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Aufgewachsen im Münchner Glasscherbenviertel als Tochter zweier Gastarbeiter wollte Annahita Esmailzadeh immer nur eines: finanzielle Freiheit. Heute ist sie mit gerade mal 30 Jahren Tech-Leaderin bei Microsoft Deutschland, spricht beim OMR Festival vor Zehntausenden Menschen, schreibt Bestseller – und zählt zu den reichweitenstärksten Business-Influencerinnen im deutsch­sprachigen Raum.

Annahita Esmailzadeh wirkt wie jemand, der ­gerne die Kontrolle hat: das Make-up dezent, die dunklen Haare akkurat nach hinten frisiert. In ihrem schwarzen Blazer sticht sie aus dem karg möblierten Büro hervor. Gleich zu Beginn stellt sie klar, dass sie keine Fragen zu Microsoft beantworten wird – Esmailzadeh will nichts dem Zufall überlassen.

Sie spricht druckreif und mit einer Nüchternheit, die jeglichen Anschein von Spontanität vermissen lässt. Man muss Esmailzadeh nicht lange zuhören, um zu merken, dass hier jemand sitzt, der weiß, wie man ein Publikum einnimmt. Wenn sie nicht gerade im Büro ist, sucht sie den Austausch mit der Öffentlichkeit: Sie hält Vor­träge, sitzt in Podiumsdiskussionen und publiziert eigene Kolumnen und Blogbeiträge. Auf der Plattform Linkedin hat sie bereits eine Followerschaft von 150.000 Menschen. Dort spricht Esmailzadeh über die Frauenquote und das New-Work-Modell oder fordert eine gesunde Fehlerkultur und Diversität in Unternehmen. Dass sie damit mittlerweile selbst zur Marke geworden ist, gibt sie offen zu: „Mein A und O ist Authentizität und nicht, ein ‚gewisses Profil‘ zu pflegen“, sagt die 30-Jährige.

Esmailzadeh pflegte aber stets ihre Karriere, wie ihr Lebenslauf zeigt. Kein halbes Jahr nach ihrem Master in Wirtschaftsinformatik wurde sie Beraterin bei Daimler und kurz darauf Head of Innovation bei SAP in München. Von nun an konnte sie sich die Stellen aussuchen: Vier Jahre lang blieb sie bei SAP, bis sie 2021 schließlich ihre Stelle bei Microsoft antrat. Dort trägt sie als Tech-Leaderin im Bereich Customer Success Management die Verantwortung für eine Abteilung mit über 20 Mitarbeitern. „Auch wenn mich anfangs nur die Gehaltschancen in die IT lockten, muss ich im Endeffekt zugegeben, genau die richtige Entscheidung getroffen zu haben“, resümiert Esmailzadeh, und ein Lächeln legt sich über ihr Gesicht.

Lebensgeschichten wie ihre sind eher die Ausnahme: Laut einer Studie des Strategie­beraters McKinsey beträgt der Frauenanteil bei Bachelor-Abschlüssen in MINT-Fächern in Deutschland derzeit gerade einmal 22 Prozent. Im europäischen Vergleich mit Staaten wie Griechenland (41 %), Schweden (41 %), Estland (40 %) und Polen (40 %) liegt Deutschland deutlich unter dem Durchschnitt von 32 %. Der Frauenanteil in MINT-Berufen ist nochmals niedriger und liegt nach Angaben von Bitkom bei nur 15 %. Angesichts der 96.000 offenen Stellen in der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche ist es daher für die IT-Unternehmen unabdingbar, die „männliche Firewall der IT“ zu durchbrechen. Der demografische Wandel werde den Frauen, so Esmailzadeh, in die Hände spielen und die Branche zwingen, sich an die Lebensrealitäten von Frauen, Töchtern und Müttern anzupassen. „Technologie ist die Zukunft – und diese sollte auch aus einem weiblichen Gesichtspunkt betrachtet und gestaltet werden“, erklärt sie.

Annahita Esmailzadeh betreibt ihre Karriere auch heute noch mit Nachdruck: Mails verschickt sie noch bis mitten in die Nacht oder auch am Wochenende. Die 30-Jährige, die von klein auf auf Leistung getrimmt wurde, hält sich noch heute an die elterliche Doktrin „Von nichts kommt nichts“. Trotz der „privilegierten Blase“, in der sie sich mittlerweile bewegt, und ihres Jahresgehalts von über 100.000 € netto habe sie die Angst vor dem leeren Konto längst nicht überwunden. Statt sich teure Luxusgüter zu leisten, legt sie ihr Geld lieber an und investiert in Aktien, Fonds oder ETFs. „Als Arbeiterkind lernt man, sein Geld nicht zum Fenster rauszuwerfen“, erklärt sie und verschränkt die Arme. Heute lebt Esmailzadeh im Münchner Umland, wo sie sich zwei ihrer größten Kindheitsträume verwirklicht hat: den Kauf eines eigenen Hauses. Dort lebt sie mit ihrem Hund.

Als Tochter eines Taxifahrers und einer Verkäuferin hat Esmailzadeh bereits mit 14 angefangen, im Einzelhandel zu arbeiten. Sie wuchs im Münchner Westend auf, einer Gegend, die damals im Volksmund als „Glasscherbenviertel“ bekannt war. Die meisten Eltern ihrer Freun­dinnen waren entweder arbeitslos oder prekär beschäftigt; Politik am Abendbrottisch gab es nicht, auch keine exklusiven Praktika oder fami­liäre Netzwerke. Schulischer Erfolg war im Hause Esmailzadeh schlichtweg eine Notwendigkeit. Nach dem Abitur wurde sie dann vor die Wahl gestellt: entweder Jura, Medizin oder Elektrotechnik. Doch alle drei Studiengänge kamen für sie nicht infrage. „Letztlich habe ich Wirtschaftsinformatik inskribiert, weil ich mir davon das höchste Gehalt erhoffte“, erzählt sie.

Während viele ihrer Kommilitonen an der Hochschule München ihre Freizeit bei Studentenpartys verbrachten, arbeitete Esmailzadeh als Kellnerin, lieferte Pizza aus – und heuerte erst­mals bei Start-ups an. „Ich habe nie ein Gap Year eingelegt oder ein Semester pausiert. Hätte ich nicht alle Zeit und Energie in meine Arbeit investiert, wäre ich nicht die, die ich heute bin“, erzählt sie. Das Studium schaffte sie dann in Mindestzeit und sagt im Nachhinein: „Mir konnte es ehrlich gesagt auch gar nicht schnell genug gehen, endlich in Vollzeit ins Berufsleben einzusteigen.“

Annahita Esmailzadeh ist bereits mit 30 Jahren Tech-Leaderin bei Microsoft Deutschland und zählt zu den führenden Meinungsmacherinnen der deutschen Wirtschaft. Die Wirtschaftsinformatikerin ist eine der reichweitenstärksten Business-Influencerinnen auf Linkedin.

Text: Helene Hohenwarter
Fotos: Dirk Bruniecki

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