OPERATION LONDON

Die Stadt London leistete sich 2012 um 60 Millionen Pfund eine urbane Seilbahn. Die Revitalisierung rund um die Royal Docks ging bisher auf. Neben dem Zuspruch von Touristen sollen nun auch mehr Pendler überzeugt werden.

Für einen Moment verschwindet die Seilbahn in den Wolken Londons. Nur hie und da schimmern noch die roten Lichter der vorderen Kabine auf. Johannes Winter blickt auf die Themse hinab, bevor sein Blick vorbei zur imposanten Seilbahnstütze vor ihm wandert. „Wie toll ist es, in einer Höhe von 90 Metern zu schweben und ganz London, die Themse und den Olympiapark zu sehen. Man gelangt ganz einfach von einer Uferseite auf die andere und verbindet somit Transport und Attraktion“, so der „Leiter Betriebsführung“ von Doppelmayr Cable Car. Einige Minuten später ergibt sich der Blick auf das Exhibition Centre London, das größte Messegelände Großbritanniens in den Royal Docks (bestehend aus drei Hafenbecken im Osten von London, Anm.). Wir schweben mit Winter mit der „Emirates Air Line“ (so der offizielle Name der im Juni 2012 eröffneten urbanen Seilbahn), welche im östlichen Teil Londons die Stadtteile Greenwich und Docklands miteinander über die Themse verbindet.

Die Anzahl der Passagiere des Systems kann sich sehen lassen: Durchschnittlich nutzen 1,5 Millionen Menschen pro Jahr diese Seilbahn. Damit wurden die gesteckten Ziele übertroffen, denn zu Beginn hatte man mit rund 1,25 Millionen Passagieren pro Jahr gerechnet. Die ursprüngliche Intention des Projektes, zur Revitalisierung des Areals rund um die Royal Docks beizutragen, geht somit auf. Die Pläne dafür existieren seit Langem. Im 2010 veröffentlichten Konzept „Royal Docks“ des damaligen Londoner Bürgermeisters Boris Johnson und des ehemaligen Bürgermeisters des Londoner Bezirks Newham, Sir Robin Wales, wurde die Signifikanz der (wirtschaftlichen) Regeneration nicht nur für London und den Südosten des Landes unterstrichen – sondern für ganz Großbritannien. Und tatsächlich: Durch den Standort des Exhibition Centre London, die Nähe zur O2-Arena, dem London City Airport sowie der University of East London weist das Areal enormes Potenzial auf. Die Errichtung einer urbanen Seilbahn war damals bereits Teil dieses Plans. Auch das angrenzende Finanzviertel Canary Wharf entwickelt sich mit neuen Hotels, Restaurant und Bankgebäuden positiv.

Vergangenen Sommer legten die Nachfolger von Johnson und Wales – der aktuelle Londoner Bürgermeister, Sadiq Khan sowie Rokhsana Fiaz – dann noch einmal nach: ein Budget von 314 Millionen £ sei für die (weitere) Wiederherstellung der Royal Docks für die kommenden fünf Jahre genehmigt worden. Denn diese hätten den Politikern zufolge das Potenzial, 35.000 Arbeitsplätze sowie 4.000 neue Wohnhäuser zu schaffen und bis zum Jahr 2038 Investitionen in die Region in der Höhe von mehr als fünf Milliarden £ zu ermöglichen.

Doppelmayr, London, Seilbahn, Urban 2

Johannes Winter
... ist „Leiter Betriebsführung“ von Doppelmayr Cable Car, einer hundertprozentigen Tochter der Doppelmayr Gruppe.

Doch auf dem Weg zurück zur Station „Greenwich Peninsula“ kommt Winter auf einen wesentlichen Punkt zu sprechen: „Sehr viele Touristen nutzen die Seilbahn – doch wo sind die Anwohner? Ist die Seilbahn nun eine touristische Attraktion oder ein städtisches Infrastrukturprojekt?“. Die Antwort darauf wird für die Stadt London zukunftsentscheidend sein.

Ihre Eröffnung feierte die Seilbahn kurz vor den Olympischen Sommerspielen im Juni 2012. Bereits einen Monat später zählte die Emirates Air eine Million Passagiere. Für das Projekt verantwortlich ist in erster Linie der Systemeigentümer: die Docklands Light Railway Limited (DLR), eine Unternehmenstochter von Transport for London (TfL). TfL ist die Dachorganisation, die in London das Verkehrssystem koordiniert – darunter fällt etwa der Betrieb der U-Bahn, Eisenbahnen und Buslinien. Darüber hinaus war ein Konsortium von Experten am Projekt beteiligt: Der britische Baukonzern Mace war als Generalunternehmer für den Bau und die Konstruktion der Seilbahn verantwortlich. Mace bediente sich wiederum mehrerer Subunternehmen, darunter auch das Vorarlberger Seilbahnunternehmen Doppelmayr, welches das elektromechanische System für die Seilbahn beisteuerte. Mace startete mit den Bauarbeiten der Terminals im Juli 2011.

