Paulas Pläne

Seit sie 13 Jahre alt ist, engagiert sich Paula Andrea Barbosa Perdomo in ihren Communities – zuletzt als Chief Marketing Officer beim Retailer Snipes in den Vereinigten Staaten. Als 25-jährige CMO zählte die Tochter einer alleinerziehenden Mutter, die für eine bessere Zukunft aus Kolumbien in die USA ausgewandert war, zu dem einen Prozent Latinas, die in die C-Suite eingezogen sind.

Ihren allerersten Job – wenn man das überhaupt so nennen könne, weil er unbezahlt war –, sagt Paula Andrea Barbosa Perdomo, hatte sie in einer der größten gemeinnützigen Organisationen in New York State namens „Make the Road New York“. Dort half sie Immigranten beim Aus­füllen von Formularen und Anträgen. „Da war ich 13 oder 14 Jahre alt“, so die heute 27-Jährige. Mit 15 habe sie sich bei Lady Foot Locker, dem Damenschuh-Zweig des Sneaker-­Retailers Foot Locker, in der Queens Center Mall beworben, erzählt sie; bis ihr nach einem Backgroundcheck offenbart wurde, dass sie mit 15 Jahren noch gar nicht arbeiten dürfe, was ent­täuschend war, sagt sie rückblickend. „Die Dame dort versprach mir aber, dass sie mich an meinem sechzehnten Geburtstag anrufen und mir die Stelle erneut anbieten werde. Und genauso war das dann auch“, sagt sie.

Nach dem Unterricht sei sie meistens beim Basketball gewesen, und an den Wochen­enden in der Mall beim Arbeiten. Und während sich ihre Freunde im Einkaufscenter die Freizeit ver­trieben, habe sie ihnen aus dem Shop zuge­wunken: „Damit war ich komplett glücklich. ­Unabhängigkeit war mir immer wichtig. Ich wollte nie um Erlaubnis fragen, wenn ich etwas kaufen oder etwas unternehmen wollte. Das habe ich von meiner Mutter gelernt, weil ich sah, wie stark und unabhängig sie war.“

Barbosa Perdomos dicker Rollkragen ist fast bis zu den Ohren hochgezogen; es ist ein ­feuchter, kalter Wintertag in Wien und die jun­ge Latina ist ­„eigentlich nur auf der Durchreise ­zwischen ­Amsterdam und Madrid“, sagt sie. Ihre Brille hat einen dicken durchsichtigen Rahmen; keine Farbe durchbricht ihren All-Black-Look. Das dunkle, dicke Haar hat sie in einem strengen Dutt zusammengebunden – „ich habe meinen Dyson-Föhn auf der Reise geschrottet“, sagt sie; so sehe man gar nicht, wie viele Haare sie eigentlich hat. Sie zieht ihre schwarze Steppjacke aus und setzt sich. Der Blick fällt fast automatisch auf die Turnschuhe – es sind abgetragene, weiß-graue Asics. Sie sehen bequem aus und sind das einzige Nicht-Schwarze an ihrem Outfit.

Kleine modische Details ermöglichten es den Menschen, ihre Herkunft darzustellen, selbst wenn sie alle ähnliche Outfits trugen.

Paula Andrea Barbosa Perdomo

Paula Andrea Barbosa Perdomo war vor ­Kurzem noch CMO des Retailers Snipes. Ihren Job habe sie erst vor wenigen Tagen sicher an die Nachfolge über­geben und sei nun ein wenig auf Reisen. Ein ­willkommener Tapetenwechsel, sagt sie – und irgendwie auch eine Flucht nach vorne. Es sei nicht ganz einfach gewesen, vor allem ­ihrer Mutter und auch ihrem Freund zu erklären, ­warum sie ihren Job gekündigt habe; schließlich hat ihr dieser ein gutes sechsstelliges Jahresgehalt eingebracht. Bei ihrer Mutter, die aus Kolumbien nach New York ausgewandert war, um ihren Kindern ein besseres Leben zu ermög­lichen, stieß der Schritt zunächst auf komplettes Unverständnis. Es habe sich aber einfach nicht mehr richtig angefühlt, so Barbosa Perdomo weiter. Sie grinst kurz und erinnert sich: Als ihr diese Stelle damals zugesagt wurde, sei sie in Tränen ausgebrochen, und auch heute sei sie so glücklich über die ihr gebotenen Möglichkeiten. Allerdings habe sie nach dem Weggang des Snipes-Gründers Sven Voth aus dem Unternehmen die Zukunft ihrer ­eigenen Karriere beim Retailer immer wieder infrage gestellt, sagt sie. Denn auch, wenn Voth im Schnitt nur einmal im Monat vor Ort war, war er wohl ihr wichtigstes Gegenüber. „Ein Mentor und jetzt auch ein Bruder“, sagt Barbosa Perdomo heute, „er ist eine absolut kreative Kraft.“ Und so entschied sie sich schließlich, zu kündigen – ohne einen anderen Job in Aussicht zu haben.
Es sei sicherlich keine leichte Entscheidung gewesen, sagt sie, aber „es war die richtige“.

