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Eine fundierte Berufswahl entscheidet über den beruflichen und persönlichen Erfolg. Potenzialanalysen helfen, die individuellen Stärken und Interessen zu erkennen und diese mit den Anforderungen des Arbeitsmarkts abzugleichen. Doch warum bleiben so viele Talente unentdeckt – und welche Konsequenzen ergeben sich daraus?
Als Wirtschaftspsychologin höre ich oft das Bedauern: «Eine Potenzialanalyse hätte ich als junger Schüler auch gebraucht!» Diese Aussage zeigt den Wunsch, das eigene Potenzial früher erkannt und gefördert zu haben.
Eine Potenzialanalyse nutzt psychologische Diagnostik, um Informationen zu sammeln und eine fundierte Berufswahl zu ermöglichen. Sie berücksichtigt Persönlichkeit, Fähigkeiten und Interessen und gleicht diese mit den Anforderungen verschiedener Berufe ab.
Aktuelle Forschung zeigt, dass Menschen oft schlecht darin sind, ihre eigenen Begabungen einzuschätzen. Dies führt dazu, dass viele sich für Tätigkeiten interessieren, für die sie nicht geeignet sind, während zahlreiche Potenziale unentdeckt bleiben. Eine hohe Abbruchquote von 29 Prozent bei Bachelorstudiengängen verdeutlicht, dass viele Studierende das falsche Studium wählen.
Die Folgen einer Fehlentscheidung in der Berufswahl sind beträchtlich und reichen von Umwegen und Über- oder Unterforderung bis hin zu Scheitern und verlorener Lebenszeit, was das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit beeinträchtigen kann.
Auch auf gesellschaftlicher Ebene hat Potenzialverlust weitreichende Konsequenzen: Ein nicht optimal ausgebildeter Arbeitsmarkt führt zu Produktivitätsverlusten, hemmt die Innovationsfähigkeit und das Wirtschaftswachstum und steigert die Gesundheitskosten durch Stress erheblich. Fehlende Innovation und technologische Entwicklung können langfristig das Wirtschaftswachstum verlangsamen und die globale Wettbewerbsfähigkeit mindern.
«Der Weg zu einer erfolgreichen und erfüllenden Karriere beginnt mit der Entdeckung und Förderung der eigenen Stärken und Interessen.»
Johanna Köpping
Berufsentscheidungen werden häufig durch Geschlecht und soziale Herkunft beeinflusst. Geschlechtsspezifische Unterschiede zeigen sich auch heute noch in der Wahl von Studienfächern und Berufen: Frauen bevorzugen oft geistes- und kulturwissenschaftliche Fächer und sind in MINT-Berufen unterrepräsentiert. Soziale Herkunft prägt ebenfalls die Berufswahl: Kinder aus höheren Schichten profitieren von einem fördernden Umfeld, während Kinder aus niedrigeren Schichten oft mit geringeren Erwartungen konfrontiert sind, was zu einem Habitus der Überlebenskunst führt.
Die Berufswahl ist lösbar durch die richtige Zuordnung von Persönlichkeits-, Fähigkeits- und Interessenstruktur zur Anforderungsstruktur. Je besser die Passung ist, desto eher wird ein Beruf als Berufung erlebt. So unterscheidet sich beispielsweise die Persönlichkeit von Piloten deutlich und hebt sich durch emotionale Stabilität ab – denn ängstliche, feindselige oder impulsive Personen sollten ein Flugzeug nicht kontrollieren. Neben der Persönlichkeit sind kognitive Fähigkeiten entscheidend, da eine rein interessenbasierte Wahl zu Über- oder Unterforderung führen kann. Interessen sind wichtig für Engagement, aber oft durch fremdbestimmte Erwartungen verdeckt.
Zum Abschluss kehre ich zur Ausgangssituation zurück: «Eine Potenzialanalyse hätte ich als junger Schüler auch gebraucht!» Dieser Satz verdeutlicht den Bedarf an frühzeitiger Förderung. Potenzialanalyse als Fundament für zielgerichtete Entwicklung hilft, Talente zu erkennen und optimal einzusetzen, sowohl für das Individuum als auch für die Gesellschaft. Der Weg zu einer erfolgreichen und erfüllenden Karriere beginnt mit der Entdeckung und Förderung der eigenen Stärken und Interessen.
Johanna Köpping ist freiberufliche Wirtschaftspsychologin und unter anderem seit 2007 im Lufthansa-Konzern tätig.
Text: Johanna Köpping
Illustration: Marlene Zumpf