Verantwortlich für die höchste Sicherheit und Verfügbarkeit

Doppelmayr Cable Car UK Ltd. ist in London für den Betrieb der Seilbahn zuständig (diese gehört zur Doppelmayr Cable Car GmbH und somit zur Doppelmayr-Gruppe). Winter spricht von „Operations Services“. So übernimmt Doppelmayr Cable Car die Verantwortung für einen sicheren Passagierbetrieb und sorgt für höchste Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit des Systems. Denn TfL wollte bei der Ausschreibung nicht nur einen Seilbahn-Experten, sondern auch einen Service Provider. Doppelmayr Cable Car kam bei Zweiterem gerade richtig – das Unternehmen betreibt in Birmingham bis heute erfolgreich einen Cable Liner Shuttle am Flughafen (eine schienengebundene, seilgezogene Anlage zur Personenbeförderung, Anm.). Die durchschnittliche Systemverfügbarkeit der Londoner Seilbahn – gerechnet auf die vergangenen sieben Jahre – liegt weiter über 99,5 %. „Der Kunde (TfL, Anm.) hat uns gewählt, weil er gut schlafen will“, sagt Winter. Soeben erst wurde Doppelmayrs im Jahr 2011 abgeschlossene Vertrag mit TfL bis 2022 verlängert.

Die Seilbahn löst verschiedene verkehrstechnische Probleme im Osten Londons. Bisher konnte man von den Stadtteilen Greenwich Peninsula zu den Royal Docks mit der U-Bahn-Linie Jubilee Line gelangen. Eine andere Option war, den Blackwall-Tunnel – einen Straßentunnel, der unter der Themse verläuft – mit dem Auto zu nutzen. Doch keine dieser Optionen stellte eine wirklich gute direkte Verbindung zwischen den beiden Ufern dar. Nun können mit der Seilbahn zwischen den Haltestellen Greenwich Peninsula und Royal Docks ohne Probleme bis zu 2.500 Personen pro Stunde befördert werden. Die Gondelbahn dient somit als verlängerter Arm für den Transport der Stadt – in mehrerer Hinsicht: als Verbindung zwischen der U-Bahn-Haltestelle North Greenwich (direkt bei der O2-Arena) und der Dockland Light Railway Station (fahrerlose Hoch- und Untergrundbahn in den Docklands) auf der anderen Seite der Themse. Von dort gelangt man wiederum in die Londoner Innenstadt. Andererseits existiert seit mehreren Jahren das Hotel InterContinental bei der O2-Arena. Menschen können dort übernachten, am nächsten Tag die Seilbahn nehmen und zum Messegelände in den Royal Docks „schweben“.

Doch zurück zur essentiellen Frage: „Menschen, die im angrenzenden Finanzviertel Canary Wharf arbeiten, nutzen die Seilbahn nicht. Es sind Leute, die von der ExCel-Arena oder der O2-Arena kommen oder in den umliegenden Hotels wohnen. Derzeit nutzen es noch wenige Pendler am Tag“, sagt Winter. Auch Boris Johnson schien sich nicht immer ganz sicher zu sein, für wen das Transportmittel nun gebaut wurde. Die britische Tageszeitung The Guardian berichtete von der Eröffnung im Juni 2012, bei Johnson habe eine ausgelassene Stimmung über sein Prestigeobjekt geherrscht. Einzig auf die Nachfrage eines Journalisten “Who's going to use this?“, wirkte er etwas wortkarg: “A huge amount of, um …“ Doch auch für die Anrainer könnte einer der Vorteile der Preis sein, zumindest was die direkte Verbindung im Osten Londons anbelangt. Denn die Seilbahn ist in das System der Oyster Card (elektronische Fahrkarte, die für Fahrten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln genutzt wird, Anm.) integriert. So kostet eine Einzelfahrt mit der Seilbahn mittels der Oyster Card 3,50 £ (rund 3,9 € – ohne die Fahrkarte sind es 4,50 £, was rund fünf € entspricht). Eine Fahrt mit der U-Bahn in den Zonen 1 bis 3 wiederum 4,90 £ (5,4 €).

Die Kosten des gesamten Projekts beliefen sich auf insgesamt 60 Millionen £. 36 Millionen £ davon zahlte die staatliche Fluggesellschaft der Vereinigten Arabischen Emirate, Emirates. Die Fluglinie kam kurz vor der Eröffnung als Sponsor hinzu. Der Hintergrund des Sponsorings: Die Seilbahn verfügt über 36 Gondeln, mit einer Kapazität für jeweils zehn Personen. Emirates hat damit nicht nur die Namensrechte inne, sondern ist auch berechtigt, die Logos an den Kabinen anzubringen – wie auch den Namenszug auf den offiziellen Liniennetzplänen von TfL. Der Londoner Netzplan ist das zweitmeist gedruckte Blatt Papier weltweit – nach der Bibel. Von den 60 Millionen £ Gesamtvolumen des Projekts, belaufen sich rund 10 % auf den elektromechanischen Seilbahnteil von Doppelmayr.

