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Forbes-„U30“-Listmakerin Bea Albermann ist Ärztin und kämpft als führende Schweizer Klimaaktivistin an vorderster Front für eine bessere Gesundheitspolitik für Mensch und Erde – denn nur in einer gesunden Umwelt ist gesundes Leben möglich.
Wäre unser Planet ein Patient, stünde es nicht gut um ihn. Die Erde wäre ein Fall für die Notaufnahme und die Diagnose erschreckend: Die wichtigsten Organe sind schwer beschädigt und funktionieren nicht, wie sie sollen, hinzu kommt das hohe Fieber: Die Temperatur des Patienten ist viel zu hoch und steigt ungebremst weiter. Kurzum: Es ist höchste Zeit, lebensrettende Maßnahmen einzuleiten, sonst könnte es zu spät sein.
Die Klimakrise sei die größte existierende Bedrohung für unsere Gesundheit, hatten neulich Experten und Mediziner in einem gemeinsamen weltweiten Aufruf gewarnt, darunter auch die Schweizer Ärztin und Aktivistin Bea Albermann. Die Forbes-„Under 30“-Listmakerin sagt: „Ich höre immer wieder als Erklärung für fehlendes Handeln, dass die Klimakrise uns einfach zu wenig betreffe. Dabei wissen wir aus unserem Alltag im Gesundheitssystem: Schon heute sterben Menschen weltweit an der Klimakrise, auch in Europa.“
Die 25-Jährige hat während der Covid-Pandemie an vorderster Front auf der Intensivstation gearbeitet und kennt Situationen, in denen jede Sekunde zählt. Im aktuellen Klimanotfall sei das genauso – leider würde sich die Politik in Zeitlupe bewegen, erklärt Albermann. Sie sagt: „Mit jedem zusätzlichen Zehntelgrad Erderwärmung werden zusätzliche Millionen von Menschen ihr Leben verlieren.“ Das Gefährlichste sei, zu resignieren – und zu glauben, es lasse sich ohnehin nichts mehr tun.
Die Medizinerin und Aktivistin setzt sich schon seit ihrer Jugend für Gesundheit und Gerechtigkeit ein und hat diverse Initiativen und Projekte auf nationaler und internationaler Ebene mitbegründet, etwa Health For Future Switzerland. Die internationale Organisation, die in mehreren Ländern der Welt aktiv ist, wurde von Fridays For Future inspiriert und bringt Angehörige der Gesundheitsberufe zusammen. Die Mission: der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen, um ein gesundes und sicheres Leben im Einklang mit der Natur zu ermöglichen.
Albermann hat durch ihren Aktivismus schon vieles erreicht; sie gilt als eine der wichtigsten Schweizer Stimmen in der Debatte um Nachhaltigkeit und Gesundheit. Dank ihrer Arbeit hat die Schweizer Ärztekammer FMH vor zwei Jahren die Klimakrise zum gesundheitlichen Notfall erklärt und 2021 eine Planetary-Health-Strategie verabschiedet. Als Jugenddelegierte warnte Albermann bei der Weltgesundheitsorganisation WHO zu Beginn der Covid-Pandemie vor den Gefahren der Klimakrise.
Der Klimawandel sorgt für mehr Extremwetterereignisse wie Überschwemmungen und Hitzewellen, die jedes Jahr mehr Menschenleben fordern und enorme finanzielle Kosten verursachen. Allein im Jahr 2021 entstanden so Verluste in Höhe von 48 Mrd. €. Albermann betont: „Das Ungerechte dabei ist, dass die Menschen, die am wenigsten für die Krise verantwortlich sind, am meisten betroffen sind. Darum fordern wir Klimagerechtigkeit.“
Albermann hat in Zürich und Lausanne studiert und lebt derzeit in Berlin. Dort forscht sie am Centre for Planetary Health Policy als Mercator-Fellow zur Klima- und Biodiversitätskrise. Sie will Wege aufzeigen, wie Regierungen eine eskalierende Klima- und Gesundheitskatastrophe abwenden können – Albermann will nicht „gleichgültig zusehen“, wenn Menschen in Machtpositionen mit ihren Entscheidungen Leben gefährden.
Im November, auf der Weltklimakonferenz in Sharm El Sheikh, konfrontierte sie John Kerry, den US-Klima-Sondergesandten, mit dem Ausbau von Öl und Gas in den USA. Der Schweizer Umweltministerin Simonetta Sommaruga sagte sie, dass nur Aktivismus die Schweizer Männer vor 50 Jahren bewogen habe, das Frauenstimmrecht zu beschließen. „Wir können nicht darauf hoffen, dass der Status quo irgendwann von alleine besser wird. Wenn wir Veränderung für eine wünschenswerte Zukunft wollen, dann müssen wir jetzt dafür einstehen“, sagt Albermann. Sie hält die Strategien der westlichen Industrienationen, die historisch gesehen am stärksten Emissionen verursacht haben, für fahrlässig und ungeeignet. „Pflästerli-Politik“ nennt sie das in bestem Schweizerdeutsch.
Tatsächlich könnten Regierungen mit einem sozial gerechten Ausstieg aus fossilen Energien viele Millionen Tote vermeiden, sagt Albermann. Stattdessen würde die Lage eskalieren, weil die Klimaziele verfehlt werden und fossile Brennstoffe wie Kohle, Öl und Gas weiter subventioniert werden. Albermann kritisiert: 40 % des weltweiten Kohlehandels, also fast die Hälfte, würden über den Schweizer Finanzplatz abgewickelt.
Die Medizinerin hat „radikale Zuversicht“, dass Wandel möglich ist, sagt sie. Doch als Insiderin weist sie auch auf die notwendige Transformation des medizinischen Systems hin: Das im Ausland als besonders hochklassig betrachtete Schweizer Gesundheitssystem sei nicht geeignet für die Herausforderungen durch den Klimawandel. Der Schweizer Gesundheitssektor ist für 7 % der nationalen Treibhausgasemissionen verantwortlich; nur rund 2 % der Mittel werden für Gesundheitsförderung und Prävention ausgeben. „Auch der Gesundheitssektor trägt zur Eskalation der Klimakrise bei“, sagt die Ärztin.
Was aber macht ihr Hoffnung? Vor fünf Jahren seien Klimaschutz oder Kreislaufwirtschaft für viele noch Fremdwörter gewesen, meint Albermann. Dass man heute die Gesundheit des Planeten, ein Grundeinkommen oder eine Arbeitszeitreduktion diskutiere, verdanke man dem Aktivismus unzähliger Menschen – „Menschen, die ihre Ohnmacht gegenüber dem Status quo ablegen und sich gemeinsam für positive Veränderungen einsetzen“, sagt Albermann.
Die Ärztin und Aktivistin Bea Albermann befasst sich mit der Schnittstelle der Klima- und Biodiversitätskrise und unserer Gesundheit. Besonders interessiert sie die planetare Gesundheit und die Frage, welche politischen Hebel für eine effektivere Gesundheits-Governance sorgen könnten.
Foto: David Ausserhofer