Produktion der Zukunft

Wie der Metall-3D-Druck die Wertschöpfungskette verändern wird.

Es war selbst für ihn überraschend. Mohammad Ehteshami, ein mittlerweile 61-jähriger Ingenieur des US-Konzerns General Electric (GE) hatte zwar schon so gut wie alles miterlebt, dennoch war der Veteran begeistert: „Ich dachte: ‚Oh mein Gott, das ist fantastisch!‘“, schrieb Ehteshami auf einem unternehmenseigenen Blog. Der gebürtige Iraner ist ehemaliger Leiter von GE Aviation, dem weltweit führenden Hersteller von Flugzeugtriebwerken. Heute führt er die neu formierte Sparte GE Additive an, die sich auf modernste Fertigungstechniken konzentriert.

Und hier setzt auch Ehteshamis Begeisterung an. Denn bereits vor einem Jahrzehnt begann das Joint Venture CFM International, bestehend aus GE Aviation und Safran Aircraft Engines, an einem neuen Motor für Passagierflugzeuge (Single-Aisle-Familie) zu arbeiten. Das Ziel: ein hochmodernes, kraftstoffsparendes Düsentriebwerk zu fertigen. Doch noch fehlte die Expertise, die komplexen Innenkanäle der darin befindlichen Kraftstoffdüsen zusammenzuschweißen und zu löten. Ehteshami, der auf einer Pistazienfarm im Iran aufwuchs, musste also auf seinen Durchbruch noch warten – bis sein Team begann, vermehrt auf die Verfahrenstechniken von Morris Technologies zu setzen. Der Gründer des Unternehmens aus Cincinnati, Greg Morris, revolutionierte nämlich den 3D-Druck in der Metallverarbeitung.

Für GE ging es um viel – um die Serienproduktion eines Bauteils, das noch nie zuvor auf eine solche Art produziert worden war. „Ich erinnere mich an diesen Tag wie an gestern“, sagt Ehteshami. „Ich war aufgeregt, aber auch verstört. Ich wusste, dass wir eine Lösung gefunden hatten, aber ich merkte auch, dass diese Technologie das, was wir über Jahre aufgebaut haben, beseitigen könnte.“ GE baute mit dem LEAP-Engine 2014 schließlich das weltweit erste Triebwerk, dessen 19 Kraftstoffdüsen aus dem 3D-Drucker stammen. Anstatt wie zuvor aus 20 Einzelteilen bestand eine Düse nur noch aus einem einzelnen Bauteil. Zudem wog die Düse laut Unternehmensangaben um 25 Prozent weniger als eine herkömmliche, hielt jedoch fünfmal so lang. Vier Jahre später, 2018, bleibt Ehteshami bei seinem Urteil von damals: „Der 3D-Druck ist die Zukunft der industriellen Produktion.“

Der Start hätte für GE schlechter ausfallen können: Die LEAP-Engine zählt zu den meistverkauften Düsentriebwerken in der Geschichte von CFM International. Das Joint Venture verbuchte Ende 2017 12.200 Bestellungen für LEAP-Antriebe – im Wert von 170 Milliarden US-$. Zudem ist das Element mittlerweile reif für die Beförderung: Der erste LEAP-betriebene Airbus A320 neo transportierte 2016 erstmals Flugzeugpassagiere.

Interessanter ist aber eine andere Frage: Stimmt die Aussage des Ingenieurs Ehteshami tatsächlich? Ist der Metall-3D-Druck die Zukunft der industriellen Produktion? Was wird dadurch für Unternehmen besser? Worin liegen die größten Heraus­forderungen – etwa beim Fachwissen der Mitarbeiter oder der Stabilität der Bauteile?

Betrachtet man die milliardenschweren Übernahmen der vergangenen Jahre, erlebt die sogenannte Additive Fertigung (AM, Additive Manufacturing) tatsächlich ein starkes Wachstum. Besonders GE brachte dabei Bewegung in die Sache, indem der Mischkonzern 2016 für insgesamt 1,5 Milliarden US-$ nicht nur die deutsche Concept Laser GmbH schluckte, sondern sich auch den schwedischen 3D-Druck-Experten Arcam einverleibte. Als „GE Additive“-Sparte soll so nun die Weltspitze in diesem Bereich erobert werden – und ganz nebenbei noch als Besitzer des nach eigenen Angaben weltgrößten laserbasierten Metall-3D-Druckers das Allround-Portfolio komplettiert werden.