„Die Stationen selbst sowie die Stützen wurden nicht von Doppelmayr gefertigt, sondern von einem Unternehmen aus Manchester“, so Winter. Die insgesamt hohen Kosten erklären sich auch damit, dass zu Beginn rund 60 Grundeigentümer aus dem Areal herausgekauft werden mussten. Dazu kamen Planung, Beratungsleistungen, der Bau selbst etc. Doch der Betrieb rentiert sich, so Winter: „Welches Transportmittel finanziert sich schon von selbst? Wenn man 1,5 Millionen (durchschnittliche Anzahl der jährlichen Passagiere) mal neun £ (die Höhe des regulären Tickets für eine Hin- und Rückfahrt, Anm.) rechnet, werden die Betriebskosten pro Jahr sehr gut gedeckt.“

Die Seilbahn funktioniert als Einseilumlaufbahn, die neben einem elektrischen Hauptantrieb (Wechselstrom-Motor) zwei unabhängige hydrostatische Notantriebseinheiten installiert hat. Die Vorteile von urbanen Seilbahnen liegen auf der Hand: sie sind laut Doppelmayr rascher installiert als andere Transportmittel wie beispielsweise U-Bahnen, sind absolut umweltfreundlich und energieeffizient und können Gebiete in Städten erschließen, die auf herkömmlichen Weg nur schwer zu erreichen sind.

Die Betriebssicherheit ist zu einem großen Teil dem gesamten Team unter Führung von Chris Giles zu verdanken. Der Brite begann 2012 als Techniker vor Ort zu arbeiten. Es folgte ein rascher Aufstieg: „Er wurde vom Techniker zum Schichtleiter, dann zum Wartungsleiter – jetzt ist er Business Unit-Leiter von Emirates Air Line Doppelmayr Cable Car UK. Chris hat Führungsqualitäten und wird weiterhin von uns ausgebildet, Führungsaufgaben wahrzunehmen“, sagt Winter.

Persönlicher Aufstieg

„Ich habe hier fast jeden Job durchlaufen und konnte von allen etwas lernen.“ Unterhält man sich mit Giles, bemerkt man sofort: Er weiß alles rund um das Transportmittel. „Die Seilbahn ist mein Baby. Ich bin sehr fürsorglich“, stellt er unumwunden fest. Giles kennt sämtliche technischen Daten und ist die erste Anlaufstelle für die Kunden – Transport for London und Mace. Dazu checken täglich fünf eigene Techniker die Funktionalität und die Verfügbarkeit der Seilbahn – und das teilweise auch um Mitternacht und frühmorgens. Auch Giles hilft hier nach wie vor mit. Insgesamt besteht das Team aus 18 lokalen Mitarbeitern (Operator, Techniker, Management Team). Giles ist für die Einstellung neuer Mitarbeiter verantwortlich – dabei stößt er auch auf Herausforderungen. „Es ist ein neues Konzept für London. Es gibt wahrscheinlich nur wenige Fachleute im Land, die eine derartige Seilbahn bedienen können“, sagt Giles.

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Chris Giles
... ist Business Unit-Leiter von Emirates Air Line Doppelmayr Cable Car UK.

Mit Projekten wie diesen setzt Doppelmayr den Weg neuer Geschäftsfelder konsequent fort. Denn die Vorarlberger agieren längst nicht mehr nur als Seilbahnhersteller sondern auch als internationaler Servicedienstleister. „Ende der 90er-Jahre wurde der erste „People Mover“ (schienengebundenes und in der Regel automatisch verkehrendes Verkehrsmittel für kurze Strecken, wie man es hauptsächlich auf Flughäfen und Messen findet, Anm.) in Las Vegas installiert – dafür benötigte man eine gewisse Expertise. In diesem Zusammenhang wurde immer vom klassischen Kundendienst-Geschäft gesprochen. Dieses besteht darin, Ersatzteile für ein Projekt zu verkaufen – aber keine Servicedienstleistungen.“ Jetzt ist Doppelmayr Cable Car immer öfter als Betreiber für – nach wie vor laufende – Transportmittel im urbanen Bereich tätig: seit 2014 für einen „Airport Connector“ am Flughafen Oakland in den USA sowie seit 2016 jenen am Hamad International Airport in Katar; im selben Jahr stellte man die Dienstleistungen für den Betrieb einer Seilbahn in Macau zur Verfügung.

Rund 9.600 Kilometer von Macau entfernt, in London, läuft der Betrieb der Seilbahn somit einwandfrei. Die Anzahl der Touristen kann sich sehen lassen – darüber hilft das Transportmittel, das Areal rund um die Royal Docks bis zu Canary Wharf wieder neu zu beleben. Dennoch muss in Zukunft der nächste Schritt erfolgen, um mehr Einheimische für das Transportmittel zu gewinnen. Ein Schlüssel zum Erfolg könnte sein, das Angebot an Wohnhäusern sowie Geschäfts- und Freizeitzentren in Zukunft noch attraktiver zu gestalten. Und geht es nach den amtierenden Bürgermeistern von London und Newham ist genau dies der Plan. Die bisherige Entwicklung zeigt jedenfalls: Es geht weiter nach oben.

Fotos: Jason Alden

Niklas Hintermayer,
Redakteur

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