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Ganz oder gar nicht, dachte sich Antje von Dewitz, als sie Vaude übernahm. Die neue Chefin des Outdoorartikelherstellers wollte in Sachen Nachhaltigkeit keine Kompromisse eingehen – heute ist Vaude grüner Vorreiter.
Wer Vaude besuchen will, muss zunächst eine kleine Reise unternehmen, vorbei am Bodensee mit freier Sicht auf die Schweizer Alpen, durch kleinere Ortschaften hin zur oberschwäbischen Stadt Tettnang. Der Outdoorartikelhersteller befindet sich etwas außerhalb des Zentrums, das Firmengelände besteht aus einem hölzernen Komplex, in dessen Innenhof sich eine riesige Kletterwand befindet. Über das Unternehmensgelände schlendern ein paar Frauen in Vaude-Jacken. Als wir das Gebäude betreten, werden wir von Empfangsdamen begrüßt, und als wir zum Meetingraum kommen, verlässt diesen gerade eine dreiköpfige Gruppe – zwei Frauen, ein Mann. „Aktuell sind 43 % der Führungspositionen mit Frauen besetzt, insgesamt sind bei uns 60 % der Mitarbeiter weiblich“, bestätigt Antje von Dewitz, CEO des Outdoorartikelherstellers Vaude, den gewonnenen Eindruck mit Zahlen.
Ein Umstand, der nicht von heute auf morgen eingetreten ist. Denn als sich von Dewitz 2008 darauf vorbereitete, den von ihrem Vater Albrecht von Dewitz 1974 gegründeten Familienbetrieb zu übernehmen, und neue Führungspositionen schuf, lehnten viele Frauen das Angebot ab. „Zu lange Arbeitszeiten, eher Teilzeit als Vollzeit oder ein zu rauer Ton in der oberen Managementebene“, zählt von Dewitz die Gründe auf, die ihr genannt wurden. Also wurde ein familienfreundliches Umfeld geschaffen: Vaude eröffnete einen betriebseigenen Kindergarten und implementierte flexible Arbeitszeitmodelle. 2017 zeichnete die Unternehmensberatung A. T. Kearney Vaude als „familienfreundlichstes Unternehmen Deutschlands“ aus.
Antje von Dewitz
... promovierte an der Universität Hohenheim am Lehrstuhl Entrepreneurship, nachdem sie in Passau ihr Studium in Sprachen, Wirtschaft und Kulturraumstudien absolviert hatte. 2009 übernahm sie die Geschäftsleitung des Outdoorartikelherstellers Vaude von ihrem Vater Albrecht.
Generell hat von Dewitz viele Hebel umgelegt, nachdem sie 2009 die Leitung von Vaude übernahm. So veränderte sie die gesamte Unternehmenskultur – das Leitbild: Menschen auf Augenhöhe begegnen und eine Vertrauenskultur schaffen. Dabei veränderte sich auch die Rolle der Führungskräfte; weg vom Richtungs- und hin zum Rahmengeber, der Bedingungen schafft, in denen sich Mitarbeiter entfalten können. „Durch diesen Ansatz bringen sich mehr Menschen in das Unternehmen mit ein – das hilft uns, agil und innovationsstark zu sein“, so von Dewitz. Innovative Konzepte hat Vaude in den letzten Jahren so einige entwickelt: Mit dem „Green Shape Label“ etwa werden funktionelle umweltfreundliche Produkte aus fairer Herstellung versehen. Als Alternative zu erdölbasiertem Material setzt das Unternehmen zudem auf Recycling- und Naturmaterialien wie Hanf, Baumwolle oder Biokunststoffe und achtet im gesamten Produktlebenszyklus auf Umwelt- und Sozialstandards.
Die Produktpalette des Unternehmens umfasst dabei Outdoorbekleidung, Schuhe, Rucksäcke, Zelte, Schlafsäcke, Taschen und Zubehör für Skitouren, Trekking, Wandern, Mountainbiken, Bergsteigen und Radrennfahren. Radtaschen sowie ein Alpinrucksack werden dabei am Standort Tettnang produziert, weitere Produkte werden unter anderem in der 2008 von Albrecht von Dewitz gegründeten Produktionsstätte in Vietnam hergestellt, die er in Zusammenarbeit mit einer vietnamesischen Geschäftsführerin leitet. Insgesamt entstünden 20 % der Produkte in Europa, 80 % in Asien, wie von Dewitz sagt. Als Mitglied der Non-Profit-Organisation Fair Wear Foundation hat sich Vaude zudem verpflichtet, einen Verhaltenskodex bezüglich der Arbeitsbedingungen einzuhalten – 96 % der gesamten Produktion werden in Betrieben hergestellt, die nach diesem Kodex zertifiziert sind.
In Tettnang wird darüber hinaus seit 2012 klimaneutral produziert – ein Meilenstein für Vaudes Nachhaltigkeitsbestreben, jedoch nicht der erste. Denn das Unternehmen setzte bereits 1994 mit einem Recyclingnetzwerk für funktionelle Bekleidung das erste größere Konzept für ein nachhaltigeres Unternehmen um. Als Antje von Dewitz Vaude dann übernahm, setzte sie die grüne Transformation nach dem Motto „Ganz oder gar nicht“ auf der Prioritätenliste ganz nach oben. Dafür wurde Vaude bereits 2015 mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis als „Nachhaltigste Marke Deutschlands“ ausgezeichnet. 2019 erhielt Vaude dann laut eigenen Angaben als einziges Outdoorunternehmen den Grünen Knopf, das staatliche Siegel für sozial und ökologisch produzierte Textilien.
