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Die Welt befindet sich gerade in einem historischen Umbruch. Geht es nach den Zukunftsforschern Matthias und Tristan Horx, wird nach der aktuellen Pandemie nichts mehr so sein wie zuvor.
Es scheint ein Tag wie vor der Corona-Krise zu sein: Menschen tummeln sich auf den Straßen oder sitzen in Cafés und genießen die letzten warmen Sonnenstrahlen des Tages. Doch wirft man einen genauen Blick hin, erkennt man an diesem in der Zukunft liegenden Tag nach der Corona-Krise hier und da wohl Veränderungen. Sind immer noch genauso viele Menschen wie zuvor unterwegs oder sind die Straßen weniger belebt? Florieren die lokalen Geschäfte mehr als zuvor und erleben Handwerkszünfte eine Renaissance, während zeitgleich die Konsumgetriebenheit abgenommen hat? Und: Ist aus der Krise eine resiliente Gesellschaft mit einem Wir-Gefühl entstanden oder wird private Häuslichkeit zelebriert?
Geht es nach Tristan und Matthias Horx sind mehrere Szenarien möglich. Nur eines steht für die Zukunftsforscher fest: Die Welt nach der Corona-Krise wird eine andere sein als zuvor. „Die Welt, wie wir sie kennen, zerfällt gerade rapide – aber im Hintergrund entsteht eine neue, die aus Teilen der alten besteht. Es handelt sich im Grunde genommen um eine Anpassungskrise”, so Matthias Horx. Zusammen mit seinem Sohn Tristan arbeitet er am Zukunftsinstitut mit Sitz in Wien und Frankfurt, das er selbst 1998 gegründet hat. Doch obwohl sich die beiden tagtäglich mit der Zukunft beschäftigen, hat auch sie die aktuelle Situation schnell eingeholt: „Auch unser Berufsfeld ist zusammengebrochen. Ich bin ja hauptsächlich unterwegs und spreche auf Konferenzen mit Hunderten von Menschen. Das wurde mir innerhalb von drei Tagen abgeblasen”, so Tristan Horx. „Ich bin aber trotzdem optimistisch, weil wir sehen, wie relevant die Trend- und Zukunftsforschung in der Krise ist.“
Wie die Zukunft nach dem globalen Lockdown aussehen könnte, ermitteln Vater und Sohn Horx aber weniger über Prognosen, die sich wegen der schlechten Datenlage kaum erstellen lassen, sondern über das Werkzeug der Regnose, also einem Blick von einer zukünftigen Situation in das Hier und Jetzt. Auch ein Szenarienmodell kommt zur Anwendung. Über zwei Achsen, pessimistisch/optimistisch (gelingende oder nicht gelingende Beziehungen) sowie Globalisierung/Lokalisierung, wurden vier Zukunftsszenarien skizziert, die Orientierung schaffen und Raum lassen für eine zukunftsgerichtete Denkweise: Totale Isolation, System-Crash, Neo-Tribes oder Adaption.
Die vier Zukunftsszenarien
In einer Welt der totalen Isolation gehört Globalisierung der Vergangenheit an, ebenso wie gelingende Beziehungen. Länder konzentrieren sich wieder auf sich und den Schutz der Bürger, im Verlangen nach keimfreien und nachverfolgbaren Produkten nach wird der Import beschränkt. Die Gesellschaft selbst ist von einer De-Urbanisierung geprägt – Landwirtschaft und produzierendes Gewerbe erhalten einen Aufschwung, während Restaurants und Cafés in Städten wie ausgestorben wirken und an großen Veranstaltungen nur über Live-Streams von Zuhause teilgenommen wird.
Matthias Horx (rechts)
... ist Autor sowie Gründer des Zukunftsinstituts mit Hauptsitz in Frankfurt und Wien.
Tristan Horx
... studierte Sozial- und Kulturanthropologie und beschäftigt sich beim Zukunftsinstitut vor allem mit den Themen Generationen und Digitalisierung.