Snipes SE wurde 1998 im deutschen Essen gegründet, expandierte ab dem Jahr 2007 in Europa und trat 2019 in den US-Markt ein. Der Hauptsitz des auf Streetwear und Sneakers spezialisierten Retailers mit weltweit mehr als 800 Filialen und rund 2.300 Mitarbeitern ist in Köln; in den USA operiert die Gesellschaft von Philadelphia aus. Seit 2011 war die Deichmann-Gruppe mit von der Partie, 2024 ging Snipes dann vollständig in Deichmann über. 2021 überschritt der Umsatz von Snipes weltweit erstmals die Marke von einer Milliarde Euro, Anfang 2024 wurde die Umsatzmilliarde dann auch in Europa geknackt (Forbes hat darüber berichtet).

Für Barbosa Perdomo begann die Reise mit ­Snipes im Jahr 2019, also gleich mit dem Markteintritt der Marke in den USA. Der Retailer war damals Kunde jener Agentur, für die sie arbeitete. Es ging um Maßnahmen, die Snipes, das stark in der Hip-Hop-Szene und der Street Culture verankert ist, am US-Markt bekannt ­machen ­sollten, so Barbosa Perdomo rückblickend. Sie nennt das „Brand Activating“. Es ging darum, einzig­artige Kundenerlebnisse zu schaffen – sei es „durch Produktanpassungen, indem man die Geschichte ­eines Sneakers zum Leben erweckt oder indem man dabei hilft, einen Stand auf einem ­Festival einzurichten“, erklärt sie. „Ich habe dabei ge­holfen, die Konzepte zu entwickeln, und dann ihre Umsetzung überwacht – damals noch von Agenturseite aus“, sagt Barbosa Perdomo.

Nach der Covid-Pandemie beschloss sie, in ihre zweite Heimat Kolumbien zu ziehen und für den Job zu pendeln, weil sie das immer schon mal tun wollte. „Das habe ich in dieser Form zwei Monate lang gemacht – bis mich ein ehemaliger Snipes-Mitarbeiter anrief, um mir mitzuteilen, dass jemand bei Snipes nach meinen Kontakt­daten fragt.“ Abgesehen von der Arbeit, die sie für das Unternehmen erledigt hatte, war Snipes ihr aber nicht weiter bekannt, so Barbosa Perdomo. „Ich habe ein wenig recherchiert und fand das alles, die Geschichte und Entwicklung des Unternehmens aus Deutschland heraus, ziemlich interessant“, ­erinnert sie sich. Kurz darauf rief sie Jim Bojko, damals President von Snipes in den USA, an und fragte, ob sie bereit sei, auf die andere Seite, also zu Snipes, zu wechseln. Barbosa Perdomo lacht: „Es war kein klassisches Vorstellungsgespräch.“

Das Angebot klang für die junge Frau spannend: „Ich war 22 Jahre alt und hatte das ­Gefühl, dass die Marke ungeheuer schnell wachsen würde. Ich wusste, dass ich da sehr viel lernen kann – und auch mit meiner bis­herigen Erfahrung ­einiges beitragen kann.“ Barbosa Perdomo heuerte zunächst als Brand Activation Manager an; ­einen VP oder CMO gab es damals nicht. Das US-Team war mit 15 Leuten zu diesem Zeitpunkt ­kleiner. Für die monatlichen Intensiv-Meetings mit ­Firmengründer Voth war sie es letztlich, die alle Ergebnisse und laufenden Tätigkeiten präsentierte, erinnert sie sich. So brachte sie sich selbst auch stets auf den Informationsletztstand, was ihr ebenfalls zugutekam.