„Es liegt in der unternehmerischen Verantwortung, dass das Handeln weder Mensch noch Natur schadet.“
Auf dem Weg zu einem nachhaltigen und transparenten Unternehmen befinden sich jedoch nicht selten Hindernisse: „Händler, Banker, Mitarbeiter – alle waren kritisch. Nach zwei Jahren waren unsere Mitarbeiter überzeugt, nach etwa drei Jahren erhielten wir die ersten positiven Rückmeldungen von Händlern“, so von Dewitz. Das veränderte Bewusstsein zeigt sich auch in zahlreichen Studien: So interessierten sich 2009 im Zuge einer Studie der Otto Group 26 % der befragten Konsumenten für klimafreundlich hergestellte Produkte, 2013 waren es schon 56 %.
Und obwohl laut Accenture 2016 bei einer CEO-Befragung weltweit 70 % angaben, die von den Vereinten Nationen entwickelten Sustainable Development Goals als klaren Rahmen anzusehen, nachhaltiger zu agieren, integrierten 2019 erst 48 % das Thema Nachhaltigkeit in ihre Betriebsabläufe. Und das, obwohl eine Studie der Kommunikationsagentur Serviceplan bereits 2016 zeigte, dass Nachhaltigkeit das Umsatzwachstum um bis zu 13 % steigern kann. „Ich wurde bereits oft gefragt, ob wir uns Nachhaltigkeit leisten können, als wäre sie ein Extrapaket mit Schleifchen. Es liegt in der unternehmerischen Verantwortung, dass das Handeln weder Mensch noch Natur schadet“, meint Antje von Dewitz.
„Es ist zunächst kostenaufwendig und anstrengend, aber es geht. Wir sind schließlich Teil des Problems, also müssen wir auch eine Lösung finden. Und die Politik sollte das fördern – Unternehmen müssen animiert werden, diese Verantwortung anzunehmen, anstatt dass es derzeit ökonomisch sinnvoller ist, dies nicht zu tun.“ Einen Bezug zu Umwelt und Natur entwickelte von Dewitz bereits früh. Ihre Mutter, eine Naturliebhaberin, betonte stets die menschliche Verantwortung gegenüber der Umwelt. Auch Lehrer sensibilisierten von Dewitz für das Thema, wie sie erzählt. Von ihrem Vater habe sie die „Macher-Mentalität“ geerbt, er war laut der Unternehmerin ein Pionier: „Geht nicht“ gab es für ihn nicht. Vaude zu übernehmen kam für sie dennoch erst mal nicht infrage. „Ich assoziierte Wirtschaft und Unternehmertum mit verstaubten Aktenkoffern und Anzügen. Erst während eines Praktikums bei Vaude habe ich gemerkt, wie viel Gestaltungsspielraum man als Unternehmerin hat. Vaude ist mein Leben, und ich bin stolz darauf, was wir bisher alles erreicht haben.“
Vaudes Weg zum nachhaltigen Unternehmen
(Quelle: Vaude)
Auch, wenn von Dewitz und ihre über 500 Mitarbeiter mit Vaude Vorreiter beim Thema Nachhaltigkeit sind – sich im Outdoormarkt zu behaupten ist kein einfaches Unterfangen. Vor allem, weil eine Studie der European Outdoor Group zeigt, dass nach Jahren des Umsatzwachstums 2018 im Vergleich zum Vorjahr ein Minus von etwa 1 % zu verzeichnen ist. „Es gibt eine unglaubliche Konzentration auf dem Markt. Unser Partner Sportscheck wurde von Galeria Karstadt Kaufhof übernommen, das zur Signa-Gruppe gehört; Globetrotter wurde von der Fenix-Gruppe gekauft, zu der wiederum unser Konkurrent Fjällräven gehört. Marken und Händler erhalten mehr und mehr Marktmacht“, so von Dewitz. 2019 erreichte Vaude einen Umsatz von über 100 Millionen €, und von Dewitz ist trotz Herausforderungen auch für die Zukunft optimistisch. Sie sieht den großen Vorteil bei Vaude in der Unternehmenskultur: „Wir sind ein mittelständisches Unternehmen, das sich eine großartige Expertise in vielen Fachgebieten aufgebaut hat. Wir sind keine leere Marketinghülse, wir leben unser Leitbild.“
Demnächst soll Vaude nicht mehr nur am Standort Tettnang, sondern in allen Produktionsstätten weltweit klimaneutral werden und die Produkte sollen einen überwiegend biobasierten oder recycelten Materialanteil haben – derzeit liegt dieser Wert bei einem Drittel. Das endgültige Ziel laut von Dewitz: „Ressourcenneutral zu wachsen. Wir befinden uns auf dem Weg dorthin – ich bin gespannt, wie uns das gelingt.“
Text: Andrea Gläsemann
Fotos: Kilian Kessler
Der Artikel ist in unserer Jänner-Ausgabe 2020 „Radical Change“ erschienen.