Doch so einfach wird das nicht: Denn GE ist bei Weitem nicht der einzige Konzern, der Additive Manufacturing für die Metallverarbeitung nutzt. Das betrifft ­Industriesparten quer durch die Bank: Besonders der deutsche Industriekonzern Siemens, der auf diese Weise Teile für Gasturbinen fertigt, hat das vielver­sprechende Feld für sich entdeckt, aber auch das französische Elektro­technikunternehmen Schneider Electric, der deutsche Stahlverarbeiter Thyssen oder die österreichische Voestalpine sowie der Maschinenbauer DMG Mori haben verstanden, dass die industrielle Produktion künftig anderen Regeln folgen wird. Insbesondere Deutschland kommt hier eine Vorreiterrolle zu. Die „Big Four“ im Bereich des industriellen 3D-Drucks stammen alle aus der Bundes­republik: SLM Solutions Group, Trumpf, Concept Laser (mittlerweile von GE gekauft, s. o.) sowie der Technologie-Marktführer EOS GmbH. Laut der Beratungsfirma Wohlers Associates stammen 26 Prozent der weltweit verkauften 3D-Industriedrucker von dem bayrischen Unternehmen. Zum Vergleich: General Electric kommt derzeit auf 20 Prozent.

Bei gewissen Bauteilen werden keine Werkzeuge mehr benötigt und zudem werden die Durchlaufzeiten reduziert.

Geht man von den Prognosen des Strategieberaters PwC Strategy& aus, wird sich das Feld weiter ­verdichten. Bis 2030 soll der weltweite Markt für 3D-Druck-Produkte und -Technologien in der Indus­trie demnach um jährlich zwischen 13 und 23 Prozent wachsen – auf ein Marktvolumen von 22,6 Milliarden €. Derzeit nutzen weltweit 18 Prozent der produzierenden Unternehmen das 3D-Druck-Verfahren (nicht nur für die Metallbearbeitung, Anm.), in den kommenden fünf Jahren soll diese Zahl auf ein Drittel ansteigen, so die Experten.

Doch nicht nur die Fertigung von Metallen wie Aluminium, rostfreiem Stahl oder Titan wird dadurch umgekrempelt, auch volkswirtschaftlich könnte das Verfahren Implikationen haben. So bringt der Metall-3D-Druck laut Experten eine Verschiebung der Wertschöpfung mit sich, nämlich an den Ort, wo Unternehmen die Teile einbauen; im Gegensatz zu den heutigen Verhältnissen, wo die Produktionsentscheidung viel eher von Lohn- und Kapital- sowie Transport- und Logistikkosten abhänge. In die gleiche Kerbe schlägt auch Henrich Schleifenbaum, der am Fraunhofer-Institut für Lasertechnik (ILT) die Sparte „Generative Verfahren und funktionale Schichten“ leitet und an der RWTH Aachen University Digital Additive Production lehrt. „Ich bin nicht so blauäugig zu sagen, dass 3D-Druck die Massenherstellung von Commodities (standardisierte Handelswaren, Anm.) ersetzen wird. Im Vergleich zur Umformtechnik etwa ist das Verfahren noch relativ langsam und teuer. Aber dort, wo hochkomplexe oder individualisierte Produkte gefertigt werden, macht es Sinn, dies direkt am Einsatzort zu tun – die Wertschöpfungsketten werden sich dadurch massiv verschieben.“

Damit spricht der auch in mehreren Industrieunternehmen ­tätig gewesene Schleifenbaum einen wichtigen Punkt an. Denn Metall-3D-Druck wird keineswegs bei allen Produktarten zum Einsatz kommen. Eignete sich das Verfahren anfangs besonders für Prototypen – Metall-3D-Druckverfahren existieren bereits seit Mitte der 1980er-Jahre – werden es in Zukunft verstärkt Spezialanfertigungen und komplexe Bauteile sein: so etwa gewicht­sparende Luft- und Raumfahrtkomponenten, Zahnkronen, Implantate in der Medizintechnik oder Ersatzteile und Teile für Klein­serien in der Automobilindustrie. Aber auch komplett neuen Formen, etwa Werkstücke mit Hohlräumen oder bionische Strukturen, könnten so gefertigt werden. Schleifenbaum spricht in diesem Kontext vereinfacht davon „dass man um die Ecke bohren kann“. Im Werkzeugbau ist das ein heißes Thema: Der dänische Spielzeughersteller Lego nahm sich etwa die menschlichen Blutgefäße zum Vorbild – und baute in Anlehnung daran seine Metallwerkzeuge mit vielen hauchdünnen Kühlkanälen unter der Oberfläche. Dies hat den Vorteil, dass sie besser kühlen als gewöhnliche, gröbere Röhren.