Als es mit der Marketingleitung, die später besetzt worden war, nicht klappte, wurde sie gefragt. „Von der Kollegin, Freundin und der Jüngsten im Team wurde ich schlagartig zur Chefin. Das war keine einfache Zeit; ich musste viel und vor allem schnell lernen“, sagt Barbosa Perdomo. „Ich wusste allerdings auch, dass ich das kann. Und man muss auch sagen: Wenn andere so fest an deine Fähigkeiten glauben, warum solltest du es nicht auch selbst tun? Und: Ich passe mich schnell an, stelle viele Fragen und benutze Google“, lacht sie. „Das hat mich vielleicht zu einer Inspiration für viele im Team gemacht, im Sinne von: Wenn sie es kann, kann ich es auch! Aber was mir noch wichtiger ist: Bei dieser Position ging es nicht nur um mich als Paula – es ging um die Millionen von Menschen, die so aussehen wie ich, so sprechen wie ich und ähnliche Lebensgeschichten haben.“

Außergewöhnlich ist Barbosa ­Perdomos Werdegang auch insofern, als sie damals nicht nur 25 Jahre jung war, sondern es als Snipes-CMO in die Riege der Latinas in der US-Wirtschaft schaffte, die die Karriereleiter bis in die C-Suite erklimmen – das sind genau ein Prozent der C-Level-Kräfte. Laut einem Bericht von ­Forbes.­com sind Latinas die am seltensten ver­tretene Gruppe in der Führungsebene von US-Unternehmen, und das, obwohl sie zur am schnellsten ­wachsenden Bevölkerungsgruppe ­gehören. Man spricht hier von „broken rungs“, also gebrochenen ­Sprossen auf der Karriere­leiter, und zwar von der Basis bis hin zur Unternehmens­spitze. Und dies, obwohl Frauen lateinamerikanischer Abstammung laut einer Studie des Strategieberaters McKinsey in Sachen Karriere deutlich ehrgeiziger sind als etwa weiße Frauen (44 % zu 32 %). So lässt sich wohl auch ­einiges aus dem Karriereleben von Paula Barbosa Perdomo mit ihrem Großwerden erklären.

Geboren wurde sie 1997 in New York, aufgewachsen ist sie im Stadtteil Queens. Ihre Mutter kommt aus dem kolumbianischen Ort Campo­alegre – übersetzt heiße das „der glückliche Platz“, so Barbosa Perdomo mit einem Strahlen – und habe sie und ihren zwei Jahre älteren Bruder alleine groß­gezogen. Von ihrem kleinen Heimatort aus habe sie ihr Glück nicht in der nächst­größeren Stadt gesucht, sondern im Big Apple. Sie hatte immer das „Big Picture“ vor Augen, beschreibt Barbosa Perdomo ihre Mutter – das habe sie möglicherweise von ihr „geerbt“, dieses „Mehr-erreichen-Wollen“. Ihre Mutter habe stets alles getan, um für die Kinder das bestmögliche ­Leben anzustreben, erzählt die 27-Jährige.

„Von vier bis 18 Jahren sind mein Bruder und ich in Privatschulen gegangen. Wir haben 14 Jahre lang Schuluniform getragen, was inte­ressant ist, wenn man sieht, was ich später beruflich gemacht habe“, sagt Barbosa Perdomo. Ihre Mutter habe die Kinder auch in Benimmkurse ­gesteckt; die seien sicher für etwas gut gewesen, grinst sie. Als Kinder und Erwachsene sollten sich die beiden überall gekonnt bewegen können.

Barbosa Perdomo war in ihrem beruflichen Werdegang viel im und rund um das Feld der Streetwear und des Community-Buildings tätig. „Letztlich will man ja, dass beim Verbraucher – in einem bestimmten Viertel, in seiner Gemeinschaft, wo auch immer er oder sie sich befindet – Emotionen geweckt werden, die ihn oder sie zum Handeln bewegen“, erklärt sie. Genau das habe sie eben auch bei Snipes mitgebracht. „Ich hatte einfach auch diese Erlebnisse“, beginnt sie von ihren eigenen persönlichen Erlebnissen in ihrer Community zu erzählen. Abgesehen davon, dass sie immer ein Wildfang war, war es ihr Bruder, der sie mit Streetwear, Sneakers, Musik, Sport, Filmen und allem, was die Kultur ausmacht, bekannt machte, sagt Barbosa Perdomo. „Ich erinnere mich an eine Zeit, als mein Bruder und seine Freunde Poloshirts mit Nationalflaggen auf der Brust trugen, True-Religion-Jeans mit Basketball-Shorts darunter und North-Face-Rucksäcke mit verschiedenen Flaggen darauf. Und sie luden Musik über Limewire herunter.“

