, weil die Konzentrationsfähigkeit schneller abnimmt. Wo Rückzugsmöglichkeiten fehlen, würde der Mensch versuchen, sich welche zu schaffen – sei es durch Kopfhörer oder die Flucht in digi­tale Kommunikation, die dabei hilft, persönliche Kontakte zu ­vermeiden. Kurzum: großer Raum, ­kleinere Leistung.

Doch das heißt auch, dass ­Bürotürme schrittweise ihre ­ökonomische Berechtigung ver­lieren, und auch andere Grund­pfeiler ­unseres städtischen Lebens könnten dann unter Zugzwang kommen, etwa das Automobil. Elon Musk baut mit seinen Verkehrs­projekten The Loop und Hyperloop an ­Zukunftskonzepten. Es wird laut Calas aber noch dauern, bis smarte Städte ausreichend viele „alternative Fortbewegungs­methoden“ in und zwischen Städten anbieten können.

Calas rechnet mit einem langen Prozess, bis eine neue Stadt­agenda umgesetzt wird: „Das Homeoffice scheint nur der Anfang einer neuen Arbeitswelt zu sein, die tief greifende infrastrukturelle Veränderungen mit sich bringen wird.“

Text: Raoul Sylvester Kirschbichler
Fotos: Alex Kotliarskyi, Airfocus

Der Artikel erschien in unserer Juli/August-Ausgabe 2020 „Smart Cities“.

Forbes Editors

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