Zusätzlich zu der ­tief technischen Natur des Feldes existieren vielerlei Begriffe für den Metall-3D-Druck, was für zusätzliche Unübersichtlichkeit sorgt. Doch im Grunde beschreiben sie alle dasselbe. Das SLM-Verfahren (selektives Laserschmelzen) wird ausschließlich bei Metallen angewandt, im Gegensatz zum FDM (Fused Deposition Modeling), das auf Kunststoffe spezialisiert ist. Zweiteres hat bereits seit Jahren die Serienreife erreicht. Beim selektiven Laserschmelzen wird für die Erstellung eines Bauteils an erster Stelle ein dreidimensionales CAD-Modell (computer-aided design, rechner­unterstütztes Design, Anm.) benötigt. Aufbauend darauf wird das entsprechende Metallpulver mittels Laserstrahl verflüssigt. Sobald es auskühlt, verfestigt es sich. Anschließend wird die nächste Schicht aufgebaut, bis das Bauelement dem digitalen Zwilling entspricht. Dadurch, dass Schicht für Schicht vorgegangen wird, erklärt sich auch der für die Technologie verwendete Begriff des „Metal Additive Manufacturing“.

Unternehmen gewinnen also ­bereits dann einen Wettbewerbs­vorteil, wenn sie es schaffen, Produkte zu fertigen, die sowohl in ihrer Funktionalität als auch ihrem Design nicht zu übertreffen sind. Doch das entsprechende Engineering – besser gesagt: die genaue Überführung von der CAD-Datei in das tatsächliche Laserschmelzen – muss erst einmal gelernt werden. „Die eigentliche ­Herausforderung für Unternehmen bei der Implementierung dieser Technik besteht darin, herauszufinden, was die Funktion des Bauteils war, das früher gedreht oder gefräst wurde. Erst dann kann man entscheiden, wie man es besser herstellen kann“, erläutert Fraunhofer-Experte Schleifenbaum.

In diesem Zusammenhang spricht der Experte auch davon, neben der äußeren Gestalt auch die „Innen­architektur“ eines Bauteils genau zu analysieren. Eines der Unternehmen, das sich damit intensiv auseinandersetzen musste, ist die M&H CNC Technik GmbH in der Steiermark. ­Ursprünglich auf Prototypenbau und Kleinserien spezialisiert, wagten die beiden Geschäftsführer Patrick Herzig und Robert Mauerhofer vor fünf Jahren den Sprung ins kalte Wasser. Ihr eigener technischer Hintergrund kam den beiden dabei zugute – und schließt nahtlos an Schleifenbaums Aussage an. „Wir haben uns intensiv mit der Wertschöpfung in der Produktionskette auseinander­gesetzt. Der Metall-3D-Druck spielte in diesen Überlegungen von Anfang an eine wesentliche Rolle. Im Netzwerk, mit unter anderem Univer­sitäten, wurde neues Wissen aufgebaut und die Technologie evaluiert“, sagt Herzig. 2017 wurde der modernste 3D-­Metalldrucker Österreichs in Betrieb genommen. Die Selective Laser Melting Maschine SLM 500 verfügt über einen großen Bauraum sowie einen Vierfach-Laser mit 700 Watt, der überlappend arbeiten kann. Preis? „Siebenstellig“, so der gelernte Werkzeugmacher Herzig. Heute bietet sein Unternehmen sowohl Beratung, Design und 3D-Druck als auch die Fertigstellung von Komponenten für Kunden an. Diese konzentrieren sich auf den deutschsprachigen Raum und bestehen aus Großunternehmen wie
Magna, AVL List oder Andritz.