Es seien diese modischen Details gewesen, mit denen die Menschen ihre Herkunft darstellen konnten, selbst wenn sie ähnliche Outfits trugen, so Barbosa Perdomo weiter. Und genau so habe man versucht, Snipes in den USA bekannt zu machen: „Wir haben uns auf Viertel konzentriert, in denen es traditionell keine Nike- oder Adidas-Geschäfte gab, die kleiner oder in der Einzelhandelslandschaft weniger etabliert waren. Unser Ziel war es, nah an unseren Kunden zu sein, ihre täglichen Bedürfnisse zu verstehen und eine starke Verbindung zur Gemeinschaft auf­zubauen“, sagt Barbosa Perdomo zu Standortüberlegungen und Community-Building.

„Wir möchten nicht, dass die Leute die Marke Snipes nur mit dem Kauf cooler ­Sneaker und Streetwear assoziieren, sondern auch mit Momenten in ihrem Leben; wie dem Absetzen ­ihrer Kinder im von Snipes eingerichteten „Crack the Code“-Labor, der Teilnahme an einem von uns gesponserten Basketballturnier oder dem ­Betreten eines von Snipes geschaffenen Tanz­studios“, so die Ex-CMO. „Das war tatsächlich ­einer meiner Lieblingsaspekte bei der Umsetzung dieser Kontaktpunkte. Letztendlich schaffen sie Vertrauen bei unseren Verbrauchern, indem sie zeigen, dass wir nicht nur hier sind, um ein Produkt zu verkaufen – wir sind hier, um Teil der ­Gemeinschaft zu sein und zu ihr beizutragen.“

Sie fühlt sich dort wohl, wo diese Multikulti-Alltagskulturen auch tatsächlich gelebt werden. Das habe sie auch zu Beginn ihres Studiums der Kommunikation hautnah erfahren. Ihre Mutter bestand darauf, ihre Tochter auf das private Manhattan College zu schicken, wo Barbosa Perdomo zunächst auch inskribierte, um kurze Zeit später ans öffentliche Queens ­College zu wechseln. „Am Manhattan College waren alle irgendwie gleich – es gab keine Vielfalt“, sagt sie. Sie hatte dabei nicht nur das Gefühl, nicht dorthin zu passen, sondern auch, dort nichts dazu­lernen zu können. Schließlich habe sie sich immer als Übersetzerin zwischen den Welten gesehen, sagt Barbosa Perdomo: „Ich habe als Kind für meine Mutter übersetzt“ – und nicht selten habe sie das, was gesagt wurde, in etwas viel Freundlicheres ins Englische übersetzt; sie habe zwischen kreativen Köpfen und kauf­männischen Abteilungen vermittelt, sie habe Unternehmensstrategen erklärt, was in den einzelnen Communities „on the ground“ gebraucht wurde und gekauft würde. „Das ist das, was ich gut kann und womit ich mich identifiziere“, sagt sie.

Was kommt also als Nächstes? Das wisse sie noch nicht, sagt die 27-Jährige. Sie habe bereits ein paar Gespräche für ähnliche Positionen wie ihre letzte geführt. „Ich habe bis jetzt nichts zugesagt.“ Vielleicht sei die Selbstständigkeit ein nächster Schritt. Sie sei jedenfalls jung genug, um neue Erfahrungen zu sammeln – und gönne sich jetzt ausreichend Zeit, um sich Gedanken über ihre Zukunft zu machen.

Paula Andrea Barbosa Perdomo (Jahrgang 1997) war zuletzt CMO von Snipes. Davor war die heute 27-Jährige als Creative Project Manager bei JDM Global Solutions LLC mit Sitz in New York tätig. Barbosa Perdomo studierte Media Communications am Queens College.

Fotos: Gianmaria Gava

Heidi Aichinger,
Herausgeberin

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