Im Szenario des System-Crash befindet sich die Welt weniger in totaler Abschottung als vielmehr in einem Feld voller Spannungen: Statt Offenheit und Kooperationsfreude handeln Nationen in eigenem Interesse. Dennoch bleibt die Abhängigkeit von internationalen Waren- und Geldströmen bestehen. Auch hier erhalten die Landwirtschaft und das produzierende Gewerbe einen neuen Aufschwung, ebenso Big Data und Künstliche Intelligenz (KI) zur Analyse von Datenströmen. Datenschutz wird jedoch klein geschrieben – vor allem Daten rund um das Thema Gesundheit aus digitalen Applikationen: Sie werden zum Staatseigentum.
Auch beim dritten Szenario spielt die Privatisierung eine große Rolle. Unter dem Begriff Neo-Tribes rücken Provinzen und kleinere Gemeinschaften wieder in den Fokus, Fernreisen werden nur noch selten unternommen und traditionelle Handwerksberufe erleben eine neue Hochsaison – die getriebene Konsumgesellschaft wird abgelöst von weniger kapitalistischen Konsummuster. Home Office gehört zum Alltag und New Work hat mehr Bedeutung als je zuvor.
Auch im vierten Szenario, Adaption, herrscht ein verändertes Konsumverhalten, die Nachfrage nach lokalen und globalen Produkten ist dabei ausgewogen. Große globale Konzerne mit Marktmacht wie Amazon werden von vielen kleinen Unternehmen ersetzt und auf der Welt ist eine globale Identität mit einem Wir-Gefühl entstanden, in der der Umgang mit Big Data, Predictive Analytics und KI nutzbringender als zuvor eingesetzt wird. Zudem hat sich das Gesundheitssystem hin zu einem holistischen Konzept entwickelt. Es entsteht eine resiliente Gesellschaft. Über die Zukunft im Gesamten meint Matthias Horx: „Wir können uns das wie ein Puzzle vorstellen, das sich aus diesen vier Möglichkeiten neu zusammensetzt. Das kann nicht nur optimistisch verlaufen, aber man kann die Prozesse aus einer konstruktiven Sicht durchaus optimistisch betrachten.“
Unternehmen und Führungskräfte: eine evolutionäre Auslese
Während all die Szenarien ein mögliches Bild von der Zukunft zeichnen, durchlebt die Wirtschaft in der Gegenwart einen Umbruch wie seit langem nicht mehr. Experten erwarten in Deutschland im Extremfall einen BIP-Einbruch von 5,4%, in Österreich sind es laut dem Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) 2,5% und in der Schweiz laut der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich im Negativszenario 2,3%. Nach Annahme des Deutschen Industrie- und Handelskammertags droht mehr als jedem zehnten mittelständischen Unternehmen die Insolvenz, zahlreiche Unternehmen sind von Kurzarbeit betroffen. Viele Länder schnüren deshalb milliardenschwere Hilfspakete, um Unternehmen in der Krise zu helfen. Matthias Horx betrachtet die Lage nüchtern: „Das ist wie eine Art evolutionäre Auslese: Viele Unternehmen werden nicht überleben. Die, die kreativ sind und sich auf Wandel und Veränderung vorbereitet haben, werden am besten bestehen. Das gilt auch für Selbstständige.“
Doch nicht nur Unternehmen, auch Führungspersönlichkeiten sehen sich mit einigen Herausforderungen konfrontiert. Auf einmal müssen ganze Konzerne digitalisiert und aus dem Home Office gesteuert, Geschäftsmodelle transformiert und folgenschwere Entscheidungen getroffen werden. „Diejenigen, die ein Unternehmen führen und für Krisen nicht fit waren, bei denen zerbröselt die Firma als erstes. Gerade jetzt muss man seinen Mitarbeitern mehr denn je Krisenbewältigung und Wiederauferstehung oder Anpassung kommunizieren”, so Tristan Horx. Was die Lage des eigenen Unternehmens betrifft, sind Matthias und Tristan Horx recht zuversichtlich, wenn auch Matthias Horx klarstellt: „Ich bin weder Optimist noch Pessimist. ich bin Possibilist – ich glaube an Möglichkeiten und ich glaube, dass die Möglichkeiten dazu führen, dass die Welt sich anders entwickelt als wir das in unseren Befürchtungen sehen.“
Mehr über das Gastkommentar von Matthias und Tristan Horx vom Zukunftsinstitut lesen.
Hier geht es zum Interview mit Matthias und Tristan Horx vom Februar 2018.
Text: Andrea Gläsemann
Foto: Susanne Einzenberger