Patrick Herzig und Robert Mauerhofer

Die beiden Unternehmer gründeten vor
20 Jahren die M&H CNC Technik GmbH und sind auf Prototypen- und Klein­serienfertigung spezialisiert. Vor 15 Jahren bezog das Unternehmen seinen Standort in Neudorf, Steiermark, ab 2013 widmete man sich dem Metall-3D-Druck. Heute beschäftigt das Unternehmen 19 Mitarbeiter

Das Geschäft mit dem Metall-3D-Druck scheint sich auszuzahlen. So stammt laut Herzig bereits ein Viertel des Umsatzes vom selektiven Lasersintern – wie viel die Erlöse insgesamt ausmachen, will der Unternehmer jedoch nicht verraten. Die Vorteile lägen dabei auf der Hand: „Bei der Herstellung von Bauteilen wie etwa einem Zylinderkopf (schließt den Verbrennungsraum eines Verbrennungsmotors nach oben hin ab, Anm.) werden keine Werkzeuge mehr benötigt – dadurch werden Kosten gespart. Zudem reduzieren sich die Durchlaufzeiten von etwa acht auf eine Woche“, so Herzig.

Außerdem wird nur das Material(-pulver) verarbeitet, das letztlich für das Endprodukt benötigt wird. So fällt kein Metallschrott an wie beim konventionellen Fräsen und Drehen („subtraktive Fertigung“) aus einem Metallblock. Einer der wichtigsten Punkte ist aber sicherlich die Gewichtsreduzierung der hergestellten Industriebauteile – so wie im Fall von General Electrics Düsenantrieb. Generell ist die Raum- und Luftfahrt­industrie bei 3D-Technologien führend. Nach der bereits erwähnten Studie von PwC Strategy& wird sie es auch zukünftig bleiben: Bis 2030 soll das diesbezügliche Marktvolumen von 0,43 Milliarden € (2015) auf 9,59 Milliarden € (2030) anwachsen. In umgekehrter Weise wird dem industriellen 3D-Druck dort ein Riegel vorgeschoben, wo große Metallteile hergestellt werden und Gewicht keine Rolle spielt – wie etwa im schweren Maschinenbau. „Dort wird jede Metallplatte gefräst oder Welle gedreht. Das wird nicht abgelöst werden“, sagt Herzig.

Und: Eng mit der Reduzierung des Gewichts verbunden – und für die Luftfahrt überlebenswichtig – ist die Frage: Wie stabil sind solche Bauteile? „Bei der dynamischen und insbesondere der statischen Festigkeit liegen additiv gefertigte Bauteile auf Augenhöhe mit konventionellen. Im Bereich der Kriechbeständigkeit, wo mit hoher Temperatur und Last ein Bauteil hochdynamisch bewegt wird, gibt es noch Verbesserungspotenzial. Das ist zum Beispiel der Fall in rotierenden Elementen wie Flugzeugturbinen“, sagt Fraunhofer-Spezialist Schleifenbaum.

Sicher ist jedenfalls, dass sich Unternehmen rüsten müssen, um nicht den Anschluss zu verlieren. Das zeigt sich am Beispiel der Voestalpine: Der Konzern errichtete 2016 in Düsseldorf ein eigenes Forschungs- und Entwicklungszentrum für den 3D-Druck von Metallteilen. Die zu verarbeitenden Werkstoffe im Voestalpine Additive Manufacturing Center werden von den Konzerngesellschaften Böhler Edelstahl GmbH & Co KG (Österreich) und Uddeholms AB (Schweden) bezogen. Wenn sich die Lieferkette also schon dadurch stark verändert, dass für ein Bauteil nicht mehr 20 Einzelteile aus aller Welt bezogen werden müssen, bleibt sie gewissermaßen bestehen. Hinter alledem steht ein klares Ziel: weg vom klassischen Stahlhersteller, hin zu einem weltweit führenden Technologie- und Industriegüterkonzern, wie es Voestalpine-CEO Wolfgang Eder offiziell formulierte.

So unterschiedlich die Zielsetzungen von KMU und Konzernen als auch die Analyse von Experten – in einem Punkt scheinen sie sich einig zu sein: Metall-3D-Druck stellt eine sinnvolle Ergänzung zu bestehenden Produktionsverfahren dar, eine echte Revolution ist er aber nicht, dafür besteht die Technologie bereits zu lange. Konzerne wie GE oder Voestalpine setzen dennoch große Hoffnungen in dieses Verfahren – es heißt also abwarten, mit welchem Erfolg.

Dieser Artikel ist in unserer April-Ausgabe 2018 „Regulierung“ erschienen.

Niklas Hintermayer,
Redakteur

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